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- DAZ 39/1998
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Die Seite 3
Nein, so schlimm ist es noch nicht, daß Sie demnächst Stellenanzeigen in den Zeitungen lesen müssen, in denen die Arals, Shells, BPs und DEAs für ihre Filialen Apotheker und PTAs suchen. Nach wie vor stellen unsere Mineralölgesellschaften in ihren Tankstellen und Tankshops richtige Tankwarts - ohne Pharmaziestudium - ein, die allerdings demnächst eine größere Chance zur Anstellung haben, wenn sie den Sachkundenachweis für den Verkauf von freiverkäuflichen Arzneimitteln besitzen. Die BP-Tankstellen machen den Anfang: Ab Oktober führen einige Filialen ein Sortiment mit freiverkäuflichen Arzneimitteln. Nach dem Zapfen von Benzin und Diesel kann sich der Kunde womöglich mit Knofelpillen (ganz aktuell), Hustenpastillen und Erkältungsmitteln eindecken. Zu Risiken und Nebenwirkungen muß der Spritkäufer dann auf den sachkundigen Rat des in Arzneimittelfragen kompetenten Tankstellenpächters oder dessen Kassiererinnen bauen. Schöne neue Tankshop-Welt.
Ja, nach Aldi, Schlecker und Co. kämpfen also bald auch die Tankstellen um den Markt der Freiverkäuflichen. Es scheint sich zu lohnen, jedenfalls versprechen sich die Marketingexperten dieser Unternehmen - seien es nun Drogeriemärkte oder Tankstellen - eine Umsatz- und Gewinnverbesserung. Laßt sie drum kämpfen und sich bekriegen, das Sortiment der freiverkäuflichen Arzneimittel in der Apotheke und der damit erzielte Umsatz ist eh nicht berauschend. Diesen Standpunkt allerdings halte ich für gefährlich. Denn es geht hier für die Apotheken zunächst weniger um das kleine Marktsegment dieser Arzneimittel, es geht vielmehr darum, daß mit dem Abwandern der Freiverkäuflichen in alle möglichen Absatzstätten die Ware Arzneimittel in der Bevölkerung verharmlosend dargestellt wird, wie ein Mitnahmeartikel, der keiner fachmännischen Beratung und gewissenhaften Anwendung bedarf: Arzneimittel als Konsumgüter, die man bedenkenlos kaufen und "einwerfen" kann. Schöne neue Tankshop-Welt.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang den Abgang von Kwai in die Freiverkäuflichkeit und die Gefahr, daß andere Hersteller glauben, ihre "Arzneien" ebenfalls aus der Apothekenpflicht nehmen und im "massmarket" an den Mann und die Frau bringen zu müssen, dann sieht darüber hinaus die langfristige Entwicklung auch für den Apothekenumsatz und das Image nicht gut aus: sichere und leichte Arzneien gibt es in der Tankstelle und bei Aldi, die gefährlichen und "harten Hämmer" in der Apotheke. Das bedeutet einen Rückgang für die Selbstmedikation in der Apotheke, eine Entwicklung, die eine moderne Apotheke auf dem Weg zum Gesundheitszentrum nicht gutheißen kann.
Eine Crux liegt im deutschen Arzneimittelwesen darin, daß unser Arzneimittelgesetz überhaupt den Begriff der freiverkäuflichen Arzneimittel kennt. Gäbe es nur die Einteilung in verschreibungspflichtige und apothekenpflichtige Arzneimittel, gäbe es das Problem der Tankstellen-Pharmazie nicht. Leider hat der Gesetzgeber die Forderung der Apotheker, "alle Arzneimittel in die Apotheke" nicht umgesetzt. Wir werden damit leben müssen.
Peter Ditzel
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