Klinische Pharmazie

Ernährungstherapie

Eine adäquate Ernährung ist eine wichtige Voraussetzung für einen guten Gesundheitszustand. Ziel der klinischen Ernährung ist es, die optimale ernährungsmedizinische Versorgung des Patienten zu gewährleisten, d.h. einer bestehenden oder drohenden Mangel- oder Fehlernährung des Patienten durch aktive Intervention entgegenzuwirken. Verschiedene Methoden der Ernährung stehen zur Verfügung. Neben der Ernährung mit Normalkost kommt eine perorale Zusatz- oder Kompletternährung mit bilanzierten Diäten (Trinknahrung) oder eine vollständige klinische Ernährung in Betracht. Die klinische Ernährung kann enteral über Sonden oder parenteral durchgeführt werden. Auf diese Weise können Patienten heute - auch langfristig - mit allen essentiellen Nährsubstraten bedarfsdeckend versorgt werden. Die Ernährungsintervention als basistherapeutische Maßnahme trägt auch zur Verbesserung der subjektiven Lebensqualität des Patienten und zum Gesamttherapieerfolg bei.

Malnutrition und ihre Folgen

  • die Abnahme der Muskelmasse und Hypoproteinämie mit Ödembildungen
  • eine verzögerte Wundheilung
  • eine verschlechterte Immunabwehr und damit ein erhöhtes Infektrisiko


Eine Malnutrit ion erhöht also Morbidität und Mortalität und kann zu ei-
ner verlängerten Krankenhausverweildauer und Rekonvaleszenzzeit führen. Sie entwickelt sich aus einem Ungleichgewicht zwischen dem Bedarf des Körpers an Nährsubstraten und Energie und deren tatsächlicher Zufuhr.
Die häufigste Form der Mangelernährung bei hospitalisierten Patienten ist die Protein-Kalorien-Malnutrition, die Kombination aus der Malnutrition vom Kwashiorkortyp (Proteinmangel) und der Malnutrition vom Marasmustyp (Kalorienmangel). Sie kann infolge von akuten (z.B. Trauma, Operationen, Sepsis) und chronischen Erkrankungen (z.B. Tumorleiden) auftreten.
Bei einem Patienten besteht eine Mangelernährung oder das Risiko zu ihrer Entwicklung, wenn er unbeabsichtigt mehr als 10% seines Körpergewichtes in den letzten sechs Monaten verloren hat oder wenn eine adäquate Nahrungszufuhr für mehr als 7 Tage nicht gewährleistet ist.

Indikationen und Entscheidungsalgorithmus


Die enterale Ernährung mit Ernährungssonden bietet gegenüber der parenteralen klinischen Ernährung eine Reihe von Vorteilen. Wenn immer möglich, ist die enterale Ernährung als sicheres, physiologisches und ökonomisches Ernährungsverfahren vorzuziehen. Generell gilt jedoch, daß die enterale und die parenterale Ernährung keine konkurrierenden Arten der klinischen Ernährung sind, sondern sich ergänzen. Beide Verfahren sind mit Vor- und Nachteilen behaftet, für beide gibt es in der klinischen Routine primäre Einsatzgebiete. Nicht selten werden enterale und parenterale Ernährung überlappend oder sequentiell eingesetzt.
Welche Ernährungsart (partiell oder vollständig, enteral und/oder parenteral) und welche Nährsubtratlösung bzw. Zufuhrtechnik gewählt werden soll, hängt unter anderem vom Funktionszustand des Magen-Darm-Traktes, der Grunderkrankung und der angenommenen Dauer der notwendigen Ernährungstherapie ab.

Enterale Ernährung

  • Physiologische Nährstoffaufnahme über Dünndarm, Pfortader und Leber,
  • Direkte trophische Wirkung auf den Darm und die Darmflora
  • Geringere Rate schwerwiegender Komplikationen
  • Geringere Kosten
  • Evtl. Verhinderung der bakteriellen Translokation (bisher nur im Tierversuch nachgewiesen)


Im Gegensatz zu Magen und Dickdarm, in denen postoperativ eine Atonie von 2 bzw. 3 bis 5 Tagen auftritt, setzt die Peristaltik im Dünndarm auch nach abdominalchirurgischen Eingriffen schon nach einigen Stunden wieder ein. Wegen der oben genannten Vorteile ist es daher anzustreben, auch den chirurgischen Patienten, soweit keine Kontraindikationen bestehen, so bald wie möglich enteral (jejunal) zu ernähren.

Nährstoff-definierte Diäten


Daneben gibt es höherkalorische Nahrungen, die eine Nährstoffdichte bis 1,6 kcal/ml haben, aber oft keine normale Nährstoffrelation mehr aufweisen.

Chemisch definierte Diäten


Nur wenige Indikationen sind für den Einsatz niedermolekularer Diäten noch akzeptiert, z.B.:

  • Schwere Verdauungs- und Resorptionsstörungen (z.B. bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen)
  • Ernährungsaufbau nach langfristiger parenteraler Ernährung oder Hungern
  • Kurzdarmsyndrom
  • Intrajejunale Ernährung

Spezialdiäten

Applikationsformen


Die gastrale Lage ist zu bevorzugen, da dabei die Reservoirfunktion des Magens erhalten bleibt, die Nahrung als Bolus auch ohne Pumpe gegeben und jede Form der Sondenkost appliziert werden kann. Hauptnachteil einer gastralen Sonde ist die Gefahr der Aspiration der Nahrung und als Folge davon eine Aspirations-Pneumonie.
Über duodenale Sonden kann schon früh postoperativ ernährt werden, da, im Gegensatz zur mehrtägigen Erschlaffung des Magens und des Colons, die Peristaltik des Dünndarms innerhalb von Stunden wieder vorhanden ist. Darüber hinaus ist die Aspirationsgefahr reduziert. Besser als eine duodenale ist jedoch die jejunale Lage, da ein Zurückrutschen der Sonde in den Magen seltener vorkommt. Nachteil ist, daß man sowohl duodenal als auch jejunal mittels Pumpe ernähren muß und das physiologische Reservoir Magen nicht in Anspruch genommen wird.

Ernährungsaufbau


Bei jeder Unterbrechung der Nahrungszufuhr muß die Sonde gründlich mit frisch abgekochtem bzw. stillem Wasser gespült werden (mind. 40 ml), um ein Verstopfen zu vermeiden.

Komplikationen der enteralen Ernährungstherapie


Daneben kann es auch zu mechanischen Komplikationen durch die Sonde und metabolischen durch eine inadäquate Ernährungstherapie kommen.

Parenterale Ernährung


Voraussetzung für eine effiziente PE ist, daß die Substrate in adäquater galenischer Form verfügbar, applizierbar und metabolisierbar sind. Hochmolekulare Energieträger oder Proteine müssen, aufgespalten in ihre monomeren Formen (z.B. Glucose, Aminosäuren), in entsprechend hypertonen, sterilen und pyrogenfreien Infusionslösungen intravenös zugeführt werden. Ebenso müssen die Mineralstoffe, das Wasser, die Vitamine und Spurenelemente in den benötigten Mengen verabreicht werden.

Das All-in-one- (AIO-)System


AIO-Mischungen haben viele Vorteile gegenüber dem traditionellen Komponenten-Zufuhrsystem. Sie sind

  • klinisch effizient und sicher,
  • einfach handhabbar,
  • relativ arm an Komplikationen,
  • kostengünstig.

Risiken und Komplikationen

  • Mechanische Komplikationen durch den (zentralen) Katheter (Katheter-Insertion, -Okklusion durch instabile Mischungen oder Ausfällungen von Bestandteilen, Thrombosierung)
  • Metabolische Komplikationen infolge
  • Stoffwechselentgleisungen: Hyperalimentation (Glucose, Stickstoff, Elektrolyte [Phosphat!]);
  • Organfunktionsstörungen: Lunge, Leber, Niere etc. (Vitamin- und Spurenelementstatus beachten!)


JInfektiöse Komplikationen infolge mangelnder Asepsis bei Zufuhr oder PE-Zubereitung (Katheter- oder Portsystem-Infektion)
Dazu kommen ökonomische Aspekte infolge der hohen Kosten der PE gegenüber einer enteralen Ernährung mit bilanzierten Flüssignahrungen.
Durch die Einführung des AIO-Konzeptes wurden viele dieser Komplikationen reduziert. Die Einführung von interdisziplinären, den Pharmazeuten einschließenden Ernährungsteams, hat darüber hinaus wesentlich zur Senkung der Komplikationsrate in der parenteralen Ernährungstherapie beigetragen.

Das Ernährungsteam und


die Rolle des Apothekers
Die Art und Interventionsweise dieser Teams können verschieden ausgestaltet sein. Die ersten Daten aus den USA in den 70er und 80er Jahren zeigten ihre Effizienz insbesondere interventionell auf. Sie übernahmen sämtliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Ernährung dieser Patienten, d.h. von der Erfassung des Ernährungszustands bis zur Verordnung, Anwendung und Überwachung. Dies zu einem Zeitpunkt, in dem das allgemeine Wissensniveau zum Thema klinische Ernährung weitgehend fehlte. Neuere Daten, auch aus Europa, zeigen eine kaum größere Effizienz, unabhängig davon, ob das Team selbst interveniert oder ob es primär durch Setzen der Standards und das Erfassen der Ernährungsqualität aktiv ist und nur noch fallweise, vor allem bei Problemfällen, konsultativ beigezogen wird. Die Bedeutung des Ernährungsteams liegt somit insbesondere darin, Richtlinien zur klinischen Ernährung festzulegen, einzuführen, zu monitoren und zu aktualisieren.
Die Rolle des klinisch-pharmazeutisch tätigen Apothekers im Ernährungsteam ergibt sich aus seiner Funktion, seiner Ausbildung und seinem Spezialwissen. Normalerweise ist der Krankenhausapotheker in die Produkte-Evaluation und -Selektion involviert. Ebenso ist im parenteralen
Bereich das Compounding von AIO-Mischungen seine unbestrittene Domäne.
Mit einer vermehrt patientenorientierten Tätigkeit sind folgende pharmazeutischen Aktivitäten möglich oder gefragt:

  • Vorschläge zur Wahl spezifischer Ernährungsprodukte und Vermittlung entsprechender Information
  • Zeitgerechte Beschaffung durch Einkauf oder Herstellung
  • Abklärung physikochemischer Kompatibilitäten und Stabilitäten für mögliche Beimischungen, z.B. Arzneimittel
  • Hinweise und Richtlinien für den Umgang mit Ernährungsprodukten (Aufbewahrung, Zufuhr etc.)
  • Erhebung und Erfassung von Verbrauchszahlen
  • Mitarbeit in Studien und in der Evaluation der Präparate (Daten-Erfassung von der Ernährungsbeurteilung bis zu unerwünschten Wirkungen beim Patienten etc.)
  • Koordinierende Funktionen, insbesondere bei der Versorgung heimernährter Patienten (Vorschläge zur Zusammensetzung der klinischen Ernährung und deren Anpassung, Registerführung und Patientendokumentation)
  • Instruktion, Schulung der Mitarbeiter krankenhausintern (Richtlinien)
  • Tätigkeit im Gebiet angewandte Entwicklung und Validierung zum Thema klinische Ernährung (Qualitätszirkel, Produktesicherheit und -effizienz)
  • Evtl. Leitung des Ernährungsteams.


Für den Apotheker im Krankenhaus, aber auch in der Offizin, ist die klinische Ernährung eine spezielle berufliche Herausforderung, die ihm erlaubt, fachspezifisches pharmazeutisches Wissen interdisziplinär und zum Nutzen des Patienten einzusetzen.
Literatur bei den Verfassern. Anschrift der Verfasser: Dr. Frank Dörje Apotheke des Universitätsklinikums Ulm Staudingerstraße 5, 89081 Ulm Dr. Roland Radziwill Apotheke des Städtischen Klinikums Fulda Pacelliallee 4, 36043 Fulda Priv.-Doz. Dr. Stefan Mühlebach Apotheke des Kantonsspitals Aarau CH-5001 Aarau

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