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Arzneimittel und Therapie
Medikamentöse Postexpositionsprophylaxe: Nichtberufliche HIV-Exposition
In Tiermodelluntersuchungen, deren Übertragbarkeit auf den Menschen allerdings in Frage gestellt werden kann, wurde mit verschiedenen Therapieschemata, bei denen praktisch ausschließlich Monoprophylaxen eingesetzt wurden, eine Infektion teilweise ganz verhindert, z.T. wurde das Ausmaß der initialen Virämie deutlich vermindert. Problematisch bei einer solchen postexpositionellen Prophylaxe können vor allem Fälle werden, in denen der Serostatus des Partners unbekannt ist. Das durchschnittliche Risiko einer Übertragung ist selbst bei gesicherter Exposition (das heißt z.B. ungeschütztem Verkehr mit einem infizierten Partner) relativ klein, so daß man zwischen 100 und 1000 Personen behandeln muß, um eine Infektion zu verhindern. Risikoabschätzungen pro Kontakt erlauben am ehesten Auswertungen von prospektiven Seroinzidenzstudien, die jedoch vor dem Hintergrund der jeweiligen epidemiologischen Situation zu interpretieren sind. In Deutschland gibt es solche Studien derzeit nicht. In den USA wurden entsprechende Untersuchungen in Vorbereitung auf mögliche Impfstoffstudien durchgeführt. Die aus der Tabelle ablesbaren Infektionsraten bei den angeführten Risikokontakten/-situationen dürfen allerdings nicht einfach auf die Situation in Deutschland übertragen werden. Die Seroinzidenzstudien wurden in US-amerikanischen Großstädten mit Teilnehmern aus Risikopopulationen (homosexuelle Männer, Sexualpartner von i.v. Drogengebrauchern) durchgeführt. Die Seroprävalenz, d.h. in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit, daß ein Partner mit unbekanntem Serostatus tatsächlich HIV-infiziert ist, dürfte in Deutschland nur etwa ein Zehntel so hoch sein wie in den USA. Das bedeutet, daß die meisten in der Tabelle angegebenen Infektionsraten - mit Ausnahme der bei ungeschütztem Verkehr mit einem bekannt positiven Partner - in Deutschland bis zu einer Größenordnung niedriger liegen werden. Selbst wenn man das Angebot einer medikamentösen Postexpositionsprophylaxe auf ungeschützte Kontakte mit Personen aus Gruppen mit erhöhtem HIV-Risiko beschränkt, gerät die Nutzen-Risiko-Kalkulation unter diesen Umständen in einen kritischen Bereich, wenn man unterschiedslos ungeschützte Kontakte mit allen Personen mit unbekanntem Serostatus als Indikation für eine Postexpositionsprophylaxe akzeptiert: Man müßte bis zu 4000 (ungeschützter Analverkehr) bzw. bis zu 30000 (rezeptiver Oralverkehr) Personen über jeweils bis zu 4 Wochen behandeln, um eine einzige Infektion zu verhindern. Bei einer Postexpositionsprophylaxe nach ungestütztem Kontakt mit einer Person ohne erkennbares HIV-Risiko wird die Nutzen-Risiko-Rechnung noch ungünstiger. Eine postexpositionelle medikamentöse Prophylaxe läßt sich unter diesen Voraussetzungen nur rechtfertigen, wenn sie möglichst zielgenau auf einen Personenkreis begrenzt wird, bei dem tatsächlich ein relevantes Infektionsrisiko vorliegt (Beispiel: gerissenes Kondom bei bekannt positivem Partner).
Zeitfenster für eine erfolgreiche postexpositionelle Prophylaxe Informationen zur Frage, innerhalb welcher Zeitspanne nach einer HIV-Exposition eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe noch mit Aussicht auf Erfolg begonnen werden kann, lassen sich bislang nur aus Tiermodelluntersuchungen gewinnen. Inwieweit solche Befunde direkt auf die Situation beim Menschen übertragbar sind, ist nicht bekannt. Die meisten entsprechenden Untersuchungen wurden im SIV/Affenmodell vorgenommen; in der Regel wird dabei die Wirksamkeit von postexpositionellen Monoprophylaxen geprüft.
Eine der wenigen Untersuchungen, die sich mit dem Zeitfenster und der erforderlichen Dauer der postexpositionellen Prophylaxe beschäftigen, ist eine Studie, in der PMPA, ein experimentelles Nukleotidanalogon, zur postexpositionellen Prophylaxe nach intravenöser Virusinokulation verwendet wurde. Die Prophylaxe wurde entweder 24, 48 oder 72 Stunden nach Virusinokulation begonnen und über einen Zeitraum von 3, 10 oder 28 Tagen durchgeführt. Ein vollständiger Schutz vor einer Infektion wurde nur durch einen Prophylaxebeginn spätestens nach 24 Stunden bei einer Prophylaxedauer von 28 Tagen erzielt. Bei allen anderen Prophylaxeschemata war die Infektion nur bei einem Teil der Versuchstiere zu verhindern. [4]
Bisherige Erfahrungen und praktische Probleme bei der Umsetzung Probleme in der praktischen Umsetzung eines Angebots der nichtberuflichen Postexpositionsprophylaxe beleuchten die Erfahrungen, die aus einem Pariser Hospital berichtet wurden. Dieses bietet seit Mitte 1997 eine Beratung mit der Möglichkeit einer Medikamentenverschreibung nach nichtberuflicher potentieller HIV-Exposition an. Dieses Angebot wurde vornehmlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt gemacht, nicht über Massenmedien. Die Zahl der Ratsuchenden betrug in der zweiten Jahreshälfte 1997 durchschnittlich 15 bis 20 pro Monat. 83% der berichteten Expositionsrisiken waren sexueller Natur, 17% bestanden aus perkutanen Verletzungen. Bei 62% (n=48) der sexuellen Risiken wurde eine medikamentöse Prophylaxe begonnen, in 19 der Fälle wurde angegeben, daß der Partner als HIV-positiv bekannt war. Die angegebenen Infektionsrisiken waren: 22◊rezeptiver Analverkehr 13◊rezeptiver Vaginalverkehr 18◊insertiver Vaginalverkehr 20◊insertiver Analverkehr 4◊Vergewaltigung 1◊rezeptiver Oralverkehr mit Ejakulation.
Eine Zweifachkombination erhielten 34 Personen, 14 eine Dreifachkombination. Die Therapiedauer betrug vier Wochen bei 21/34 resp. 10/34, drei Wochen bei 3/34 resp. 3/14 und zwei bzw. eine Woche bei den übrigen 11 Personen. 17% der medikamentös Behandelten und 58% derjenigen, die keine Medikamente erhalten hatten, kamen zu vereinbarten Kontrolluntersuchungen nicht wieder. Serokonversionen wurden bisher nicht beobachtet.
Bei der Mehrzahl der 17 perkutanen Expositionen handelte es sich um Verletzungen an gebrauchten Kanülen (n = 11) bzw. Nadeltausch (n = 4). In sechs Fällen lag eine Exposition gegenüber bekanntermaßen HIV-infiziertem Blut vor. In 12 Fällen wurden Medikamente verordnet, 9 ◊ eine Zweifach-, 3 ◊ eine Dreifachkombination. Die Behandlungsdauer betrug 6 ◊ vier Wochen, 2 ◊ drei, 2 ◊ zwei und 2 ◊ eine Woche. 30% der Behandelten kamen zu vereinbarten Kontrolluntersuchungen nicht wieder und keiner derjenigen, die keine Medikamente erhalten hatten. [5] Die angeführten Risikoabschätzungen und diese ersten praktischen Erfahrungen lassen erwarten, daß durch das Angebot einer medikamentösen Prophylaxe nach nichtberuflichen Expositionen die Gesamtzahl der HIV-Neuinfektionen vermutlich nur marginal beeinflußt werden kann, daß ein solches Angebote in bestimmten Einzelfällen aber durchaus eine sinnvolle Ergänzung der etablierten Präventionsstrategien darstellen könnte.
Quelle Robert-Koch-Institut: Epidemiol. Bull. 21/98 vom 29. Mai 1998. Literatur [1]Neumann A. U., R. Tubiana, V. Valvez, C. Robert, B. Autran, C. Katlama: Multi-phasic HIV decline following triple drug antiviral therapy is correlated with viral rebound dynamics during therapy interruption. 5th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Chicago 1998, Abstr. 517. [2]Little S., D. Havlir, D. Richman, C. Spina, A. McLean: Viral population dynamics during acute HIV infection. 5th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Chicago 1998, Abstr. 521. [3]Vittinghoff E., S. P. Buchbinder, F. Judson, J. Douglas, D. McKirnan, K. McQueen: Per-contact risk for transmission of HIV associated with four types of homosexual contact. 5th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Chicago 1998, Abstr. 140. [4]Tsai C.-C., P. Emau, K. E. Follis, T. W. Beck, R. E. Benveniste, N. Bischofberger, J. D. Lifson, W. R. Morton: Effectiveness of postinoculation (R)-9-(2-phoshonylmethoxypropyl) adenine treatment for prevention of persistent simian immunodeficieny virus SIVmne infection depends critically on timing of initiation and duration of treatment. J. Vir. 72, 4265-4273 (1998). [5]Bouvet E., M. H. Prevot, S. Matheron, A. Laporte: Postexposure antiretroviral treatment for non-occupational exposure to HIV at Bichat-Claude Bernard Hospital, in Paris. 5th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Chicago 1998, Abstr. 136.
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