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Fachliteratur
Substitution unter neuer Rechtslage
Die erste Frage, die sich stellt, lautet natürlich: Warum ist ein Kommentar für substituierende Ärzte auch für den Apotheker interessant und lesenswert? Teilt man die Einschätzung des Autors, daß ein wesentlicher Vorteil der 10.BtMÄndV die Möglichkeit der Dezentralisierung der Vergabe der Substitutionsmittel ist und daß sich diese vor allem auf Apotheken verlagern wird, so sollte jede Apothekerin und jeder Apotheker, die sich diesem Problem stellen wollen, diesen Kommentar lesen.
Das bietet einmal die Möglichkeit, sich mit dem Verordnungstext umfassend vertraut zu machen. Zum anderen erhält man die Kommentierung aus Sicht eines substituierenden Arztes, der seine Ausführungen mit grundsätzlichen Überlegungen zur Behandlung Opiatabhängiger anreichert und jeden einzelnen Paragraphen mit den praxisrelevanten Auswirkungen für den Arzt versieht. Beim Lesen des Kommentars merkt man sofort, daß Albrecht Ulmer ein Verfechter der Dihydrocodein-Substitution ist und schon deswegen die 10.BtMÄndV sehr kritisch beurteilt. In vielen Punkten sieht Ulmer Klärungsbedarf oder hält bestimmte Regelungen sogar für juristisch anfechtbar. Der Rezensent kann sich dieser Einschätzung in vielen Fällen nicht anschließen. Dem Autor darf man aber zugute halten, daß er seiner eigenen kritischen Meinung immer auch eine andere Meinung (z.B. des Verordnungsgebers) gegenüberstellt, so daß sich der Leser selbst ein Urteil bilden kann.
Der Schwerpunkt des Kommen-
tars beschäftigt sich mit der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) und hier mit dem Paragraphen5: Verschreibung eines Substitutionsmittels. Dieser §5 dürfte auch auf die Apothekenpraxis die größte Auswirkung haben. Kritisch setzt sich der Autor hier mit dem -Ultima-Ratio-Prinzip des Betäubungsmittelgesetzes auseinander, das aus Sicht des Gesetzgebers einen unkontrollierten Opiatverbrauch verhindern soll, nach Meinung Ulmers jedoch den kontrollierten Opiatgebrauch von Drogenabhängigen zu stark einschränkt.
Der Autor formuliert aber auch einige, aus seiner Sicht positive Punkte:
1.Opiatabhängigkeit als Indikation zur Substitutionsbehandlung (§5 Abs.1).
2.Langfristige Perspektiven der Behandlung werden in der Begründung zu §5 Abs.1 anerkannt.
3.Möglichkeit der dezentralen Vergabe (§5 Abs.5).
4.Viele positive Aspekte der DHC-Substitution wurden durch die Verordnung beschnitten, umgekehrt wird ein Teil der Vorteile jetzt auch für Methadon-Patienten anwendbar (dezentrale Vergabe, Take-home-Regelung für sieben Tage).
Verständlicherweise richtet sich die Hauptkritik des Autors gegen die Einstufung von DHC als Substitutionsmittel der 2.Wahl (§5 Abs.3). Er registriert aber auch kritisch die Unterstellung von DHC unter die BtMVV als Folge der Tatsache, daß die Ärzte nicht in der Lage waren, die graue Substitution mit DHC eigenverantwortlich zu regeln. Nicht mehr folgen kann man dem Autor, wenn er durch eine -Zwischen-den-Zeilen-Interpretation des §5 Abs.3 (Auswahl des Substitutionsmittels) DHC wieder zu einem gleichrangigen Substitutionsmittel neben Methadon macht. Ebenso kritisch müssen Teile der Anmerkungen zu §5 Abs.7 gesehen werden. Daß eine Take-home-Regelung möglich ist, wenn dem Patienten sechs Monate ein Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen wurde oder wenn die Dosisfindung abgeschlossen ist, ist schwer nachvollziehbar. Noch problematischer werden die Empfehlungen, die zur Umgehung der zeitlichen Begrenzung der Take-home-Regelung auf sieben Tage gegeben werden, auch wenn oder gerade weil sich der Autor bewußt ist, daß hierbei ein strafrechtlich relevanter Verstoß begangen wird.
Besonders interessant für den Apotheker ist noch das Kapitel, das sich mit der Umstellung von einem Substitutionsmittel auf ein anderes befaßt. In dieser Richtung werden im Apothekenalltag immer wieder Fragen an uns gerichtet. Ebenfalls sei noch hingewiesen auf einen -Vorschlag für ein Hinweisblatt zur Einweisung externer Partner, die sich an der Ausgabe des Substitutionsmittels beteiligen. Damit könnte die Beziehung zwischen dem behandelnden Arzt und dem pharmazeutischen Personal, das sich an der Vergabe von Substitutionsmitteln beteiligt, auf eine tragfähige Grundlage gestellt werden.
Abschließend sei die Lektüre des Kommentars von Albrecht Ulmer zur 10.BtMÄndV nochmals ausdrücklich auch dem Apotheker empfohlen. Nicht weil der ein oder andere seine Urteile oder Vorurteile zu dieser Verordnung bestätigt findet, sondern weil das Buch zur kritischen Auseinandersetzung anregt.
Dr. Jens Schneider, Augsburg
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