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Selbstmedikationsmarkt 1998: Abwärtstrend für die Selbstmedikation in Apotheke
Budgetdruck der Ärzte und sparsames Verordnungsverhalten sind "Dauerbrenner"-Themen im Gesundheitswesen, doch aus Sicht der Apotheken sind die Zahlen über tatsächliche Verordnungen sowie Umsätze im Selbstmedikationsmarkt letztlich entscheidend. Hierbei werden zumeist wertmäßige Umsatzvergleiche angestellt. So wuchs 1997 der Gesamtmarkt für Arzneimittel einschließlich der freiverkäuflichen Arzneimittel außerhalb von Apotheken um 2% gegenüber dem Vorjahr. Kurzfristig mag eine solche Betrachtung angebracht sein, denn die Apotheke lebt von DM oder Euro, aber nicht von der Anzahl der abgegebenen Packungen.
Doch über langfristige Verschiebungen in der Umsatzstruktur und Zukunftstrends sagen die Zahlen der Packungen mehr aus. Der Wert der verordneten Arzneimittel kann von Preiseffekten, z.B. bei neuen Festbeträgen oder vielen teuren Innovationen, abhängen. Sowohl bei Verordnungen als auch in der Selbstmedikation kann die wachsende Bedeutung von Generika auf die Umsatzbeträge durchschlagen. Dagegen sind die Zahlen über abgegebene Packungen von solchen Strukturkomponenten befreit. Sie sagen mehr über das grundsätzliche Konsumentenverhalten aus.
Weniger abgegebene Packungen in Apotheken
Dies ließ bereits 1997 einen aus Apothekensicht gefährlichen Trend erkennen, der sich in den ersten neun Monaten 1998 fortgesetzt hat: Während der Wert der verordneten rezeptpflichtigen Arzneimittel 1997 noch um 5% anstieg, sank die Zahl der Packungen um 1%. Der Wert der verordneten rezeptfreien Arzneimittel sank 1997 um 10%, die Zahl um 11%. Doch um die Kompensation dieser Rückgänge durch die Selbstmedikation war es schlecht bestellt. Der Wertzuwachs wirkte mit 4% noch recht passabel, aber gemessen an Packungen war dies nur 1%. Demnach gelang es den Apotheken kaum, die Patienten zum Kauf der nicht mehr verordneten Pakkungen zu bewegen.
Dieser Trend hat sich in den ersten neun Monaten des Jahres 1998 erheblich verstärkt. Die Zahl der verordneten rezeptpflichtigen Arzneimittel ging in dieser Zeit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,5% auf 494 Mio. Packungen zurück. Erheblich stärker war erneut der Rückgang bei den rezeptfreien verordneten Arzneimitteln. Hier wurden 240 Mio. Packungen verordnet, das sind 5% weniger! Doch die "Kompensation" im Rahmen der Selbstmedikation ging diesmal in die falsche Richtung: In der Selbstmedikation wurden 2% weniger Packungen umgesetzt, insgesamt 437 Mio. Packungen. Dieser negative Trend für die Apotheken zeigt sich auch bei den nicht-arzneilichen gesundheitsbezogenen Produkten. Hier gingen die Umsätze um 2% auf 137 Mio. Einheiten zurück.
Wachstum außerhalb der Apotheken
Ganz anders stellt sich die Situation dagegen außerhalb der Apotheke dar. Hier wird der Gesundheitsmarkt seinem Image als erfolgversprechende Zukunftsbranche gerecht. So wuchs die Selbstmedikation mit freiverkäuflichen Arzneimitteln außerhalb der Apotheke um 12% auf 73 Mio. Packungen. Noch größer war der Zuwachs bei den nicht-arzneilichen Gesundheitsprodukten. Diese konnten außerhalb der Apotheken sogar um 28% auf 370 Mio. Einheiten zulegen.
Apotheker halten dem gerne entgegen, daß der Gesundheitsmarkt außerhalb der Apotheken von einer sehr kleinen Grundlage startet und daher leicht hohe prozentuale Zuwächse erzielen kann. Doch dieses Argument gilt nicht mehr: Die Zuwächse außerhalb der Apotheke haben die Verluste in den Apotheken sogar überkompensiert. Denn die Gesamtzahl an umgesetzten Gesundheitsprodukten einschließlich Arzneimitteln wuchs in den ersten neun Monaten des Jahres 1998 um 4% auf 1,751 Mrd. Packungseinheiten.
Fehlendes Rezept = fehlender Zusatzverkauf
Wie lassen sich diese Zahlen erklären? Offensichtlich kaufen die Patienten die ärztlich nicht mehr verordneten rezeptfreien Arzneimittel stattdessen nun nicht aus eigener Tasche. Über die Ursachen läßt sich viel spekulieren. Eine Rolle spielt sicher die jahrzehntelang eingeübte Anspruchshaltung, für Arzneimittel müsse immer die Krankenkasse zahlen. In manchen Fällen mag der Arzt auch überzeugend dargelegt haben, warum ein bestimmtes Produkt nicht mehr nötig sei. Jedenfalls gelingt es den Apotheken nicht, die fehlenden Verordnungen in Selbstmedikationskäufe umzuwandeln, auch wenn es dabei um die gleichen nicht verschreibungspflichtigen Präparate gehen würde. Dies mag den fehlenden Zuwachs in der Selbstmedikation erklären, aber noch nicht den Rückgang.
Doch auch dieser kann eine Folge der fehlenden Rezepte sein. Denn fehlende ärztliche Verordnungen bedeuten fehlende Besuche in der Apotheke. Damit entfallen Beratungsgespräche, die sonst den Bedarf für das eine oder andere Produkt zur Selbstmedikation aufgedeckt hätten: Der Kunde, der die Apotheke gar nicht erst betritt, erfährt nicht, was sie ihm bieten kann. Dies zeigt auch, wie wichtig für eine langfristige Betrachtung die Analyse der umgesetzten Stückzahlen ist. Denn hinter jeder abgegebenen Packung steckt ein Kundenkontakt und damit eine Chance zu einem Beratungsgespräch, bei dem ein gesundheitliches Problem zur Sprache kommt. Dies ist jedesmal eine Chance auf Hilfe für den Patienten und natürlich auch eine Chance für die Apotheke, einen Umsatz zu tätigen.
Außerhalb der Apotheken entsteht ein neuer Markt
Weiterhin bleibt zu fragen, was die dargestellten Zahlen über die Entwicklung im Gesundheitsmarkt außerhalb der Apotheke verraten. Auf den ersten Blick läge der Verdacht nahe, daß die zurückgehenden Umsätze im Verordnungsbereich im Zusammenhang zu den Zuwächsen der Drogeriemärkte und Discounter stehen. Doch erscheint dies aus pharmazeutischer Sicht wenig plausibel. Ein Patient, der eine ausbleibende ärztliche Verordnung substituieren will, wird höchstwahrscheinlich in die Apotheke gehen. Meist ergibt sich dies schon allein aus der Apothekenpflicht der fraglichen Präparate.
Ausnahmen mag es im Erkältungsbereich geben, wenn manche Verbraucher ohne jedes Hintergrundwissen z. B. alle Hustensäfte für austauschbare Produkte halten. Doch Wirkungen in den beschriebenen Größenordnungen dürfte dies nicht erklären.
Stattdessen zeichnet sich eine ganz andere Erklärung ab: Das Kundenverhalten in der Apotheke unterscheidet sich deutlich vom Verhalten der Kunden in Drogerie- und Verbrauchermärkten. Dies wurde in einer Studie der GPI Kommunikationsforschung, Nürnberg, untersucht (medic*scope 1/98-3/98). Dabei wurde nach den Gründen für den Kauf eines konkreten Produktes gefragt. Innerhalb und außerhalb von Apotheken spielt die Zufriedenheit mit einem bekanntem Produkt gleichermaßen die wichtigste Rolle als Kaufgrund. In der Apotheke war die Empfehlung des Apothekers in 19,3% der Fälle kaufentscheidend.
Naturgemäß entfällt dieser Grund außerhalb der Apotheke. An die Stelle treten hier spontane Kaufentscheidungen, weil das Produkt zufällig gesehen oder ausprobiert wird. Hinzu kommen preisliche Sonderangebote als Kaufgrund. Immerhin 15,3% der Kunden gaben außerhalb der Apotheke den Kaufgrund "im Geschäft gesehen" an. In der Apotheke waren dies dagegen nur 3,2% der Kunden. Demnach geht es in den Drogerie- und Verbrauchermärkten zumeist um andere Produkte und andere Käufer als in der Apotheke. Es kann nicht das Ziel der Apotheken sein, einen unsachgemäßen Mehrverbrauch apothekenpflichtiger Arzneimittel durch Marketingmaßnahmen zu forcieren. Doch geht es aufgrund der Zielsetzung der nicht apothekenpflichtigen Präparate hier wohl eher darum, daß die Kunden ihre Gesundheit erhalten und sich "etwas Gutes tun" wollen, neudeutsch um den Wellnessbereich. Hier sind Spontankäufe durchaus naheliegend, da kein akuter Bedarf, aber ein latentes Interesse an solchen Produkten besteht.
Konkurrenz um Wellnessmarkt
Dieser auch auf Veranstaltungen für Apotheker immer wieder beschworene Zukunftstrend scheint außerhalb der Apotheke erheblich besser zu wirken als in den Offizinen. Eine Ursache hierfür könnte auch hier wieder in der Zahl der Kundenkontakte liegen. Einerseits entgehen den Apotheken Kundenkontakte durch die zurückgehende Zahl der Verordnungen. Andererseits konkurrieren sie auf dem neuen Wellnessmarkt mit den Verbrauchermärkten mit ihren beträchtlichen Kundenfrequenzen. So wird die Zahl der Kunden in Drogeriemärkten auf täglich 500 bis 600 geschätzt (Schätzung der BBE Unternehmensberatung GmbH Köln). In Discountern wurden durchschnittlich 746 und in Verbrauchermärkten mit über 800 qm Fläche sogar 1132 Kunden pro Tag gezählt (Untersuchung des DHI). Analog zu den Überlegungen für Apotheken gilt hier: Jeder Kunde in einem Verbrauchermarkt kann dort zufällig ein Produkt für seinen Gesundheits- oder Wellnessbedarf sehen und kaufen. Wenn der Kunde keinen akuten Beratungsbedarf erkennt, erübrigt sich für ihn der Weg in die Apotheke. Ob es dort für ihn ein geeigneteres Produkt gibt, erfährt er nicht.
Nebenbei trägt jedes außerhalb der Apotheken gekaufte Gesundheitsprodukt zur Banalisierung aller Arzneimittel bei, weil die Grenzen zwischen apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Artikeln immer weniger wahrgenommen werden. So kann zur Gewohnheit werden, Arzneimittel eben nicht in der Apotheke zu kaufen. Sind die "Wellnesskunden" dann tatsächlich mal krank, haben sie sich schon an den Arzneimittelkauf aus dem Regal gewöhnt. Die Zuwächse außerhalb der Apotheke sind demnach keine Substitution der fehlenden ärztlichen Verordnungen, sondern ein ganz anderer, neuer Markt. Wie so oft bei neuen Entwicklungen hat dieser Markt offenbar eine viel größere Wachstumsdynamik als der althergebrachte Arzneimittelumsatz in der Apotheke, wo dieses neue Segment offensichtlich vernachlässigt wird.
Das mangelnde Bewußtsein für dieses Marktsegment läßt sich an weiteren Zahlen dokumentieren. So ist in den Apotheken in den ersten drei Quartalen 1998 auch der Umsatz mit den nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln um immerhin 3% (gemessen in Packungen) zurückgegangen, obwohl diese Produkte außerhalb von Apotheken so deutlich zulegen konnten.
Die Apotheken müssen sich noch mehr um die Gesunden bemühen
Die Konsequenz kann daher nur lauten: Die Apotheken müssen sich noch mehr um die Gesunden bemühen. Die Werbebotschaft des Standes sollte lauten: Nicht nur Arzneimittel, sondern alle gesundheitsbezogenen Produkte kauft man in der Apotheke. Die Beratung sollte auch als unverzichtbarer Bestandteil von Produkten zur Vorbeugung und Gesunderhaltung dargestellt und praktiziert werden. Dabei geht es sicher auch um den Umsatz von heute, aber noch viel mehr um den Umsatz von morgen und übermorgen, wenn die heute aktiven und gesunden "Wellnesskunden" in die Jahre kommen.
Quellen: Umsatzentwicklungen für 1997: IMS Daten und Berechnungen des BAH (Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller) Umsatzentwicklungen für 1998: IMS Daten Sonstige Untersuchungen: Präsentation im Rahmen des Bühler Gesundheitsforums 1998, veranstaltet von SmithKline Beecham am 14. und 15. Mai 1998 in Bühlerhöhe.
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