Arzneimittel und Therapie

Small-talk zwischen Bakterien: Lassen sich Krankheitserreger mit ihren eigenen W

Als 1946 erstmals Penicillin bei einer durch Staphylococcus aureus verursachten Blutvergiftung eingesetzt wurde und damit die Ära der antibiotischen Behandlung begann, hielten manche das Ende der Infektionskrankheiten für gekommen. Drei Jahre später war das "Wundermittel" Penicillin, damals ähnlich teuer wie Gold und dementsprechend selten verordnet, bereits bei fünf Prozent dieser Keime unwirksam. Heute beunruhigen Nachkommen des Allerweltserregers die Infektionsmediziner, weil diese Bakterien in einigen Ländern gegen sämtliche(!) existierenden Antibiotika resistent sind.

In den vergangenen 50 Jahren haben Dutzende neuer Wirkstoffklassen mit mehr als hundert verschiedenen Antibiotika den Weg vom Labor zum Krankenbett gefunden. Ausgerottet wurden bakteriell bedingte Infektionskrankheiten dadurch allerdings nicht. Im Gegenteil, in einem stereotypen Ablauf werden kurze Zeit nach der Markteinführung einer neuen Substanz erst einzelne Arten und dann sehr schnell immer mehr Erreger gegen den Wirkstoff resistent. Werden Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt, kommt es vor, dass menschliche Krankheitserreger wie Salmonellen bereits resistent gegen ein bestimmtes Antibiotikum sind, wenn das Medikament zum ersten Mal bei einem Patienten eingesetzt wird.

Da die Zahl der Menschen mit einer Immunschwäche (bedingt durch hohes Lebensalter, Dauermedikation nach Organtransplantation oder AIDS) beständig steigt, nimmt naturgemäß auch die Häufigkeit bakterieller Infektionen zu, was seinerseits den Einsatz von immer mehr Antibiotika erforderlich macht. Das Karussell Infektion-Behandlung-Resistenzentwicklung wird so permanent in Schwung gehalten.

Neue Strategien im Wettlauf zwischen Bakterien und Antibiotika

Der Mensch kann den Wettlauf zwischen Bakterien und Antibiotika nicht gewinnen - zu groß ist die genetische "Trickkiste" der einzelligen Krankheitserreger, auf die sie zurückgreifen, wenn sie durch Antibiotika massiv unter Selektionsdruck gesetzt werden. Wollen wir uns einen dauerhaften Vorteil gegenüber Bakterien verschaffen, so sind völlig neue Strategien notwendig.

Da ist beispielsweise die verhältnismäßig neue Erkenntnis, dass Bakterien miteinander kommunizieren, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen, für das der einzelne Erreger zu schwach ist. Diese mit dem Fachausdruck Quorumgespür bezeichnete Fähigkeit wurde entdeckt, als man dem Phänomen des nächtlichen Leuchtens bestimmter Fischarten auf den Grund ging. Dabei stellte sich heraus, dass die sogenannte Biolumineszens durch Photobacterium (Vibrio) fischeri, ein mit dem Choleraerreger verwandtes Bakterium, ausgelöst wird, das sich im Lichtorgan dieser Fischarten ansammelt. Ist eine ausreichende Menge, ein Quorum, dieser Bakterien vorhanden, so senden sie sich die Botschaft "Licht anschalten" zu.

Das Informationsmolekül AHL

Das Informationsmolekül für das Quorumgespür von Vibrio fischeri ist mittlerweile bekannt. Es handelt sich um ein N-Acyl-L-Homoserinlacton (AHL). Lactone haben eine relativ einfache chemische Struktur und lassen sich auch im Reagenzglas leicht synthetisieren. Das AHL-Molekül ist auf einem eng umschriebenen Genabschnitt kodiert, wird von einer Gruppe von spezialisierten Synthetasen hergestellt und entfaltet seine Wirkung direkt in der bakteriellen DNA, an der LuxR-Familie sogenannter Transkriptionsregulatoren. Die Moleküle sind so klein, dass sie die Bakterienwand ohne Mühe passieren können, so dass im Reagenzglas rasch die gleiche Konzentration innerhalb und außerhalb der Bakterienzelle vorliegt.

AHL funktioniert in zweifacher Hinsicht als Informationsüberträger. In der ursprünglichen Bakterienzelle wird über einen positiven Rückkopplungsmechanismus immer mehr AHL hergestellt, und in benachbarten Bakterien wird die LuxR-Genfamilie angeschaltet, was im Fall von Vibrio fisheri dazu führt, das das betreffende Bakterium Biolumineszens produziert.

Mittlerweile sind ähnliche Lactone auch in wichtigen pathogenen Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa und Proteus mirabilis nachgewiesen worden. Wahrscheinlich benutzen mehr oder minder alle gramnegativen Bakterien AHL als Kommunikationsmolekül. Die Lactone wären dann so etwas wie eine universelle Sprache genetisch und morphologisch sehr unterschiedlicher Bakterien.

Virulenzfaktoren unterdrücken

Bei den pathogenen Mikroorganismen dient das Quorumgespür allerdings keinem "guten Zweck". Im Gegenteil, die Lactone veranlassen die Artgenossen, Moleküle zu synthetisieren, die den eigentlichen Krankheitsprozess in Gang setzen. Diese sogenannten Virulenzfaktoren sind im Fall von Pseudomonas aeruginosa bekannt. Es handelt sich um verschiedene Enzyme, wie Elastase, Protease und Haemolysin, und Giftstoffe, wie Exotoxin A und Cyanid.

Wenn aber AHL als Universalsprache dienen, dann müßte es theoretisch auch möglich sein, die interbakterielle Kommunikation durch eine Art "phonetische Bremse" zu unterbrechen. Dies wäre eine völlig neue Strategie zur Bekämpfung von bakteriellen Infektionen. In der Tat zeigen erste Versuche, dass künstlich hergestellte, dem natürlichen Lacton sehr ähnliche Substanzen das Quorumgespür in einer Bakterienkultur unterbinden. Als Konsequenz wachsen die Bakterien schlechter und passen sich vermutlich auch schlechter an die Umgebung an. Auf den Menschen bezogen würde das bedeuten: Sie bleiben avirulent. Dadurch könnte das Immunsystem Zeit gewinnen, und die Abwehrkräfte könnten eventuell auch ohne Hilfe von Antibiotika der Infektion Herr werden.

Schallwellen als Wachstumssignale

Noch frappierender sind die Erkenntnisse des japanischen Bakteriologen Masachi Matsushashi von der Tokai Universität. Der anerkannte Bakteriologe fand heraus, dass bestimmte Bakterienarten in der Lage sind, in Kultur Schallwellen im Bereich von 8 bis 50 Hertz auszusenden, die von anderen, räumlich entfernten Bakterien als Wachstumssignale aufgenommen werden.

Auf dieses Phänomen stieß der Wissenschaftler bei Untersuchungen von Bacillus carboniphilus, einem grampositiven Stäbchen, das auf Agar nur bei Zusatz von Graphit wächst. Allerdings hat nicht der Kohlenstoff direkt eine wachstumsfördernde Wirkung. Die Kristallgitterstruktur des Graphits nimmt elektromagnetische Wellen aus der Umgebung auf und wandelt sie in akustische Wellen einer bestimmten Frequenz um. Und diese Schallwellen stellen für Bacillus carboniphilus Wachstumsimpulse dar.

Aber auch für den Menschen relevante Keime wie Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa lassen sich in vitro durch Schallwellen beeinflussen. Bestimmte Frequenzen scheinen das Wachstum zu fördern, andere es zu hemmen oder die Sensibilität für bestimmte Antibiotika heraufzusetzen.

Bakterien ihr Gespür zu nehmen - anstatt sie unter dem Druck chemischer Keulen zu immer neuen, aggressiveren Mutanten zu zwingen - oder sie durch Beschallung "aus dem Takt" zu bringen, wäre so etwas wie ein Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit infektiösen Mikroorganismen.

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