Die Seite 3


Gut gebrüllt, Löwe
Wahlkampf als Politikpause - Politik paradox. So kraß war es nie, sagt meine Erinnerung. Die wirklichen Kontroversen - auch die in der Gesundheitspolitik - verschwimmen hinter den Weichzeichnern der Wahlkampfmanager. Amerika läßt grüßen: Schöne Menschen, schöne Bilder - das macht Stimmung und bringt Stimmen. In der Sache aber bitte schön unverbindlich bleiben. Bis zum Wahltag jedenfalls.
Wolfgang Lohmann, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat sich, konträr zu dieser Logik, weit aus dem Fenster gehängt. Gut gebrüllt, Löwe. Man wird sehen, was es nützt. Lohmann hat den gesetzlichen Krankenkassen vorgeworfen, sie blockierten - in der Hoffnung auf neue Mehrheiten nach dem 27. September - die Umsetzung der Reformgesetze der amtierenden Koalition. So fehlten bisher die notwendigen Satzungsänderungen der Kassen, die den Versicherten, dem bescheidenen Willen der Regierungskoalition folgend, ein höheres Maß an Wahlmöglichkeiten bieten würden. Zum Beispiel die Möglichkeit, einen Teil der Beiträge rückerstattet zu bekommen, wenn man eine Zeitlang auf Kassenleistungen verzichtet hat bzw. anfallende Ausgaben selbst übernommen hat. Oder die Möglichkeit, z.B. bei der ärztlichen Behandlung zwischen Kostenerstattung und Sachleistung zu wählen. Da werde doch die gesetzliche Krankenversicherung durch Elemente infiziert, die bislang nur in der privaten Krankenversicherung zu Hause seien - so ist von der GKV zur Rechtfertigung der Blockadeversuche zu hören. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber wäre das so schlimm? Ich sehe viele gute Gründe, auch dem gesetzlich Versicherten mehr Freiheit, mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeit zuzugestehen - sogar mehr, als die Koalition sich bislang getraut hat.
Warum z.B. soll nicht auch ein gesetzlich Versicherter, jenseits einer Grundabsicherung für die großen Risiken, sich ein individuelles Versicherungspaket schnüren dürfen? Er könnte sich so auch die Bezahlung von Leistungen sichern, die nicht mehr die Gnade des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gefunden haben oder durch gesetzliche Einschnitte rationiert worden sind. Vielleicht legt er ja - horribile dictu - sogar besonderen Wert auf die eine oder andere Leistung, die (zu Recht oder zu Unrecht) als -umstritten gilt. Wenn er dafür durch einen Zusatztarif bezahlt, sollte er sich die Kostenübernahme (ganz oder teilweise) sichern können - auch gegen die Meinung einer Koalition von wohlmeinenden Oberlehrern aus Bundesausschuß und handverlesenen Fachleuten.
Allerdings muß man dann auch die Konsequenzen sehen. Ein breites Spektrum solcher Zusatztarife macht nur Sinn, wenn sie aus der paritätischen Beitragszahlung (Arbeitgeber und Versicherter zahlen je zur Hälfte) herausgenommen werden. Wäre es anders, so bekämen wir eine absurde Situation. Der Versicherte entschiede allein über Leistungen, die ihm zustehen. Er entschiede damit aber auch über Kosten, die der Arbeitgeber nolens volens zur Hälfte mit zu tragen hätte. Daß der Versicherte nach Einführung der Möglichkeit, seine Krankenkasse frei zu wählen, schon heute allein eine Entscheidung trifft, die den Arbeitgeber mehr oder weniger mitbelastet, ist kein Gegenargument. Es ist eher ein Argument dafür, den Arbeitgeberbeitrag baldmöglichst z.B. auf die Hälfte des Durchschnittsbeitrages für eine Grundversicherung der wesentlichen Risiken zu fixieren - und den Beitrag des Versicherten floaten zu lassen, abhängig vom Versicherungspaket, das er sich zusammengestellt hat.
Klaus G. Brauer

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