Wichtige Aspekte für Allergiker in neuer Leitlinie

Wenn Stiche gefährlich werden

22.10.2024, 07:00 Uhr

Der Hautpricktest dient zur Anamnese, daneben erfolgen gegebenenfalls ein Intrakutantest und die Bestimmung des spezifischen IgE im Serum zur Diagnose einer IgE-vermittelten Hymenopterengiftallergie [3]. (Foto: iMarzi/AdobeStock)

Der Hautpricktest dient zur Anamnese, daneben erfolgen gegebenenfalls ein Intrakutantest und die Bestimmung des spezifischen IgE im Serum zur Diagnose einer IgE-vermittelten Hymenopterengiftallergie [3]. (Foto: iMarzi/AdobeStock)


Insektenstiche sind unangenehm, für manche Menschen können sie sogar gefährlich werden. Denn Gifte können potente Allergene enthalten. Diese können nach IgE-vermittelter Sensibilisierung nicht nur verstärkte lokale, sondern auch systemische allergische Reaktionen hervorrufen. Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) hat ihre Leitlinie zu Bienen- und Wespenstichallergien überarbeitet.

In Mitteleuropa sind für klinisch relevante Stichreaktionen meist die zu den Hymenopteren (Hautflügler) gehörenden Honigbienen und Wespen verantwortlich, seltener Hornissen, Hummeln oder Ameisen. Das über den Giftstachel injizierte Toxin führt lokal zu einem Schmerz mit Rötung, Schwellung und Juckreiz. Eine normale Lokalreaktion liegt vor, wenn die Schwellung unter 10 cm im Durchmesser bleibt und innerhalb von 24 Stunden eine Rückbildungstendenz zeigt. 

Ist die Schwellung größer oder hält länger an, spricht man von einer gesteigerten oder überschießenden Lokalreaktion. Dabei liegt der Durchmesser der Schwellung meist zwischen 10 und 20 cm, manchmal auch darüber. 

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Nach etwa sieben Tagen klingen die Beschwerden ab. An gut durchbluteten Körperstellen, z. B. im Gesicht, können ausgeprägte Lokal­reaktionen auftreten, ebenso können Allgemeinsymptome wie Schüttelfrost hinzukommen. Diese Symptome dürfen aber nicht mit einer allergischen Reaktion verwechselt werden. Die wichtigste Form der Überempfindlichkeit ist die systemische allergische Allgemeinreaktion (Anaphylaxie). Auslöser sind Hymenopterengift(HG)-spezifische IgE-Antikörper, die letztlich zur Freisetzung von symptom­auslösenden Mediatoren führen, z. B. Histamin. Die Symptome reichen von Hautreaktionen (Flush, Urtikaria, Angioödem) über mäßige respiratorische, kardiovaskuläre oder gastrointestinale Beschwerden bis hin zu schweren Atemwegsobstruktionen, anaphylaktischem Schock mit Bewusstlosigkeit und Herzkreislauf-  oder Atemstillstand. In Europa sind rund 3% der Bevölkerung von anaphylaktischen Reaktionen nach Hymenopterenstichen betroffen. Bei Kindern kommt es seltener zu schweren systemischen Reaktionen als bei Erwach­senen. Die Zahl der Todesfälle durch Bienen-, Wespen- oder Hornissenstiche in Deutschland lag zwischen 2015 und 2019 bei jährlich 16 bis 29 [1].

Therapie abhängig von Schwere

Wie können nun Reaktionen auf Hymenopterenstiche leitliniengerecht behandelt werden?

Lokalreaktionen kann man akut durch Kühlen entgegenwirken. Dazu wird ein feuchter Umschlag für 20 Minuten aufgelegt und nach mehreren Stunden ein- oder zweimalig wiederholt. Sind die Extremitäten betroffen, können Ruhigstellen und Hochlagern zusätzlich das Abschwellen unter­stützen. Topische Glucocorticoide oder orale Antihistaminika werden oft angewendet, jedoch gibt es für diese ebenso wie für frei verkäufliche Hyperthermie-Geräte keine Evidenz aus vergleichenden Studien.

Tritt eine gesteigerte Lokalreaktion auf, ist die Einnahme eines Glucocorticoids sowie eines H1-Antihistaminikums gerechtfertigt. Liegt der Stich im Bereich der oberen Atemwege, ist diese Behandlung in jedem Fall an­geraten. Da keine Übertragung von Krankheitserregern durch Hymenopteren erfolgt, ist eine Antibiotikagabe nicht sinnvoll. Allgemeinsymptome können bei Bedarf symptomatisch durch nichtsteroidale Antiphlogistika therapiert werden [1].

Systemische allergische Reaktionen werden je nach Schweregrad durch Notfallmediziner behandelt. Pharmako­therapeutisch werden unter anderem Adrenalin, Glucocorticoide, Dimetinden und Salbutamol eingesetzt. Dazu kommen andere Maßnahmen, wie z. B. die Gabe von Sauerstoff oder die Volumenersatztherapie [2].

Allergene vermeiden

Nach anaphylaktischer Reaktion auf einen Stich sollten Patienten zur Vermeidung von Allergenen und zu Notfallmaßnahmen geschult werden. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund unterstützt mit Online-Webinaren (auf die Seiten gelangen Sie, wenn Sie folgenden Webcode auf DAZ.online in die Suchfunktion eingeben: L4JE5). Um Allergene zu vermeiden, beziehungsweise sich vor Stichen zu schützen, werden in der Leitlinie verschiedene Tipps genannt [1].

Verhalten bei einem Stich

Was tun, wenn es zu einem Stich kommt?

Patienten erhalten ein Notfallset, bestehend aus Adrenalinautoinjektor, H1-Antihistaminikum (Schmelztablette oder flüssig) sowie Glucocorticoid (oral oder rektal). Hat der Patient Asthma bronchiale oder mit einem Bronchospasmus auf einen Stich reagiert, kommt ergänzend ein inha­lativer beta-2-Adrenozeptoragonist hinzu [1].

In einem Patientenmerkblatt werden die wichtigsten Punkte zusammengefasst, für den Fall, dass es zu einem Stich kommen sollte [1]. Es gilt zunächst Ruhe zu bewahren, den Kopf zu schützen, sich langsam zurück­zuziehen und den Stich abzudecken, wegen der freigesetzten Pheromone der Insekten, die Artgenossen anlocken. Patienten sollten sich Hilfe suchen bzw. Menschen in der Umgebung informieren und gegebenenfalls den Stachel entfernen, indem sie ihn zur Seite wegkratzen (nicht mit den Fingern zusammenpressen). Ein verordnetes Antihistaminikum und ein Cortison-Präparat sollten sofort angewendet werden, wenn noch keine allergen­spezifische Immuntherapie stattge­funden hat oder es trotz dieser zu systemischen Beschwerden kommt. Bleiben die Reaktionen auf die Haut beschränkt, werden zunächst nur diese Arzneimittel angewendet. 

Bei Atemnot, Schwellung im Mund- und Rachenbereich oder Kreislaufbeschwerden sollte sofort Adrenalin injiziert und bei Asthma gegebenenfalls zwei Hübe des Notfallsprays appliziert sowie unverzüglich ein Arzt informiert werden. Orale Arzneimittel sollte der Patient nur anwenden, wenn Schlucken möglich ist.

Immuntherapie erwägen

Bei Patienten, die nur eine lokale Reaktion auf Insektenstiche zeigen, ist laut Leitlinie noch keine Allergen-­Immuntherapie mit Hymen­opterengift durchzuführen. Empfohlen werden sollte diese hingegen jeder Person, der auch ein Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor verordnet wird. Die Dauer beträgt in der Regel drei bis fünf Jahre, ein vorzeitiger Abbruch kann sich ungünstig auf die Erkrankung auswirken. Die Auswahl des Giftes ist abhängig von der Diagnostik. Hummel- und Hornissengift sind derzeit in deutschsprachigen Ländern nicht zugelassen und können nur über internationale Apotheken bezogen werden, allerdings sind Immuntherapien mit diesen Giften eher die Ausnahme.

Das Therapieallergen wird subkutan injiziert. Zu Beginn erfolgt eine Auf­dosierung der Antigenmenge bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis. Gerade in dieser Phase treten bei den meisten Patienten Rötungen und Schwellung an der Injektionsstelle auf.

Glucocorticoid-haltige topische Zubereitungen und kühlende Umschläge wirken lindernd, zusätzlich kann eine Begleitmedikation mit einem H1-Antihistaminikum oder Montelukast er­folgen. Bedeutende Nebenwirkungen sind hingegen selten.

Auch nach Abschluss einer Immun­therapie sind Maßnahmen zur Vermeidung erneuter Stiche und gegebenenfalls das Mitführen der persönlichen Notfallmedikation durch den Patienten erforderlich [1].

Betablocker und ACE-Hemmer möglichst austauschen

Betablocker und ACE-Hemmer können den Verlauf einer anaphylaktischen Reaktion möglicherweise negativ beeinflussen. Allerdings hat die Behandlung kardialer Erkrankungen Vorrang vor den seltenen systemischen Stichreaktionen, weshalb die Medikamente nur dann ausgetauscht werden sollten, wenn dennoch eine adäquate Einstellung möglich ist [1].

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Literatur

[1] Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), AWMF-Registernummer 061-020, Stand 31.07.2023

[2] Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021.S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), AWMF-Registernummer 061-025, Stand 2021

[3] Treudler R., Insektengiftallergie und -anaphylaxie: Neue Aspekte für Diagnostik, Therapie und Prävention, Dtsch Arztebl 2024; 121(10): [14]; DOI: 10.3238/PersPneumo.2024.05.17.02


Dr. Sabine Fischer, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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