Buchvorstellung

Viel Spielraum für Big Pharma

Berlin - 25.03.2024, 09:15 Uhr

(Foto: Manuel Schäfer / Adobe Stock)

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Neue Arzneimittel sind nur manchmal eine Rettung – teuer sind sie aber immer. In seinem Sachbuch „Pillen Poker“ formuliert Jörg Schaaber seine Kritik an der modernen Pharmaindustrie. Es wirft Fragen auf, denen sich auch Apothekerinnen und Apotheker stellen müssen.

Kein Arzneimittelskandal erschütterte dieses Land so sehr wie der Contergan-Fall. Seitdem machten Gesetze Arzneimittel sicherer. Ein neuer Skandal dieser Art und Größe scheint heute unwahrscheinlich. Und dennoch fand Jörg Schaaber auch seit der Jahrtausendwende genug Arzneimittelskandale, um ein Buch über sie zu schreiben. Das Ergebnis „Pillen Poker“ ist im Herbst 2023 als Suhrkamp Taschenbuch in der Reihe „medizin­Human“ erschienen.

Im Kern geht es darum: Arzneimittelhersteller sind Aktionären verpflichtet, ihre Umsätze zu maximieren. Patienten hingegen wollen mit wirksamen und sicheren Arzneimitteln ein längeres oder einfacheres Leben. Die Industrie will ein positives Image aufrechterhalten und vorspielen, beides in Einklang bringen zu können.

Doch manchmal spielt die Industrie mit schlechten Karten – so etwa beim Diabetes-Medikament Rosiglitazon oder dem COX-2-Hemmer Rofecoxib. Bei beiden traten teils tödliche Nebenwirkungen häufig auf, sodass der Schaden den Nutzen überwog. Die Hersteller verteidigten ihre Produkte, obwohl sie zuerst von den Risiken wussten. Bis die Zulassungen zurückgezogen werden mussten, verdienten die Hersteller, während Patienten mit ihrer Gesundheit bezahlten.

Wie groß ist der reale Nutzen einer Behandlung?

Gibt also der Pharma-Markt Herstellern zu viel Freiraum? Für den Autor selbst liegt die Antwort auf der Hand. Schaaber begann in den 1980er-Jahren für die BUKO-Pharma-Kampagne zu arbeiten. Seitdem verfolgt er die globalen Fehltritte der Industrie, repräsentiert Magazine wie „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ und pflegt Kontakte zu Expert*innen, die sich weltweit mit der Branche auseinandersetzen. Sein Buch bündelt diese Erfahrungen zu einer Art kritischem Manifest der modernen Pharmaindustrie. Das ist selbst dann gut zu lesen, wenn der Autor ins Detail geht.

Für lukrative Erkrankungen wie etwa Krebs hat die Pharma-Branche in den letzten Jahrzehnten Durchbrüche generiert. Auch diesen Punkt nimmt Schaaber zum Anlass der Kritik. Er zeichnet nach, wie es die Branche perfektioniert hat, Geld aus den Gesundheitssystemen zu ziehen. Hersteller patentgeschützter Arzneimittel wissen, was wohlhabende Gesundheitssysteme bereit sind, etwa für Krebsbehandlungen auszugeben. Das prägt den Fokus ihrer Arbeit und den Preis neuer Mittel. Den kostspieligen Teil der Arbeit, wie die Grundlagenforschung und immer öfter die Wirkstoffentwicklung selbst, überlassen sie Universitäten oder Ländern mit geringeren Löhnen. Im Optimalfall kaufen sie dort einen weit entwickelten Kandidaten auf. Nun müssen sie „nur“ noch die Zulassungsstudie und Patente auf den Weg bringen. Das Resultat sind hohe Gewinne, über die sich Privatanleger und Banken freuen. 

Auch Apotheken profitieren teils von den „Hochpreisern“. Für sie birgt der Umgang mit teuren Arzneimitteln zwar ein Risiko. Doch wer es eingehen kann und sein Geschäftsmodell darauf optimiert, wird mit gutem Umsatz belohnt. Doch auch die Apotheken spüren, dass das System an seine Grenze stößt. Krankenkassen knicken unter den steigenden Arzneimittelausgaben ein. Sparmaßnahmen werden immer nötiger. Doch sie treffen nur selten die Hersteller patentierter Arzneimittel, sondern zuerst die Infrastruktur. Für Apotheken schwindet die Hoffnung, die Politik zu einer Honoraranpassung zu bewegen. 

Nur für eine Lösung scheinen sich politische Mehrheiten zu finden: mehr Bürokratie für diejenigen, die „Hochpreiser“ zu den Patienten bringen. Schaaber schlägt konkrete politische Gegenmaßnahmen vor. Den Patienten unter seinen Lesern gibt er einen Rat: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – nicht nur zu Nebenwirkungen, sondern auch zum realen Nutzen der Behandlung.“ Auf welcher Seite des Spieltisches möchten Apotheken sitzen? Vielleicht hilft das Buch bei der Entscheidung.

Das Buch

Jörg Schaaber  
Pillen-Poker: Wie uns die Pharmaindustrie schadet und was man dagegen tun kann 
1. Auflage 2023, Klappenbroschur, 240 Seiten, Wissenschaftsbuch des Jahres  2024 (Longlist), 18 Euro  
ISBN 978-3-518-47241-5 
Suhrkamp Taschenbuch 5241


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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