Mehr auf Red Flags achten!

Apotheke kann zur Früherkennung von Tumoren beitragen

02.12.2024, 09:15 Uhr

Auch im Beratungsgespräch in der Selbstmedikation sollte man auf bestimme Signale achten, die auf eine Tumorerkrankung hindeuten können  (DAZ/Alex Schelbert).

Auch im Beratungsgespräch in der Selbstmedikation sollte man auf bestimme Signale achten, die auf eine Tumorerkrankung hindeuten können  (DAZ/Alex Schelbert).


Einige Krebserkrankungen machen sich durch Frühsymptome bemerkbar, die von sensibilisierten Pharmazeuten erkannt werden können. Da Patienten in vielen Fällen mit vermeintlich harmlosen Beschwerden zuerst Rat in der Apotheke suchen, können Apothekerinnen und Apotheker eine wichtige Rolle bei der Früherkennung und raschen Weiterleitung in ärztliche Obhut spielen. Dieses Potenzial wird bereits in einigen Ländern genutzt.

In England wurde ein vom National Health Service (NHS) unterstütztes Pilotprojekt initiiert, bei dem Apotheker, die bei einem Patienten Anzeichen einer Krebserkrankung vermuten, den Betroffenen direkt in eine Sekundärversorgung überweisen können. Zunächst wird dieses Vorgehen in einer kleinen Zahl von Apotheken getestet, anschließend wird das Projekt, das seit Mai 2023 läuft und zwei Jahre dauern soll, ausgeweitet. Interessierte Apotheken können sich für dieses Projekt – es nennt sich NHS Supporting Early Diagnosis of Cancer (Community Pharmacy) – registrieren und sich verpflichten, bestimmte Vorgaben einzuhalten. Ferner muss ein Training absolviert werden, um mögliche Frühsymptome (s. Kasten „Was sind Red Flags?“) zu erkennen. Auch zur entsprechenden Kommunikation wird geschult. Vorgaben und Hilfestellungen sind in einem Dossier zusammengefasst. So soll etwa ein Patient, der gehäuft Hustenmittel, Protonenpumpenhemmer, Antidiarrhoika, Mundspülungen oder Mittel gegen Halsschmerzen verlangt, angesprochen werden, um weitere Symptome zu ­erfragen. Erhärtet sich ein Verdacht, wird dem Patienten nahegelegt, eine Überweisung zu einer entsprechenden Institution oder zum Hausarzt anzunehmen [1].

Was sind Red Flags?

Als Red Flags werden in der Medizin Symptome oder Befunde bezeichnet, die ein mögliches Warnzeichen für das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung sind und umgehend einer weiteren Abklärung bedürfen.

Darunter fallen beispielsweise neurologische Ausfälle, eine instabile Herz-Kreislauf-­Situation, Bewusstseins­trübung, Hypoglykämie, harter Bauch und fehlende Darmgeräusche, sehr starke Schmerzen, Anzeichen einer Meningitis, aber auch lange anhaltende Heiserkeit [4].

Schottisches Projekt: Risikopatienten identifiziert

Auch in Schottland wurde ein Projekt zur Früherkennung von Krebserkrankungen unter Mithilfe der Apotheken durchgeführt. Diese vom National Health Service Scotland’s Centre for Sustainable Delivery unterstützte Proof-of-Concept-Studie wurde zwischen Juni 2022 und September 2023 in zwölf Apotheken durchgeführt. Das Ziel war die Erkennung von Frühsymptomen eines Lungenkarzinoms und die Vermittlung des Betroffenen an eine entsprechende Institution zur diagnostischen Abklärung. Im Vorfeld wurde das Apothekenteam geschult, um Symptome zu erkennen und eine strukturierte Kommunikation einzuleiten. In Verdachtsfällen sollte dem Patienten nahegelegt werden, einen Allgemeinmediziner aufzusuchen. Im Verlauf von sechs Monaten wurden bei 18 Patienten mögliche Frühsymptome eines Lungenkarzinoms vermutet. 17 Betroffene folgten dem Rat des Apothekers und wandten sich an eine weiterführende Institution zur diagnostischen Abklärung.

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Angesichts dieser Ergebnisse betonte Studienleiter Andrew Radley das Potenzial und das Know-how einer öffentlichen Apotheke, die Red Flags zu erkennen, den Patienten zu beraten und die weiteren Schritte einzuleiten – gerade im Hinblick auf die wachsende Zahl an Lungenkrebserkrankungen sei dies besonders relevant [2]. Radley fügte hinzu, dass bereits an anderer Stelle deutlich wurde, dass in der Apotheke mögliche Alarmsignale erkannt werden können. Er bezog sich dabei auf eine Studie, in der gezeigt wurde, dass Frauen bereits Monate vor der Diagnose eines Ovarialkarzinoms vermehrt Analgetika und Mittel gegen Verdauungsbeschwerden in der Apotheke kauften [3, 6].

Tab.: Signale, die auf eine Tumorerkrankung hindeuten können (nach [5]).
Organmögliche SymptomeVerhalten in der Selbstmedikation
Lunge
  • Husten mit einer Dauer von mehr als drei Wochen
  • wiederholte Infektionen im Brustraum
  • blutiger Husten
wiederholter Einkauf von Antitussiva und Expektoranzien
oberer Gastrointestinaltrakt
  • ungewollter Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit
  • Verdauungsbeschwerden, Nausea, Erbrechen an den meisten Tagen innerhalb von drei Wochen
  • Schluckbeschwerden
  • Zungen- oder Mundgeschwüre, die länger als drei Wochen anhalten
  • Abdominalschmerzen, Dyspepsie, Reflux
wiederholter Einkauf von PPI oder Antacida
unterer Gastrointestinaltrakt
  • ungewollter Gewichtsverlust
  • rektale Blutungen
  • Veränderungen im Stuhlverhalten
wiederholter Einkauf von Loperamid oder Präparaten gegen Hämorrhoidalleiden
Urogenitaltrakt
  • sichtbares Blut im Urin
  • persistierende Miktions­veränderung
  • Probleme beim Wasserlassen
Frage nach Arznei­mitteln gegen Blasen-entzündung, zur Blasenstärkung
Brust
  • sicht- oder spürbare Veränderungen
  • Entzündungen
Frage nach Wundsalben
Kopf-Halsbereich
  • anhaltende Ulcerationen im Mund
  • persistierende Halsschmerzen
wiederholter Kauf von Mund- und Rachentherapeutika

Red Flags können auf Krebs­erkrankung hinweisen

Eine Reihe von Red Flags, die möglicherweise auf ein Tumorgeschehen hinweisen, können im Kunden­gespräch, bei der Schilderung von Symptomen und beim Kauf bestimmter Arzneimittel erkannt werden. Im Gespräch sind Dauer der Symptome, Alter des Betroffenen und klinische Zeichen zu erfragen.

  • Dauer: An sich harmlose, selbst­limitierende Symptome wie etwa Husten, Heiserkeit oder Diarrhö können bei längerer Persistenz auf eine schwere Erkrankung hindeuten. Das obere Limit einer Selbst­medikation ohne weitere Abklärung liegt für die meisten Beschwerden bei vier bis sechs Wochen.
  • Alter: Bei der Interpretation der Symptome muss das Alter des Betroffenen berücksichtigt werden. So können manche Krankheitszeichen bei jungen Menschen harmlos, bei älteren alarmierend sein.
  • klinische Zeichen: Hierunter fällt alles, was dem Betroffenen als „nicht normal“ erscheint, so etwa Knoten oder Schwellungen, Schleimhautanomalien (insbesondere oral oder rektal), unerklärliche Blutungen (insbesondere vaginale oder rektale Blutungen) und Blutergüsse ohne erklärbare Ursache, schlecht heilende Wunden sowie allgemeine Symptome wie sehr starker Nachtschweiß, Müdigkeit oder Juckreiz.

Ferner kann auch eine auffallende Selbstmedikation auf eine Krebs­erkrankung hinweisen. So sollte beispielsweise ein häufiger Bedarf an Hustenmitteln oder Magen-Darm-­Therapeutika hinterfragt werden. Eine Zusammenfassung der Symptome, die als Red Flags gelten, sowie die dafür typischen Nachfragen in der Selbstmedikation sind in der Tabelle zusammengefasst.

Literatur

[1] NHS Supporting Early Diagnosis of Cancer (Community Pharmacy) Pilot Registration. Informationen des National Health Service, Stand 8. November 2024, www.nhsbsa.nhs.uk/pharmacies-gp-practices-and-appliance-contractors/dispensing-contractors-information/nhs-supporting-early-diagnosis-cancer-community-pharmacy-pilot-registration

[2] Burns C. Pharmacy teams identify patients with ‘red-flag’ cancer symptoms in early diagnosis project. The Pharmaceutical Journal 2024(313);No 7989:313(7989), doi: 10.1211/PJ.2024.1.332037

[3] A study looking at how women manage symptoms that might be ovarian cancer (CLOCS). Studienregister Cancer Research UK. www.cancerresearchuk.org/about-cancer/find-a-clinical-trial/a-study-looking-at-how-women-manage-symptoms-that-might-be-ovarian-cancer-clocs

[4] Payton H et al. How to identify red-flag symptoms and refer patients appropriately. The Pharmaceutical Journal 2024(312); No 7983:312(7983), doi: 10.1211/PJ.2024.1.305174

[5] Lewis J. Identifying patients with suspected cancer: red flags and referral. The Pharmaceutical Journal 2018(301); No 7918:301(7918), doi: 10.1211/PJ.2018.20205538

[6] Brewer HR et al. Association Between Purchase of Over-the-Counter Medications and Ovarian Cancer Diagnosis in the Cancer Loyalty Card Study (CLOCS): Observational Case-Control Study. JMIR Public Health Surveill 2023;9:e41762, doi: 10.2196/41762


 


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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