Apothekenprotesttag

„Baff“, „geplättet“, „wirklich überwältigt“ – Eindrücke vom Protestmarsch in Berlin

Berlin - 14.06.2023, 18:30 Uhr

Mit so vielem Teilnehmenden hat wohl kaum jemand gerechnet. (Foto: mik/DAZ)

Mit so vielem Teilnehmenden hat wohl kaum jemand gerechnet. (Foto: mik/DAZ)


Lange haben sie gewartet – nun war es endlich so weit: An diesem Mittwoch sind die Apothekenteams auf die Straßen gegangen, um ihrem Unmut über die Gesundheitspolitik Luft zu machen und für die Existenz ihres Berufsstandes zu kämpfen. Auch in Berlin: Tausende marschierten vom Potsdamer Platz am Gesundheitsministerium vorbei vor das Wirtschaftsministerium, und machten ordentlich Radau. Auch Karl Lauterbach warf einen Blick aus seinem Bürofenster – vor die Tür wollte er aber nicht.

Kurz nach elf am Potsdamer Platz: Kleine Gruppen von Frauen in weißen Kitteln schlendern herum, einige tragen Schilder mit sich, man kann nicht erkennen, was darauf geschrieben steht. Im ersten Augenblick könnte man meinen, hier wird sehr gesittet Junggesellinnenabschied gefeiert – aber in großem Stil. Allerdings tauchen auch bald die Männer auf – ebenfalls in weißen Kitteln. Ok, es dauert nicht lange und es wird klar: Hier versammeln sich Apothekenteams aus ganz Deutschland, um an dem Protestmarsch in der Hauptstadt teilzunehmen.

Die Apotheken in der Umgebung haben ausnahmslos geschlossen: die Apotheke am Brandenburger Tor, die Apotheke im Regierungsviertel, auch am Potsdamer Platz die Pluspunkt Apotheke. Klagende Kund:innen stehen keine davor. Sie sind wohl im Vorfeld ausgiebig über den Protest aufgeklärt worden. In Mitte gibt es nur eine Apotheke, die Notdienst schiebt: die Apotheke am Rosa-Luxemburg-Platz. Ein wenig in Sorge, dass es einen Ansturm geben könnte, sind sie schon, sagten die Mitarbeiterinnen gegen halb zehn. Vor sich hatten sie einen Zettel liegen, auf dem die Apotheken aufgeführt sind, die in den anderen Bezirken Notdienst schieben. Für alle Fälle.

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Der Potsdamer Platz füllt sich. Stephan Torke, Inhaber einer Apotheke im sächsischen Freital, steht auf dem Demowagen und macht Stimmung. Vor dem Wagen liegen stapelweise Schilder. Die brauchen viele Apothekenteams aber überhaupt nicht. Sie haben ihr eigenes Material mitgebracht. Beispielsweise die Teams der Premium Apotheken in Berlin. Sie haben sogar ihre eigenen T-Shirts gemacht für die Demo: „Weil wir unseren Beruf lieben“, steht darauf. Es sei ein gutes Gefühl, demonstrieren zu gehen, sagen die Mitarbeiterinnen.

Es geht los. Erste Schätzung: Es sind mehr als 1.000 Menschen gekommen. Vor der Mall of Berlin ein älteres Pärchen, ungläubig schauen sie auf den Demonstrationszug. „Es ist wohl Klagen auf hohem Niveau“, sagt die Frau. Aber sie ist „erstaunt“, dass auch der Mittelstand nun schon auf die Straße geht. Sie weiß nicht genau, worum es sich dreht, sagt sie. „Komisch, dass man da nicht richtig informiert ist.“ Er pflichtet bei. „Man müsste genauer wissen, was die Apotheker wollen. Was soll Entbürokratisierung genau heißen?“, fragt er.

Es darf laut werden

Am Bundesrat vorbei wird vom Demowagen erst einmal gelobt, dass die Länder ganz offensichtlich besser verstanden haben als der Bund, wie schlecht es den Apotheken geht. Als die Aufforderung vom Wagen kommt, vor dem benachbarten Finanzministerium zu stoppen, geht das aus irgendeinem Grund nicht, die Karawane zieht weiter. Derweil läuft laut die Musik, es darf etwas mehr Krach machen: die Ärzte zum Beispiel, oder AC/DC mit Highway to Hell.

In der Wilhelmstraße steht ein etwa 40-jähriger Mann und klatscht. „Meine Freundin ist PTA, ich weiß, was bei denen los ist. Das brauchen sie mir nicht zu erklären. Ich bin voll bei denen hier“, sagt er. Überhaupt säumen viele Menschen den Demoweg. Staunend stehen sie da, nehmen ihr Handy und filmen. So viele Apotheker:innen in weißen Kitteln sieht man selten – vor allem nicht mit Trillerpfeifen und Trommeln protestieren.

Lauterbach reagiert mit Tweet

Vor dem Gesundheitsministerium dann ein etwas längerer Stopp. Die Vordersten im Zug mit dem Banner wenden sich dem Eingangstor zu. Die Menge skandiert, einige Polizisten schauen sich die Situation an. Es wird ein wenig Platz gemacht, damit auch die weiter hinten sich vor dem BMG positionieren können. Laut Polizei sind es zu diesem Zeitpunkt etwa 3.800 Protestteilnehmer:innen.

Minister Karl Lauterbach twittert ein Bild von dem Protestzug vor dem Gebäude und schreibt dazu „Großer Apotheker-Streik vor meinem Büro. Sie skandieren ‚…wir sind viele, wir sind laut, weil er uns die Kohle klaut…‘“ – das wirkt. Unter dem Tweet tummeln sich viele Empörte, mit den Apothekern Sympathisierende. Einige Schlauberger schreiben, dass sich ihr Apotheker sich erst vor kurzem einen Porsche gekauft hat… Die ABDA stellt auf Twitter zu Lauterbachs Tweet klar: „Falsch. ‚…uns die Zukunft klaut!‘ Das rufen wir! Sie sehen also, es geht uns nicht nur ums Geld, sondern um die Patientenversorgung! Wir hoffen, dass Sie das irgendwann verstehen!“

Weiter geht es, der Zug überquert den weitflächig abgesperrten Boulevard „Unter den Linden“. An der Ecke Friedrichstraße ein paar Halbstarke – vielleicht auf Klassenfahrt in der Bundeshauptstadt. Der Halbstärkste zückt sein Handy: „Die armen Apotheker. Müssen die heute nicht arbeiten?“

„Abrissbirne der Gesundheitsversorgung“.

Einige Meter weiter trägt Herr Rüter ein Plakat, auf dem Lauterbach sich lasziv auf einer Abrissbirne räkelt. Der Text dazu: „Abrissbirne der Gesundheitsversorgung“. Er ist Inhaber der Kaiser-Otto-Apotheke in Magdeburg und zwei weiterer. Seinen Mitarbeitern hat er die Fahrt nach Berlin bezahlt. „Ich bin baff“, sagt er. Mit so vielen Teilnehmern am Protest in Berlin hätte er nicht gerechnet. Aber es sei wichtig, dass die mediale Öffentlichkeit geschaffen werde. Die Bevölkerung müsste endlich Bescheid wissen, dass es eine Lüge ist, dass es kein Geld für Gesundheit gebe – und sie sollen wissen, dass am Ende immer bei den Apotheken gekürzt wird.

An der Charité vorbei geht es nun zum Invalidenpark, hier findet die Schlusskundgebung statt. Der Platz neben dem Wirtschaftsministerium füllt sich langsam. „Einfach irre“, sagt Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apothekervereins und Organisatorin des Protestmarsches. Sie schaut von der Bühne in die Menge. Niemand habe „auch nur im Traum“ daran gedacht, dass so viele Menschen kommen würden. „Wir sind hier, weil die Bundesregierung die Arzneimittelversorgung und unsere berufliche Existenz gefährdet“, sagt Rüdinger. Die Sonne knallt, aber die Menge jubelt.

Vor allem Angestellte dabei

Andreas May, Bundesvorstand der Apotheker-Gewerkschaft Adexa erklärt, er sei einfach nur „geplättet“. Der Grund: „Weil die meisten, die hier sind, sind Mitarbeiter“. An das Bundesministerium für Gesundheit und das für Wirtschaft gerichtet klagt er: „Sind die 150.000 Mitarbeiter nicht mehr wert als die lächerlichen Danksagungen?“

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening tritt sichtlich gerührt an das Pult. Sie sei „wirklich überwältigt“. Sie kritisiert unter anderem, dass Lauterbach sein „Faktenblatt“ in Umlauf gebracht – und danach auch noch eine Neid-Debatte vom Stapel gebrochen hat: „Das ist schlechter Stil“, sagt sie und stellt dann klar: „Uns geht es um die sichere Arzneimittelversorgung durch die Apotheken vor Ort.“

Kurz bevor die Kundgebung vorbei ist, ruft Apotheker Maximilian Wilke von der Bühne: „Wir haben der Politik gezeigt, dass sie mit uns rechnen muss.“ Wenn der Protest heute ergebnislos bleiben sollte „dann werden Lauterbach, Lindner und Co. noch weitere solche Tage erleben!“

ABDA-Sprecher Benjamin Rohrer zeigte sich in einem ersten Statement gegenüber der DAZ sehr zufrieden mit dem Protest. Schätzungsweise 5.000 Menschen hätten teilgenommen, und deutschlandweit wären es nochmal mehrere Tausend gewesen. Eine Umfrage hätte zudem ergeben, dass 86 Prozent aller Apotheken bundesweit geschlossen gewesen wären. „Es ist ein Zeichen der Geschlossenheit, ein ganz tolles Zeichen, dass wir auch hier in Berlin gesendet haben.“


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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