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Arzneimittel und Therapie
Kranke Gene im Visier: DNA-Chips machen Erbgutveränderungen sichtbar
Forschern ist es gelungen, sogenannte DNA-Chips zu entwickeln, indem sie zwei technische Verfahren miteinander kombinierten, die eigentlich auf den ersten Blick recht wenig Berührungspunkte haben. Kann man - so der Gedanke - Moleküle auf einem Chip in ähnlicher Weise aufbauen wie die Transistoren auf einem herkömmlichen mikroelektronischen Chip?
Verfahren wie bei Mikroprozessoren Die Wissenschaftler benutzen Techniken, wie sie bei der Herstellung von Computerchips, den Mikroprozessoren, verwendet werden. Mit prinzipiell gleichartigen Verfahren lassen sich die vier Grundbausteine der Erbsubstanz, die DNA-Nukleotide, so aneinander koppeln, daß eine genau bekannte Reihenfolge der Bausteine erzielt wird. Je nach Anzahl der verwendeten Nukleotide ist die Synthese verschiedener Kettenlängen möglich, einschließlich aller denkbaren Varianten in der Reihenfolge der Kettenglieder.
Nicht größer als ein Daumennagel Solche DNA-Chips bestehen meist aus kleinen Glasplatten, nicht größer als ein menschlicher Daumennagel. Auf ihnen werden die verschiedenen Nukleotide in einem ganz bestimmten Raster verankert und die DNA-Molekülketten schrittweise synthetisiert. Durch entsprechende Synthesen mit Hilfe photochemischer Reaktionen läßt sich eine ungeheure Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten der Nukleotide erzeugen. Je nach Länge der synthetisierten Molekülkette können weit mehr als 100000 unterschiedliche Varianten auf einem einzelnen Chip Platz finden; technisch ist dies kein Problem. In ähnlicher Weise lassen sich für bestimmte Anwendungen auch längere DNA-Ketten, welche beispielsweise aus der Erbsubstanz von Tumorgewebe gewonnen wurden, direkt auf dem Trägermaterial befestigen.
Erbmaterial gezielt untersuchen Aufgrund der biochemischen Eigenschaft der Molekülketten läßt sich Erbmaterial aus den verschiedensten Organismen gezielt untersuchen. Zu diesem Zweck wird ein unbekanntes DNA-Molekül, das in den meisten Lebewesen in doppelsträngiger Form vorkommt, in kurze einzelsträngige Stücke zerschnitten und beispielsweise mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert. Diese DNA-Bruchstücke werden dann über den DNA-Chip gespült. Unter Tausenden der vorhandenen Varianten, die auf dem Chip verankert sind, suchen sich die DNA-Schnipsel ihr passendes, korrespondierendes Gegenstück, mit dem sie aufgrund biochemischer Gegebenheiten eine enge Verbindung eingehen. Je mehr Bausteine in einer Sequenz miteinander korrespondieren, desto inniger ist eine Verknüpfung des vorgegebenen bekannten Materials mit dem zu untersuchenden Erbmaterial. Dies äußert sich in einem entsprechend intensiven Fluoreszenz-Signal.
Hochspezifische Verbindung Voraussetzung ist also, daß eine Kette auf dem Chip eine ausreichende Länge besitzt, und daß man die Reihenfolge der Bausteine in der Kette durch die gezielte Synthese genau kennt; dann ist die Verbindung der korrespondierenden DNA-Stränge hochspezifisch. Durch automatisches Abtasten der fluoreszierenden Spots auf dem Chip mit einem Laser-Scanner kann die Sequenz der Bausteine in dem unbekannten DNA-Molekül genau ermittelt werden.
Mutationen bei HIV untersuchen Die Entwicklung der Gen-Chip-Technologie ist dem Engländer Ed M. Southern von der Universität Oxford, UK, und dem Amerikaner Stephen Fodor zu verdanken. In der kalifornischen Firma Affymetrix fand der 43jährige Fodor ideale Bedingungen vor, seine genialen Visionen zu verwirklichen. Inzwischen sind von Affymetrix Inc. in St. Clara, California, etwa zwei Dutzend verschiedene DNA-Chips bis zur Marktreife entwickelt worden. Erste Nutznießer der neuartigen Technologie sind Ärzte und Patienten in amerikanischen AIDS-Zentren. Dort ist seit etwa einem Jahr ein Affymetrix-Chip im Einsatz, mit dem im genetischen Material von HI-Viren Mutationen entdeckt werden können. 20000 solcher Mutationen sind bereits bekannt, und das HI-Virus ändert ständig seine genetische Ausstattung. Solche Erbgutveränderungen machen den Erreger beispielsweise gegen bestimmte AIDS-Medikamente resistent. Die genaue Kenntnis des Typs erlaubt eine gezielte Behandlung des AIDS-Patienten, weil die Medikamente, die bei dem vorhandenen HI-Virustyp unwirksam wären, aber gravierende Nebenwirkungen hätten, erst gar nicht eingesetzt werden.
Diagnose-Chips für viele Krankheiten Solche Diagnose-Chips werden nach Ansicht von Dr. Peter Lichter, Privatdozent und Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, eine weitreichende Bedeutung erlangen. Mit ihnen lassen sich ererbte und erworbene Krankheiten frühzeitig entdecken. In Lichters Arbeitsgruppe werden Verfahren zur Tumordiagnostik entwickelt, wobei DNS-Chips eine zentrale Rolle spielen. "An der Entstehung von bestimmten Tumoren sind mehrere oder gar viele Gene beteiligt. Die Kenntnis, welches Gen betroffen ist, könnte für eine Therapie wichtig sein", so Lichter.
Ethische Fragen sind noch nicht geklärt Mit den neuen Möglichkeiten dieser Technik tauchen aber auch viele Fragen und Probleme der "Gen-Ethik" auf. Soll man beispielsweise Krebserkrankungen oder Stoffwechselkrankheiten diagnostizieren, lange bevor der Patient sie selbst wahrnehmen kann? Wie geht der Arzt oder der Patient mit einer Diagnose um, wenn es für eine mögliche Erkrankung noch gar keine Therapie gibt? Wie kann ein Patient, von dem bekannt ist, daß er höchstwahrscheinlich an Krebs erkranken wird, sinnvoll überwacht und frühzeitig therapiert werden? Könnte es sein, daß sich Krankenkassen und Arbeitgeber für die genetische Ausstattung eines Bewerbers oder Klienten interessieren? Führt das genetische Profil eines Individuums zu einer möglichen Diskriminierung? Fragen über Fragen, über die sich Experten noch unterhalten müssen - und auch die Öffentlichkeit sollte rechtzeitig in die Diskussion einbezogen werden.
Zukunftsperspektiven für DNA-Chips Dennoch haben die DNA-Chips nach Ansicht von Marktforschungsexperten enorme Zukunftsperspektiven. Der Umsatz für diese Produkte soll von derzeit 125 Millionen US-Dollar jährlich auf rund 600 Millionen US-Dollar im Jahre 2000 steigen. Für 2004 werden bereits zwei Milliarden US-Dollar Umsatz prognostiziert. Inzwischen interessieren sind auch deutsche Firmen für diese Sparte der Biotechnik. Boehringer Mannheim hofft, die DNA-Chips zur Entwicklung neuer Diagnostika für den Pharmamarkt nutzen zu können. Für die Pharmaindustrie dürfte jedoch noch ein weiterer Gesichtspunkt von höchstem Interesse sein: Das hohe marktwirtschaftliche Potential dieser neuen Technik liegt in der Möglichkeit, Wirkstoffe schneller und gezielter entwickeln zu können.
Quellen Interview mit Dr. Peter Lichter, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg, Abt. "Organisation komplexer Genome". Wallace, Robert W.: DNA on a chip: serving up the genome for diagnostics and research. Molecular Medicine Today, September 1997, S. 384-389.
Dr. Martin Mühleisen, Gaiberg/Heidelberg
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