Aspaveli®

Pegcetacoplan

01.04.2022


Zielgerichteter C3-Komplementinhibitor
Erwachsene mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) können nun mit dem neuen Wirkstoff Pegcetacoplan (Aspaveli®) behandelt werden. Das pegylierte Peptid ist gegen das Komplementprotein C3 gerichtet und für PNH-Patienten geeignet, die nach Behandlung mit einem C5-Inhibitor für mindestens drei Monate weiterhin anämisch sind. Durch die Therapie sind signifikant weniger Bluttransfusionen notwendig.

Pegcetacoplan 

ATC-Code

L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel


L04: Immunsuppressiva


L04A: Immunsuppressiva


L04AA: Selektive Immunsuppressiva


L04AA54: Pegcetacoplan


Wirkungsmechanismus

Die mehr als 30 verschiedenen Proteine des zum Immunsystem gehörenden körpereigenen Komplementsystems sind im Blutplasma gelöst oder zellgebunden und dienen der Abwehr von Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen oder Parasiten. Die Eiweiße bedecken die Oberfläche von Krankheitserregern, um diese für die Zerstörung durch Phagozyten besser kenntlich zu machen, und lösen Entzündungen aus. Auf Erythrozyten befinden sich normalerweise bestimmte weitere Proteine, die diese Blutzellen vor einem frühzeitigen Abbau durch das Komplementsystem schützen. Bei der lebensbedrohlichen Erkrankung „paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie“ fehlen die schützenden Proteine aufgrund von erworbenen somatischen Mutationen. Als Folge kommt es zu einer unkontrollierten Komplementaktivierung und damit zur Zerstörung von Erythrozyten durch intravasale und extravasale Hämolyse. PNH-Patienten weisen einen anhaltend niedrigen Hämoglobinwert auf und benötigen häufig Bluttransfusionen. Freigesetztes Hämoglobin bindet zudem Stickstoffmonoxid (NO), sodass im Erkrankungsverlauf Vasokonstriktionen und Thrombozyten-Aggregationen ausgelöst werden. Bei mehr als der Hälfte der Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie muss daher mit Thrombosen gerechnet werden, die die Haupttodesursache der Erkrankung darstellen. Bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie ebenfalls häufig auftretende moderate bis starke Schmerzen werden auf Mikrothromben im Zuge der erhöhten Blutgerinnungsneigung zurückgeführt. Bei schweren Krankheitsbildern, bei denen alle Blutzellreihen von den Angriffen des Komplementsystems betroffen sind, entwickeln sich insbesondere mit einer Immunsuppression einhergehende Panzytopenien. Der neue Wirkstoff Pegcetacoplan ist ein symmetrisches Molekül aus zwei identischen Pentadekapeptiden, die kovalent an die Enden eines linearen PEG-Moleküls mit 40 kDa gebunden sind. Der Peptidanteil bindet hochaffin an das Protein C3 am Beginn der Komplementkaskade sowie dessen Aktivierungsfragment C3b und übt eine breite Hemmwirkung auf das Komplementsystem aus. Pegcetacoplan schützt nicht nur die intravasalen Erythrozyten in den Blutgefäßen, sondern auch die extravasalen in der Milz und der Leber vor Zerstörung.

Pharmakokinetik

Resorption: Nach subkutaner Infusion werden innerhalb von 4,5 bis sechs Tagen maximale Plasmaspiegel gemessen. Die therapeutische Steady-State-Serumkonzentration wird nach etwa vier bis sechs Wochen erreicht. Die Bioverfügbarkeit von Pegcetacoplan liegt bei 77%.


Proteinbindung, Verteilung: Eine Plasmaproteinbindung im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Der PEG-


Anteil verleiht dem Wirkstoffmolekül eine verbesserte Wasserlöslichkeit und zudem eine längere Verweilzeit im Körper. Das mittlere Verteilungsvolumen von Pegcetacoplan wurde mit 3,9 Litern bestimmt.


Metabolismus: Der Proteinanteil des Wirkstoffs unterliegt dem physiologischen Katabolismus zu kleineren Peptiden und einzelnen Aminosäuren, die in den Nährstoffpool übergehen. Das assoziierte Polyethylenglykol wird in erster Linie renal eliminiert.


Exkretion: Die Eliminationshalbwertszeit beträgt acht Tage.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Die subkutane Infusion von Pegcetacoplan kann durch medizinisches Fachpersonal oder, nach entsprechender Unterweisung, durch den Patienten selbst bzw. eine Betreuungsperson erfolgen. Die Applikation erfolgt normalerweise zweimal wöchentlich an den Tagen 1 und 4 jeder Behandlungswoche mit einer handelsüblichen Spritzeninfusionspumpe in einer Dosis von 1080 mg. Als Anwendungsorte kommen Abdomen, Oberschenkel und Oberarm infrage. Areale mit empfindlicher, verletzter, geröteter oder verhärteter Haut sowie mit Tattoos, Narben oder Dehnungsstreifen sind zu vermeiden. Bei Infusion an zwei Körperregionen beträgt die typische Infusionsdauer jeweils etwa 30 Minuten, bei einer Stelle sind es etwa 60 Minuten. In der Regel handelt es sich um eine lebenslange Therapie. Falls eine Umstellung von einem C5-Inhibitor wie Eculizumab oder Ravulizumab auf Pegcetacoplan durchgeführt wird, müssen beide Therapieregime zur Vermeidung einer Hämolyse über vier Wochen parallel angewendet werden. Danach ist ein Absetzen des C5-Inhibitors möglich. Beim Auftreten eines Laktatdehydrogenase(LDH)-Spiegels von mehr als dem Zweifachen der oberen Normgrenze sollte eine Anpassung des Dosierungsschemas auf 1080 mg alle drei Tage erwogen werden, wobei der LDH-Spiegel engmaschig zu überwachen ist. Ausgelassene Applikationen müssen so schnell wie möglich nachgeholt werden. Anschließend ist wiederum das normale Behandlungsintervall einzuhalten. Zur Behandlung von älteren Patienten sowie von Personen mit Leber- oder dialysepflichtiger Niereninsuffizienz sind keine Daten verfügbar. Bisher liegen allerdings keine Hinweise auf erforderliche Vorsichtsmaßnahmen bei diesen Patientengruppen vor. Auch sind Sicherheit und Wirksamkeit von Pegcetacoplan für die Behandlung von Kindern unter 18 Jahren noch nicht erwiesen. Bei Kindern unter zwölf Jahren sollte der Einsatz des Therapeutikums derzeit zur Sicherheit ganz unterbleiben. Eine Pegcetacoplan-Therapie ist nach Möglichkeit ausschleichend zu beenden. Wenn ein abruptes Absetzen erforderlich ist, sind alternative Therapien zur Vermeidung von schwerwiegenden Hämolysen in Betracht zu ziehen. Neben der Applikation von Antikoagulanzien und Corticosteroiden können Bluttransfusionen mit Erythrozyten-Konzentraten und Austauschtransfusionen zum Einsatz kommen. Besondere Vorsicht ist im Zeitraum von acht Wochen nach dem Absetzen geboten.

Kontraindikationen

Bei Überempfindlichkeit gegen Pegcetacoplan besteht eine Kontraindikation. Bei Patienten mit nicht ausgeheilter Infektion mit bekapselten Bakterien wie Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae darf die Therapie nicht eingeleitet werden. Dies gilt ebenso bei Personen ohne aktuellen Impfschutz gegen die genannten Erreger, es sei denn, sie erhalten bis zwei Wochen nach der erfolgten Impfung eine geeignete Antibiotikaprophylaxe.

Unerwünschte Wirkungen

Während der Behandlung mit Pegcetacoplan kommt es sehr häufig zu Infektionen der oberen Atemwege, Kopf- und Abdominalschmerzen, Diarrhö, Ermüdung, Fieber sowie zu Erythemen, Juckreiz, Schmerzen und Schwellungen an der Injektionsstelle. Häufig wird über Sepsis, Harnwegsinfektionen, gastrointestinale Infektionen, Pilzinfektionen, Grippe, orale Herpes-Infektionen, Gerstenkörner, Hämolyse, Schwindelgefühle, Thrombozytopenie, Epistaxis, Übelkeit, Erytheme, Hautausschläge, Rückenschmerzen, Schmerzen in einer Extremität, Myalgien sowie blaue Flecken und Verhärtungen an der Injektionsstelle berichtet. Gelegentlich treten bakterielle Infektionen, Gastroenteritis, Ohrinfektionen, Furunkel, Abszesse der Nase, Otitis externa, Virusinfektionen, ophthalmischer Herpes Zoster, vulvovaginale Pilzinfektionen, Paronychie, Parodontitis und Pulpitis dentalis auf.

Wechselwirkungen

Aufgrund der Struktur und der Eliminationswege von Pegcetacoplan sind keine pharmakokinetischen oder relevanten pharmakodynamischen Interaktionen mit anderen Arzneistoffen zu erwarten. Aus diesem Grund wurde bislang auf die Durchführung von klinischen Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen verzichtet.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Die Pegcetacoplan-Therapie ist mit schwerwiegenden Infektionen mit bekapselten Bakterien wie Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae assoziiert. Zur Verringerung des Infektionsrisikos muss mindestens zwei Wochen und höchstens zwei Jahre vor Erhalt der ersten Dosis eine Impfung gegen die genannten Keime durchgeführt werden bzw. worden sein. Falls eine sofortige Pegcetacoplan-Behandlung angezeigt ist, sind die Impfstoffe so bald wie möglich zu verabreichen.


Die Zeit bis zum Wirkungseintritt der Impfung ist mit geeigneten Antibiotika zu überbrücken. Die Patienten müssen angewiesen werden, beim Auftreten erster Anzeichen, insbesondere bei Symptomen einer möglichen Meningokokken-Infektion, umgehend ärztlichen Rat einzuholen. Bei begründetem Verdacht ist sofort eine effektive Antibiose anzuwenden. Falls während der Pegcetacoplan-Infusion schwere Überempfindlichkeitsreaktionen auftreten, muss die Applikation sofort abgebrochen werden. Bei lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle sind die Patienten erneut bezüglich einer optimalen Applikationstechnik zu unterweisen. Während der Pegcetacoplan-Therapie müssen regelmäßige Kontrollen hinsichtlich potenzieller Hämolyse-Symptome stattfinden, z. B. durch Messung des Laktatdehydrogenase-Spiegels. Eine schwerwiegende intravasale Hämolyse, z. B. nach Absetzen von Pegcetacoplan, ist an einer Abnahme der PNH-Klongröße (Anteil an Erythrozyten ohne die vor einem Abbau schützenden Proteine) oder des Hämoglobins sowie am Wiederauftreten von Symptomen wie Ermüdung, Hämoglobinurie, Abdominalschmerzen, Dyspnoe, vaskulären Ereignissen einschließlich Thrombose, Dysphagien oder Erektionsstörungen erkennbar. Als pegyliertes Arzneimittel kann Pegcetacoplan bei längerer Anwendung möglicherweise im Organismus akkumulieren, vor allem in den Nieren oder im Plexus choroideus des Gehirns. Eine Überwachung, insbesondere der Nierenfunktion, ist daher angeraten.

Schwangerschaft und Stillzeit

Aufgrund bislang nur sehr begrenzter Erfahrungen ist die Anwendung von Pegcetacoplan bei Schwangeren sowie bei nicht verhütenden Frauen im gebärfähigen Alter zu vermeiden. Tierexperimente haben Reproduktionstoxizität gezeigt. Frauen im gebärfähigen Alter sollten während und bis zu acht Wochen nach der letzten Dosis eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Es ist nicht bekannt, ob Pegcetacoplan in die Muttermilch übergeht. Im Tierversuch an Affen wurde ein geringfügiger Übertritt beobachtet. Zur Sicherheit sollte daher das Stillen während der Therapie unterbleiben.

Handelspräparat Aspaveli® 

Hersteller

Swedish Orphan Biovitrum GmbH, Stockholm (Schweden)

Einführungsdatum

01. April 2022

Zusammensetzung

54 mg Pegcetacoplan pro ml Infusionszubereitung

Sonstige Bestandteile

Sorbitol (E 420), Essigsäure (99%), Natriumacetat-Trihydrat, Natriumhydroxid (zur pH-Einstellung), Wasser für Injektionszwecke

Packungsgrößen, Preise, PZN

eine Durchstechflasche mit 20 ml Zubereitung, entsprechend 1.080 mg Pegcetacoplan, 4343,27 Euro, PZN 17857360;
acht Durchstechflaschen mit 20 ml Zubereitung, entsprechend 1080 mg Pegcetacoplan, 34.673,22 Euro, PZN 17857377

Indikation

Erwachsene mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie, die nach Behandlung mit einem C5-Inhibitor für mindestens drei Monate nach wie vor anämisch sind

Dosierung

Pegcetacoplan wird normalerweise zweimal wöchentlich als subkutane Infusion von 1080 mg mit einer handelsüblichen Spritzeninfusionspumpe verabreicht. Die Applikation erfolgt an Tag 1 und Tag 4 jeder Behandlungswoche.

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegen Pegcetacoplan; nicht ausgeheilte Infektionen mit bekapselten Bakterien bzw. ohne Impfschutz gegen Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae, es sei denn, die Patienten erhalten eine geeignete Antibiotikaprophylaxe bis zwei Wochen nach der aktuell erfolgten Impfung.

Unerwünschte Wirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Reaktionen an der Injektionsstelle wie Erytheme, Juckreiz, Schwellungen und Schmerzen. Weiterhin kommt es zu Infektionen der oberen Atemwege, Abdominalschmerzen, Diarrhö, Kopfschmerzen, Ermüdung und Fieber.

Wechselwirkungen

Es wurden keine Studien zur Erfassung von Interaktionen durchgeführt.

Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme

Nach Applikation von Pegcetacoplan können schwere Überempfindlichkeitsreaktionen auftreten. Wenn Patienten die Behandlung abbrechen, müssen sie engmaschig auf Anzeichen und Symptome einer schwerwiegenden intravasalen Hämolyse überwacht werden.

Literatur

[1] Fachinformation zu Aspaveli®, Stand Dezember 2021


[2] Hillmen P et al. Pegcetacoplan vs. Eculizumab in Paroxysmal Nocturnal Hemoglobinuria. N Engl J Med 2021;384(11):1028-1037


[3] EPAR summary for the public. Aspaveli® Pegcetacoplan. EMA/603278/2021, www.ema.europe.eu

Copyright

©2022 Deutscher Apotheker Verlag, Neue Arzneimittel, Beilage der Deutschen Apotheker Zeitung

Datenstand

06/2022

Apothekerin Dr. Monika Neubeck