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Antagonisten von Neuropeptid Y als potentielle Arzneistoffe
Das 36-Aminosäuren-Peptid Neuropeptid Y (NPY) gehört zusammen mit dem Pankreatischen Polypeptid (PP) und dem Peptid YY (PYY) zur PP- oder NPY-Familie. Während NPY als Neurotransmitter fungiert und eines der am häufigsten vorkommenden Neuropeptide im menschlichen Gehirn darstellt, haben PYY (hauptsächlich aus intestinalen endokrinen Zellen) und PP (hauptsächlich aus dem Pankreas) Hormoncharakter.
NPY, PYY und PP interagieren mit derselben Familie von Rezeptoren. Derzeit werden sechs NPY-Rezeptorsubtypen unterschieden (aktuelle Übersicht: Michel et al., Pharmacol. Rev. 50, 1997, 143-150), die alle zur Superfamilie der G-Protein-gekoppelten Membranrezeptoren gehören. Fünf NPY-Rezeptoren wurden bereits kloniert (Y1, Y2, Y4, Y5, y6). Die Existenz des vorläufig mit Y3 bezeichneten Rezeptors wird aufgrund pharmakologischer Untersuchungen postuliert. Der y6-Rezeptor wird beim Menschen nicht in funktionsfähiger Form exprimiert.
Wirkungen von NPY
NPY ist im Zentralnervensystem an zahlreichen Steuermechanismen beteiligt, z. B. an der Regulation des Blutdruckes und der Nahrungsaufnahme. In der Peripherie ist NPY als Kotransmitter im sympathischen Nervensystem u.a. ein potenter Vasokonstriktor und möglicherweise ein wichtiger pathophysiologischer Faktor bei Erkrankungen wie Hypertonie und Herzinsuffizienz.
Zu den ZNS-vermittelten Wirkungen von NPY zählen u.a. die Steigerung der Glucocorticoid-, der LH- und der Insulin-Freisetzung, die Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit (Y2), antikonvulsive Wirkung (Y1, Y5), Analgesie (Y1, Y2), Anxiolyse und Sedation (Y1). Eine der markantesten Wirkungen, die das besondere Interesse der pharmazeutischen Industrie an NPY ausgelöst hat, ist die starke ZNS-vermittelte Steigerung der Nahrungsaufnahme, für die mittlerweile sowohl Y1- als auch Y5-Rezeptoren verantwortlich gemacht werden. Die NPY-Expression wird durch das Fettgewebshormon Leptin gehemmt.
Peripher appliziertes NPY steigert durch den Angriff an den Y1-Rezeptoren der Gefäßmuskulatur den Blutdruck. Dabei werden die Wirkungen anderer vasokonstriktorischer Substanzen wie Angiotensin II und Noradrenalin potenziert. Durch präsynaptischen Angriff an Y2-Rezeptoren wird dagegen die sympathische Neurotransmitterfreisetzung gehemmt.
Auf der Suche nach NPY-Antagonisten
Da bislang nur wenige potente und selektive Antagonisten zur Verfügung stehen, basiert die pharmakologische Klassifizierung der NPY-Rezeptoren hauptsächlich auf Aktivitätsreihen für die Peptide der NPY-Familie (NPY, PYY, PP) und deren Analoga und Fragmente. Insbesondere Nichtpeptide wären als "pharmakologische Werkzeuge" und (möglicherweise) als Arzneistoffe interessant, z.B. peripher wirkende Y1-Antagonisten als Antihypertensiva und zentral wirkende Y5- und/oder Y1-Antagonisten zur Behandlung der Adipositas.
Aufgrund einer Röntgenstrukturanalyse für das PP des Truthahns (avian pancreatic polypeptide, APP) geht man davon aus, daß alle Peptide der NPY-Familie eine haarnadelförmige dreidimensionale Struktur besitzen. Der systematische Austausch gegen Alanin (Alanin-Scan) hat gezeigt, welche Aminosäuren für die Wechselwirkung mit NPY-Rezeptoren besonders wichtig sind, und hat zusammen mit der Untersuchung von NPY-Analoga und -Fragmenten sowie Bindungsstudien an NPY-Rezeptormutanten zu Modellvorstellungen für die Ligand-Rezeptor-Interaktion geführt.
Die Synthese von Wirkstoffen orientiert sich häufig an der vom APP abgeleiteten mutmaßlichen 3D-Struktur des natürlichen Agonisten. Besonderes Interesse gilt dabei den Aminosäuren Arginin-33 und Arginin-35, denen eine Schlüsselfunktion im NPY zukommt. Wie in anderen Wirkstoffklassen werden in zunehmendem Maße neue Leitstrukturen im Hochdurchsatzscreening gefunden.
Erste nichtpeptidische NPY-Rezeptorantagonisten mit vergleichsweise schwacher und wenig spezifischer Wirkung wurden 1990 publiziert, darunter BU-E-76 (He 90481), ein hochpotenter H2-Rezeptoragonist der Arpromidinreihe, und Benextramin, ein nicht selektiver a-Adrenozeptorenblocker. Die Substanz BIBP 3226 (Fa. Thomae), ein D-Argininderivat, das Strukturanalogien zum C-terminalen Dipeptid von NPY (Arg35-Tyr36-amid) aufweist, wurde als erster potenter und selektiver Y1-Rezeptorantagonist beschrieben. Dagegen erinnert SR 120819A (Fa. Sanofi) an Benzamidin-Partialstrukturen von Thrombininhibitoren. Diese Substanz ist als erster Y1-Antagonist im Handel, allerdings nicht in einem Arzneimittel, sondern als Bestandteil eines Präparates zur Behandlung der Cellulite (Lipofactor(r)). Daneben sind Chinolinderivate (z.B. PD 160170, Fa. Parke-Davis), Phenylpiperazinyl-substituierte Cyclohexane (Fa. Pfizer) sowie basisch substituierte Indole und Benzimidazole (Fa. Eli Lilly) als Y1-Antagonisten beschrieben worden.
Im Rahmen des Vortrages wurde beispielhaft die Strategie zur Entwicklung von Y1-Antagonisten, ausgehend von Arpromidin-artigen H2-Agonisten, vorgestellt. Auf der Basis eines Drei-Punkte-Pharmakophormodells gelang es, nichtpeptidische Substanzen herzustellen, die - obwohl aufgrund einer völlig anderen Arbeitshypothese konzipiert - gewisse Analogien zu BIBP 3226 aufweisen. Sofern es sich um Verbindungen handelt, die im Unterschied zu BIBP 3226 zwei basische Zentren besitzen, sind die Bindungsstellen jedoch wahrscheinlich verschieden. Die Substanzen aus der Reihe der w-Aminoalkansäureamide, die nach den Modellvorstellungen die Arginine 33 und 35 des NPY imitieren, aber anstelle der stark basischen Guanidine Amin- und Imidazolgruppen besitzen, stellen neue Leitstrukturen zur Entwicklung zentral wirksamer Y1-Antagonisten dar.
Im vergangenen Jahr wurden mit Sulfonsäureamiden wie CGP 71683A (Fa. Novartis) erstmals nichtpeptidische Antagonisten für den Y5-Rezeptor vorgestellt. Ob Y5- und/oder Y1-Rezeptorantagonisten für das Indikationsgebiet Adipositas den erhofften Durchbruch bringen können, wird derzeit auf-
grund eher gegenteiliger Forschungsergebnisse mit NPY-, Y1-Rezeptor- und Y5-Rezeptor-defizienten Mäusen (Knock-out) kontrovers diskutiert.
Ungeachtet des starken Engagements seitens der pharmazeutischen Industrie bei der Suche nach Y1- und Y5-Rezeptorantagonisten stellen die vielfältigen biologischen Wirkungen von NPY die pharmazeutisch-chemische Forschung vor eine Fülle weiterer Herausforderungen, denn für die übrigen NPY-Rezeptoren stehen bislang keine (nichtpeptidischen) Antagonisten zur Verfügung.
Für eine Reihe potentieller therapeutischer Anwendungen (z.B. als Anxiolytika oder Antikonvulsiva) sowie für experimentelle pharmakologische Untersuchungen wären außerdem (nichtpeptidische) Rezeptorsubtyp-selektive Agonisten wünschenswert.
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