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Arzneimittel und Therapie
Antiretrovirale Chemotherapie: HIV-Proteasehemmer
Die HIV-Protease schneidet Aminosäuresequenzen in Vorläuferproteinen des Gag- und Gag-Pol-Polypeptids, eine wichtige Voraussetzung dafür, daß infektionsfähige Viren heranreifen. HIV-Proteasehemmer verhindern in akut oder chronisch infizierten Zellen die Spaltung der Vorläuferproteine.
Vier Proteasehemmer sind auf dem Markt Vier HIV-Proteasehemmer sind bereits zugelassen: - Indinavir (Crixivan®), - Nelfinavir (Viracept®), - Ritonavir (Norvir®) und - Saquinavir (Invirase®). - Amprenavir wird noch in klinischen Studien geprüft. Die meisten enthalten ein synthetisches Analogon der Phenylalanin-Prolin-Sequenz an Position 167 und 168 des Gag-Pol-Polypeptids, das durch die HIV-Protease gespalten wird. Aufgrund der komplexen Struktur der HIV-Proteasehemmer ist ihre Synthese schwierig.
Problem Bioverfügbarkeit Die orale Bioverfügbarkeit reicht aufgrund von Unterschieden im First-pass-Lebermetabolismus von unter 4% (Saquinavir) bis über 78% (Nelfinavir). Nahrung beeinflußt die orale Bioverfügbarkeit: Eine fetthaltige Mahlzeit erhöht die Bioverfügbarkeit von Saquinavir und Nelfinavir, aber senkt die von Indinavir. Nelfinavir, Ritonavir und Saquinavir sollten mit den Mahlzeiten eingenommen werden, Indinavir nüchtern oder mit einer leichten, fettarmen Mahlzeit.
Unterschiedliche Pharmakokinetik Alle Proteasehemmer werden über Cytochrom-P450-Isoenzyme, vor allem die 3A4-Isoform, metabolisiert. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 1,8 (Indinavir) bis maximal 5 Stunden (Nelfinavir, Ritonavir). Die mittleren AUC-Werte variieren interindividuell sehr stark: um 30% oder mehr. Bis auf Indinavir sind alle Proteasehemmer im Plasma zu mindestens 98% proteingebunden. Das Verteilungsvolumen beträgt 0,4 (Ritonavir) bis 10,0 l/kg (Saquinavir). Das Verhältnis der Arzneistoffkonzentration im Liquor und im Plasma beträgt für Ritonavir und Saquinavir höchstens 1%, für Indinavir liegt es zwischen 2,2 und 76%.
Verschiedene Darreichungsformen Indinavir, Ritonavir und Saquinavir gibt es als Kapseln, Nelfinavir als Tabletten. Saquinavir wird in den USA neuerdings auch in Form von Weichgelatinekapseln angeboten (Fortovase®), mit einer dreifach höheren oralen Bioverfügbarkeit. Für Kinder gibt es Nelfinavir als Pulver und flüssiges Ritonavir. Indinavir muß in luftdichten Behältern mit Trockenmittel aufbewahrt werden, das hitzeempfindliche Ritonavir muß im Kühlschrank gelagert werden. Das Ritonavir-Präparat enthält Alkohol.
Zahlreiche Wechselwirkungen Proteasehemmer gehen zahlreiche Wechselwirkungen mit Inhibitoren und Induktoren von Cytochrom-P450-Isoenzymen ein. Viele Cytochrom-P450-Inhibitoren erhöhen die Plasmakonzentration der Proteasehemmer. Beispielsweise steigert die gleichzeitige Gabe von Ketoconazol den AUC-Wert von Indinavir um 62%, den von Nelfinavir um 35% und den von Saquinavir um 300%. Dies kann im Fall von Saquinavir, das normalerweise eine schlechte Bioverfügbarkeit hat, ausgenutzt werden. Andererseits beschleunigen Cytochrom-P450-Induktoren, wie Rifampicin und Rifabutin, die Clearance der Proteasehemmer und verringern so ihre Plasmakonzentration. Die Wirksamkeit wird herabgesetzt, und Resistenzen drohen. Rifampicin sollte daher nicht zusammen mit Proteasehemmern angewendet werden. Auch die Proteasehemmer selbst können die Pharmakokinetik anderer Arzneistoffe verändern, indem sie als Cytochrom-P450-Inhibitoren wirken. Ritonavir ist von den Proteasehem- mern der stärkste und Saquinavir der schwächste Cytochrom-P450-Inhibitor. Zusammen mit Proteasehemmern sollten möglichst nicht eingesetzt werden: Terfenadin, Astemizol, Cisaprid, Ergotamine und Benzodiazepine, wie Midazolam oder Triazolam. Rifabutin sollte nicht zusammen mit Ritonavir oder Saquinavir verordnet werden. Wird es gleichzeitig mit Indinavir oder Nelfinavir angewendet, sollte die Rifabutin-Tagesdosis auf 150 mg herabgesetzt sein. Eine nützliche pharmakokinetische Interaktion ist die erhöhte Plasmakonzentration bei gleichzeitiger Gabe zweier Proteasehemmer. Nelfinavir und Ritonavir wirken auch als Induktoren an Leberenzymen. Dadurch senken sie beispielsweise die Ethinylestradiol-Plasmakonzentration und sollten daher nicht zusammen mit kombinierten oralen Kontrazeptiva gegeben werden. Ritonavir kann seine eigene Verstoffwechselung induzieren (Autoinduktion). Daher sollten in den ersten zwei Wochen steigende Dosen verabreicht werden: drei Tage lang alle zwölf Stunden jeweils 300, 400, 500 und schließlich 600 mg Ritonavir.
Substanzspezifische Nebenwirkungen Alle Proteasehemmer sind mit erheblichen Nebenwirkungen belastet. Alle zugelassenen Substanzen können zu Magen-Darm-Unverträglichkeiten führen. Hohe Transaminase-Konzentrationen traten auf, aber eine Hepatitis ist selten. Außerdem können eine Hyperlipidämie, Glucoseintoleranz und abnorme Fettverteilung vorkommen. Bei Hämophilen kam es zu Blutungen, wobei die Rolle der Proteasehemmer jedoch unklar blieb. Jeder einzelne Proteasehemmer hat substanzspezifische dosislimitierende Nebenwirkungen: - Indinavir kann insbesondere in den ersten Behandlungstagen zu Nierensteinen führen, vermutlich weil es schlecht wasserlöslich ist. Patienten, die Indinavir einnehmen, müssen täglich mindestens 1,4 l Flüssigkeit zusätzlich trinken. - Nelfinavir löst häufig Durchfälle aus. - Ritonavir führt vor allem in den ersten Wochen oft zu Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Bis zu 25% der Patienten leiden an Parästhesien (anomalen Körperempfindungen) um den Mund herum, einige an Parästhesien an Armen und Beinen. Bis zu 5% der Behandelten bekommen eine Hypertriglyzeridämie. - Saquinavir führt in seiner ursprünglichen Galenik (Invirase®) nur gelegentlich zu Durchfällen oder anderen systemischen Nebenwirkungen. Mit der neuen Formulierung (Fortovase®), die eine höhere Bioverfügbarkeit aufweist, dürften Nebenwirkungen, wie Übelkeit und Durchfälle, häufiger auftreten.
Gefahr von Resistenzen Proteasehemmer senken bei HIV-Infizierten rasch und deutlich die Viruslast, erkennbar an der Abnahme der HIV-RNA-Plasmakonzentration in den ersten Behandlungstagen. Allerdings wird eine Monotherapie heute nicht mehr empfohlen, weil die Wirkung nur kurz anhält und die Gefahr der Resistenzentwicklung besteht. Welche Faktoren fördern das Auftreten resistenter Viren? Dies sind neben der Monotherapie vor allem zu niedrige Arzneistoffkonzentrationen im Plasma und Mängel in der Patientencompliance. Zwischen den Proteasehemmern scheint Kreuzresistenz zu bestehen: Nach einer langfristigen Behandlung mit einem Proteasehemmer können Viren auftauchen, die nicht nur gegen die eingesetzte Substanz, sondern auch gegen andere Proteasehemmer resistent sind. Daher sollte ein Wechsel von einem auf einen anderen Proteasehemmer schon stattfinden, bevor sich eine hochgradige Resistenz entwickelt hat. Patienten, die auf eine Erstbehandlung nicht ansprechen, sollten bereits bei frühen Zeichen des Therapieversagens (z.B. anhaltender Anstieg der Plasmaviruslast um mindestens eine Log-Stufe) auf eine Therapie umgesetzt werden, die zwei oder drei Stoffe enthält, welche die Patienten noch nicht bekommen haben.
Kombinationstherapie erfordert hohe Compliance Die Gefahr der Resistenzentwicklung ist verringert, wenn Proteasehemmer mit nukleosidischen oder nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern kombiniert werden. Allerdings erfordern diese Kombinationen ein hohes Maß an Mitarbeit des Patienten. In großen klinischen Phase-III-Studien wurde ein Proteasehemmer mit einem oder zwei Nukleosidanaloga (z.B. Zidovudin und Lamivudin) kombiniert. Diese Kombinationen senkten die Viruslast im Plasma und erhöhten die CD4-Zellzahl über viele Monate. Sie verlangsamten das Fortschreiten der Erkrankung und verlängerten die Überlebenszeit der HIV-Infizierten. Einige Kombinationen senkten die Viruslast über lange Zeit unter die Nachweisgrenze. Gute Erfolge wurden in ersten Studien auch mit der Kombination eines Proteasehemmers mit einem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer (z.B. Nevirapin) erzielt. Zumindest bei nicht mit Proteasehemmern vorbehandelten Patienten zeigte die Kombination aus zwei Proteasehemmern (Ritonavir und Saquinavir) gute Wirkung.
Eine Heilung ist bisher nicht bekannt Auch wenn mittlerweile bei einer Fülle von HIV-Infizierten die HIV-Virämie bereits über längere Zeit unterdrückt werden kann, hat es bislang keine Heilung gegeben. Ob die Eradikation des HI-Virus mit den gängigen Therapieschemata überhaupt möglich ist, ist unklar. Die meisten oder gar alle HIV-Infizierten haben eine kleine Virusmenge in langlebigen Zellreservoiren. Daher dürfte es mindestens drei bis fünf Jahre dauern, um zumindest bei einem kleinen Teil der Patienten die Viren vollständig zu eliminieren.
Ungeklärte Fragen Folgende Fragen im Zusammenhang mit der antiretroviralen Therapie bleiben noch zu klären: - Welche Schemata eignen sich für Kleinkinder, Kinder und Schwangere? - Lassen sich gängige Therapieschemata ohne Wirksamkeitsverlust vereinfachen, um die Compliance zu verbessern? - Sind zwei Proteasehemmer zusammen genauso wirksam wie die Kombination aus einem Proteasehemmer und Reverse-Transkriptase-Inhibitoren? - Welche Rolle werden nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren in der Behandlung spielen? Wenn irgend möglich, sollten in der Behandlung HIV-Infizierter erfahrene Ärzte an den Therapieentscheidungen beteiligt sein.
Literatur Wood, A. J. J.: HIV-protease inhibitors. N. Engl. J. Med. 338, 1281-1292 (1998). Susanne Wasielewski, Münster
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