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Psychopharmakologie
E. PallenbachDer Horrortrip aus der Plastikflasche:
Fallbericht
Als Jan Rüdiger an einem kalten Sonntagmorgen im Februar dieses Jahres aus dem Dortmunder Techno-Club gestolpert kommt, hat er seit zwei Tagen nicht geschlafen, in seinem Kopf rauscht es mächtig von einer Hand voll Ecstasy-Tabletten, vielen Gläsern Jägermeister und einigen "Nasen" Cocain. Wie nach jedem durchtanzten Wochenende fühlt sich der Junge so erschöpft wie ein Astronaut nach einem Mondflug, aber er ist ziemlich gut gelaunt. Auf dem Parkplatz vor dem Club trifft er Freunde, sie halten ihm eine kleine Plastikflasche hin. "Macht Riesenspaß, das Zeug" sagen sie, und Jan begreift, dass die klare Flüssigkeit in der Flasche ohne Etikett kein Wasser ist. Er trinkt aus der Verschlusskappe, die Freunde schenken nach. Die Droge schmeckt salzig. Jan ekelt sich ein bisschen, denn schleimige, weiße Flocken schwimmen darin. "Nach zehn Minuten merkte ich, dass ich wieder fit wurde", sagt er später. "Plötzlich hatte ich so viel Energie, dass ich nicht wusste, wohin damit. Am liebsten wäre ich herum gesprungen und hätte vor Euphorie geschrien."
Jan hat Liquid Ecstasy kennen gelernt, ein Rauschmittel, vor dem die Bundesregierung warnt, es führe zum totalen Horrortrip… "Ich dachte, das ist wie Ecstasy", sagt Jan Rüdiger, der die Droge seit dieser Nacht ein dutzendmal getrunken hat. "Die Wirkung war klasse, so eine Art Schweben wie auf Pille, und am nächsten Tag hatte ich nicht einmal einen schweren Kopf." Beim zweiten Mal probiert er gleich ein paar Schluck mehr, obwohl ihm Freunde erzählen, dass das Mittel manchmal auch Übelkeit verursacht. Auf einer Party sieht Jan, wie sich zwei berauschte Mädchen übergeben. "Frauen vertragen das Zeug wohl schlechter", folgert er. Doch mancher Berauschte fällt sogar in tiefe Bewusstlosigkeit. Dafür genügt bereits ein viertel Gramm zu viel; Alkohol und andere Drogen verstärken die Wirkung noch. Aber keiner weiß, wie konzentriert die Flüssigkeit ist, und ebenso wenig, wie viel er verträgt.
Auch Jan Rüdiger muss sich auf seine Erfahrung verlassen, und er registriert, dass er sich "matschig im Kopf" fühlt und sich nicht mehr konzentrieren kann, wenn es mal zu viel gewesen ist. An einem Sonntag im Juni nimmt er Liquid Ecstasy zum letzten Mal. Es ist wieder eines jener Wochenenden, an denen er nicht ins Bett gefunden hat - Feiern nennt er das Ritual. Dieses Mal wird er hinterher nicht einmal mehr wissen, ob er neben Ecstasy und Cocain auch LSD genommen hat. Doch die Schlückchen Liquid Ecstasy hat er gezählt, es waren vier bis fünf. Die Dosis ist er längst gewohnt, glaubt er. Als er ein paar Stunden später nach Hause kommt, fühlt er sich schlecht. Er schwitzt und zittert, sein Kreislauf spielt verrückt. Plötzlich hat Jan Angst. Er ruft einen Rettungswagen, aber selbst im Krankenhaus kann ihm niemand helfen: Die Ärzte kennen Liquid Ecstasy nicht, welches Gegenmittel sollen sie ihm geben? Jan verbringt eine schlaflose Nacht im Klinikbett und glaubt, dass er sterben wird. Am nächsten Tag verlässt er das Krankenhaus mit schlimmen Kopfschmerzen. Seitdem hat er die flüssige Droge nicht mehr angerührt [1].
Ecstasy...
Ecstasy, 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, MDMA, ist in den vergangenen Jahren vor allem durch seine missbräuchliche Verwendung innerhalb der Technoszene bekannt geworden. Ecstasy wirkt kurzfristig angenehm stimulierend und enthemmend, wahrscheinlich infolge der Freisetzung von Serotonin im Gehirn. Es wurde auch als Adjuvans in der Psychotherapie eingesetzt, da es durch seine entaktogene (kontaktfördernde) Wirkung den Austausch zwischen Patient und Therapeut erleichtert. Neben der aufputschenden Wirkung wird gerade auch diese entaktogene Wirkung von den Anwendern geschätzt. Als erwiesen gilt inzwischen, dass langfristiger Ecstasy-Konsum zu degenerativen Veränderungen im Zentralnervensystem führt. Die peripheren Nebenwirkungen von Ecstasy, vor allem die Dehydratation durch starkes Schwitzen, akutes Organversagen und Arrhythmien, können lebensbedrohlich sein [35].
...oder Liquid Ecstasy?
Um bei Liquid Ecstasy eine eindeutige stoffliche Zuordnung treffen zu können, muss zunächst ausgeschlossen werden, dass es sich um "gewöhnliches Ecstasy" (MDMA), in Flüssigkeit aufgelöst, handelt. Da jedoch aufgelöstes MDMA gegenüber der herkömmlichen Tablette lediglich den kleinen, unbedeutenden Vorteil einer etwas beschleunigten Resorption bietet und von der Polizei - abgesehen von einem polizeilich registrierten Einzelfall [43] - bislang noch keine nennenswerten Mengen flüssiges Ecstasy sichergestellt wurden, ist unklar, ob diese Zubereitungsform tatsächlich konsumiert wird [3].
In der Regel ist davon auszugehen, dass es sich bei Liquid Ecstasy (Synonyme: Liquid X, Liquid E, G-Juice, Soap, Pearl, Salty Water, Georgia Home Boy, Easy Lay, Cerry Menth, Fantasy) um die Substanz Gamma- Hydroxybuttersäure (GHB) handelt. Die chemische Zusammensetzung und demzufolge auch die Wirkung von Ecstasy und Liquid Ecstasy sind grundverschieden. Es handelt sich um eine reine Marketing-Strategie der Drogendealer, dass der neue Stoff "Liquid Ecstasy" genannt wurde: Durch den ähnlich und vertraut klingenden Namen versuchen die Dealer ganz bewusst diejenigen Kunden zu gewinnen, die bereits Ecstasy (MDMA) konsumier(t)en [9].
Was ist GHB?
Gamma-Hydroxybuttersäure (4-Hydroxybuttersäure, in englischsprachiger Literatur: Sodium-Oxybate) mit der Summenformel C4H8O3 ist eine farblose Flüssigkeit mit leicht scharfem Geruch [38]. GHB ist ein Metabolit von Gamma-Aminobuttersäure (GABA), einem Pharmazeuten und Medizinern hinreichend bekannten inhibitorischen Neurotransmitter im Zentralen Nervensystem. Benzodiazepine und Barbiturate greifen bekanntermaßen am dazugehörigen GABA-A-Rezeptor, einem Subtyp des GABA-Rezeptors, an [5].
Neben GABA gilt GHB als eigenständiger Neurotransmitter [2], der physiologisch im menschlichen Gehirn in einer Konzentration von etwa 0,3 mmol pro Kilogramm vorkommt [6]. Man vermutet, dass GHB eine Rolle bei der Schlafinduktion spielt. Für medizinische Zwecke wird anstelle der freien Säure überwiegend das gut wasserlösliche Natriumsalz der Gamma-Hydroxybuttersäure (Summenformel: C4H7O3Na) verwendet.
Wirkung und medizinische Verwendung
Neben der missbräuchlichen Verwendung spielt(e) GHB auch als Arzneimittel eine Rolle: Die Substanz wurde 1960 als intravenöses Anästhetikum eingeführt [13] und als Narkosemittel sowie zur Unterstützung beim Alkoholentzug [8, 11, 32] eingesetzt. GHB ist unter dem Namen Somsanit® im Handel und findet heute seinen therapeutischen Einsatz als Basisarzneimittel im Rahmen einer Langzeitsedierung bei beatmeten und spontan atmenden Patienten, insbesondere bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma [6].
GHB verursacht als Monotherapeutikum in therapeutischer Dosierung keine Atemdepression, kann aber in Kombination mit Opiaten deren atemdepressive Wirkung verstärken [6, 15]. Das Arzneimittel GHB gilt als relativ gut verträglich [8]. Als nachteilig wird jedoch das häufige Auftreten von Myoklonien und Erbrechen, das gelegentliche Auftreten von metabolischer Azidose und Hypokaliämie [39] sowie eine in Einzelfällen unkalkulierbar lange klinische Wirkdauer beschrieben [8, 22]. Aufgrund dieser im Vergleich zu anderen Injektionsnarkotika schlechteren Steuerbarkeit [22, 40] hat GHB als Arzneimittel zugunsten neuerer Anästhetika und Sedativa wie Etomidat, Propofol, Isofluran oder Midazolam immer mehr an Bedeutung verloren und wird in Deutschland nur noch selten verwendet. Im europäischen Ausland dagegen, insbesondere in Italien, erlebte GHB kürzlich eine gewisse Renaissance zur Behandlung der Narkolepsie [21] und des Alkoholentzugssyndroms [8, 11, 26, 27] sowie auch zur Therapie der Opiatabhängigkeit [22]. In aktuellen Studien an Ratten wird darüber hinaus ein möglicher Stellenwert von GHB bei der Therapie der Cocainsucht diskutiert [25].
Pharmakologie und Pharmakokinetik
Nach oraler Verabreichung wird die Droge fast vollständig resorbiert. Der First-pass-Effekt in der Leber liegt bei etwa 75%. GHB überwindet gut die Blut-Hirn-Schranke, erhöht im Gehirn die Dopamin- und Serotonin-Konzentration, beeinflusst das endogene Opioidsystem und sehr wahrscheinlich weitere rezeptorabhängige Vorgänge. Es gibt Hinweise auf einen spezifischen GHB-Rezeptor [8, 14]. GHB wird größtenteils über Succinosemialdehyd und Bernsteinsäure im Citronensäurezyklus zu Kohlendioxid und Wasser metabolisiert, aktive Metaboliten sind nicht bekannt [17]. Nur ein sehr geringer Anteil der Substanz wird unverändert renal eliminiert. Aus diesem Grund ist ein forensischer Nachweis im Urin fast unmöglich [10].
In niedriger Dosierung (bis zu 10 mg pro Kilogramm Körpergewicht) sind Gedächtnisstörungen und Hypotonie beschrieben, höhere Dosen (10 bis 50 mg pro Kilogramm Körpergewicht) führen zu Anästhesie. Noch höhere Dosen steigern die Herztätigkeit und führen zu Atemdepression. Epileptische Anfälle und Koma sind ebenfalls beschrieben [2]. Alkohol hat eine synergistische Wirkung mit GHB, insbesondere das Risiko einer Atemdepression wird durch diese Kombination gesteigert [2]. Auch andere zentral wirkende Substanzgruppen wie Opiatanalgetika, Benzodiazepine, Muskelrelaxanzien und Neuroleptika können die Wirkung von GHB steigern, möglicherweise sogar potenzieren [18]. "Horrortrips" [4, 9] sowie lebensbedrohliche Zustände und etliche Todesfälle mit Liquid Ecstasy sind beschrieben [11, 23, 24].
Eine antagonistische Wirkung von Substanzen wie Amphetamin, Naloxon oder Haloperidol ist zwar experimentell nachgewiesen, scheint aber keine klinische Bedeutung für die Therapie von GHB-Intoxikationen zu haben [18]. Eine verlängerte Nachschlafzeit beim therapeutischen Einsatz von GHB innerhalb der Anästhesie kann dagegen durch die Gabe von Physostigmin und Neostigmin antagonisiert werden [6, 11].
GHB ist plazentagängig. Auch wenn Aussagen über eine teratogene Wirkung der Substanz nicht gemacht werden können, ist für die Anwendung in der Anästhesie bei Patientinnen im ersten Trimenon der Schwangerschaft eine strenge Indikationsstellung gefordert [40].
Die "Erfolgsstory" von Liquid Ecstasy
Zeitgleich mit dem Rückgang des medizinischen Einsatzes wurde GHB vermehrt in Bodybuilderkreisen eingesetzt [11], weil sie Wachstumshormone stimuliert. Bei Leistungssportlern im angloamerikanischen Raum wurde die Substanz als Dopingmittel populär [16]. Als klassische Technodroge tauchte Liquid Ecstasy erstmals zu Beginn der 90er Jahre in den USA und in der englischen Clubscene auf. Zu dieser Zeit herrschte in Deutschland bezüglich Liquid Ecstasy noch "Totenstille".
Vor wenigen Jahren wurden bei Razzien in deutschen Diskotheken die ersten Plastikfläschchen mit GHB sichergestellt. Hauptumschlagsplatz war zunächst das Ruhrgebiet [7]. Seit kurzer Zeit wird der Stoff auch innerhalb der bundesdeutschen Partyszene, wo Liquid Ecstasy gern zur Intensivierung anderer Drogen eingesetzt wird, immer populärer [16]. Spannend zu lesende Reportagen in Trendmagazinen [4] sorgten darüber hinaus für eine rasch wachsende Nachfrage nach der Droge. Fazit: Auch in der Bundesrepublik werden Sicherstellungen durch die Kriminalpolizei gemeldet [41, 42]. Der Umsatz boomt, zwar nicht im gleichen erschreckenden Ausmaß wie in den USA, aber "die Geschäfte laufen"...
Wie verläuft ein Trip...
Liquid Ecstasy wird ausschließlich oral verabreicht. Eine parenterale Gabe, wie für das Arzneimittel GHB notwendig, ist nicht üblich. Die Wirkung der Droge setzt etwa eine viertel Stunde nach oraler Einnahme ein und hält je nach Dosis bis zu drei Stunden an. In der Mehrzahl der Fälle stellt sich zunächst ein Zustand der Entspannung und des Wohlgefühls ein. Auch eine euphorisierende Wirkung ist beschrieben [7]. Dieses Hochgefühl wird von einigen Konsumenten mit der Stimmung nach Marihuana- Konsum verglichen. Andere beschreiben die Wirkung als eine Kombination von Ecstasy und LSD [43]. Das Wirkungsmaximum wird nach ungefähr 30 Minuten beobachtet und dauert etwa 45 Minuten bis zu 1,5 Stunden an.
Das "Runterkommen" ("come down") von der Droge dauert ca. 15 bis 30 Minuten; Nacheffekte sind jedoch auch noch einige Stunden später zu spüren [16]. Wie bereits unter der pharmakologischen Wirkung beschrieben, ist in erster Linie die Dosis entscheidend für die Wirkung von GHB. Für einen "normalgewichtigen" Anwender gelten näherungsweise folgende Dosis-Wirkungs- Beziehungen: Eine Gesamtdosis von 0,5 bis 1,5 Gramm führt zu einem alkoholähnlichen Rausch. In einer Dosierung von 1,0 bis 2,5 Gramm wirkt GHB entspannungsfördernd und sexuell stimulierend. Unter Dosen von 2,5 Gramm und mehr kommt es zu Wahrnehmungsverschiebungen, insbesondere Musik wird intensiver wahrgenommen und wirkt besonders tanzmotivierend; ein euphorisches Gefühl kann sich einstellen [16]. Aber auch Sprachstörungen, Benommenheit und plötzliches Einschlafen werden beobachtet [12].
...und wie gefährlich ist er?
Neben der Intensivierung von Gefühlen sind in den genannten hohen Dosierungen bereits sehr gefährliche und unangenehme Effekte wie Krämpfe, Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen und Atembeschwerden beschrieben. Erneut sei auf die potenzierende Wirkung von Alkohol und anderen zentral wirksamen Medikamenten bzw. Drogen hingewiesen. Durch deren Einfluss können schon in niedrigen Dosierungen toxische Nebenwirkungen auftreten.
Im Gegensatz zu Ecstasy fehlt bei Liquid Ecstasy die entaktogene Wirkungskomponente. Die Einnahme von Liquid Ecstasy hat kein gesteigertes Einfühlungsvermögen zur Folge, eine harmonisierende Wirkung fehlt ebenfalls [9]. Unter hohen Dosierungen kann es sogar zu verstärkter Aggressivität kommen. Fatal kann sein, dass der Anwender - wie bei sämtlichen illegalen Drogen - in der Regel keine Ahnung von der Reinheit und Qualität des zugeführten Stoffes hat und somit die tatsächlich zugeführte Wirkstoffmenge nicht kennt [16]. Im günstigsten Fall hat dies Unterdosierungen zur Folge; im ungünstigeren Fall drohen dagegen toxische Wirkungen bis hin zur Atemdepression, der häufigsten Todesursache von GHB-Vergiftungsfällen [24].
Mehr als bei anderen Drogen hängt die Wirkung der Droge von der augenblicklichen Gemütsverfassung, der Tagesform und anderen äußeren Faktoren ab. Demzufolge ist es für den Anwender unmöglich, die Wirkung des Stoffes vor der Einnahme einzuschätzen. Wesentlich verstärkt wird die schlechte Vorhersehbarkeit der Wirkung dadurch, dass der Anwender nicht wissen kann, wie konzentriert die applizierte Lösung ist. Bereits ein viertel Gramm GHB zu viel kann die gewünschte Wirkung umkehren. Liquid Ecstasy, wie es in der Szene angeboten wird, ist somit in seiner Wirkung nicht kalkulierbar [16]. Aus den USA gibt es Berichte über den Missbrauch von GHB als "Date-Rape-Drug" in Form von k. o.-Tropfen. Dabei wird Frauen die Droge heimlich verabreicht, um sie willenlos zu machen und dann sexuell missbrauchen zu können [11, 12, 20].
Macht Liquid Ecstasy süchtig?
Mit dieser Frage beschäftigen sich augenblicklich viele Wissenschaftler. Zunächst zur Begriffsbestimmung: Was heißt überhaupt "süchtig"? Die Übergänge von normalem zu süchtigem Verhalten sind fließend: Den wiederholten Gebrauch einer psychotrop wirkenden Substanz bezeichnet man als Missbrauch. Dies kann langfristig zu Gewöhnung und Abhängigkeit von einem Stoff führen. Bei der Abhängigkeit können psychische oder physische Merkmale im Vordergrund stehen. Im Falle einer physischen Abhängigkeit werden beim Absetzen der Droge Entzugserscheinungen empfunden. Als "Sucht" bezeichnet man den Endzustand der Abhängigkeit, in dem der Süchtige ein unabweisbares Verlangen nach der Droge bzw. dem Gefühlszustand, der mit der Einnahme der Droge verbunden ist, empfindet. Das Verlangen nach der Droge ist zwanghaft; der Süchtige kann nicht mehr freiwillig entscheiden, ob er die Droge nimmt oder nicht [28, 29].
Die beschriebenen Wirkungen wie Euphorie, Wahrnehmungsverschiebungen und Entspannung lassen ein ausgeprägtes Missbrauchspotential von Liquid Ecstasy erwarten. Neuere Untersuchungen scheinen zu bestätigen, dass ein wiederholter Gebrauch zu einer physischen Abhängigkeit führen kann. Mäuse, denen GHB intravenös verabreicht wurde, führten sich selbst weitere GHB-Dosen zu. Durch Gabe eines Antagonisten konnte dieser verstärkende Effekt komplett ausgeschaltet werden [31]. An Affen konnte kürzlich ein (allerdings geringer ausgeprägtes) Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial von Gamma-Hydroxybuttersäure bestätigt werden [33]. Auch beim Menschen sind nach Absetzen der Droge Entzugserscheinungen wie Zittern, Unruhe und Schlaflosigkeit beschrieben [11, 30]. Diese Entzugssymptome verschwinden in der Regel ohne weitere Folgen innerhalb von drei bis zwölf Tagen [30].
Regeln für einen risikomindernden Gebrauch
Der Missbrauch von Liquid Ecstasy in der Partyszene wird sich auch durch verstärkte Aufklärungsarbeit nicht vollständig verhindern lassen. Für manche Fachleute ist es eine Form von Resignation, für andere wiederum Realität und reine Praxisnähe bzw. Schadensbegrenzung (harm-reduction), den Anwendern Tipps zum sichereren Umgang mit der Droge auf den Weg zu geben.
Folgende Regeln werden zum Teil in Form von Handzetteln in Diskotheken verteilt, um das Risiko des Gebrauchs von GHB zu mindern [16]:
- Wenn dir GHB angeboten wird, erkundige dich nach der Herkunft der Substanz.
- Verzichte auf die Anwendung von GHB, wenn du alleine bist.
- Wenn du GHB nimmst, dann nur in einer für dich angenehmen Atmosphäre.
- Falls du GHB einnimmst, dann verwende zunächst nur eine geringe Menge der Substanz (Antesten).
- Auch wenn GHB nicht direkt wirkt, nicht gleich nachlegen.
- Beim Eintreten starker Nebenwirkungen verzichte auf die weitere Einnahme von GHB und lasse dich von einem Arzt oder einer kompetenten Fachkraft (Drogenberater) beraten.
- Trinke während der Wirkung von GHB ausreichend Wasser.
- Verzichte auf Mischkonsum mit anderen Drogen, insbesondere die Kombination mit Alkohol ist gefährlich.
- Nimm während der Drogenwirkung kleine Mahlzeiten ein, wie z. B. Obst, und sorge nach der Drogenwirkung für eine Regeneration mittels Vitamin- und Mineralzufuhr.
- Nach dem Ausklingen der Wirkung solltest du für genügend Schlaf sorgen.
- Auf keinen Fall solltest du unter dem Einfluss von GHB ein Fahrzeug fahren.
Was tun bei Vergiftungen?
Auch bei Vergiftungen mit Liquid Ecstasy geben die Verhaltensregeln zum risikomindernden Gebrauch der Droge [16] die praktikabelsten Ratschläge: "Wenn du siehst, dass jemand Probleme nach der Drogeneinnahme hat, dann führe den Menschen an einen geschützten Ort, bleibe bei ihm und versuche, es ihm behaglich zu machen. Gegen Muskelzittern und Krämpfe hilft die Verabreichung einer Traubenzuckerlösung.
Bei Ängsten und panischen Reaktionen hilft es, wenn du beruhigend auf die Person einwirkst. Bei Kreislaufproblemen sollte sich die Person hinlegen und die Beine hochhalten. Sie liegen höher als der Kopf, der sich in Seitenlage befindet. Sorge für Frischluft. Wenn jemand nach der Einnahme von Drogen kollabiert - die Augen rollen nach hinten, die Atmung geht unregelmäßig, kalter Schweiß tritt auf -, dann sorge für frische Luft und absolute Ruhe. Bringe die Person in die stabile Seitenlage und kontrolliere Atmung und Puls. Wenn du Hilfe brauchst, rufe einen Notarzt und beschreibe, was vorgefallen ist. Hierzu gehört auch, das Rettungspersonal über die eingenommenen Drogen aufzuklären. Bei einer Bewegungslosigkeit muss nicht zwangsläufig ein Koma eingetreten sein."
Bei Überdosierungen kann die Wirkung von GHB mit dem Parasympathomimetikum Physostigmin (z. B. Anticholium®) antagonisiert werden [6]. Dazu wird initial 2 mg Physostigmin intramuskulär oder sehr langsam intravenös appliziert und 1 bis 4 mg alle 20 Minuten bis zu 8 Stunden nachgespritzt. Eine Monitorkontrolle während der Anwendung wird empfohlen. Gefährliche Nebenwirkungen von Physostigmin wie Bradykardie, Herzrhythmusstörungen und Krämpfe können durch Atropin-Verabreichung aufgehoben werden. Bei Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Blutdruckabfall wird eine Dosisreduktion empfohlen. Gegenanzeigen von Anticholium sind u.a. Asthma bronchiale, Gangrän, koronare Herzerkrankungen und mechanische Harnsperre [19].
Aufgrund der drastisch steigenden Konsumentenzahl sollten Notärzte und Rettungssanitäter bei Jugendlichen mit ungewöhnlichen klinischen Symptomen eine Intoxikation mit GHB in Erwägung ziehen [22]. Erschwert wird die Diagnosestellung allerdings durch den von den meisten Anwendern praktizierten Mischkonsum. Dem Rettungsdienst ist es dadurch nahezu unmöglich, Rückschlüsse auf die verabreichten Einzelsubstanzen zu ziehen und konkrete kausale Therapiekonzepte durchzuführen. Von einem unkritischen Gebrauch von Physostigmin bei einem Verdacht auf Vergiftung mit GHB-Beteiligung wird aufgrund der beschriebenen Neben- und Wechselwirkungen des Antidots abgeraten [10]. Im Vordergrund der Akutbehandlung von Intoxikationen dürften somit eher allgemeine lebenserhaltende Maßnahmen stehen.
Synthese von GHB
Erschreckend, aber Realität: Über das Internet wird ein Synthese-Kit zur Herstellung von 180 Gramm GHB zum Preis von 200 US-Dollar angeboten [12]. Aber auch ohne diesen Synthese-Kit ist die Herstellung von GHB für den Fachmann kein Kunststück: Aus Gamma-Butyrolacton, das über Chemikalien- und Laborbedarfs-Händler bezogen werden kann, lässt sich durch einfache Esterspaltung GHB herstellen. Auch aus deutschen Apotheken werden bereits Nachfragen nach Gamma-Butyrolacton gemeldet [12]. Apotheker sollten aus diesem Grund besonders wachsam bei der Abgabe von Chemikalien sein. Die Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker empfiehlt den Apotheken dringend, Gamma- Butyrolacton bei Verdacht auf Verwendung zur Herstellung von GHB nicht abzugeben und Kontakt mit der Grundstoffüberwachungsstelle beim Bundeskriminalamt (Telefon 0611/5514086 oder 5514090) aufzunehmen [20].
Was kostet ein Trip?
Üblicherweise wird Liquid Ecstasy in kleinen Plastikfläschchen, in Schnappdeckelgläschen oder Plastiktütchen angeboten. Gelegentlich wird die Flüssigkeit vom Dealer auch aus größeren Flaschen direkt in die Cola oder das Bier ausgeschenkt. Die exakten Kosten für eine Dosis der begehrten Lösung sind allerdings selbst der Kriminalpolizei nicht bekannt. Rechnet man jedoch zum Wert der bei Dealern sichergestellten Großmengen von Liquid Ecstasy die "handelsüblichen" Aufschläge hinzu, kann man davon ausgehen, dass ein "Trip" (ca. 5 ml) zwischen 10 und 30 DM kosten dürfte [43]. Wie bei den meisten illegalen Drogen sind jedoch die regionalen Preisunterschiede enorm.
Analytik
Ein Nachweis der Droge aus dem Urin, wie für die Mehrzahl der illegalen Drogen beschrieben, ist aufgrund der beinahe vollständigen Metabolisierung von GHB zu Kohlendioxid und Wasser nicht möglich. Auch als sichergestellte Substanz kann der Stoff mit den handelsüblichen Schnelltests nicht nachgewiesen werden. Jedoch ist es möglich, mittels HPLC/UV-Vis-Analytik GHB in Zubereitungen sowohl qualitativ als auch quantitativ zu bestimmen. Die Detektionsgrenze liegt bei 50 Nanogramm. Darüber hinaus existiert ein spezieller HPLC-Thermospray-Nachweis. GHB liefert außerdem ein charakteristisches Massenspektrum [34].
Juristische Situation
Die Substanz Gamma-Hydroxybuttersäure ist dem Arzneimittelgesetz und der Verschreibungspflicht unterstellt [37]. Auf ärztliche Verschreibung darf GHB bzw. das zugelassene Fertigarzneimittel Somsanit abgegeben werden. Der unerlaubte Verkauf der Substanz bzw. von Zubereitungen der Substanz hingegen stellt einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) dar und ist somit strafbar. Da GHB jedoch nicht der Betäubungsmittelpflicht unterliegt [36], ist ihr Besitz bislang nicht illegal.
Zusammenfassung
Nach jahrelangem Missbrauch in den USA und Großbritanien hat Liquid Ecstasy (Gamma-Hydroxybuttersäure, GHB) inzwischen auch in der bundesdeutschen Technoszene an Popularität gewonnen. Die Substanz ist nicht - wie häufig vermutet wird - mit dem seit Jahren innerhalb der Partyszene etablierten Ecstasy (MDMA) verwandt.
Bei GHB, die seit mehr als 20 Jahren in der Anästhesie als intravenöses Narkotikum eingesetzt wird, handelt es sich um eine zentral wirkende Substanz mit benzodiazepinähnlichem Profil. Sie wird als wässrige Lösung oral verabreicht. In geringer Dosierung stellt sich ein Gefühl der Entspannung und eine euphorische Stimmung ein. Höhere Dosen verursachen Wahrnehmungsverschiebungen, Sprachstörungen und Benommenheit. Innerhalb der Partyszene wird Liquid Ecstasy häufig mit weiteren Stoffen kombiniert. Besonders gefährlich sind Wechselwirkungen mit anderen zentral wirksamen Drogen oder Arzneimitteln, beispielsweise mit Alkohol, die eine synergistische Wirkung ausüben. Verschiedene Todesfälle sind bereits beschrieben.
Die Wirkung von GHB kann durch Verabreichung von Physostigmin antagonisiert werden, was jedoch nur nach ausschließlichem GHB-Konsum unter Überwachung des Patienten empfohlen wird. Bei Intoxikationen nach Mischkonsum stehen allgemeine lebenserhaltende Maßnahmen im Vordergrund.
Liquid Ecstasy kann mit handelsüblichen Drogen-Schnelltests (meist Urintests) nicht nachgewiesen werden, da die Substanz fast vollständig zu Kohlendioxid und Wasser metabolisiert wird. Vor dem Hintergrund des deutlich zunehmenden Missbrauchs der Substanz sollten Apotheker wachsam bei der Abgabe von Chemikalien, die zur Synthese von GHB benötigt werden, sein.
Liquid Ecstasy ist eine Substanz, die viele, für die Anwender der Droge oft nicht ersichtliche und kalkulierbare Gefahren birgt. Bleibt zu hoffen, dass Jan Rüdiger tatsächlich endgültig seine Finger von der Droge gelassen hat...
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Liquid Ecstasy, eine farblose, leicht salzig schmeckende Flüssigkeit, gilt nach Ecstasy als die neue Wunderdroge der Partyszene. Trotz der ähnlich klingenden Namen der beiden Drogen handelt es sich um grundverschiedene Substanzen. Ecstasy ist ein Amphetaminabkömmling, während Liquid Ecstasy Gamma-Hydroxybuttersäure ist. Der Missbrauch dieser Substanz hat in jüngster Zeit stark zugenommen. Dabei kann es zu schweren Vergiftungen, eventuell sogar mit Todesfolge, kommen.
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