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Arzneimittel und Therapie
Johanniskraut und Ginkgo biloba in der Geriatrie
Therapie im Team
Bei der Behandlung älterer Menschen sind einige Regeln zu beachten. Es ist erstens wichtiger, geriatrische Syndrome wie zum Beispiel Schwindel, Schlafstörungen oder Immobilisation abzuklären als einzelne Symptome "auszudiagnostizieren". Zweitens erfordert die erfolgreiche Therapie älterer Menschen ein geriatrisches Team, das frühzeitig mobilisiert werden soll. Diesem Team gehören im Idealfall nicht nur Ärzte an, sondern auch
das Pflegepersonal, Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger und nicht zuletzt auch die pflegenden Angehörigen.
Pflanzliche Präparate sollten drittens nicht willkürlich, sondern nur bei strenger Indikation verordnet werden. Auch in der Phytotherapie muß viertens die Dosis individuell angepaßt werden, denn im Alter verändern sich die Resorption, die Verteilung, der Metabolismus und die Ausscheidung auch von pflanzlichen Präparaten. Phytopharmaka eignen sich fünftens als Mittel der ersten Wahl, als Bestandteil einer ganzheitlichen Therapie oder als Adjuvans. Bei lebensbedrohlichen Zuständen hingegen sind sie immer fehl am Platz.
Beschwerliche Demenzen
Demenzerscheinungen äußern sich in Gedächtnisstörungen sowie in Störungen beim Lernen, Sprechen, Urteilen und in der Orientierung. Von einer Demenz im medizinischen Sinne spricht man aber erst dann, wenn diese Störungen länger als ein halbes Jahr andauern und die Betroffenen in ihren Alltagsaktivitäten deutlich eingeschränkt oder behindert sind. Die Pharmakotherapie hat einen großen Stellenwert in der Behandlung von Demenzen. Sie umfaßt eine nootrope antidementive sowie eine an den Begleitstörungen orientierte psychopharmakologische Therapie.
Gefährliche Sauerstoffradikale
50 bis 60 Prozent der Demenzfälle gehören dem Alzheimer-Typ an. Zu ihrer Behandlung setzt man in der Phytotherapie - ebenso wie gegen vaskuläre oder gemischte Demenzen - Extrakte von Ginkgo biloba ein. Diese Extrakte besitzen neuroprotektive Eigenschaften und verbessern die Fließeigenschaften des Blutes. Wirksam sind sie bei Demenzen aber vor allem wegen ihrer Fähigkeit, freie Sauerstoffradikale einzufangen, die im Gehirn dementer Menschen die Lipidmembranen und damit letztendlich die Nervenzellen zerstören. Freie Sauerstoffradikale sind das Endprodukt einer Kaskade von Reaktionen, die ihren Ausgangspunkt möglicherweise in einer Glucoseverwertungsstörung der Zelle haben, wodurch zelleigene Strukturen unter Bildung freier Sauerstoffradikale abgebaut werden.
Klinische Prüfung positiv
Die antidementiven Eigenschaften von Ginkgo-biloba-Extrakt konnten in einer doppelblinden, randomisierten und plazebokontrollierten Studie mit allerdings nur 20 Patienten statistisch signifikant gezeigt werden. Die Patienten erhielten über einen Zeitraum von zwölf Wochen Ginkgo-biloba-Extrakt (dreimal täglich 80 mg) oder Plazebo. Danach wurden die kognitive Leistungsfähigkeit der Studienteilnehmer getestet und ihr "klinischer Eindruck" von einem Arzt beurteilt. Während sich in der Plazebogruppe die Gedächtnisleistungen verschlechterten, ergab sich in der Ginkgo-Gruppe eine klinisch relevante Verbesserung sowohl der kognitiven Fähigkeiten als auch des klinischen Eindrucks.
Biochemisches Modell
Die Wirkungen von synthetischen und pflanzlichen Antidepressiva lassen sich mit einem biochemischen Modell verständlich machen. Danach unterscheidet man akute Soforteffekte an den Rezeptoren und adaptive Veränderungen, die nach einiger Zeit auftreten. Letztere sind Ausdruck von Anpassungsreaktionen und sollen erklären, weshalb Antidepressiva erst mit einer zeitlichen Verzögerung wirken.
Zu den akuten Effekten rechnet man den direkten Eingriff der Antidepressiva in die Neurotransmission. Johanniskraut besitzt hier im Vergleich mit synthetischen Antidepressiva ein breiteres Wirkspektrum. Es hemmt nicht nur die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, sondern beeinflußt auch das GABAerge und das glutamaterge System. Mit Johanniskraut lassen sich im Tierversuch auch adaptive Veränderungen an den Rezeptoren feststellen. Die Dichte noradrenerger Beta-Rezeptoren nimmt ab (Beta-Down-Regulation), die Dichte serotonerger 5-HT2-Rezeptoren hingegen zu.
Johanniskraut bei Depressionen
Die im biochemischen Modell nachgewiesenen Effekte des Johanniskrauts lassen auf eine antidepressive Wirkung schließen. Diese konnte man im Tierversuch zum Beispiel mit dem Immobilisationstest, aber auch in klinischen Studien statistisch signifikant und klinisch relevant nachweisen. Neuere Untersuchungen sprechen dafür, daß die Wirkungen von Johanniskraut nicht auf dem Inhaltsstoff Hypericin beruhen, sondern auf Hyperforin, einem nicht sehr stabilen Acylphloroglucinol, das im Johanniskraut in einer Konzentration von 2 bis 5 Prozent vorkommt. Hyperforin hemmt bereits im nanomolekularen Bereich die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Hypericin ist dagegen in diesen Systemen unwirksam. Allerdings kann Hyperforin nicht das alleinige Wirkprinzip im Johanniskraut sein, denn
die Pflanze zeigt auch Effekte an den GABA-A- und GABA-B-Rezeptoren sowie im glutamatergen System, die sich nicht mit der Wirkweise des Hyperforins erklären lassen.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. Lutz Frölich, Frankfurt am Main, Prof. Dr. Gregor Laakmann, München, Prof. Dr. Walter E. Müller, Frankfurt am Main, Prof. Dr. Jörg Schulz, Berlin; Symposium "Aging 2000 - Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 und Johanniskraut-Spezialextrakt: Neue Forschungsergebnisse", München 13. September 1998, veranstaltet von der Firma Dr. Willmar Schwabe, Karlsruhe.
Michael Stein, München
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