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Arzneimittel und Therapie
Deutsch-österreichische Empfehlungen: Postexpositionelle Prophylaxe nach HIV-Ex
Die aktualisierten Konsensusempfehlungen beziehen sich nicht mehr nur auf berufliche HIV-Expositionen, sondern auch auf nichtberufliche Expositionen wie ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer HIV-infizierten Person und Gebrauch von HIV-kontaminiertem Injektionsbesteck. Gerechtfertigt wird die Miteinbeziehung nichtberuflicher HIV-Expositionen u.a. dadurch, daß die statistische Wahrscheinlichkeit einer Übertragung für die unterschiedlichen in Frage kommenden Übertragungswege in einer vergleichbaren Größenordnung zwischen einer Infektion pro 100 Kontakten und einer Infektion pro 1000 Kontakten oder Expositionen liegt. Voraussetzung für die ärztliche Empfehlung einer HIV-Postexpositionsprophylaxe ist ein mit relevantem Übertragungsrisiko erfolgter Kontakt zwischen einer HIV-negativen und einer HIV-infizierten Person (Indexperson). Bei unbekanntem HIV-Serostatus bzw. wenn die klinische Diagnose einer HIV-Infektion nicht wahrscheinlich ist, sollten die Empfehlungen zurückhaltend gehandhabt werden. Zur Beurteilung des HIV-Expositionsrisikos sowie zur Abwägung des Nutzens und der Risiken einer HIV-Postexpositionsprophylaxe sollte ein in der HIV-Therapie erfahrener Arzt hinzugezogen werden. Dies kann auch nach einer vorläufigen, notfallmäßigen Einleitung einer HIV-Postexpositionsprophylaxe geschehen.
Sofortmaßnahmen nach beruflicher HIV-Exposition
Nach jeder HIV-Exposition sollten zunächst die folgenden Sofortmaßnahmen unverzüglich (in Sekunden) in der nachfolgenden Reihenfolge eingeleitet werden (ggf. anschließend an die Sofortmaßnahmen telefonisch weiteren Rat einholen):
Empfohlen werden sollte eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe nur, wenn ein erhöhtes Übertragungsrisiko besteht. Folgende Faktoren erhöhen das durchschnittliche Übertragungsrisiko von 0,3% bei perkutanen Stich- oder Schnittverletzungen:
• sehr tiefe Stich- oder Schnittverletzungen (etwa 16fach erhöhtes Risiko),
• sichtbare, frische Blutspuren auf dem verletzenden Instrument (etwa 5fach erhöhtes Risiko),
• verletzende Kanüle oder Nadel war zuvor in einer Vene oder Arterie plaziert (etwa 5fach erhöhtes Risiko),
• Indexperson hat hohe Viruslast, z.B. bei akuter HIV-Infektion, AIDS ohne antiretrovirale Therapie (etwa 6fach erhöhtes Risiko).
Um eine optimal wirksame medikamentöse Postexpositionsprophylaxe zu geben, sollte die HIV-exponierte Person möglichst mit Medikamenten behandelt werden, gegen die das Virus mit großer Wahrscheinlichkeit nicht resistent ist. In der Regel bedeutet dies, daß zur Postexpositionsprophylaxe andere Medikamente verwendet werden sollten als die aktuell zur Therapie der HIV-Infektion beim Indexpatienten eingesetzten. Bei Unsicherheit bezüglich der Medikamtenkombination sollte jede HIV-Postexpositionsprophylaxe zunächst mit einer Standard-Prophylaxe erfolgen.
Maßnahmen nach nichtberuflicher HIV-Exposition
Die HIV-Postexpositionsprophylaxe ist keine Alternative zum Gebrauch von Kondomen bzw. sterilen Einmalspritzen; die konsequente Verwendung von Kondomen bzw. sterilen Einmalspritzen bietet gegenüber jeder postexpositionellen medikamentösen Prophylaxe eine sehr viel höhere Sicherheit vor einer HIV-Infektion bei gleichzeitig fehlendem Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Vor allem die wiederholte Nachfrage nach einer Postexpositionsprophylaxe sollte Anlaß für weitere Gespräche und eine kompetente Beratung durch eine AIDS-Beratungsstelle sein.
Indiziert ist eine HIV-Postexpositionsprophylaxe bei nichtberuflicher Exposition nach:
• ungeschütztem vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr (z.B. infolge eines gerissenen Kondoms) mit einer HIV-infizierten Person,
• Gebrauch von HIV-kontaminiertem Injektionsbesteck durch mehrere Drogengebrauchende gemeinsam oder nacheinander.
Nach ungeschütztem oralen Geschlechtsverkehr mit Aufnahme von Sperma des HIV-infizierten Partners in den Mund kann eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe nach Aufklärung über die Höhe des Infektionsrisikos und die Risiken einer Prophylaxe auf ausdrücklichen Wunsch des Exponierten verschrieben werden.
Keine Indikation zu einer medikamentösen Postexpositionsprophylaxe stellen Küssen und andere Sexualpraktiken ohne Sperma-/Blut-Schleimhautkontakte sowie S/M-Praktiken ohne Blut-zu-Blut-Kontakte sowie Verletzungen an Spritzenbesteck dar, welches zur Injektion von Drogen, Medikamenten oder Insulin verwendet wurde.
Bei Kontakt mit altem, weggeworfenen Spritzenbesteck einschließlich einer Verletzung durch dieses - wie häufig bei spielenden Kindern - wird eine Postexpositionsprophylaxe ebenfalls nicht empfohlen. Kinder sollten jedoch in jedem Fall mit Impfunterlagen und dem Spritzenbesteck dem spezialisierten Arzt zur weiteren Untersuchung und Antikörperkontrolle vorgestellt werden.
Zeitlicher Rahmen und Standardprophylaxe Eine HIV-Postexpositionsprophylaxe ist vermutlich unwirksam und daher sinnlos, wenn sie später als 72 Stunden nach einer Schleimhautexposition begonnen wird. Nach perkutaner oder intravenöser Exposition dürfte eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe bereits sinnlos werden, wenn sie später als 24 Stunden nach Exposition begonnen wird. Ein maximaler Schutz wird wahrscheinlich nur dann erzielt, wenn noch innerhalb der ersten beiden Stunden mit der Prophylaxe begonnen wird. Normalerweise sollte eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe nach HIV-Exposition aus einer Kombination von drei Substanzen - zwei Nukleosidanaloga und einem Proteaseinhibitor - bestehen (siehe Tabelle). Es wird empfohlen, die Medikamente über einen Zeitraum von 4 Wochen einzunehmen. Bei Schwangeren sollte die HIV-Postexpositionsprophylaxe bis zum Vorliegen weiterer Erkenntnisse ohne Einschluß eines Proteaseinhibitors durchgeführt werden.
Nebenwirkungen und Kontrolluntersuchungen Wegen der Gefahr von Wechselwirkungen und Interaktionen mit einer Vielzahl anderer Medikamente ist bei der postexpositionellen Gabe eines Proteaseinhibitors oder eines nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmers auf eine möglichst vollständige Medikamentenanamnese (inklusive frei verkäuflicher und sog. "alternativer" Heilmittel sowie illegaler Drogen) zu achten, und der/die Betroffene ist darauf hinzuweisen, daß während der gesamten Dauer der Prophylaxe die Einnahme jedes zusätzlichen Medikaments zuvor mit dem die Prophylaxe überwachenden Arzt besprochen werden muß. Bei beruflich exponierten Personen sollten nach dem Unfallereignis, nach 6 Wochen sowie nach 3 und 6 Monaten HIV-Antikörper und Hepatitis-Serologie (HCV) kontrolliert werden. Die HCV- und HBV-Serologie ist zusätzlich nach 12 Monaten zu kontrollieren. Nach sexueller Exposition und bei Drogengebrauchenden empfiehlt sich ebenfalls neben dem HIV-Test eine Hepatitis-Serologie (HBV, HCV) sowie gegebenenfalls Untersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen (in erster Linie Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien). Bei negativer HBV-Serologie sollte eine Impfung empfohlen werden. Begleitend zur HIV-Postexpositionsprophylaxe sollten regelmäßige Kontrollen weiterer Laborwerte wie Blutbild, Transaminasen, g-GT, Kreatinin, Harnsäure und Blutzucker unmittelbar nach der Exposition und dann zweiwöchentlich bis zwei Wochen nach Ende der Therapie durchgeführt werden.
Quelle Robert Koch-Institut: Epidemiol. Bull. 21/98 vom 29. Mai 1998. Weitere Literaturhinweise Bundesamt für Gesundheit (BAG/Schweiz): Vorläufige Empfehlungen zur HIV-Postexpositionsprophylaxe außerhalb des Medizinalbereichs. Bulletin 50, 4-6 (1997). Centers for Disease Control and Prevention: Public Health Service Guidelines for the Management of Health-Care Worker Exposures to HIV and Recommendations for Postexposure Prophylaxis. MMWR 47 (No. RR-7), 1-34 (1998).
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