Überraschender Besuch

Apothekers Big Brother

08.09.2016, 12:19 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Christiane Patzelt

Apothekerin Christiane Patzelt war mehr als überrascht, als sie die Dimensionen des Besuchs begriff. (Foto: Andrey Popov / Fotolia)

Apothekerin Christiane Patzelt war mehr als überrascht, als sie die Dimensionen des Besuchs begriff. (Foto: Andrey Popov / Fotolia)


Eine frühere Studienkollegin besucht Christiane Patzelt in ihrer Apotheke. Die Begrüßung ist noch überraschend persönlich - doch es ist leider kein Freundschaftsbesuch, wie sich herausstellt. Patzelt kann nicht fassen, was auf den ersten Small-talk folgte... 

An einem ganz normalen Freitagnachmittag kommt eine Dame zu mir in die Apotheke und spricht mich mit Vornamen an, nein – mit meinem Spitznamen. Ich war sehr verwundert, denn ich kannte diese Frau nicht, nicht auf Anhieb, also eigentlich war es ein Gesicht, das ich irgendwann nicht mehr abrufbar hatte.

Diese Dame war eine ehemalige Studienkollegin, sie eröffnete mir, sie arbeitet jetzt bei der Krankenkasse, also genauer bei der AOK. Während ich mein Beileid aussprach ( ja es kam einfach so aus dem Bauch heraus) dachte ich, wie schade – so ein tolles Studium, so ein tolles, breites Wissen und jetzt bei einem Versicherer angestellt. Fehlen uns denn nicht schon genug Fachkräfte? Ist die Verzweiflung der KollegInnen schon so groß, dass sie apothekerliche Aufgaben meiden und lieber Versicherte verwalten? 

Es sollte ja noch schön werden mit der ehemaligen Studienkollegin, denn sie kam nicht zum Plaudern, wäre ja auch zu merkwürdig gewesen.

Sie eröffnete mir, dass die AOK neue Rabattverträge einläutet und die Übergangsfristen wären blablabla.. Ich habe da nicht mehr genau zugehört, denn auf Gehörtes gibt es keine „Retax-passiert-nicht-Garantie“. 

Beinahe im Vorübergehen wurde dann der Besuch erklärlich. Mit Sorgenfalten auf ihrer Stirn eröffnete sie mir, ich sei mit meiner Land-Apotheke ja schon etwas speziell was die Nutzung der Sonder-PZNs angeht. Darüber müsste mal gesprochen werden, denn die Nutzung sei bei mir ungewöhnlich intensiv. 

Aus einem Informationsgespräch wurde auf einmal ein „die AOK hat dich auf dem Schirm“-Gespräch..aha...Nachtigall, ick hör dir trapsen..

Briefe der AOK bin ich ja schon gewohnt, nicht? Da werde ich informiert, wie hochprozentig meine KollegInnen im Umfeld die Rabattverträge erfüllen, wie schlecht ich dagegen abschneide, und ich müsste mein Lager den aktuellen Verträgen anpassen (konkret wurden die Antibiotika angeführt). 

Nein, da stand ich in meiner Apotheke und musste der Kollegin, die die Seite gewechselt hat, erklären, wie es zur intensiveren Nutzung von pharmazeutischen Bedenken kommt – ich stehe da wie ein Schulmädchen, werde terminlich einfach überfahren und habe Rapport zu leisten!

Es zog mir im Nachhinein die Schuhe aus! 

Ich muss hier nicht betonen, dass ApothekerIn sein etwas Besonderes ist, ich die pharmazeutischen Bedenken als ganz wichtiges Instrument benutze und benutzen muss!

Ohne pharmazeutische Bedenken hätte ich doch beinahe nur ein logistisches Unternehmen. Wenn ich Logistiker hätte werden wollen, dann hätte ich mir das Studium geklemmt und wäre jetzt bei Amazon oder Zalando!

Es gibt also nicht nur blaue Briefe von den Krankenkassen, wenn die Quote nicht stimmt (Planwirtschaft at its best), nein, sie kommen jetzt auch persönlich ins Haus, um den Druck zu erhöhen. Dabei sind die MitarbeiterInnen erstaunlich sauber informiert, was dein Abgabeverhalten angeht – das Finanzamt wäre neidisch! Sie kommen auch nicht mit Termin, nein, sie kommen einfach so, einfach ungefragt, einfach weil deine Tür ja Jedem offen steht. 

Mein Appell an alle KollegInnen kann nur sein: Benutzt die Sonderkennzeichen – intensiv, mit Verstand, mit Notwendigkeit, mit Rücksprache mit dem Patienten. Wir schulden Niemandem irgendeine Erklärung, aber wir schulden dem Patienten eine vernünftige und konstante pharmazeutische Versorgung. Der Patient zahlt ausreichend in die Krankenkassentöpfe ein, diese Körperschaften horten einen Milliarden-Überschuss und ich stelle durch Rabattverträge ständig Therapien aus Kostengründen um? Wohl kaum!

Also: keep calm and use the 6 – ApothekerInnen und PTAs, wir haben die Lizenz! Verschenken wir sie nicht, es wäre eine Katastrophe, wenn uns das letzte pharmazeutische Werkzeug genommen werden würde!  

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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5 Kommentare

Ich nutz auch die 5

von Brigitte Hillner am 10.09.2016 um 15:29 Uhr

Natürlich benutzen wir die 6wo sinnvoll, aber die 5 "Akutversorgung" noch mehr. Pharmazeutische Bedenken hab ich, wenn ich statt zwölf nur zehn Tabletten abgeben soll, wenn ich aber Amoxi eben nur von XY da habe, dann gibt es die fünf. Darüber gab es noch nie eine Retax. Wobei ich es ja verstehe, dass ich bei pharm. bedenken eine Erklärung schreiben soll, aber was um Henker ist an Akutbedarf nicht klar????

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Unfassbar!

von Sabine Ergezinger-Dettmeier am 08.09.2016 um 20:10 Uhr

Die 6 ist ein absolut wichtigstes Instrument!!!
Nutzen wir es. Alle!
Wie käme ich dazu, einen Patienten auch nur 2 Stunden länger mit Beschwerden auf sein Antibiotikum warten zu lassen?
Der Rabatt an die Kassen beträgt bis zu 90% und in Extremfällen mehr! Geld kassieren, aber nichts bezahlen wollen?
Ein Unding! Unseriös und marktwirtschaftlich unsinnig!
Das sowas erlaubt ist, ist bereits ein Skandal und geht ja offensichtlich selbst Kassen zu weit (#Pille zum Nulltarif für die Kasse).
Und dann on top noch "Überraschungsbesuche" bei "Problem-Apothekern"?
Unfassbar!

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Applaus

von Thomas Brongkoll am 08.09.2016 um 19:09 Uhr

Liebe Christiane,

DANKE! DANKE! DANKE!

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Apothekers Big Brother

von Reinhart Mertins am 08.09.2016 um 16:19 Uhr

Ich schließe mich dem Dank von Frau Gabtiela Aures vollumfänglich an. Danke!

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Danke ....

von gabriela aures am 08.09.2016 um 16:11 Uhr

...für Deinen unbeugsamen Einsatz !
Wären mehr KollegInnen so unbeugsam, stünden wir ganz anders da .

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