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- DAZ 14/1998
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Die Seite 3
Editorial
Egal ob aus Weitsicht oder aus Bequemlichkeit: unter dem
Schlagwort "Vorfahrt für die Selbstverwaltung" hat die Politik bei den letzten Reformrunden im Gesundheitswesen "dem kleinen Bruder des großen Gesetzgebers" immer mehr
Regelungszuständigkeiten aufs Auge gedrückt. Der Gesetz- und
Verordnungsgeber zieht sich zurück und überläßt die (Drecks-?)Arbeit anderen. Dagegen ist im Grundsatz nicht unbedingt etwas einzuwenden. Nur: Wer ist die Selbstverwaltung? Und ferner: Wen und für wen verwaltet sie eigentlich?
Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich im Vorfeld über die Interpharm-Diskussionsrunde "Auf dem weißen Sofa" mit dem AOK-Vorstandsvorsitzenden Dr. Hans Jürgen Ahrens, dem
Vorsitzenden des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, Blüms ehemaligen Staatssekretär Karl Jung, sowie dem ABDA-Präsidenten Hans Günter Friese nachdachte.
Herausragende Bedeutung für die "Selbstverwaltung" des
Gesundheitswesens hat inzwischen der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen. Angesichts knapper Ressourcen und
zunehmender Verteilungskämpfe wird dies immer problematischer.
Es ist bei genauerem Hinsehen kaum einsichtig, warum Ärzte oder Krankenkasse a priori bessere Sachwalter des Patienteninteresses sein sollten als andere Gruppen im Gesundheitswesen. Nicht nur die Ärzte, auch die Krankenkassen (diese mit ihrer Verwaltungsleistung)
sind Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Daß sie sich von finanziellen Eigeninteressen besser freimachen könnten als zum Beispiel die Apotheker, ist eine Unterstellung, die schlecht zu belegen ist. Das verwundert auch gar nicht. Obwohl die Krankenkassen die Steigerung der Leistungsausgaben beklagen und z.B. die Gesundheitsberufe deswegen attackieren, zweigen sie andererseits relativ konstant um 5% der Gesamtausgaben für ihre Verwaltungsleistung ab. 1990 waren es rund 7 Mrd. DM, 1996 schon über 10 Mrd. DM. Sie schwimmen sogar seit Jahrzehnten auf praktisch jeder Ausgabenwelle ganz oben mit. Die Wertschöpfung der Apotheken sank hingegen von 1991 bis 1996 von 3,6% der GKV-Gesamtausgaben auf 2.9%, absolut stieg sie nur leicht von 5.1 auf 5,9 Mrd. DM. Warum man den Apotheken da mehr Eigeninteresse unterstellen soll als z.B. den Krankenkassen (mit der Konsequenz, die Apotheker in der GKV-Selbstverwaltung weitgehend einflußlos zu lassen), ist wenig plausibel.
Die Versuchung ist groß und sehr realistisch, daß ein
Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen bei seinen
weitreichenden Entscheidungsmöglichkeiten über die
Weiterentwicklung des Gesundheitswesen die Interessen dieser
beiden Gruppen möglichst schont und lieber Einspar- und
Ausgrenzungsversuche zu Lasten Dritter - darunter auch zu Lasten des Arzneimittelsektors - unternimmt. Daß dabei sachgerechte Lösungen leicht auf der Strecke bleiben, darf nur Traumtänzer wundern. So ist erklärbar (aber nicht zu rechtfertigen), daß an große Teile der Arzneimitteltherapie sehr viel strengere Kriterien für den Nachweis der Notwendigkeit, Nützlichkeit, Wirtschaftlichkeit und
Erstattungsfähigkeit gelegt werden als für fast alle anderen
Behandlungsformen - von manchen Operationen angefangen über
die physikalische Therapie bis hin zur Psychotherapie. Das ist ungerecht, bestimmt nicht im Sinne der Patienten und sollte geändert werden
Die Interpharm Stuttgart ist vorbei. Wir freuen uns riesig über die sehr, sehr positive Resonanz. Lesen Sie in dieser DAZ-Ausgabe einen aktuellen Vorbericht. Vor allem die Berichte über das wissenschaftliche Vortragsprogramm folgen in der nächsten DAZ.
Klaus G. Brauer
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