Psychedelika-unterstützte Therapie

Neue Hoffnung im Umgang mit Angst und Depressionen

28.10.2024, 07:00 Uhr

Forscher*innen untersuchen das therapeutische Potenzial von LSD und anderen Psychedelika. (Foto: IMAGO/Panthermedia)

Forscher*innen untersuchen das therapeutische Potenzial von LSD und anderen Psychedelika. (Foto: IMAGO/Panthermedia)


Psychedelika haben eine wechselvolle Geschichte in der Medizin erlebt. Ein aktueller Cochrane-Review untersucht nun, ob Psychedelika-gestützte Therapien dazu beitragen können, depressive Gefühle, Angst und Verzweiflung bei Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen zu lindern.

In den systematischen Review wurden sechs Cross-over-Studien zu Psychedelika-unterstützten Therapien einbezogen: drei mit Psilocybin, zwei mit Lys­ergsäurediethylamid (LSD) und eine mit 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA, Ecstasy). In den Studien nahmen die Patienten das Psychedelikum im Rahmen einer therapeutischen Sitzung nur ein einziges oder wenige Male ein.

Die Studien randomisierten 149 Teilnehmende (36 bis 64 Jahre), die lebensbedrohlich erkrankt waren und unter Angstzuständen, Depressionen oder existenzieller Not litten. Ausgewertet wurden die Daten von 140 Personen. Die Studien wurden in ambulanten Einrichtungen in den USA und in der Schweiz durchgeführt; die meisten Studien hatten eine Nachbeobachtungszeit von sechs bis zwölf Monaten.

Pharmaunternehmen waren nicht an der Studienfinanzierung beteiligt. Stattdessen wurde die Finanzierung von Organisationen getragen, deren Ziel es ist, die Entwicklung von psychedelisch-assistierten Therapien voranzutreiben.

Cochrane-Reviews

Cochrane Deutschland repräsentiert das inter­nationale Forschungsnetzwerk Cochrane, das durch systematische Übersichtsarbeiten seit 30 Jahren Grundlagen für eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung schafft.

Ergebnisse nach einer bis zwölf Wochen

Eine mit klassischen Psychedelika (Psilocybin, LSD) unterstützte Therapie reduziert im Vergleich zu aktivem Placebo (oder Niedrigdosis) möglicherweise Angst, Depressionen und existenzielle Verzweiflung. In den ausgewerteten Studien wurden Angst und Depressionen mit zwei gängigen Fragebögen erfasst, die am Ende einen Zahlenwert für die Schwere der Sym­ptome ergeben (s. Tab.).

Tab.: Studien mit klassischen Psychedelika (Psilocybin, LSD) im Vergleich zu Placebo bei Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen (Follow-up: 1 bis 12 Wochen) (nach [Summary of findings 1, Schipper et al. 2024])
psychologisches Messinstrumentmittlere Differenz (95%-KI)Zahl der StudienZahl der TeilnehmendenVertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE
State Trait Anxiety Inventory (Skala von 20 bis 80, niedriger Wert ist besser)

-8,41

(-12,92 bis -3,89)

5122niedrig
Beck Depressionsinventar (Skala von 0 bis 63, niedriger Wert ist besser)

-4,92

(-8,97 bis -0,87)

4112niedrig

In einer Studie mit 28 Teilnehmenden wurde eine Verringerung der Demoralisierung, einem der häufigsten Maße für existenzielle Not festgestellt. Nach der Behandlung mit einer Psilocy­bin-unterstützten Therapie betrugen die Werte auf der Demoralisierungsskala (niedriger ist besser, > 36 gilt als hoher Demoralisationsgrad) in der Pla­cebo-Gruppe 39,6 (SEM 3,4, Standardfehler des Mittelwert, beschreibt die Unsicherheit der Schätzung des Mittelwerts in einer Stichprobe) und in der Psilocybin-Gruppe 18,8 (3,6) (p ≤ 0,01). Die Ergebnisse anderer Messskalen für existenzielle Not sind uneinheitlich.

Der Effekt von psychedelisch-unterstützter Therapie mit MDMA auf Angst und Depressionen bei schwer Erkrankten im Vergleich zu Placebo ist sehr unsicher, da nur eine Studie mit 18 Teilnehmenden vorliegt. Das sehr breite Konfidenzintervall umfasst sowohl die Möglichkeit eines signifikanten Effekts als auch die eines fehlenden Effekts. Existenzielle Not wurde nicht gemessen.

Unerwünschte Wirkungen

Es wurden keine behandlungsbedingten schwerwiegenden Nebenwirkungen gemeldet. Häufige leichte bis mittelschwere Nebenwirkungen bei klassischen Psychedelika waren erhöhter Blutdruck, Übelkeit, Angstzustände, emotionale Belastung und psychoseähnliche Symptome (z. B. Pseudohalluzinationen, bei denen die Teilnehmenden sich bewusst sind, dass sie hallu­zinieren). Ein „Bad Trip“ mit totalem Realitätsverlust und die Auslösung einer länger anhaltenden psychotischen Episode sind im Rahmen einer begleiteten Therapie äußerst unwahrscheinlich. Allerdings wurden in den Studien Patientinnen und Patienten mit einer Vorgeschichte psychotischer Symptome konsequent ausgeschlossen. Bei MDMA waren häufige leichte bis mittelschwere Nebenwirkungen Angstzustände, trockener Mund, Zähneknirschen und Kopfschmerzen. Die Symptome klangen ab, sobald die Wirkung des Medikaments nachließ oder bis zu einer Woche später.

Literatur

Schipper S, Nigam K, Schmid Y, Piechotta V, Ljuslin M, Beaussant Y, Schwarzer G, Boehlke C. Psychedelic-assisted therapy for treating anxiety, depression, and existential distress in people with life-threatening diseases. Cochrane Database of Systematic Reviews 2024;9:Art. No.: CD01538


Dr. rer. nat. Birgit Schindler


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