Bericht

Bayerischer Apothekerverband: Wo den bayerischen Apothekern der Schuh drückt

Die Litanei der Sorgen und Nöte der bayerischen Apotheker trug Gerhard Reichert, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands (BAV) in seiner Ansprache auf dem Bayerischen Apothekertag vor. Vor allem sind es Probleme mit den gesetzlichen Krankenkassen, mit Behörden und bestehenden Gesetzen, die den Apothekern Kopfschmerzen bereiten, aber auch die wirtschaftliche Lage der Apotheken in Bayern insgesamt. Denn die Apothekenumsätze in Bayern liegen traditionell rund 5 % unter den Umsätzen der übrigen alten Bundesländern. Als Gründe hierfür nannte Reichert die hohe Apothekendichte in diesem Bundesland, größere Einsparungen bei den Verordnungen der Ärzte und ein zurückhaltendes Kaufverhalten der Kunden bedingt durch die schwierige wirtschaftliche Situation.

Keine Festbeträge für Inkontinenz- und Vliesstoffprodukte Besonderen Ärger brachte die Tatsache, daß die gesetzlichen Krankenkassen in Bayern im Herbst des vergangenen Jahres außerordentlich niedrige Festbeträge für Inkontinenz- und Vliesstoffprodukte festlegten. Viele Versicherten konnten ihre gewohnte Qualitätsware nicht mehr oder zumindest nicht aufzahlungsfrei in den Apotheken und Sanitätshäusern beziehen. Die Krankenkassen haben hier ihre gesetzlich gegebenen Möglichkeiten voll ausgenutzt, so Reichert, obwohl bekannterweise die Festsetzung von Hilfsmitteln und Arzneimitteln juristisch höchst umstritten ist. Immerhin liege seit Mitte 1995 die Frage, ob Festbeträge überhaupt festgesetzt werden dürfen, beim Bundesverfassungsgericht, das voraussichtlich Ende dieses Jahres darüber entscheiden werde. Denn Festbeträge stellten einen weitgehenden Eingriff in das Marktgeschehen dar, die Entscheidung darüber könne nicht den Krankenkassen überlassen sein. Gegen die einseitige Festsetzung von Festbeträgen für Inkontinenzprodukte durch die bayerischen Krankenkassen habe der BAV beim Sozialgericht in München Klage erhoben, geklagt habe beispielsweise aber auch ein Hersteller wie Procter & Gamble. Mittlerweile habe das Sozialgericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Festbeträge für Inkontinenz- und Vliesstoffprodukte ausgesetzt. Diese brandneue Entscheidung bedeutet: ab sofort und bis auf weiteres keine Festbeträge mehr bei Vliesstoffprodukten.

An der Apotheke vorbei Generell sei ärgerlich, wie sich verschiedene Krankenkassenverbände bemühten, Hilfsmittel über andere Kanäle als die Apotheke den Versicherten zukommen zu lassen. Als besonders schlimmes Beispiel nannte Reichert die Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse, die ihren Diabetikern anbietet, den Diabetikerbedarf nach Hause geschickt zu bekommen. Reichert bezeichnete dies als "Rosinenpickerei". Dadurch komme die existentielle Grundlage der Apotheke immer mehr ins Wanken.

Nicht mal der Inflationsausgleich Was ist der Regierung und den politischen Parteien überhaupt die Dienstleistung des Apothekers wert, so fragte Reichert, indem er auf die Änderungen zur Arzneimittelpreisverordnung durch den Bundesrat anspielte. Das, was hier passiere, lasse sich für einen normalen Apotheker nicht nachvollziehen. Verständlich sei noch gewesen, daß bei sehr hochpreisigen Arzneimitteln der bisherige Mindestaufschlag habe begrenzt werden müssen. Nicht mehr nachvollziehbar sei allerdings, daß man die Rezepturpreise und die Notdiensttaxe wenn schon nicht kostendeckend, doch zumindest so erhöht habe, daß sie kein so großes Verlustgeschäft mehr sein sollten wie bisher. Hatte das Gesundheitsministerium noch gebilligt, die Notdienstgebühr mit fünf DM anzusetzen, sei man im Wirtschaftsausschuß bereits der Meinung, man könne auch mit drei DM auskommen. Das Land Hamburg habe gar noch den Antrag gestellt, den Notdienst überhaupt nicht höher zu honorieren. Reichert rechnete vor, daß bei einem Notdienstzuschlag von drei DM der Apotheker für die Dienstleistung Notdienst weniger an Kaufkraft zugebilligt bekomme als 1978. Eine ähnliche Situation müßten die Apotheker mit einer Erhöhung der Rezepturzuschläge hinnehmen. So koste ab 1. Juli das Herstellen einer Salbe nicht mehr drei DM, sondern sechs DM. Rezeptur sei noch nie kostendeckend gewesen, so Reichert, aber die Arzneimittelpreisverordnung gehe davon aus, daß es eben auch teure Arzneimittel gebe, die eine Art Ausgleich schaffen müßten. Wenn man nun diesen Ausgleich teilweise beseitigt habe, müßte man das ganze Prinzip der Mischkalkulation neu überdenken und es müßten tatsächlich kostendeckende Preise eingesetzt werden. Der Bundesrat sei dazu nicht einmal vom Ansatz her bereit gewesen. Darüber hinaus sei die Möglichkeit geschaffen worden, daß sich Krankenkassen- und Apothekerverbände, abweichend von der Arzneimittelpreisverordung, über Preise von Spezialrezepturen, beispielsweise Zytostatikaherstellung einigen können. Hier ist zu erwarten, daß diese Preise stark in Bewegung kommen und den Krankenkassen Preissenkungen zugestanden werden müssen. Auch hier wird man nicht mit einem Ausgleich, geschweige denn einer Kompensation, rechnen können. Überhaupt, so fügte Reichert hinzu, müsse man sich darüber Gedanken machen, warum der Staat den Notdienst der Apotheke so gering einschätze, daß er eine adäquate Bezahlung verweigere. Gerade der Notdienst mache den Apotheken immer mehr Probleme, es werde immer schwieriger, Kollegen und Kolleginnen zu finden, die bereit seien, den Nachtdienst zu übernehmen, nicht zuletzt aus Angst vor steigender Kriminalität.

Bonusverträge treffen den Patienten Mit Sorge sieht Reichert die bevorstehenden Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Ärzten über Bonusverträge. Es könne nicht angehen, daß jemand für Einsparungen bezahlt werde, der ohnehin bereits für eine wirtschaftliche Verordnung honoriert werde. Der Hauptbetroffene von solchen Einsparungen sei allerdings nicht der Apotheker, sondern der Patient, der kaum ein Vertrauensverhältnis zu seinem Arzt entwickeln könne, wenn er wisse, daß sich der Arzt durch Nichtverordnen einen persönlichen Vorteil verschaffen könne. Die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten habe bereits vor Bonusverträgen jeglicher Art gewarnt. 65 % der Bevölkerung habe sich in einer repräsentativen EMNID-Umfrage gegen solche Verträge ausgesprochen. Kritisch seien auch die seit 1. Januar in Kraft getretenen Richtgrößen für Ärzte zu sehen. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Krimmel, prognostizierte bereits eine zunehmende Risikoselektion im eigenen Patientenklientel als verständliche Reaktion der Kassenärzte. Negative Folgewirkungen auf die Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln werden befürchtet, so Reichert. Strukturverträge seien daher mit größtem Argwohn zu betrachten und der Vorsitzende des Bayerischen Apothekerverbands plädierte dafür, daß Strukturverträge, wenn sie denn geschlossen werden, umfassenden Charakter haben müßten. Dies bedeute, daß jede Leistung, die der Arzt veranlasse, in diese Strukturverträge aufgenommen werden müsse. Spare dann der Arzt durch die richtige Auswahl der geeigneten Behandlungsmethode global Kosten ein und erhalte er dafür einen Bonus, dann seien Strukturverträge sicher anders zu bewerten.

Alltagsprobleme Kein Verständnis zeigte Reichert für die CH 7-Affäre, bei der hunderte von Apothekern durch Kriminalpolizei und Staatsanwälte vernommen worden seien. Reichert wörtlich: "Es kann nicht angehen, daß die Kollegenschaft über ihre Beratungstätigkeit hinaus sich in juristischen Grenzfällen damit auseinandersetzen muß, ob ein Produkt Arzneimittel oder noch Nahrungsergänzungsmittel ist." Allein mit den Kosten für diese Aktionen der Staatsanwälte und der Polizei habe der Staat vermutlich Millionen in den Sand gesetzt. Eher gelassen sieht Reichert die Bedrohungen durch Aldi. Nach seiner Auffassung disqualifiziere sich ein solches Unternehmen durch Billigpreise selbst, da damit bewiesen werde, daß man kein beratungsqualifiziertes Personal besitze. Man werde in Zukunft darlegen müssen, daß es riskant sei, aus dem Regal Ware ohne nähere Prüfung zu entnehmen. Zudem werde der Patient von den Wirkungen der Arzneimittel aus dem Supermarkt vermutlich sehr oft enttäuscht sein und schließlich wieder in die Apotheke kommen, um sich Arzneimittel empfehlen zu lassen. Vor diesem Hintergrund riet Reichert ab, einen Preiswettbewerb mit Drogerie- und Supermärkten zu suchen.

Dauerbrennerthema Import Der Gesetzgeber hat mit Stimmen aus der SPD die Importförderungsklausel des § 129 Absatz 1 im SGB V beseitigt. Mit Befremden nehme man daher zur Kenntnis, so Reichert, daß am 2. April dieses Jahres im bayerischen Landtag ein Antrag der SPD behandelt worden sei, die bayerische Staatsregierung möge auf die bayerischen Apotheker einwirken, in Zukunft mehr importierte Arzneimittel abzugeben. Denn diese Importförderung dürfte kaum jemand für gut befinden, insbesondere wenn man darauf hinweise, daß zu Lasten deutscher Arbeitnehmer Arzneimittel im Ausland produziert und dann in Deutschland vermehrt und forciert verkauft werden sollen. Bei all diesen Problemen werde man sich jedoch "nicht irre machen lassen", so Reichert hoffnungsvoll. Man wolle sich in Zukunft noch mehr als bisher um Patienten und Kunden kümmern, vor allem durch neue Aktionen mit Selbsthilfegruppen. So plane man für dieses Jahr ein groß angelegtes Angebot an Kunden und Patienten zur Raucherentwöhnung.

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