Kommentar zur öffentlichen Meinungsbildung

Nur die halbe Wahrheit

06.04.2017, 17:00 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. rer. nat. Armin Edalat

War umgeben von Idioten und zog die Konsequenzen: Sokrates. (Jacques-Louis Davids Der Tod des Sokrates (1787) gemeinfrei)

War umgeben von Idioten und zog die Konsequenzen: Sokrates. (Jacques-Louis Davids Der Tod des Sokrates (1787) gemeinfrei)


In einem Meinungsbeitrag in der Süddeutschen Zeitung ging es jüngst um das Thema Zuzahlung. Der Autor kommt zu dem Fazit, die Zuzahlungen doch einfach abzuschaffen. Wissenschaftlich und ökonomisch ist seine Argumentation alles andere als haltbar, findet Dr. Armin Edalat, der sich für seinen DAZ-Beitrag „Zur Kasse bitte: Die gesetzliche Zuzahlung für Arzneimittel wird 40 Jahre alt" ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat.

Gesundheitspolitische Themen sind nicht trivial und meistens auch ein wenig emotional. Versucht man dem Patienten in der Apotheke zu erklären, wie das System der gesetzlichen Krankenkassen funktioniert und was der Sinn hinter Rabattverträgen, Reimportquoten, Festbeträgen oder Zuzahlungen ist, gerät man schnell an seine Grenzen.

Und seit dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober steht fest: Auch Bundestagsabgeordnete, Gesundheitsexperten und so manche Minister können oder wollen nicht begreifen, was der Richterspruch in Luxemburg für katastrophale Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem haben wird.

Die Bundesregierung wurde bisher nicht tätig, weil vor allem die SPD aus Ignoranz oder Taktiererei den Gesetzentwurf des CDU-Gesundheitsministers blockiert. Das Rx-Versandverbot wäre die einzige und effektive Möglichkeit gewesen, die Gefahren für die Patientenversorgung vorübergehend abzuwehren und den Arzneimittelmarkt langfristig neu zu regulieren.

Armin Edalats Beitrag

Zur Kasse bitte: Die gesetzliche Zuzahlung für Arzneimittel wird 40 Jahre alt

finden sie in der aktuellen DAZ (2017, Nr. 14) oder » hier auf DAZ.online

Erschreckend schlecht recherchierte Fakten

Zu allem Überfluss tauchen immer wieder Zeitungsartikel auf, die den „Apothekenminister“ unter dem Einfluss der „Apothekerlobby“ darstellen, der die „Apothekenpreise“ nur zum Wohl des „Apothekenmarktes“ aufrecht erhalten möchte.

Diese Woche hinterfragte die Süddeutsche Zeitung (SZ) unter dem Titel „Das ist nicht gerecht“ den Zweck von Zuzahlungen für Medikamente und fand natürlich keinen. Abgesehen vom auffällig hohen Grad an Emotionalität und Schadenfreude, die in diesen Meinungsbeiträgen mitschwingt, ist es erschreckend und deprimierend zugleich, mit was für unprofessionellen Argumenten und schlecht recherchierten Fakten die Autoren sich über unser gut funktionierendes Gesundheitssystem hermachen, das im internationalen Vergleich zwar nicht das billigste ist aber medizinische Versorgung auf höchstem Niveau für alle Menschen jederzeit ermöglicht. 

Solidaritätsprinzip klappt nur, wenn sich alle an die Regeln halten

Voraussetzung ist, dass sich alle Beteiligten an Regeln halten, ansonsten kann das Solidaritätsprinzip nicht funktionieren. Dies gilt im Übrigen auch für die Versicherten, denen – im Krankheitsfall leider mehr als sonst – immer wieder klar gemacht werden muss, dass jegliche Leistungen Geld kosten und der finanzielle Spielraum nun mal begrenzt ist. Gesetzlich festgelegte Zuzahlung dienen eben nicht ausschließlich der Mitfinanzierung durch den Patienten – dies wäre nur die halbe Wahrheit – sondern sollen als Steuerungsinstrument Kostentransparenz und Preisbewusstsein schaffen.

Selbstverständlich müssen die Selbstbeteiligungen im sozioökonomischen Verhältnis stehen. Kein chronisch oder akut Erkrankter darf über seine Verhältnisse hinaus belastet werden. Auf der anderen Seite muss bedacht werden, dass Rabatte oder komplette Nachlässe nachgewiesenermaßen zu einer sinnlosen und verschwenderischen Inanspruchnahme von Kassenleistungen führen. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Beiträge aller Versicherten würden ansonsten steigen.

Komplexe Zusammenhänge erklären ist mühsam

Das Fazit des SZ-Artikels ist unter gesundheitsökonomischen und volkswirtschaftlichen Aspekten daher höchst bedenklich und darf eben nicht lauten, dass jegliches Kosten- und Risikobewusstsein vom Betroffenen losgelöst werden sollte. Dieses System wäre weder gerechter noch sparsamer und würde zwangsläufig gegen die Wand fahren.

Doch getreu dem Motto „Only bad news are good news“ lassen sich Halbwahrheiten und Parolen heutzutage bequemer in knappe Zeitungsartikel fassen, als sich die Mühe zu machen, einem möglichst großen Teil der Bevölkerung komplexe Zusammenhänge verständlich darzulegen. Aktuelle Themen aus dem Gesundheitssystem wären hierfür eine passende Gelegenheit und damit könnte man gleichzeitig auch beleuchten, dass hinter den Kulissen unzählige Menschen in Sozial- und Heilberufen – sowohl Angestellte als auch Selbständige – tätig sind, die sich Tag und Nacht persönlich für die Bedürfnisse von Patienten und deren Angehörigen hochmotiviert und -qualifiziert einsetzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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2 Kommentare

Blog Kommentar Armin Edalat

von Martin Haas am 14.04.2017 um 11:24 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Edalat,
Leider reiht sich Ihr Artikel ein in die Reihe derer, über die Sie sich beklagen, nämlich mit mäßig recherchierten Fakten und Halbwahrheiten. Ich widerspreche nicht grundsätzlich Ihrer Meinung zur Zuzahlung, aber dennoch entschieden anderen Halbwahrheiten, die sie präsentieren, so zB über unsere Gesundheitswesen in Deutschland: jedem Krankenversicherten würde laut Ihnen die medizinisch bestmögliche Versorgung zukommen. Ich erlebe täglich, dass wir in einer Zweiklassenmedizin leben: Kassenpatienten bekommen die Minimalversorgung, also das medizinisch notwendigste. Ein hervorragendes Beispiel: die Zahnversorgung: Ohne Zusatzversicherung würde ich oft nur die Minimalstversorgung bekommen, die zwar günstig, aber langfristig gesehen unvorteilhaft ist. Ein weiteres prominentes Beispiel: die Hilfsmittelversorgung von Kassenpatienten: Rabattverträge zwingen den Patienten das (nachweislich) billige Produkt der Krankenkasse zu verwenden, egal ob die ältere Dame nun mit den Inkontinenzeinlagen zurecht kommt oder nicht. Es gibt noch viele, andere Beispiele, die ähnlich gelegen sind und deutlich zeigen, dass wir in eine Zweitklassenmedizin haben.
Ein weiterer Punkt, der mir missfällt ist die Interpretation der momentanen Diskussion um das RX-Versandverbot. Ich bitte Sie: wer behauptet, Gröhe betreibe keine Lobbypolitik begreift die Zusammenhänge nicht. Besonders stört mich die Verlogenheit, die hinter dieser Art von Politik steckt. Die Partei von Frau Merkel fördert in jeder Hinsicht den freien Wettbewerb in der Wirtschaft und die Wirtschaft in jeder Hinsicht generell, bei den Apothekern wird aber plötzlich der Naturschutz für den Apothekenmarkt verhängt. Ich bin absolut ein Anhänger des Verbots des Rx-Versandhandels, aber die Politik von Herr Gröhe entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Wahlkampfgeschenk für die Bundestagswahl und als Bedienung von Lobbyinteressen und nicht als Politik, die generell alle Bürgerinnen und Bürger vertritt. Ich finde solche Wahlgeschenke auch deplatziert in Zeiten, in denen sich ein Teil der Bevölkerung enttäuscht von der Politik abwendet, weil sie die Erfahrung machen, dass ihre eigenen Interessen nicht vertreten werden.
Nun zu Ihrem fachlichen Teil über die Zuzahlung: ich bin prinzipiell der Meinung, dass die Zuzahlung ein Steuerungsinstrument zum mehr Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen bei Versicherten ist, jedoch immer mehr an Bedeutung verliert, weil Zuzahlungen immer mehr steigen. Und dabei ist nicht die gewöhnliche Zuzahlung, sondern der Anteil an zu zahlendem Eigenanteil bei bestimmten Medikamenten gemeint (der auch nicht durch eine Zuzahlungsbefreiung abgedeckt ist). Die Anzahl an Medikamenten mit (z.T sehr hohem) Eigenanteil hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Ein Beispiel: bei einer Patientin wirkt Trevilor besser als ein Generikum. Die Patientin muss nun seit Jahren trotz Befreiung 150-300€ je Grosspackung aus eigener Tasche bezahlen. Wer dies nicht kann, ist auf die schlechtere Alternative angewiesen. Weitere, zahllose Beispiele gibt es durch sinkende Festbeträge bei vielen, anderen Medikamenten(gruppen): so sieht keine bestmögliche Versorgung des Patienten aus. Und gerade vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit finanziell belastete, chronisch kranke Patienten endlich zu entlasten. Indem eben die Zuzahlung reduziert wird: eine mögliche Maßnahme wäre eine Streichung oder zumindest starke Reduktion des Eigenanteils bei zuzahlungsbefreiten Patienten. Oder auch eine gestufte Zuzahlungsreduktion bei chronisch kranken Patienten. Eins sendet jedenfalls ein falsches Signal an alle chronisch kranken und finanziell belasteten Patienten: alles so belassen wie es ist mir dem Argument der Steuerungsfunktion im Gesundheitswesen: es belastete nicht die Patienten, die es treffen soll und die Ungleichheiten im Land sind zu groß geworden, um sie ignorieren zu können.
Mit kollegialen Grüßen
Martin R. Haas
(Apotheker, Mainz)

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AW: Blog Kommentar Armin Edalat

von Dr. Armin Edalat am 18.04.2017 um 13:59 Uhr

Sehr geehrter Herr Haas,

wie gesagt: „Gesundheitspolitische Themen sind meistens auch ein wenig emotional.“ Sie werden für die These einer „Zwei-Klassen-Medizin“ immer Belege und Beispiele finden. Persönliche Eindrücke und Erfahrungen spielen bei dieser Diskussion eine große, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle.
Dann ist es auch unerheblich, dass Gesundheitssysteme objektiv daran gemessen werden, welche Lebensqualität und Lebenserwartung sie der Bevölkerung bescheren, ob Infektionskrankheiten erfolgreich verhindert oder behandelt werden können, wie effektiv die notfallmedizinische und präklinische Versorgung funktioniert, inwiefern kardiovaskuläre Ereignisse überlebt und leitliniengerecht therapiert werden oder wie der Umgang mit unheilbar kranken und pflegebedürftigen Patienten in der Gesellschaft gelingt. Das sind nur einige, aber fundamental wichtige Kriterien, anhand derer man das Gesundheitswesen in Deutschland durchaus als „gut funktionierend“ bezeichnen kann und wir uns mit nur wenigen Industrienationen auf „höchstem Niveau“ bewegen.
Natürlich liegt die Tücke im Detail: Im System der gesetzlichen und privaten Krankenkassen wird man Unterschiede hinsichtlich der Versorgungsqualität finden. Ihre Beispiele mit der Zahnbehandlung und der Inkontinenzversorgung sind in dem Zusammenhang ja noch harmlos. Viel dringendere Fragen wären zum Beispiel: Erhalten alle Patienten zeitnah einen Termin beim Hausarzt oder eine fachärztliche Behandlung? Werden bei allen Patienten die besten diagnostischen Verfahren eingesetzt, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen oder Therapieerfolge zu kontrollieren?
Aber bedenken Sie: Eine medizinische Rund-um-Versorgung ist längst kein Vorteil oder eine Garantie dafür, dass man weniger krank ist oder länger lebt. Privatpatienten sehen sich häufig der Situation ausgeliefert, dass bei ihnen zwar „alles“ gemacht wird, sie aber für das selbe therapeutische Ergebnis letztendlich mehr bezahlen.
Unterschiede in der Gesundheitsversorgung, in der Lebensqualität und -erwartung sind vielmehr auf soziale Unterschiede zurückzuführen und werden nicht vorsätzlich durch eine „Zwei-Klassen-Medizin“ verursacht.
Die Intention meines Beitrages war es jedenfalls nicht, diese Aspekte in den Hintergrund zu drängen, aber auch nicht, sie vollumfänglich aufzuklären.
Sie hingegen lassen unbegründet, weshalb Sie als „absoluter Anhänger“ ein Rx-Versandverbot befürworten, obwohl es nichts anderes als „verlogene Lobbypolitik“ und ein „Wahlkampfgeschenk“ für die Apotheker ist. Hätten Sie die Gesetzesinitiative von einer anderen Fraktion als der CDU denn tatsächlich aufrichtiger und annehmbarer gefunden? Ich gehe davon aus, dass Sie sich sowohl mit den Alternativvorschlägen als auch mit den anderen Meinungen innerhalb der Regierungskoalition zu Themen wie Wettbewerbsförderung, Einfluss von Kapitalgesellschaften und die Rolle der freien Heilberufe im Gesundheitswesen bereits kritisch auseinandergesetzt haben. Die Folgen dieser Veränderungen werden nämlich sicher nicht zum Schicksal einer nur kleinen Randgruppe werden, deren „Lobbyinteressen“ man bedienen wollte, sondern die meisten Bürgerinnen und Bürger betreffen.
Auch diese parteipolitische Diskussion war nicht die Intention meines Beitrages.
Es ging viel mehr darum, die Zuzahlungen als gesundheitsökonomisches Steuerungsinstrument zu erörtern. Sollte man sie als finanzielle Mehrbelastung und Ärgernis der Versicherten einfach abschaffen? Oder erfüllen Sie einen nicht zu verachtenden Zweck im System der gesetzlichen Krankenversicherung, der letztendlich der Solidargemeinschaft zugutekommt?
Und an dieser Stelle scheinen Sie mir ja fachlich zuzustimmen. Prinzipiell machen Steuerungsinstrumente wie Selbstbeteiligungen Sinn, wenn sie an den richtigen Stellen im System eingesetzt werden und tatsächlich zu Kostentransparenz und Preisbewusstsein führen.
Die von Ihnen angesprochene Festbetragsregelung ist ein weiteres Regulierungsinstrument (von insgesamt fast 30 im GKV-Arzneimittelmarkt!), das mit Zuzahlungen erstmal wenig zu tun hat. Festbeträge sollen die Hersteller zwingen, ihre Arzneimittelpreise auf bzw. unter das Niveau des maximalen Betrages zu senken, den die Krankenkassen für dieses Arzneimittel bezahlen. Tun sie das nicht, werden sie weniger verordnet und Patienten müssen die entstehenden Mehrkosten übernehmen oder das „Wunscharzneimittel“ sogar vollständig selbst bezahlen. In allen Festbetragsgruppen existieren mehrkostenfreie Alternativen, die aus pharmazeutischer Sicht fast immer uneingeschränkt miteinander ausgetauscht werden können (v.a. in Stufe 1) – es gibt kein „besser“ oder „schlechter“. Ärzte sind sogar verpflichtet, Patienten über diesen Sachverhalt bei der Verordnung von Arzneimitteln aufzuklären. Preiswerte Arzneimittel (min. 30 % billiger als der Festbetrag) sind zuzahlungsbefreit und kommen damit auch den Versicherten finanziell entgegen.
Die von Ihnen beschriebenen Einzelfälle sind ärgerlich und die daraus resultierenden Probleme hinsichtlich fehlender Akzeptanz und Adhärenz bei den Patienten auch nachvollziehbar. Doch was wäre Ihrer Meinung nach die Lösung? Die Festbetragsregelungen einfach abzuschaffen? Arzneimittel, die teilweise das Hundertfache als entsprechende Generika kosten, bedingungslos zu erstatten? Oder sollen Originalpräparate (in Ihrem Beispiel Trevilor®) den gesetzlich versicherten Patienten solange vorenthalten werden wie der Patentschutz besteht und es noch keine billigen Generika gibt?
Unumstritten ist doch, dass jede Ausnahmeregelung und Einzelfallentscheidung die gesundheitsökonomische Maßnahme schwächen und sie schließlich ad absurdum führen würden.
Das aktuelle System der finanziellen Selbstbeteiligungen und Mehrbelastungen der Patienten ist bei Weitem nicht perfekt. Wenn Zuzahlungen tatsächlich ihre Funktion als Steuerungsfunktion allmählich verlieren und immer mehr zur versteckten Beitragserhöhung werden, läuft etwas falsch. Ihre unterstützenswerte Forderung, chronisch Kranke und einkommensschwache Personen finanziell zu entlasten, muss jedoch systematisch und langfristig geplant werden. Leistungserbringer, v.a. die Apotheken, können und dürfen jedenfalls nicht in die Pflicht genommen werden, gesetzlich festgelegte Zuzahlungen und herstellerabhängige Mehrkosten ganz oder teilweise von den Patienten zu übernehmen.

Mit freundlichen Grüßen
A. Edalat

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