weniger zwischenblutungen, großes Einnahmefenster

Erste „Retard-Pille“ ist auf dem Markt

30.10.2024, 09:15 Uhr

Orale Kontrazeptiva gibt es viele. Jetzt ist die erste Retard-Formulierung verfügbar. (Foto: Pixel-Shot/AdobeStock)

Orale Kontrazeptiva gibt es viele. Jetzt ist die erste Retard-Formulierung verfügbar. (Foto: Pixel-Shot/AdobeStock)


Kelzy® ist ein orales hormonelles Kontrazeptivum mit Ethinylestradiol und Dienogest als altbekannten wirksamen Bestandteilen. Neu ist die Galenik: Die Hydrokolloidmatrix-Tablette setzt die Hormone verzögert frei. Für die Anwenderin hat die neue Formulierung einige praktische Vorteile.

Die Zulassung von Kelzy® erfolgte am 4. September 2024, seit Ende Oktober ist es auch in den Apotheken verfügbar. Das Kontrazeptivum enthält Dienogest als Gestagen-Komponente mit antiandrogener Partialwirkung (2 mg). Die Estrogen-Komponente ist mit 0,02 mg Ethyinlestradiol niedriger dosiert als in den meisten kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK).

Niedrigere maximale Plasmaspiegel, gleiche Bioverfügbarkeit

Die Wirkstoffe liegen in einer Hydrokolloidmatrix-Tablette vor (s. Kasten „Technologie-FreshUp: Hydrokolloidmatrix-Tabletten“) und werden daher im Magen-Darm-Trakt verzögert freigesetzt. Die maximale Plasmakonzentration wurde in der Phase-I-Studie erst 3,8 Stunden nach der Einnahme gemessen, im Vergleich zu 1,3 Stunden bei nicht-retardierten KOK. Die AUC0-24h (area unter the concentration-time curve over the dosing interval) als Maß für die Bioverfügbarkeit entspricht der von schnellfreisetzenden Formulierungen, aber die maximale Plasmakonzentration ist niedriger. Die Hormonspiegel unter der neuen Retardformulierung schwanken also weniger als unter herkömmlichen Kontrazeptiva. 

Technologie-FreshUp: Hydrokolloidmatrix-Tabletten

Aus dieser Sonderform der Matrixtabletten wird der Wirkstoff quellungskontrolliert freigesetzt. Der Tablettenkern enthält einen Quellstoff (Hydrokolloid, z. B. ein Cellulose-Derivat). In der Formulierung von Kelzy® dient Hypromellose (E 464, Hydroxypropylmethylcellulose, HPMC) als Quellmittel. Bei Kontakt mit Flüssigkeit im Magen-Darm-Trakt wird der Tablettenkörper von außen nach innen hydratisiert, das Hydrokolloid beginnt zu quellen. Die sich schnell bildende Gelschicht verhindert den Zerfall der Tablette und wird zur Diffusionsbarriere. Die verzögerte Freisetzung des Wirkstoffs während der Passage des Magen-Darm-Trakts erfolgt zum einen durch Diffusion aus der Gelmatrix, zum anderen durch Erosion des Gelkörpers. Sie ist damit unabhängig vom pH-Wert, die Geschwindigkeit kann über Menge und Polymerisierungsgrad des zugesetzten Hydrokolloids gesteuert werden. 

Hohe Zyklusstabilität

Die konstanten Hormonspiegel wirken sich positiv auf die Zyklusstabilität aus: In einer Phase-III-Studie fanden ab dem dritten Einnahmezyklus an signifikant weniger Tagen Zwischenblutungen statt, verglichen mit der Einnahme eines nicht-retardierten KOK. Auch der ermittelte Pearl-Index von 0,2 (95%-Konfidenzintervall 0,03 bis 0,77) ist im Vergleich zu den ohnehin niedrigen Werten anderer oraler hormoneller Kontrazeptiva (bis zu 0,9) sehr gut und zeigt eine zuverlässige Unterdrückung des Eisprungs. 

Großes Einnahmefenster von 24 Stunden 

Kelzy® wird im 24/4-Schema eingenommen, 24 weißen, wirkstoffhaltigen Tabletten folgen vier grüne Placebo-Tabletten. Großer Vorteil im Vergleich zu anderen oralen Kontrazeptiva ist das weite Einnahmefenster: Bis zu 24 Stunden kann eine vergessene Tabletteneinnahme nachgeholt werden, ohne dass die kontrazeptive Sicherheit gefährdet ist. Auch ein Verschieben der Abbruchblutung ist laut Gebrauchsinformation problemlos möglich: Bis zu 24 weiße Tabletten, also ein kompletter Blister, können vor den grünen Placebo-Tabletten zusätzlich eingenommen werden, damit die Blutung erst zum gewünschten Datum einsetzt.

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Eine verzögerte Freisetzung im Magen-Darm-Trakt birgt stets das Risiko von resorptionsmindernden Wechselwirkungen mit dem Speisebrei. Hier müssen die Anwenderinnen jedoch keine Bedenken haben: In einer Einzeldosis-Studie wurde der Effekt auf die Bioverfügbarkeit der Hormone untersucht, die Resorption wird nach Angaben in der Fachinformation durch Nahrung nicht beeinflusst. Zugelassen ist Kelzy® für alle Frauen im gebärfähigen Alter, von der Menarche bis zur Menopause. Die Kontraindikationen, vor allem im Hinblick auf das Thromboserisiko, unterscheiden sich nicht von den wirkstoffgleichen nicht-retardierten Kontrazeptiva. 

Literatur:

[1] Kelzy® – Die Innovation in der oralen Kontrazeption. Erstes orales Kontrazeptivum als Retardtablette jetzt in Deutschland zugelassen. Pressemeldung Exeltis Germany GmbH, 18. September 2024

[2] Biskupska-Bodova K et al. A randomised double-blind trial to determine the bleeding profile of the prolonged-release contraceptive dienogest 2 mg/ethinylestradiol 0.02 mg versus an immediate-release formulation of drospirenone 3 mg/ethinylestradiol 0.02 mg. Eur J Contracept Reprod Health Care 2024:1-10, doi: 10.1080/13625187.2024.2398433

[3] Public Assessment Report. Scientific discussion. Kelzyn (ethinylestradiol, dienogest), SE/H/2381/01/DC, 8. Februar 2024, docetp.mpa.se/LMF/Kelzyn%20prolonged-release%20tablet%20ENG%20PAR_09001bee83e570a7.pdf

[4]  Fachinformation Kelzy®, Stand August 2024

[5] Fahr A. Voigt Pharmazeutische Technologie für Studium und Beruf. 13. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart, 2021


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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