Arzneimittel und Therapie

Intensive Pharmakotherapie lohnt auch bei Typ-II-Diabetes

Die umfangreichste und längste prospektive Interventionsstudie zur Therapie des Typ-II-Diabetes ist endlich fertiggestellt. Sie brachte gute und schlechte Nachrichten. Die gute Nachricht: Jede HbA1c-Reduktion beeinflußte den klinischen Verlauf günstig. Verringerung von Blutzucker bzw. HbA1c stellt also keinesfalls einen "kosmetischen" Effekt dar, sondern sie vermindert diabetesbedingte Komplikationen und Sterblichkeit signifikant.


Die schlechte Nachricht: Die klinische Wirkung der intensiven Pharmakotherapie mit Sulfonylharnstoffen, Metformin und Insulin war letztlich nicht befriedigend. Die praktischen Konsequenzen aus der UKPDS-Studie: Der HbA1c-Wert sollte unter Ausnutzung aller medikamentösen Möglichkeiten gesenkt und möglichst normnah eingestellt werden. Die Behandlung sollte früher einsetzen als bisher, gegebenenfalls muß auch früher kombiniert werden.
Der Diabetes mellitus ist einer der großen Killer unserer Zeit: Er reduziert die weitere Lebenserwartung der Betroffenen um 30%, erhöht das Risiko des kardiogenen Todes um das Zwei- bis Fünffache und verdoppelt die Schlaganfallhäufigkeit. 40% aller Dialysepatienten haben eine diabetische Nephropathie, 30% aller neuen Erblindungen sind diabetisch bedingt, und zwei Drittel aller Amputationen gehen auf Diabetes zurück. Die durch Diabetes mellitus verursachten jährlichen Kosten belaufen sich auf ca. 25Milliarden DM.

Intensive Behandlung ist notwendig


Die Patienten müssen intensiver als bisher behandelt werden. Daß intensive, konsequente Glucosestoffwechselkontrolle auch bei Typ-II-Diabetes den klinischen Verlauf günstig beeinflußt, hat die UKPDS-Studie (United Kingdom Prospective Diabetes Study) bewiesen, deren Ergebnisse jetzt bekanntgegeben wurden. Dies ist die bisher umfangreichste und mit bis zu 20Jahren Beobachtungsdauer längste prospektive, randomisierte Interventionsstudie bei Patienten mit Typ-II-Diabetes. Sie umfaßt 4209 neu diagnostizierte, asymptomatische Diabetiker im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, deren Nüchtern-Blutzuckerspiegel nach dreimonatiger initialer diätetischer Therapie noch 6 bis 5mmol/l (109 bis 273mg/dl) betrug. Die Patienten wurden randomisiert entweder allein mit Diät weiterbehandelt (= "konventionelle Therapie"), oder sie erhielten zusätzlich Sulfonylharnstoffe bzw. Insulin ("intensive Therapie"). Wenn der Nüchternblutzuckerspiegel auf Werte über 15mmol/l entgleiste, wurde kombiniert. Eine Gruppe übergewichtiger Diabetiker erhielt von vornherein Metformin. Die Behandlungsdauer betrug sechs bis 20, im Mittel zehn Jahre.

Ergebnisse

  • {te}Eine intensive medikamentöse Therapie reduzierte den HbA1c-Wert gegenüber der alleinigen Diättherapie im Mittel um 0,9 Prozentpunkte.
  • Diabetesbedingte klinische Komplikationen wurden signifikant vermindert. Am stärksten war der Effekt auf die mikrovaskulären Erkrankungen, die in der intensiv behandelten Gruppe um 25% geringer waren als in der Diätgruppe.
  • Unabhängig von der Art der Behandlung korrelierten die klinischen Effekte mit der Stärke der HbA1c-Reduktion: HbA1c-Abfall um 1% verringerte die Diabetes-Gesamtkomplikationsrate um 21% und die diabetesbedingte Sterblichkeit um 25%. Bei HbA1c-Werten unter 7% war das Risiko nicht wesentlich erhöht.
  • Sulfonylharnstoffe und Insulin hoben das Hypoglykämierisiko deutlich an, und sie führten zu einem signifikanten Anstieg des Körpergewichts.
  • Zwischen Sulfonylharnstoffen und Insulin ergaben sich keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede. Metformin war bei übergewichtigen Diabetikern wirksamer als eine Sulfonylharnstoff/Insulintherapie. Die Kombination von Sulfonylharnstoffen mit Metformin ging mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.

Acarbose senkt HbA1c


Im Rahmen der UKPDS-Studie wurde auch die bislang größte und längste prospektive, plazebokontrollierte, doppelblinde Langzeitstudie mit Acarbose durchgeführt. Nach durchschnittlich siebenjähriger Behandlung in der UKPDS-Hauptstudie nahmen knapp 2000 Patienten drei Jahre lang zusätzlich entweder Acarbose (auf dreimal 100mg/Tag titriert) oder ein Plazebo ein.
Acarbose senkte den HbA1c-Wert gegenüber Plazebo statistisch hochsignifikant um 0,5 Prozentpunkte. Die HbA1c-Reduktion wurde bereits im ersten Jahr erreicht und blieb dann konstant erhalten. Die Erniedrigung des HbA1c-Werts durch Acarbose war unabhängig davon, ob die Patienten primär nur diätetisch, mit Sulfonylharnstoff, Metformin oder Insulin behandelt wurden.
Acarbose induziert keine Zunahme des Körpergewichts, und sie provoziert keine Hypoglykämien. Die UKPDS-Studie hat ferner gezeigt, daß sich der Effekt der Acarbose zur Wirkung der anderen Antidiabetika - gleich welcher Klasse - addiert.

Früh und intensiv behandeln und früh kombinieren


Nach den Ergebnissen der Studie ist eine intensive Kontrolle des Glucosestoffwechsels auch bei Typ-II-Diabetes unverzichtbar. Jegliche Reduktion des HbA1c-Werts ist klinisch vorteilhaft. Das Ziel muß darin bestehen, den HbA1c-Wert unter 7% abzusenken.
Allerdings war die Wirkung der intensiven Therapie mit den zu Studienbeginn verfügbaren Antidiabetika in der UKPDS-Studie letztlich noch nicht befriedigend. Um die Ergebnisse zu verbessern, sollte der Typ-II-Diabetes früher erkannt werden und die Behandlung früher als bisher beginnen. Gegebenenfalls müssen auch frühzeitig Kombinationen eingesetzt werden. Zum Zeitpunkt der Diagnose wiesen 50% der UKPDS-Patienten, deren Diabetes frisch diagnostiziert wurde, bereits chronische Veränderungen auf.
Eine postprandiale Hyperglykämie ist die erste erkennbare Anomalie des Glucosestoffwechsels - man sollte danach fahnden und in diesem Stadium bereits mit der Behandlung beginnen. Möglicherweise läßt sich dadurch der Ausbruch eines manifesten Diabetes mellitus verhindern. Dieser Aspekt ist insofern besonders bedeutsam, als die UKPDS-Studie gezeigt hat, daß der intensive Einsatz von Sulfonylharnstoffen, Insulin und Metformin die Progression des Grundleidens nicht stoppen kann. Quelle
Prof. Dr.Eberhard Standl, München, Prof. Dr.R. Holman, Oxford, Prof. Dr.Harold Lebovitz, New York; Pressemitteilung der Firma Bayer von einer Pressekonferenz auf dem 34.Annual Meeting der European Association for the Study of Diabetes (EASD), Barcelona, 11.September 1998.

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