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DAZ aktuell
Viagra nicht auf Kassenkosten
Der Vorsitzende des Bundesausschusses Karl Jung sprach von der "bedeutsamsten" Entscheidung des Gremiums. Bei Viagra, dessen europaweite Zulassung etwa Ende August zu erwarten sei, sei das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht handhabbar. Wegen des individuellen Sexualverhaltens und -empfindens existiere kein "sexuelles Verhaltensmodell", der Ausschuß sei daher nicht in der Lage, Vorgaben zum Beispiel zur Häufigkeit des Gebrauchs dieser Mittel zu formulieren. Der Nutzen von Arzneimittelanwendungen zur Erektionsverbesserung werde damit nicht generell abgelehnt, sondern lediglich die Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen. Auch der nicht auszuschließende Mißbrauch mit Viagra habe bei der Entscheidung eine Rolle gespielt.
Jung lehnte darüber hinaus einen Indikationenkatalog ab, der die Verordnung bei bestimmten Krankheiten auf Kassenkosten zum Beispiel für Querschnittsgelähmte erlaubt hätte. Neben eindeutigen Zuordnungen gebe es zuviele fragliche Grenzfälle, so daß eine solche Liste nicht machbar erscheine. Nach Auffassung des Bundesausschusses handele es sich bei der erektilen Dysfunktion um ein Symptom mit vielfältigen Ursachen im psychischen und organischen Bereich, das Folge einer Krankheit, einer Arzneimitteleinnahme, aber auch des Alterns sein könne.
Sollte der Bundesgesundheitsminister den Ausgrenzungsbeschluß des Bundesausschusses nicht innerhalb von zwei Monaten beanstanden, sei dieser nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger sofort wirksam, so Jung.
Da Horst Seehofer wegen der Milliardenkosten, wie mehrfach berichtet, für eine restriktive Handhabung mit Viagra plädiert hatte, wird der Beschluß wahrscheinlich nicht gestoppt.
Zweistellige Milliardenbeträge
Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen schätzte die Aufwendungen, wenn rund 7,5 Millionen Männer in Deutschland Viagra auf Kassenrezept erhielten, auf etwa zehn Milliarden Mark jährlich, die dann auf alle Kassenarten zukämen. Beitragssatzanhebungen um 0,4 Prozentpunkte wären dann die Folge, sagte Wolfgang Schmeinck, der auch Mitglied in dem Gremium ist, in Köln.
Weitere Änderungen
Wie der Ausschußvorsitzende Jung darüber hinaus mitteilte, standen weitere Änderungen der Arzneimittel-Richtlinien am 3. August nicht zur Diskussion. Noch bis zum 14. August könnten die Verbände Stellungnahmen zum vorliegenden umfassenden Änderungsentwurf abgeben, der für etliche Arzneimittelgruppen Verordnungseinschränkungen vorsieht (die DAZ berichtete). Einen Termin für den abschließenden Beschluß gebe es noch nicht. Der ehemalige Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums wies Berichte über drohende massive Verschreibungsausschlüsse als zum Teil falsch zurück. Richtig sei, daß das Wirtschaftlichkeitsgebot konkreter als bisher gefaßt werde und sich die Transparenz für die Beteiligten durch die geplante Listendarstellung erhöhe. Jung gab allerdings zu, daß es dadurch zu einigen neuen Ausschlüssen aus der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen komme. Er nannte beispielsweise die Antidementiva (Nootropika), bei denen wegen nicht voraussehbarer Wirksamkeit eine erfolgsdokumentierte, zwölfwöchige Therapie eine weitere Behandlung begründen müsse. Professor Wolfgang Brech, der Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Südwürttemberg sowie als Ärztevertreter Mitglied im Bundesausschuß ist, sagte, die Aufgabe des Gremiums zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots werde nun wörtlich genommen. Die Nootropika zum Beispiel seien problematischer als andere Medikamente, weil eine schlagartige, meßbare Wirkung etwa wie bei Antihypertensiva fehle. Noch nicht ausdiskutiert ist seinen Worten zufolge das Problem der Sondennahrung, die ausgeschlossen werden soll, bis auf die parenterale Ernährung, für die die Einzelbegründung Pflicht wird. In diesem Zusammenhang wies der Abteilungsleiter des BKK-Bundesverbands, Wolfgang Kaesbach, auf ein Urteil des Bundessozialgerichts zur abgelehnten Pflicht auf Kostenübernahme durch die Kassen hin, da es sich hierbei um Lebensmittel und nicht um Arzneimittel handele. Daher gehöre Sondennahrung auch nicht in den GKV-Leistungskatalog.
Völlig unberührt zeigte sich der Ausschußvorsitzende Jung von der deutlichen Kritik am Vorgehen des Gremiums. So hatte zum Beispiel der Jurist Professor Fritz Ossenbühl von der Universität Bonn auf die Verfassungswidrigkeit beim jetzigen Verfahren bei den Arzneimittel-Richtlinien hingewiesen. Nur der Gesetzgeber könne seinen Auftrag an den Ausschuß korrigieren, meinte dagegen der Staatssekretär a.D., so lange werde der Bundesausschuß weitermachen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die ähnliche Lage bei den Festbeträgen, bei denen das Verfahren zur Festsetzung beanstandet worden sei. Allerdings habe Minister Horst Seehofer die Erstattungshöchstgrenzen bisher nicht gestoppt, so daß die Arbeit auch hier fortgesetzt werde.
Der Bundesausschuß
Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen besteht aus 21 Mitgliedern, jeweils neun aus diesen beiden Kreisen, dazu drei Unparteiischen (siehe auch DAZ 1998, Nr. 28, S. 19). Vor allem mit dem zweiten GKV-Neuordnungsgesetz (2. NOG) Juli 1997 ist seine Machtbefugnis deutlich ausgeweitet worden. Seine Aufgabe ist es, Richtlinien zu einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung zu beschließen. Zuvor müssen die Beteiligten wie etwa Apotheker- und Pharmaverbände gehört werden. Das letzte Wort hat anschließend der Bundesgesundheitsminister. Beanstandet er die Vorlagen nicht, werden sie im Bundesanzeiger veröffentlicht und treten in Kraft. Wichtige Richtlinien sind zum Beispiel die zur Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung und häuslicher Krankenpflege oder zur Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien).
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