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Das 50 Cent-Entgelt für das Lieferengpass-Management hat das BMG noch gesteigert: Es gibt das Almosen nur für den „normalen“ Austausch, aber nicht für Kinderarzneimittel von der „Dringlichkeitsliste“. Was für eine Farce! Was für eine Missachtung der Apothekenarbeit. Und das Wirtschaftsministerium will mal den „grundsätzlichen Anpassungsbedarf prüfen“ – mehr heiße Luft geht nimmer. Außerdem: Es klemmt an allen Ecken und Enden und Lauterbach meint, die Arzneimittelversorgung sei in diesem Jahr „deutlich besser“. Seine rosarote Brille muss Milchglasscheiben haben. „Politischen Rückenwind“ und „Zwischenerfolge“ im Kampf für mehr Honorar sieht dagegen die ABDA-Präsidentin, nach den Protesten: „Wir sind auf dem absolut richtigen Kurs.“ Hoffen wir, dass der Kompass noch stimmt.
4. Dezember 2023
Warten aufs Christkind? Kommt noch, mein liebes Tagebuch, jetzt heißt es erst einmal warten auf die aktualisierte Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel. Diese Liste sollte voraussichtlich ab dem 1. Dezember gelten. Es ist die Liste wichtiger Kinderarzneimittel, für die in dieser Wintersaison wegen steigender Infektionszahlen eine erhöhte Nachfrage eintreten könnte. Ja, es ist diese berühmte Liste, die als Basis für neue Austauschmöglichkeiten für Apotheken gilt. Die Liste ist allerdings von der Veröffentlichung des Pflegestudiumsstärkungsgesetzes abhängig – und das ist noch nicht in Kraft getreten, d.h., die Liste ist bisher noch nicht für Apotheken relevant. Ist nicht schön, denn mit diesem Gesetz wird eine Änderung im SGB V eingefügt, die vorsieht, dass Apotheken die dort gelisteten Kinderarzneimittel gegen ein wirkstoffgleiches Fertig- oder Rezepturarzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, austauschen dürfen, wenn das abzugebende Arzneimittel nicht verfügbar ist. Jetzt heißt es also noch warten, wenn man nach dieser Regelung austauschen möchte, bis das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Für Apotheken heißt es auch: auf keinen Fall schon vorher nach diesen neuen Vorgaben austauschen, da das Retaxverbot für den Austausch erst gilt, wenn das Gesetz wirksam ist. Wird nun alles einfacher und besser? Nicht wirklich, die neue Regelung macht es für die Apotheken ebenfalls nicht einfach: Es müssen auch hier die Großhandelsabfragen durchgeführt werden und die Abgaberangfolge des Rahmenvertrages ist zu prüfen.Und es gibt nicht einmal die berüchtigten 50 Cent für den Austausch. Mein liebes Tagebuch, wir dachten einmal, in Deutschland soll alles getan werden, die Bürokratie abzubauen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Karl Lauterbach meint, die Arzneimittelversorgung sei in diesem Jahr „deutlich besser“ aufgestellt. Und er hört auch nicht auf, dies in allen Medien zum Besten zu geben. Mein liebes Tagebuch, wenn es nicht so ernst wäre, müssten wir hier nur noch lachen. Trägt dieser Mann eine Brille mit rosa gefärbten Milchglasscheiben? Verwendet er ständig Ohrstöpsel? Ja, er scheint in anderen Sphären zu schweben. Denn wäre er geerdet, so hätte er schon längst vernommen, dass keine Verbesserung der Arzneimittelsituation in diesem Jahr zu sehen ist. Das bestätigen die verfasste Apotheker- und Ärzteschaft und der pharmazeutische Großhandel. Alle Heilberufe schlagen Alarm: Für den Winter ist keine Besserung der angespannten Arzneimittelsituation zu erwarten. Und das nicht nur bei Antibiotika, sondern auch bei Blutdrucksenkern, Psychopharmaka, Augentropfen und Augensalben und sogar die Cholesterinsenker sind betroffen. Die ABDA-Präsidentin lässt alle Medien wissen: „Eine wirksame Abhilfe ist derzeit leider kaum in Sicht.“ Mein liebes Tagebuch, wo in aller Welt lebt Lauterbach?
5. Dezember 2023
Die Protest-Bilanz: ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening zeigt sich in einer Videobotschaft ans Apothekervolk dankbar. Man habe „große Geschlossenheit“ gezeigt, mit 20.000 Teilnehmenden sei eine „echte Medienresonanz“ erreicht worden. Und man werde nun mit den Forderungen nach wirtschaftlicher Stabilisierung der Apotheken auf allen politischen Ebenen wahrgenommen. Viele Politikerinnen und Politiker seien darauf aufmerksam geworden, wie es um die Apotheke vor Ort steht. Schon richtig, mein liebes Tagebuch, vor Ort, in den Bundesländern, hat sich die Landespolitik sogar weitgehend auf die Seite der Apotheken gestellt. Soweit so gut, jetzt stellt sich nur die kleine Frage, wird die versprochene Unterstützung in Berlin gehört? Es ist wirklich schön, wenn Landespolitikerinnen und -politiker den Apotheken den Rücken stärken. Nur bei Lauterbach ist davon noch gar nichts angekommen. Wie geht’s weiter? Laut Overwiening soll es nun erst mal mit Gesprächen weitergehen, auf verschiedenen politischen Ebenen. Und dann werde man erst entscheiden, in die „nächste Eskalationsstufe“ zu gehen. Ist die schon angedacht? Mein liebes Tagebuch, es ist wirklich nett, wenn man weiter miteinander reden will. Ehrlich gesagt, wenn man die Lage realistisch einschätzt, wird diese nette sanfte Tour beim Teflon-Lauterbach allerdings genauso sanft abgleiten. Was wir vermissen, mein liebes Tagebuch, sind vor allem unsere eigenen Vorschläge und Vorstellungen für ein zukünftiges Apothekensystem. Wo bleibt der ABDA-Entwurf für eine Apothekenreform, wie wir sie uns wünschen? Was können wir einem Gesundheitspolitiker wie Lauterbach anbieten? Bitte mal aktiv Vorschläge machen als nur passiv zu jammern.
6. Dezember 2023
Was denkt ein profunder Kenner der Apothekenbranche über die derzeitige Lage der Apotheken? Wie beurteilt er die Apothekenreform-Vorschläge von Lauterbach? AWA-Chefredakteur Hubert Ortner hat sich mit Axel Witte, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der bundesweit tätigen RST Steuerberatung, über die branchenpolitischen Themen unserer Tage – von der ABDA bis zur „Apotheke light“, vom Fixhonorar bis zum Fremdbesitzverbot unterhalten. Mein liebes Tagebuch, die Lektüre dieses Interviews ist allen Apothekenleiterinnen und -leitern und denen, die es werden wollen, zu empfehlen. Das Apothekensterben wird, so Witte, weitergehen. Kleine Apotheken, also Apotheken bis 2,5 Millionen Euro Umsatz, werden sich in Zukunft immer schwerer tun. Interessant wird es für eine Apotheke erst ab etwa 3 Millionen Euro Umsatz. Witte: „Die Konsolidierung wird sich beschleunigen.“ Die größten Herausforderungen werden auch weiterhin die Honorarerhöhung und der Fachkräftemangel bleiben. Die ABDA sollte das noch viel deutlicher herausarbeiten, so der Steuerberater. Und seine Einschätzung von Lauterbach: „Im Grunde ist Lauterbach von seinem Denken her ein Sozialist, das sollten wir nicht vergessen.“ Und das sollte die ABDA in Gesprächen mit ihm immer im Hinterkopf haben: „Meint es Karl Lauterbach mit seinen Versprechen gegenüber den Apothekern wirklich ernst? Oder verfolgt er eine sozialistische Agenda?“ Das lesenswerte Interview finden Sie hier.
Nach ihrer Videobotschaft und dem Dank an die Apothekenteams für die zahlreiche und tatkräftige Teilnahme an den Protestaktionen wurde die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening in der Mitgliederversammlung der ABDA noch deutlicher, sie sprach über Zwischenerfolge und den weiteren politischen Kurs. Getragen von einem „politischen Rückenwind“, den sie spüre, wolle man nun in weitere Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen einsteigen. Die ABDA-Präsidentin ist jedenfalls überzeugt: „Wir sind auf dem absolut richtigen Kurs.“ Mein liebes Tagebuch, ob es der richtige Kurs war, wird sich erst dann zeigen, wenn die Honorarerhöhung bevorsteht. So einfach ist das.
7. Dezember 2023
„Bevor alles den Lauterbach runtergeht“ – mein liebes Tagebuch, auch wenn es wohl immer ein bisschen ambivalent ist, Namen mehrdeutig einzusetzen: Man muss es den Machern der neuen Noweda-Kampagne zugestehen, dass sich dieser Titel irgendwie aufdrängt. Die Kampagne bringt das Desaster rund um die derzeitige Arzneimittelversorgung knackig auf den Punkt: Mehr Fiebersaft, weniger Lieferengpässe“, „Mehr Antibiotika, weniger Worthülsen“ und „Mehr Arzneimittel, weniger Druck auf Apotheken“. Noweda-Chef Michael Kuck ist überzeugt: „Durch die Abgabe [dieser Zeitschrift] können Apotheken ihre Kunden ohne viel Aufwand für das Thema sensibilisieren und ihnen zudem vermitteln, was die Ursachen für diesen Notstand sind.“ Mein liebes Tagebuch, dieses Heft muss großflächig verbreitet werden.
Die telefonische Krankschreibung ist zurück – und die Meinungen darüber gehen erwartungsgemäß auseinander. Für diejenigen, die krank sind, ist das natürlich eine feine Sache: Kurz und schmerzlos, ein kleiner Anruf in der Praxis und man wird, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, bis zu fünf Tagen krankgeschrieben. Kein Weg zur Praxis, keine Wartezeiten. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist dies ein Plus. Einfacher geht’s nicht. Und für die Arztpraxen ist es natürlich eine tolle Entlastung. Kritik kommt verständlicherweise von den Arbeitgebern. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände spricht bereits von einer „Fehlleistung der Gesundheitspolitik“. Die Krankschreibung werde qualitativ entwertet, heißt es, obwohl sie ja Grundlage für eine Lohnfortzahlung ist. Die Rede ist sogar von einem negativen Einfluss auf den Betriebsfrieden. Mein liebes Tagebuch, die telefonische Krankschreibung setzt auf beiden Seiten großes Vertrauen voraus: Die Arztpraxis muss die Schilderungen der Anrufenden als glaubwürdig erachten, der Arbeitgeber muss seinen Mitarbeitenden, die sich telefonisch krankschreiben lassen, vertrauen, dass tatsächlich eine Gesundheitsstörung vorliegt und nicht eben mal ein kleiner Sonderurlaub eingelegt wird, um Besorgungen zu erledigen oder die Kinderbetreuung zu organisieren. Die Sache mit dem negativen Einfluss auf den Betriebsfrieden ist da durchaus ernstzunehmen.
8. Dezember 2023
Es ist unsäglich, und es wird immer noch schlimmer: Wenn Apotheken die Lieferengpässe managen und nicht verfügbare Arzneimittel nach den gesetzlichen Vorgaben austauschen, gibt’s die sagenhaften 50 Cent. Handelt es sich bei dem Austausch allerdings um Kinderarzneimittel der „Dringlichkeitsliste“ und wird nach den hierfür geltenden speziellen Vorgaben substituiert, dann gibt’s gar nix. Also nicht einmal die 50 Cent. Die nicht gewährten 50 Cent sind das eine; fast noch schlimmer ist die Missachtung unserer apothekerlichen Arbeit. Einen rationalen Grund dafür gibt es nicht, zumal der Austausch nach der Dringlichkeitsliste ähnlich viel Zusatzarbeit erfordert wie der „normale“ Austausch. Vermutlich hat man bei der neuen Regelung für die Kinderarzneimittel nur „vergessen“, die 50 Cent mit aufzunehmen (man hätte die Arzneimittelpreisverordnung entsprechend ändern müssen). Mein liebes Tagebuch, unfassbar, wie die Politik mit dem Heilberuf Apotheker umgeht. Ich bin überzeugt, die Ärzteschaft hätte die Arbeit unter solchen Bedingungen schon niedergelegt. Auf Nachfrage erklärte das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dass man im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen einer künftigen Änderung der Arzneimittelpreisverordnung einen grundsätzlichen Anpassungsbedarf prüfen werde. Mein liebes Tagebuch, mehr heiße Luft geht kaum: Das Wirtschaftsministerium spricht hier von einer „künftigen Änderung der Arzneimittelpreisverordnung“, spricht von „grundsätzlichem Anpassungsbedarf“ und fügt das Verb „prüfen“ hinzu. Wenn dieses Ministerium solche Sätze auch nur annähernd ernst meinen würde, hätte schon längst eine Prüfung der Arzneimittelpreisverordnung stattfinden müssen. Die „grundsätzlichen Anpassungsbedarfe“ sind himmelschreiend!
Bereits im Oktober sandten die freien Heilberufe aus der Bundespressekonferenz ein SOS in die Bundespolitik und an die Bevölkerung: Das Gesundheitssystem wird an die Wand gefahren, warnten sie. Und jetzt meldet sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit Horrorzahlen zur Stimmung in der niedergelassenen Ärzte- und Psychotherapeutenschaft zu Wort. Laut einer Umfrage denken 60 Prozent von ihnen darüber nach, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszusteigen. Bei Haus- und Fachärzten sind es sogar um die 70 Prozent. Die Unzufriedenheit in der Ärzteschaft ist ähnlich, wie bei Apothekers, riesengroß. Sie klagen über eine Überlastung durch administrative und bürokratische Aufgaben, wenig Zeit für Patientinnen und Patienten, sie fühlen sich ausgebrannt. Außerdem würden die Digitalisierungsmaßnahmen den Praxisablauf beeinträchtigen. Hinzukommen Nachwuchs- und Personalmangel und Regressgefahren. Nicht einmal fünf Prozent geben an, dass sie von Seiten der Politik eine angemessene Wertschätzung für ihre Arbeit wahrnehmen. Mein liebes Tagebuch, das kommt uns doch alles sehr bekannt vor. Die Stimmung in der Ärzteschaft ist mit der in der Apothekerschaft durchaus vergleichbar. „Das ist eine veritable Krise“, sagt Stephan Hofmeister, der stellvertretende KBV–Vorstandsvorsitzende. Und diese Warnungen seien kein Lobbyisten-Geschrei von Funktionären. Es fehlten einfach gute und vernünftige Rahmenbedingungen. Nimmt Lauterbach eigentlich diese Stimmungen wahr?
10 Kommentare
Leider kann …
von gabriela aures am 10.12.2023 um 18:00 Uhr
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AW: Leider kann
von Gert Müller am 11.12.2023 um 9:12 Uhr
Was ich nicht verstehe:
von Karl Friedrich Müller am 10.12.2023 um 16:08 Uhr
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Ja, die Wahrnehmung ...
von Reinhard Herzog am 10.12.2023 um 13:01 Uhr
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AW: Mein liebes Tagebuch
von Michael Reinhold am 11.12.2023 um 6:57 Uhr
AW: Mein liebes Tagebuch
von DAZ-Redaktion am 11.12.2023 um 7:13 Uhr
ABDA-Entwurf
von Ulrich Ströh am 10.12.2023 um 7:59 Uhr
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AW: ABDA-Entwurf
von Anita Peter am 10.12.2023 um 8:48 Uhr
AW: ABDA-Entwurf
von Friedemann Ahlmeyer am 10.12.2023 um 9:22 Uhr
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