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Arzneimittel und Therapie
Abacavir erweitert das Spektrum der Kombinationstherapien
Die antivirale Therapie der HIV-Infektion hat derzeit in erster Linie mit zwei fundamentalen Problemen zu kämpfen:
- Mit den modernen Therapieschemata läßt sich bei vielen Patienten die Viruslast unter die Nachweisgrenze reduzieren. Doch verbleibt die genetische Information des Virus stets in den Wirtszellen, so daß sich nach Ausbildung von Resistenzen die Viren erneut vermehren können. Eine vollständige Eradikation des Virus ist bisher nicht gelungen.
- Die eingesetzten Therapieschemata sind für viele Patienten kaum praktikabel. Insbesondere wegen der Wechselwirkungen unter den eingesetzten Arzneimitteln und der Anzahl der täglichen Dosen treten früher oder später Fehler bei der Anwendung auf, die die Bildung von Resistenzen fördern. Damit können sich die Viren wieder vermehren, und die Therapie verliert ihre Wirkung.
Die Viruslast muß reduziert werden
Solange die vollständige Eradikation von HIV nicht gelingt, muß daher eine gleichermaßen wirksame und praktikable Medikation gefunden werden, die die Viruslast möglichst gut reduziert. Je einfacher das Therapieschema ist, um so größer ist die Chance auf eine lange Wirksamkeit ohne Ausbildung von Resistenzen, möglicherweise sogar auf ein Andauern der Wirkung bis zum natürlichen Tod der infizierten Wirtszellen.
Einfache Einnahmemodalitäten
Chancen auf eine Vereinfachung der Therapie verspricht der neue Reverse-Transkriptase-Inhibitor Abacavir (vorgesehener Handelsname Ziagen(r)), für den im Juni 1998 die Zulassung bei der europäischen und der US-amerikanischen Zulassungsbehörde beantragt wurde. Abacavir hat eine Bioverfügbarkeit von 76 bis 100% und erfordert nur eine zweimal tägliche Einnahme, wobei keine Abstände zur Nahrungsaufnahme erforderlich sind. Abacavir wird zumeist in Einzeldosen von 300 mg eingesetzt.
Die Substanz ist ZNS-gängig und verspricht damit auch gute antiretrovirale Wirksamkeit im Gehirn, insbesondere gegen die gefürchtete HIV-Demenz. Bisher sind keine Interaktionen mit den bereits eingeführten HIV-Therapeutika bekannt, was die Einbindung in Kombinationstherapien erleichtern wird.
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen keine Anhaltspunkte für eine Langzeittoxizität. Mögliche unspezifische Nebenwirkungen sind Übelkeit, Unwohlsein und Kopfschmerzen. Doch kam es bei etwa 3% der bisher rund 8000 mit Abacavir behandelten Patienten zu einer Allergie mit atypischen Symptomen. Das Leitsymptom dieser allergischen Reaktion ist Fieber, daneben kann Hautausschlag auftreten. Im Falle einer Allergie ist Abacavir sofort abzusetzen und darf auch später nicht wieder verwendet werden, da dies schwerste Reaktionen auslösen könnte.
Neue Option für Kombinationstherapien
In Drei- und Vierfachkombinationen mit weiteren Reverse-Transkriptase-Inhibitoren und mit Proteaseinhibitoren hat Abacavir in Studien über bis zu 72 Wochen eine gute Wirksamkeit gezeigt, so daß es eine Alternative zu etablierten Reverse-Transkriptase-Inhibitoren bietet. Auch Zweifachkombinationen von Abacavir mit einem Proteaseinhibitor senken die Viruslast deutlich. Nach bisherigen Erkenntnissen kann eine einfache Mutation des HIV die Wirksamkeit von Abacavir nicht entscheidend beeinflussen. Erst eine Kombination von zwei oder drei Mutationen kann zu Resistenzen führen, was einen Vorteil gegenüber einigen anderen Vertretern der Substanzklasse darstellt. Somit vergrößert Abacavir das Spektrum der Auswahlmöglichkeiten unter den Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, wobei es nach bisherigen Erkenntnissen alle Optionen für spätere Folgetherapien offenläßt.
Bemerkenswerter erscheinen jedoch die Ergebnisse von Studien, in denen Abacavir in Kombination mit den verwandten Reverse-Transkriptase-Inhibitoren ohne Proteaseinhibitoren getestet wurde. Nach einem Beobachtungszeitraum von 16 Wochen wurde die Viruslast durch eine Dreifachkombination von Abacavir mit Zidovudin und Lamivudin vergleichbar oft unter die Nachweisgrenze gesenkt wie durch eine Kombination eines Proteaseinhibitors mit Zidovudin und Lamivudin.
Demnächst sollen die Ergebnisse einer längeren Untersuchung präsentiert werden. Sollten die Therapieregime langfristig gleichwertige Erfolge zeigen, würde die Dreifachkombination der Reverse-Transkriptase-Inhibitoren eine intensive First-Line-Therapie bei vergleichsweise einfachen Einnahmemodalitäten ermöglichen. Dies würde die Gefahr von Einnahmefehlern reduzieren. Zudem bestünde die Chance, die hochwirksamen Proteaseinhibitoren für den Einsatz bei späteren Resistenzen aufzusparen, ohne den anerkannten Therapiegrundsatz "hit hard and early" zu verletzen. Die Proteaseinhibitoren blieben dann mit ihrem anderen Wirkungsansatz als weitere Therapieoption nach dem Auftritt von Resistenzen erhalten, so daß insgesamt für eine längere Therapiedauer wirksame Arzneimittel zur Verfügung stünden.
Quelle
Dr. Olaf Degen, Hamburg, Vortrag im Rahmen der Pressekonferenz "HIV, Hepatitis, Influenza - Neue Virostatika von Glaxo Wellcome", Eisenach, 15. September 1998, veranstaltet von Glaxo Wellcome, Hamburg.
Thomas Müller-Bohn, Süsel
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