DAZ aktuell

Gegen Heilversprechen bei Lebensmitteln vehement einschreiten

BONN (hb). Auswüchse in der Werbung für sogenannte "Borderline-products zwischen Arznei- und Lebensmitteln" standen im Zentrum des öffentlichen Teils der diesjährigen Mitgliederversammlung des Integritas-Vereins für lautere Heilmittelwerbung e.V. am 25. November 1998 in Bonn. Den Ausführungen des Gastredners Dieter Temme, Pharmaziereferent beim Amt für Gesundheit in Hamburg, war zu entnehmen, daß die Aufsichtsbehörden angesichts der rapiden Marktentwicklung große Probleme haben, einen wirksamen Verbraucherschutz vor solchen Produkten zu gewährleisten. Welchen Teil der Verein als Selbstkontrollorgan der pharmazeutischen Industrie hierzu beitragen kann, schilderte die neue Geschäftsführerin von Integritas Rechtsanwältin Ruth Ziller.


Der Vorstandsvorsitzende von Integritas, Rechtsanwalt Wolfgang Reinsch, ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, auf die Änderung des Heilmittelwerbegesetzes im Rahmen der 8. AMG-Novelle zu verweisen, nach der der Hinweis "Zu Risiken und Nebenwirkungen..." nun anstelle der Pflichtangaben auch in den Printmedien zulässig ist. Der Verein für lautere Heilmittelwerbung habe sich jahrelang, und nun endlich mit Erfolg, für diese pragmatische Regelung ausgesprochen, sagte Reinsch.
Nun müsse er sich wieder neuen Herausforderungen stellen, wie etwa der geänderten Rechtslage auf dem Gebiet der vergleichenden Werbung oder dem Spannungsfeld, das sich im werberechtlichen Grenzbereich zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln aufgebaut habe.

Grenzen werden immer mehr aufgeweicht


Die Ausprägungen dieses Spannungsfeldes in der Praxis kommentierte aus der Sicht der Überwachungsbehörden Dieter Temme. Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die durch solche Produkte hervorgerufen werden, sieht er in der Umgehung der Zulassungspflicht und der Pflicht zur Beantragung einer Herstellungserlaubnis sowie in der Umgehung von Vertriebswegen. Auch die redaktionelle Berichterstattung birgt seiner Ansicht nach große Probleme, da diese nicht dem Heilmittelwerbegesetz unterliege, aber dennoch unter Umständen dazu geeignet sei, die Verbrauchererwartung in eine falsche Richtung zu lenken. Temme bedauert, daß sich die Abgrenzungskriterien für die Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln mit der Entwicklung des Marktes immer stärker diversifizieren statt sich zu vereinfachen. Weiterhin werde die Grenze zwischen Arznei- und Lebensmitteln aufgeweicht durch die große Anzahl an Ausnahmegenehmigungen nach § 37 und § 47 a LMBG.
Als Paradebeispiel für eine allseits tolerierte Übertretung des Heilmittelwerbegesetzes auf breiter Ebene - wenn auch nicht aus dem Bereich der Borderline-products - führte Temme die Behandlung von "Viagra" in den Medien an. Wenn so etwas in Zukunft öfter vorkomme, könne die Überwachung "einpacken", so Temme wörtlich. Das Beispiel Viagra offenbare darüber hinaus in aller Deutlichkeit, wie schwierig es sei, klar zwischen sachlicher Information und unzulässiger Werbung zu unterscheiden.

Zusammenarbeit der Überwachungsbehörden muß dringend verbessert werden


Die Aufsichtsbehörden würden grundsätzlich tätig infolge entsprechender Beobachtungen bei Überwachungsmaßnahmen, anläßlich von Presseberichten, nach Anfragen von Zolldienststellen sowie nach Hinweisen aus den Fachkreisen. Aufgrund der begrenzten Ressourcen sei es jedoch unumgänglich, hierbei Prioritäten zu setzen, etwa anhand eines vorgegebenen Fragenkatalogs (siehe Kasten).
Temme wünscht sich im übrigen eine bessere Zusammenarbeit und klarere Zuständigkeiten in der Verwaltung, und zwar örtlich, in bezug auf das Ressort sowie auf die jeweilige Ebene der Verwaltung. Zur Verbesserung der Transparenz und der Zusammenarbeit werde in Kürze eine Koordinierungsstelle der Länder, ansässig bei der Zentralstelle der Länder für den Gesundheitsschutz bei Medizinprodukten (ZLG) in Bonn, ihre Arbeit aufnehmen. Besonders schwierig sei die Situation darüber hinaus, wenn der Inverkehrbringer seinen Sitz im Ausland habe. Hier sei es besonders bei Verschleierungsversuchen oft kaum möglich, eine verantwortliche Person auszumachen. Einige der größten Probleme für die Zukunft sieht Temme vor diesem Hintergrund für den Arzneimittelvertrieb über das Internet und in der Umgehung des Versandhandelsverbotes.

Erfolge bei Schlankheitsmitteln


Schwerpunkt der Beanstandungen von Integritas im Bereich der "Borderline"-Produkte waren im vergange-
nen Geschäftsjahr die sogenannten Schlankheitsmittel, wie Rechtsanwältin Ruth Ziller berichtete, und zwar als Haupttenor das Versprechen der Gewichtsabnahme trotz vollständiger Beibehaltung der alten Ernährungsgewohnheiten und darüber hinaus in vielen Fällen ein für Lebensmittel unzulässiger Krankheitsbezug in der Werbung. Als Beispiele führte Ziller zum einen "Bonsal" an, das in der Publikumspresse in ganzseitigen marktschreierischen Anzeigen mit Aussagen wie "Fett-Fresser", "geheimnisvoller Schlankstoff" usw. beworben worden sei, und zum anderen ein u.a. als "Naturfettblocker" bezeichnetes Chitosan-Präparat. In beiden Fällen sei es gelungen, so Ziller, gerichtlich feststellen zu lassen, daß die Produkte als Lebensmittel nicht verkehrsfähig sind, eine Einschätzung, die sich im Falle von "Bonsal" mit der der Arzneimittelkommission der Apothekerschaft decke. Gleichwohl wertete die Integritas-Geschäftsführerin diese Ergebnisse nur als bisherige Teilerfolge, denn in der zweiten Jahreshälfte sei der Verein mit Anzeigen für ähnliche Produkte "regelrecht überschwemmt worden".

Joghurts mit Johanniskraut und Melisse


Über diese sogenannten Nahrungsergänzungsmittel hinaus seien in jüngster Zeit mehr und mehr auch Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs zu beanstanden, darunter die seit kurzem auf dem Markt befindlichen Joghurts mit Johanniskraut und Melisse. Auch hier sei Integritas aktiv geworden, jedoch stehe der Verein in diesem Punkt vor einem besonderen Problem. Da Integritas keine Molkereibetriebe zu seinem Mitgliederkreis zähle, stehe die Klagebefugnis des Vereins auf dem Prüfstand. Den Ausgang des Verfahrens - die Entscheidung des LG Augsburg werde für den 14. Dezember 1998 erwartet - bezeichnete Ziller demzufolge als ungewiß.

Appell an die neue Bundesregierung


In einer Presseerklärung, die Integritas im Nachgang zu der Mitgliederversammlung herausgab, richtete der Verein einen dringenden Appell an die neue Bundesregierung, durch klare Definitionen und Regeln zur Überwachung der Werbung bei Nahrungsergänzungsmitteln, Auswüchse im "Graubereich" zwischen Arznei- und Lebensmitteln bereits im Vorfeld zu verhindern.l

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