Bericht

Verantwortliche Selbstmedikation: Noch ausbaufähig

Eine zentrale Aufgabe des Apothekerberufs ist die Betreuung seiner Kunden im Rahmen der Selbstmedikation. Während die Politik die Selbstmedikation, insbesondere aus Gründen der Einsparpotentiale im Bereich der GKV, sehr positiv sieht, sehen Kritiker, insbesondere die Ärzte, Gefahrenpotentiale in einer zunehmenden Selbstmedikation. Eine Podiumsdiskussion auf dem Bayerischen Apothekertag versuchte mit Vertretern aus der Pharmaindustrie, von Ärzte- und Apothekerseite eine Bestandsaufnahme zur Selbstmedikation heute zu geben. Tenor: Auf jeden Fall sollte die Selbstmedikation unter der Verantwortung des Apothekers stehen. Die Pharmaindustrie kann den Apotheker mit Informationsmaterial unterstützen. Die Beratungsleistung des Apothekers im Rahmen der Selbstmedikation ist dagegen noch ausbaufähig.

Unter der Moderation von Dr. Hermann Vogel, Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, und Gerhard Reichert, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes, diskutierten auf dem Podium: Dr. Dagmar Walluf-Blume, Abteilung Selbstmedikation des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Dr. Mark Seidscheck, Hauptgeschäftsführer des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Dr. Ulrich Vorderwülbecke, Geschäftsführer Markt- und Außenwirtschaft des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der Apotheker Dr. Ulrich Krötsch, Landesbeauftragter für Gesprächskreise Arzt/Apotheker, und der Arzt Dr. Franz Dietz, Vorsitzender des ärztlichen Bezirksverbandes Niederbayern. Nach Ansicht von Dietz wurde die Selbstmedikation "aus der Not geboren". Früher konnte sich das Volk einen Arzt nicht leisten, heute gibt es Probleme aufgrund der hohen Zuzahlungen. Die Gesundheitspolitik sieht das Anwachsen der Selbstmedikation nicht ungern, da dadurch Rationalisierungsreserven ausgeschöpft werden. Im Selbstmedikationsbereich konkurrieren nach seiner Ansicht Drogerien, Discountläden, Versandanbieter mit der Apotheke um diesen Markt. Bereits heute behandeln sich 80 Prozent der Kopfschmerzpatienten selbst mit Arzneimitteln. Daß die Kostenverlagerung in die und in der Selbstmedikation teuer werden kann für unser Gesundheitswesen, gab Dietz zu bedenken. Er bemängelte außerdem ein Kommunikationsdefizit zwischen Arzt und Apotheker, insbesondere dann, wenn es um die Selbstmedikation geht. Gerade auf diesem Gebiet gebe es eine Chance zur Zusammenarbeit beider Heilberufe. Prinzipiell befürworte er Selbstmedikation, wenn die Qualität und die Sicherheit stimme und Arzt und Apotheker hier entsprechend Aufklärung leisten.

Verantwortungsvolle Selbstmedikation mit dem Apotheker Dr. Krötsch machte klar: Der Apotheker trägt bereits heute zu einer verantwortungsvollen Selbstmedikation bei. In vielen Fällen, so stellte er fest, gehe die Bevölkerung lieber gleich in die Apotheke statt in eine Arztpraxis. Allerdings, so Krötsch könne eine patientenorientierte, arztgestützte Selbstmedikation nicht das sein, was sich Apotheker wünschen. Dem Apotheker müsse die Möglichkeit gegeben sein, den Kunden Arzneimittel zu empfehlen. Dabei wies Krötsch deutlich darauf hin, daß der Apotheker dabei keine Heilkunde ausübe und den Ärzten nichts wegnehmen wolle. Es gehe um das sinnvolle Einbringen des Apothekers, nicht um Umsatz um jeden Preis. Er plädierte dafür, zusammen mit den Ärzten Empfehlungen auszuarbeiten, in welchen Fällen und wie lange ein Selbstmedikationsarzneimittel anzuwenden sei, bevor der Apotheker einen Patienten zum Arzt schicken müsse.

Wie entwickelt sich die Selbstmedikation? Aufgrund der sich ständig ändernden Rahmenbedingungen sei es nicht leicht, Prognosen abzugeben, wie es mit der Selbstmedikation weitergehe, merkte Frau Dr. Walluf-Blume vom BPI an. Einerseits akzeptierten die Patienten die Selbstmedikation, aber die Entwicklung, die der Selbstmedikation vorausgesagt werde, verlaufe nicht immer positiv. Einfluß hatten zum Beispiel die erhöhten Zuzahlungen. Eine Emnid-Umfrage fand heraus, daß 80 Prozent der Bevölkerung Selbstmedikation betreibe, 29 Prozent wollten diese in Zukunft noch ausdehnen aufgrund der Zuzahlungserhöhungen und 41 Prozent der Befragten werden in Zukunft seltener zum Arzt gehen. Angesichts dieser Zahlen könne man davon ausgehen, daß sich der Selbstmedikationsmarkt günstiger als der GKV-Markt entwickele. Gerade im Bereich der Selbstmedikation komme der Pharmaindustrie eine große Rolle zu, insbesondere auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit. Man wolle den Apotheker in seiner Beratungstätigkeit auf diesem Gebiet unterstützen. Der Apotheker solle auch einbezogen werden in die Kommunikation, die die Industrie mit dem Patienten führe. Frau Walluf-Blume lag es am Herzen, die Selbstmedikation nicht nur als Einsparmöglichkeit für die gesetzliche Krankenversicherung zu sehen, sondern den Nutzen der Selbstmedikation in der Versorgung des Patienten darzustellen. So sei die Selbstmedikation auch als ein integraler Bestandteil in der pharmazeutischen Betreuung zu sehen. Tatsache ist, so Dr. Mark Seidscheck vom BAH, daß es derzeit Zuwächse im Bereich der Selbstmedikation gibt und daraus auch enorme Einsparungen für die Krankenkassen resultieren. Immerhin gibt es Untersuchungen, daß bei einer Erhöhung der Selbstmedikation die GKV einiges an Leistungen pro Jahr einspart. Daß die Selbstmedikation in Deutschland sicher sei, zeige eine Untersuchung des Robert Koch-Institutes, so der BAH-Vertreter. Bei Selbstmedikationsarzneimittel habe man nur in zwei Prozent der Fälle unerwünschte Arzneimittelwirkungen festgestellt, die Risikosituation sei hier also vollkommen kontrollierbar. Die Frage stellt sich, ob die Politik die Selbstmedikation durch gesetzgeberische Maßnahmen fördern wolle. Der Vertreter der forschenden Arzneimittelhersteller, Dr. Ulrich Vorderwülbecke, geht davon aus, daß weitere Rationalisierungen im Gesundheitswesen aufgrund der angespannten Finanzsituation folgen werden. Dies dürfte zu einer erweiterten Selbstmedikation führen, was wiederum für den Apotheker bedeutet, mehr Informationen zu geben. Durch den Ausbau der Selbstmedikation werde ein Teil der Arzneimittelversorgung in die Eigenverantwortung überführt, was nicht heißen dürfe, daß dies eine Versorgung zweiter Klasse sei.

Was löst die Selbstmedikation beim Patienten aus? Die Gründe, warum ein Patient ein Arzneimittel im Rahmen der Selbstmedikation erwirbt, sind vielschichtig, wie Reichert zusammenfaßte. So kann es sein, daß der Arzt einen Hinweis auf ein Arzneimittel gibt, der Patient kauft sich ein Arzneimittel in der Apotheke, weil er das Präparat kennt, weil er hierüber etwas gelesen hat (z. B. Werbung) oder weil er Schmerzen und ein Problem hat und sich in der Apotheke ein Arzneimittel vom Apotheker empfehlen läßt. Frau Dr. Walluf-Blume stellte deutlich heraus, daß die Werbung keinen Bedarf wecke, sich ein Arzneimittel zu kaufen - wenn man kein gesundheitliches Problem habe. Erst wenn eine Befindlichkeitsstörung vorliegt, wird der Patient von der Werbung angesprochen.

Den Apotheker über Werbemaßnahmen informieren Die Eigenverantwortung des Patienten müsse gefördert werden, dies könne allerdings nicht durch staatliche Verordnung geschehen. Nach Ansicht der BPI-Vertreterin müßte die Selbstmedikation in Eigenverantwortung wachsen. Zum Thema Werbung für Selbstmedikationsarzneimittel ergänzte Seidscheck, daß hier die Industrie noch mehr tun müsse als nur für uniforme Produkte zu werben. Dem Apotheker sollten wissenschaftliche Informationen an die Hand gegeben werden, um auf die Vorteile der Produkte hinzuweisen und herauszustellen, warum das eigene Produkt besser sei als ein anderes. Nach seiner Ansicht sei es sehr wichtig, den Apotheker über neue Werbekampagnen vorab zu informieren, erst dann werde die Partnerschaft mit dem Apotheker ernst genommen. Hier habe er unterschiedliche Erfahrungen gemacht, so Dr. Krötsch: Manche Firmen unterstützen den Apotheker bereits mit Informationsmaterial. Auf der anderen Seite gebe es auch Firmen die aus ihren Selbstmedikationsmitteln lieber ein Nahrungsergänzungsmittel machen würden, um die Verkaufsstelle Apotheke zu übergehen. Diese Entwicklung sei bekannt, so Seidscheck, werde aber von Verbandsseite abgelehnt. Er machte klar, daß es mittlerweile Bestrebungen im Bereich des Lebensmittelgesetzes gebe, einen Bereich für Nahrungsergänzungsmittel zu schaffen und zu definieren, was die Werbung zu diesen Arzneimitteln aussagen dürfe und welche Aufmachung erlaubt sei. Entschieden sprach sich Frau Dr. Walluf-Blume gegen ein Wildern der Nahrungsergänzungsmittel im Arzneimittelbereich aus. Der BPI unterstütze den Vertriebskanal Apotheke in der Form, wie er sich heute darstellt. Die Apotheke sei das Fachunternehmen mit Kompetenz, das müsse der Apotheker zu seinen Gunsten ausspielen.

Selbstmedikation ist sicher Einwänden des Arztes Dr. Dietz, daß er Fälle aus seiner Praxis von Arzneimittelmißbrauch mit Selbstmedikationspräparaten kenne, entgegnete Frau Walluf-Blume damit, daß die Selbstmedikation nicht als Risikotherapie diskutiert werden dürfe, dies führe zur Verunsicherung bei den Patienten. Darüber hinaus sei es nicht richtig, die ärztliche Therapie im Gegensatz zur Selbstmedikation als harmlos gegenüberzustellen (Stichwort arztinduzierte Benzodiazepinabhängigkeit). Seidscheck untermauerte diese Ausführung mit dem Hinweis, daß bisher kein verschreibungspflichtiges Präparat, das in den OTC-Bereich wechselte, zurückgerufen worden sei. Die Patienten gingen heute überwiegend vernünftig mit diesen Arzneimitteln um. Die Bevölkerung habe heute einen besseren Kenntnisstand über Arzneimittel als noch vor 20 Jahren. Die Selbstmedikation könnte noch sicherer werden, wenn ein Erziehungsprozeß einsetze, so Seidscheck, der das Thema Arzneimittel umfasse. Beispielsweise müßte in Lehrplänen von Kindergärten und Schulen das Thema Umgang mit Arzneimitteln aufgenommen werden. Gerade jetzt, wo eine Zuzahlungserhöhung mehr Patienten in Richtung Selbstmedikation treibe, müsse die eigene Verantwortung für die Selbstmedikation wachsen. Klagen aus dem Auditorium, der Apotheker werde von der Pharmaindustrie zu wenig ernst genommen, was man beispielsweise daran sehe, daß der kaufmännische Außendienst in die Apotheken komme, entgegnete Frau Walluf-Blume, der Apotheker sollte den Besuch eines pharmazeutischen Außendienstmitarbeiters verlangen. Seidscheck machte deutlich, daß die Industrie kein Interesse an freien Preisen für OTC-Arzneimittel habe. Der Patient solle nicht gezwungen sein, das billigste Arzneimittel auf dem freien Markt suchen zu müssen. Die Aufrechterhaltung der Arzneimittelpreisverordnung sei vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Ein weiterer Sicherheitsaspekt in der Selbstmedikation könnten, so der Arzt Dr. Dietz, verbesserte Beipackzettel sein. Es sollte eine Version geben, die der Konsument verstehen kann. Letztendlich sollte man den mündigen Bürger nicht für unfähig halten, seriöse Werbung von unseriöser zu unterscheiden. Einig war sich das Podium darin, daß die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker zum Nutzen des Patienten auch im Bereich der Selbstmedikation verbessert werden kann. Ein hilfreiches Instrument könnte dabei die SmartCard sein, die elektronische Chipkarte, auf der auch die im Rahmen der Selbstmedikation erworbenen Präparate abgespeichert werden, wie Krötsch erklärte. Einen wichtigen Hinweis gab Kammerpräsident Dr. Vogel zum Schluß: Bestreben von Apothekerseite sei es, Abgabemonographien für die Selbstmedikation zu entwickeln. In ihnen könne festgelegt werden, was der Apotheker bei der Abgabe von Selbstmedikationsarzneimitteln dem Kunden als Mindest-Information mit auf den Weg geben müsse, "anderfalls wäre es ein Kunstfehler des Apothekers".

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