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Pharmazie auf neuen Wegen: Auch in England: Der Apotheker hilft sparen

DONCASTER (nk). Seit längerem schon wird in Großbritannien eine neue Rolle für den Offizinapotheker diskutiert. Ziel ist es, das in vier Universitätsjahren erworbene pharmazeutische Wissen des Apothekers effektiver und sinnvoller einzusetzen. "Der Beitrag des Apothekers zum Gesundheitswesen ist von größter Wichtigkeit, um dessen Erfolg als Ganzes zu gewährleisten", heißt es in dem von der Royal Pharmaceutical Society veröffentlichten Dokument "Pharmacy in a New Age". Wie dieser Beitrag des Apothekers in Zukunft aussehen könnte, hat die DAZ am Beispiel eines seit zwei Jahren in Doncaster/South Yorkshire laufenden Projektes aus erster Hand erfahren können.

Pharmaceutical Care auf englisch Dr. Philip Dwyer ruft gerade seine vorletzte Patientin des Morgens in sein Sprechzimmer und kommt direkt auf den Punkt. "Wir haben Sie hergebeten, um durch ein paar einfache Tests feststellen zu können, ob die Ihnen bisher für Ihr Asthma verschriebenen Inhalationspräparate auch effektiv genug sind". Etwas Besonderes ist das, was hier in Doncaster seit knapp zwei Jahren als Pilotprojekt stattfindet, schon, denn Dr. Dwyer ist kein Mediziner, sondern ein practice pharmacist (Offizin-Apotheker). Er arbeitet mit zwei Arztpraxen in South Yorkshire mit insgesamt 20000 Patienten und 9 Ärzten zusammen. Im Moment führt er eine Studie mit den rund 300 Asthmapatienten dieser Praxen, die älter als 40 Jahre sind, durch. "Bis zum Alter von 40 sind die Atembeschwerden zu 99% auf Asthma zurückzuführen. Das ändert sich jedoch mit zunehmendem Alter und immer häufiger kommen andere Ursachen wie z.B. chronische Bronchitis mit ins Spiel", erklärt Dr. Dwyer. "In den Fällen, wo letzteres die Hauptursache für die Atembeschwerden (chronic obstructive pulmonary disease) ist, macht es keinen Sinn, Asthma-Medikamente zu verschreiben." Er mißt zunächst die Luftmenge, die die Patientin in der ersten Sekunde auspusten kann (forced expiratory volume 1), dann die gesamte Luftmenge, die über eine bestimmte Zeitspanne hinweg ausgeatmet wird (force vital capacity). Liegen beide Werte über 80% des erwarteten Resultats, so handelt es sich um einen Asthmapatienten, liegen die Werte darunter, müssen weitere Tests durchgeführt werden, um genau festzustellen, wo das Problem liegt.

Unsere Patientin kann mit sich sehr zufrieden sein. Sie ist eine Asthmapatientin, die ihr Asthma bestens unter Kontrolle hat - ihre beiden Werte lagen über der 100%-Marke, und das, obwohl sie 40 Jahre lang leicht geraucht hat (ca. 30 Zigaretten /Woche). Insgesamt gesehen schwankten die Werte, die Dr. Dwyer innerhalb seiner Studie erhalten hat, zwischen 18% und 130%. "Mindestens ein Drittel unserer Asthmapatienten werden eine dramatische Änderung ihrer Medikation feststellen", so Dr. Dwyer.

Nicht billig, aber preiswert Doch worin sieht Dr. Dwyer die Hauptaufgabe des practice pharmacist? Zunächst einmal könne der Apotheker die relative hohe Anzahl an Patienten mit trivialen Beschwerden übernehmen und somit den Arzt entlasten. "Im Bereich des Arzneimittelmanagements dürfte sich der Apotheker allerdings am effektivsten erweisen und könnte helfen, eine Menge Geld zu sparen". Kosteneffektives Verschreiben heißt für ihn zu überprüfen, ob die Arzneimittel noch ihren Sinn erfüllen und ob eventuell die durch die Medikamente ausgelösten Probleme weitere Behandlungen notwendig machen. So führt z.B. "eine hohe Dosis an Codein-Kombinationspräparaten bekanntlich dazu, daß gleichzeitig Laxanzien verabreicht werden müssen." Ein weiterer Problemfall sind Wiederholungsrezepte. Nach Dr. Dwyers Erfahrung lassen sich viele Patienten oftmals ein Arzneimittel wiederholt verschreiben, auch wenn sie es nur einmal benötigten. Wenn man bedenkt, daß drei Viertel aller Rezepte Wiederholungsrezepte sind, führt dies nicht nur zu einer enormen Arzneimittelrechnung für den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS), sondern auch zu einer großen Verschwendung an Arzneimitteln. Er tritt umgehend den Beweis hierfür an und entleert einen Schuhkarton voller Medikamente, die ihm ein Patient mitgebracht hatte - alle unangebrochen.

Ein Drittel könnte gespart werden Dr. Dwyer schätzt, daß mit kosteneffektivem Verschreiben ein Drittel der Arzneimittelausgaben eingespart werden könnte. Vor allem angesichts des überstrapazierten Gesundheitshaushaltes könnte dies ein immer wichtigerer Bereich werden. "Alle Regierungen sind ständig auf der Ausschau nach Methoden, um die Arzneimittelausgaben zu reduzieren. Wer wäre besser dazu geeignet dieses Problem zu lösen als der Apotheker", so Dr. Dwyer. In den 15 Monaten, in denen er als practice pharmacist auf diese Weise gearbeitet hat, schätzt er, daß er ungefähr £247000 eingespart hat. Er warnt jedoch gleichzeitig davor den Apotheker zum pharmazeutischen Buchhalter werden zu lassen. "Die Aufgabe des Kostenmanagements benötigt nämlich auch das wissenschaftliche Wissen des Apothekers, um entscheiden zu können, welches Arzneimittel preisgünstig ist - und das heißt nicht, daß das billigste Medikament auch gleichzeitig das beste ist."

Die Richtung ist die Klinische Pharmazie Für ihn selbst ist es vor allem die berufliche Herausforderung, die ihn bei dieser Aufgabe reizt. "Ich war ziemlich frustriert mit meiner Arbeit und hatte schon immer das Gefühl, daß die Pharmazie viel aktiver werden müßte. Auf eine Chance wie diese habe ich seit zwanzig Jahren gewartet".

Inzwischen sind zehn Apotheker vom zuständigen Gesundheitsamt (Doncaster Health Authority) ganztags eingestellt worden, und die Zahl steigt. Dr. Dwyer ist fest davon überzeugt daß sich etwas ändern muß, denn immer mehr Pharmaziestudenten erwarteten etwas mehr von ihrem Beruf. "Du kommst ans Ende deines Studiums und weist genau, daß du für den Rest deines Arbeitslebens Rezepte beliefern wirst. Es gibt bisher keine echten Karriereperspektiven". Er rät dazu, nach dem Studium erst ein paar Jahre in einer Offizin zu arbeiten und anschließend klinische Qualifikationen anzustreben. "Das ist eindeutig die Richtung, in die sich die Pharmazie entwickeln muß", sagt Dr. Dwyer.

Und sein Kollege, Dave Harcombe, stimmt ihn zu. Er arbeitet zum größten Teil in der Apotheke direkt neben der Praxis, nimmt aber seit zwei Jahren an einem klinischen Fortbildungskurs in Bradford teil. Jetzt arbeitet er einmal pro Woche als practice pharmacist in einer anderen Praxis im gleichen Ort und ist begeistert. "Das ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich total entspannt bin. Ich habe hierdurch die Chance, die Gesundheit der Patienten direkt zu beeinflussen. Und man wird von der Öffentlichkeit ganz anders behandelt - viel freundlicher und mit mehr Respekt".

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