Pragmatische Reform-Vorschläge aus Hamburg

Liquiditätsreserve soll Hochpreiser absichern

16.07.2024, 09:30 Uhr

Der Hamburger Apothekerverein schlägt vor, das finanzielle Risiko bei den Hochpreisern von den Apotheken wegzunehmen. (Foto: IMAGO / Hanno Bode)

Der Hamburger Apothekerverein schlägt vor, das finanzielle Risiko bei den Hochpreisern von den Apotheken wegzunehmen. (Foto: IMAGO / Hanno Bode)


Die Finanzströme bei der Arzneimittelversorgung sind nicht auf Hochpreiser ausgelegt. Dies bringt die Apotheken zunehmend in Schwierigkeiten, wird aber im Referentenentwurf für die geplante Apotheken-Reform nicht berücksichtigt. Ein Vorschlag, den der Hamburger Apothekervereins der dortigen SPD-Bürgerschaftsfraktion vorgelegt hat, will dieses Problem mit Hilfe der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds angehen. Weitere pragmatische Ansätze darin sind eine zunächst begrenzte Honorarerhöhung und eine Strukturförderung für besondere Standorte.

Immer mehr Hochpreiser und die mittlerweile relevanten Zinsen machen es Apotheken zunehmend schwer, teure Arzneimittel zwischen der Großhandelsrechnung und der Zahlung durch die Krankenkassen zu finanzieren. Bundesweit geht es um Milliardenbeträge, die weder Apotheken noch Rechenzentren stemmen können – und Banken scheuen dieses Risiko. Im Referentenentwurf für eine Apotheken-Reform gibt es dazu keine Antworten. Die ABDA hingegen hatte hierzu Vorschläge angekündigt.

Politische Gespräche in Hamburg

Bei politischen Gesprächen des Hamburger Apothekervereins wurde erkennbar, dass dieser Aspekt konkretisiert werden muss. Daraufhin haben der Vereinsvorsitzende Dr. Jörn Graue und der Verfasser dieses Beitrags, DAZ-Wirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn, einen Vorschlag dazu entwickelt, der auch weitere pragmatische Wege aufzeigt und in der Politik vermittelbar sein sollte. Der Hamburger Apothekerverein hat den Vorschlag an die Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion weitergeleitet, um damit die Diskussion über die Apotheken-Reform voranzubringen.

Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds für die Zwischenfinanzierung

Gegen das Finanzierungsproblem wird vorgeschlagen, die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds für die Zwischenfinanzierung zu nutzen. Dazu sollen die Apotheken Hochpreiserrezepte täglich bei ihrem Rechenzentrum einreichen können, das sie täglich über die Krankenkasse an den Gesundheitsfonds weiterleitet. Später würde die Krankenkasse ihre reguläre Zahlung mit dem Fonds verrechnen. Faktisch erhält die Krankenkasse dabei ein zinsloses Darlehn aus dem Gesundheitsfonds, das sie an die Apotheke weitergibt. Wenn die Apotheke Vorkasse leisten muss, sollen die Mittel auch vorher abgerufen werden können. Der Hintergrund für diese Konstruktion ist, dass die Krankenkassen zu dem entscheidenden Zeitpunkt selbst noch nicht über das nötige Geld verfügen, weil die Beiträge der Mitglieder noch nicht fällig sind. Darum könnten auch die vielfach geforderten Direktabrechnungen für Apotheken das Problem nicht lösen. Diesem Ansatz stünden sowohl die Verträge als auch die Liquidität der Krankenkassen gegenüber. Immerhin geht es hier bundesweit um Milliardenbeträge, wenn auch oft nur für jeweils etwa eine oder zwei Wochen pro Monat. Die gesundheitspolitisch gewollte Preisbildung, bei der die Apotheken nur eine minimale Marge haben, erweist sich hier als unvereinbar mit den Bedingungen des Finanzmarktes. Apotheken können solche Summe aus ihrer Marge nicht finanzieren, Bankgeschäfte sind keine Aufgabe für Apotheken und Rechenzentren, und aus der Perspektive der Banken erscheint ein Geschäft mit so geringer Marge zu risikoreich. Darum muss die Liquidität aus einer speziellen Quelle für das Gesundheitswesen kommen.

Die Urheber des Vorschlags

Dr. Jörn Graue ist der Vorsitzende des Hamburger Apothekervereins

 

 

 

 

 

 

Dr. Thomas Müller-Bohn ist Apotheker und Diplom-Kaufmann. Er ist externes Redaktionsmitglied der DAZ.

Apotheken von Risiken befreien

Um die Apotheken weiter von finanziellen Risiken zu befreien, wird vorgeschlagen, Retaxationen für Hochpreiser auszuschließen, wenn die Versicherten gemäß dem ärztlichen Willen versorgt werden. Das verbleibende Risiko müsse versicherbar sein. Als weitere bekannte Forderung aus dem Finanzbereich wird hervorgehoben, dass das Inkassorisiko für den Herstellerrabatt auf die Krankenkassen übergehen soll. Denn sie allein sind hier die Begünstigten.

Apotheken sichern statt neu gründen

Der Vorschlag für die Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion enthält weitere pragmatische Ansätze für die politische Debatte. Als ein zentrales Problem des Referentenentwurfs wird herausgearbeitet, dass dieser gemäß seiner Begründung auf neue Apotheken zielt. Dabei würden die Folgen für bestehende Apotheken zu sehr außer Acht gelassen. Doch es sollte darum gehen, die bestehenden Apotheken zu stärken, besonders an versorgungsrelevanten Standorten. Auch deshalb werden die Pläne für „Apotheken ohne Apotheker“ in dem Vorschlag uneingeschränkt abgelehnt. Sofern die personellen Voraussetzungen für den Apothekenbetrieb unverändert bleiben, werden die Ansätze zur Weiterentwicklung der Zweigapotheken hingegen begrüßt.

Neue Strukturförderung aus dem Nacht- und Notdienstfonds

Doch Zweigapotheken können nur einen kleinen Beitrag leisten. Für weitere flexible Lösungen schlagen die Autoren vor, Apotheken an Standorten mit außergewöhnlichen Versorgungsproblemen gezielt finanziell zu unterstützen. Dazu sollen eng gefasste Förderkriterien definiert werden, die insbesondere die Versorgungsrelevanz des Standortes berücksichtigen. Apotheken, die diese Bedingungen erfüllen, und Gemeinden, die Notapotheken betreiben, sollen Mittel aus dem Nacht- und Notdienstfonds erhalten. Dazu soll dieser Fonds in seiner Zielsetzung erweitert und um die geplanten 7 Cent pro Rx-Arzneimittel aufgestockt werden. Soweit diese zusätzlichen Mittel nicht für die neue Strukturförderung gebraucht werden, sollen sie in gewohnter Weise für Nacht- und Notdienste zur Verfügung stehen. Darum soll es keinen zusätzlichen Fonds geben. Da die Sicherstellung der Versorgung nicht mit der inhaltlichen Weiterentwicklung der Versorgung durch pharmazeutische Dienstleistungen konkurrieren darf, wird eine Reduzierung der Mittel für die Dienstleistungen abgelehnt. Die derzeit im Fonds vorhandenen Mittel dürften durch geplante zusätzliche Dienstleitungen zudem bald abgebaut werden. Die 7 Cent pro Rx-Arzneimittel, also etwa 50 Millionen Euro pro Jahr, müssten daher zusätzlich fließen.

80 Cent mehr Fixum als Sofortmaßnahme

Auch bei der eigentlichen Honorierung fordert der Vorschlag zusätzliches Geld. Die Autoren verweisen auf die Forderung der ABDA von etwa 2,8 Milliarden Euro, erkennen aber die derzeitige Mittelknappheit der öffentlichen Kassen und der Krankenkassen an und schlagen daher eine begrenzte Sofortmaßnahme vor. In dem Vorschlag wird betont, dass ein fester Betrag irgendwann von der Inflation eingeholt wird. Die 2004 von der Politik zugesagte, aber bis heute fehlende regelmäßige Anpassung des Festzuschlags für Rx-Arzneimittel ist daher die grundlegende Ursache für die finanziellen Probleme der Apotheken. Da die geplante Umverteilung vom prozentualen zum festen Zuschlag dieses Problem sogar noch vergrößern würde, lehnen die Autoren dies ab. Außerdem könnten sich Staat und Krankenkassen hier trotz Mittelknappheit ihrer Verantwortung nicht gänzlich entziehen. Darum wird die Forderung der Apothekengewerkschaft Adexa aufgegriffen, den Festzuschlag für Rx-Arzneimittel um 80 Cent auf 9,15 Euro zu erhöhen. Das würde den Apotheken jährlich etwa 620 Millionen Euro mehr Rohertrag bringen und die Krankenkassen mit dem Bruttobetrag von etwa 738 Millionen Euro belasten. Verglichen mit den Milliardeneinsparungen der Krankenkassen durch Rabattverträge, die erst durch erhebliche Mehrarbeit der Apothekenteams möglich werden, sei das sehr moderat, heißt es in dem Vorschlag.

Die Adexa-Forderung zielt darauf, dass die Apotheken dann die Gehälter entsprechend der Gewerkschaftsforderung um zehn Prozent erhöhen könnten. Für die Autoren geht es an dieser Stelle vor allem darum, die Arbeitsplätze zu sichern und die Apotheken zumindest hinsichtlich des Personals zukunftsfähig zu machen. Denn der Personalbestand müsse tendenziell gehalten werden.

Langfristige automatische Honoraranpassung als staatliche Aufgabe

Die Autoren betonen, dass eine Erhöhung des Fixums um 80 Cent den Bedingungen des § 78 Abs. 2 AMG nicht genügt und keinen vollständigen Ausgleich der Kostenentwicklung im Sinne des § 78 Abs. 1 AMG bietet. Welcher Ausgleich für die Zeit seit 2013 angemessen ist, bleibt damit offen. „Daher bleiben spätere basisindizierte automatische Erhöhungen des Festzuschlags auch als Ausgleich für die Kostenentwicklung seit 2013 perspektiv anzustreben“, heißt es dazu im Vorschlag. Als langfristige Regelung soll ein Konzept mit solchen regelmäßigen Anpassungen erarbeitet werden. Um Streit über die Daten zu verhindern, sollen dabei allgemein verfügbare Indices als Maßstab für die Kostenentwicklung dienen. Der Staat solle sich zu seiner Verantwortung für die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung bekennen und dies nicht der Selbstverwaltung überlassen. Diese konnte schon die viel kleinere Aufgabe bei der Festlegung des Apotheken- bzw. Kassenabschlags nicht lösen und hat sie der Politik übergeben. Bis das neue Konzept umgesetzt wird, sollen 80 Cent Erhöhung als Sofortmaßnahme helfen, zumindest die personelle Seite des Systems zu sichern. Nun bleibt abzuwarten, wie diese an die SPD auf Landesebene in Hamburg gerichteten Vorschläge die Diskussion innerhalb der Partei und auf Bundesebene voranbringen.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Von Stuttgart nach Hamburg über München

von Reinhard Herzog am 16.07.2024 um 11:03 Uhr

"Dazu sollen die Apotheken Hochpreiserrezepte täglich bei ihrem Rechenzentrum einreichen können, das sie täglich über die Krankenkasse an den Gesundheitsfonds weiterleitet. ..."

Unstrittig ist, dass das (Vor-)Finanzierungsrisiko für Apotheken so nicht mehr haltbar ist. Dennoch ist dieser Vorschlag ein Musterbeispiel, wie allzu viele von uns denken: kompliziert, um die Ecke ... und bloß nicht auf den Punkt und mal direkt aufs Ziel.

Bitte den Satz ganz oben aus dem Artikel noch mal ganz ruhig lesen. Vom Rechenzentrum täglich an die Krankenkasse, die leitet das weiter an den Gesundheitsfonds, später dann Verrechnung der Rezeptforderung mit dem Fonds.

Man staunt ...

Wer bestellt, bezahlt. Und die Zahlungsbedingungen sind an die (online-)Realität anzupassen. Hier Ware, da Geld. Der Besteller hat tunlichst selbst für seine Liquidität zu sorgen. Wenn es dazu einen Rückgriff auf z.B. einen Gesundheitsfonds (oder andere Finanzquellen) braucht, dann kann man z.B. eine Art Kreditlinie (nicht nur für Hochpreiser, sondern Erstattungen aller Art) einrichten.

Das ist Sache der Politik, wie sie die Liquidität der Kostenträger sicherstellt. Dafür müssen wir nicht solche Kopfgeburten kreieren. Nebenbei zieht das Argument insoweit nicht, weil die Verordnungen eine planbare Größe darstellen. Das ist ein einmaliges Anschubthema, dann durchlaufend.

Ich bleibe dabei:
Direktabrechnung mit Online-Freigabe (damit auch etwaige Retaxgründe elektronisch abgeräumt) ist der zumindest mittelfristig anzustrebende Weg.
Nebenbei: Es gibt nicht nur klassische Hochpreiser. Auch die "kleinen Hochpreiser" von einigen hundert Euro bis 1.200 € ApU machen den Apotheken zunehmend zu schaffen.

Mit Direktabrechnung alles erschlagen.
Und ja, die Rechenzentren braucht es dann in der Form nicht mehr. Nennt man aber auf der anderen Seite eben Fortschritt und Digitalisierungsdividende. Letztere brauchen wir dringend - an vielen Stellen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: ...?

von Reinhard Herzog am 16.07.2024 um 11:08 Uhr

Ups, versehentlich zweimal veröffentlicht.

Von Stuttgart nach Hamburg über München

von Reinhard Herzog am 16.07.2024 um 10:58 Uhr

"Dazu sollen die Apotheken Hochpreiserrezepte täglich bei ihrem Rechenzentrum einreichen können, das sie täglich über die Krankenkasse an den Gesundheitsfonds weiterleitet. ..."

Unstrittig ist, dass das (Vor-)Finanzierungsrisiko für Apotheken so nicht mehr haltbar ist. Dennoch ist dieser Vorschlag ein Musterbeispiel, wie allzu viele von uns denken: kompliziert, um die Ecke ... und bloß nicht auf den Punkt und mal direkt aufs Ziel.

Bitte den Satz ganz oben aus dem Artikel noch mal ganz ruhig lesen. Vom Rechenzentrum täglich an die Krankenkasse, die leitet das weiter an den Gesundheitsfonds, später dann Verrechnung der Rezeptforderung mit dem Fonds.

Aha. Man staunt nur noch.

Wer bestellt, bezahlt. Und die Zahlungsbedingungen sind an die (online-)Realität anzupassen. Hier Ware, da Geld. Der Besteller hat tunlichst selbst für seine Liquidität zu sorgen. Wenn es dazu einen Rückgriff auf z.B. einen Gesundheitsfonds (oder andere Finanzquellen) braucht, dann kann man z.B. eine Art Kreditlinie (nicht nur für Hochpreiser, sondern Erstattungen aller Art) einrichten.

Das ist Sache der Politik, wie sie die Liquidität der Kostenträger sicherstellt. Dafür müssen wir nicht solche Kopfgeburten kreieren. Nebenbei zieht das Argument insoweit nicht, weil die Verordnungen eine planbare Größe darstellen. Das ist ein einmaliges Anschubthema, dann durchlaufend.

Ich bleibe dabei:
Direktabrechnung mit Online-Freigabe (damit auch etwaige Retaxgründe elektronisch abgeräumt) ist der zumindest mittelfristig anzustrebende Weg.
Nebenbei: Es gibt nicht nur klassische Hochpreiser. Auch die "kleinen Hochpreiser" von einigen hundert Euro bis 1.200 € ApU machen den Apotheken zunehmend zu schaffen.

Mit Direktabrechnung alles erschlagen.
Und ja, die Rechenzentren braucht es dann in der Form nicht mehr. Nennt man aber auf der anderen Seite eben Fortschritt und Digitalisierungsdividende. Letztere brauchen wir dringend - an vielen Stellen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Könnte passen . . .

von Uwe Hansmann am 16.07.2024 um 10:31 Uhr

Der Kernaussage im Artikel

"Die 2004 von der Politik zugesagte, aber bis heute fehlende regelmäßige Anpassung des Festzuschlags für Rx-Arzneimittel ist daher die grundlegende Ursache für die finanziellen Probleme der Apotheken. Da die geplante Umverteilung vom prozentualen zum festen Zuschlag dieses Problem sogar noch vergrößern würde, lehnen die Autoren dies ab. Außerdem könnten sich Staat und Krankenkassen hier trotz Mittelknappheit ihrer Verantwortung nicht gänzlich entziehen."

ist nichts hinzuzufügen.

Ansonsten ganz sicher ein guter, überlegenswerter Vorschlag, der zumindest die drängensten Finanzierungsprobleme vieler Betriebe zunächst abmildern würde.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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