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- DAZ 13/1998
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Arzneimittel und Therapie
Neurologie: Regeneration von Nervenfasern im ZNS
Werden periphere Nervenfasern durchtrennt, so können sie immer noch wiedervereinigt werden, indem Schwannsche Zellen die Lücke überbrücken und der Achsenzylinder (das Axon) entlang der Brücke nachwächst. Diese Fähigkeit zur Regeneration besitzen zentrale Nervenfasern zwar noch bei vielen niedrigen Wirbeltieren und beim in der Entwicklung befindlichen Säugetier-ZNS, aber nicht mehr beim ausgewachsenen Säugetier.
Antikörper gegen Hemmstoffe des Nervenwachstums Experimentell versucht man mit verschiedenen Methoden, zentrale Axone zur Regeneration zu befähigen. Eine solche Induktion des Nervenfaserwachstums im ZNS wäre von großem therapeutischem Wert, beispielsweise bei Verletzungen des Rückenmarks oder des Sehnervs. Experimente mit verletzten Axonen von erwachsenen Tieren zeigten, daß grundsätzlich alle Arten von Axonen auch über große Entfernungen wieder zusammenwachsen können, vorausgesetzt, die strukturelle und chemische Umgebung erlaubt es. Umgekehrt können auch periphere Nervenfasern nicht nachwachsen, wenn sie von ZNS-Glia umgeben sind. Die Wachstumshemmung scheint von einem Bestandteil der weißen Substanz auszugehen, den Oligodendrogliazellen. Reife Oligodendrogliazellen bilden myelinassoziierte Eiweiße, die das Wachstum der Axone hemmen. Mit Antikörpern gegen diese Eiweiße (IN-1) gelingt das Axonenwachstum auch in der weißen Substanz erwachsener Tiere.
Transplantation peripherer Nervenfasern Eine weitere experimentell erprobte Reparaturmöglichkeit für geschädigte zentrale Nervenfasern ist die Transplantation peripherer Nervenfasern. Die peripheren Axone im Transplantat degenerieren zwar, aber die Schwannschen Zellen regulieren die Synthese verschiedener neurotropher Faktoren (Nervenwachstumsfaktoren) hoch, die das Wachstum benachbarter Axone anregen. Bei Ratten gelang es kürzlich, mit mehreren peripheren Nerventransplantaten ein vollständig durchtrenntes Rückenmark wieder zu verbinden, wobei die Axone in die gewünschte Richtung wuchsen. An Patienten mit Rückenmarkverletzungen waren Transplantationen peripherer Nervenfasern allerdings bisher erfolglos. Vermutlich entscheidet der Operationszeitpunkt über das Angehen des Transplantates. Eine zu alte Verletzung oder ein zu altes Transplantat eignet sich eventuell nicht.
Übertragung von Schwannschen Zellen Anstelle des autologen intakten peripheren Nerventransplantates genügen möglicherweise auch Schwannsche Zellen. Sie scheinen das Schlüsselelement der Nerventransplantate zu sein. Schwannsche Zellen können in Zellkultur vermehrt und allein oder mit einem Träger (z.B. Membranpräparate, extrazelluläre Matrixextrakte, Fibringel, Polymere) ins ZNS eingebracht werden. Ein so gezieltes Wachstum wie mit intaktem Nerventransplantat konnte mit Schwannschen Zellen jedoch bisher nicht erreicht werden.
Neurotrophe Faktoren und ihre Rezeptoren Für die Regeneration verletzter Axone scheinen neurotrophe Faktoren und ihre Rezeptoren eine wichtige Rolle zu spielen. Allerdings ist noch weitgehend unklar, welche Faktoren in bestimmten Situationen gebraucht werden. Für eine optimale Wachstumsstimulierung kann schon ein einziger Nervenzelltyp mehrere Faktoren benötigen, wobei sich der Bedarf nach einer Verletzung auch mit der Zeit verschieben kann. Erschwerend für einen therapeutischen Einsatz kommt hinzu, daß viele neurotrophe Faktoren richtungweisend wirken. Daher muß der optimale Applikationsort noch geklärt werden. Es können entweder die Nervenwachstumsfaktoren selbst gegeben werden oder die Gene für ihre Synthese eingeschleust werden.
Die chemische Spur Eine weitere Methode, mit der die Regeneration zentraler Axone gefördert werden kann, ist das Legen einer chemischen Spur. Dies kann eine exzitatorische Aminosäure sein. Die neuronale Erregung führt dann dazu, daß die Synthese bestimmter Nervenwachstumfaktoren heraufreguliert wird. Klinische Studien mit Nervenwachstumsfaktoren beschränken sich bislang auf neurodegenerative Erkrankungen, wie Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer und amyotrophe Lateralsklerose. Hierbei wird meist kein axonales Wachstum über lange Strecken angestrebt, sondern es wird versucht, Nervenzellen zu retten, eine weitere Degeneration zu verhindern und bestenfalls ein lokales Wachstum der Axonenenden zu bewirken. Die Studien erbrachten kaum größere dauerhafte Erfolge, zeigten aber, daß Nervenwachstumsfaktoren ohne schwere Nebenwirkungen am Menschen angewendet werden können.
Kann das Immunsystem helfen? Auch das Immunsystem scheint die Regeneration zentraler Axone positiv beeinflussen zu können. Im intakten Gehirn findet man bestimmte Immunabwehrzellen wie Neutrophile nicht, die Verletzung kann jedoch die Blut-Hirn-Schranke vorübergehend unwirksam machen. Kürzlich wurde gezeigt, daß Makrophagen, die durch In-vitro-Kontakt mit peripheren Gewebekomponenten aktiviert waren, die axonale Regeneration förderten, wenn sie in einen verletzten Sehnerv injiziert wurden.
Neurotrophe Arzneistoffe in der Entwicklung Eine Forschungsrichtung, die zur Entwicklung oral einzunehmender neurotropher Arzneistoffe führen könnte, geht vom Immunsuppressivum Tacrolimus aus. Die Wirkungen von Tacrolimus und Ciclosporin werden über intrazelluläre Proteine, sogenannte Immunophiline, vermittelt. Unabhängig von der immunsuppressiven Wirkung hat Tacrolimus eine fördernde Wirkung auf das Nervenfaserwachstum. Auch kleine Immunophilin-Liganden zeigten im Tierexperiment beachtliche neurotrophe Wirkung.
Transplantation von embryonalem oder fetalem Gewebe Ein anderer Reparaturansatz besteht aus der Transplantation von embryonalem oder fetalem ZNS-Gewebe ins erwachsene ZNS. Mit der Transplantation embryonaler dopaminerger Neuronen bei Parkinson-Patienten gelang es, abgestorbene Nervenzellen zu ersetzen. Axonale Regeneration mit Wiedergewinnung der Nervenfunktion, wie sie beispielsweise nach schweren Rückenmarkverletzungen benötigt wird, konnte durch embryonale/fetale ZNS-Transplantate noch nicht erzielt werden.
Literatur Olson, L.: Regeneration in the adult central nervous system: Experimental repair strategies. Nature Medicine 3, 1329-1335 (1997).
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