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Berichte
T. Müller-BohnDie Zukunft hat schon begonnen (Beric
Elektronisches Rezept: Total digital
Dr. Gerd Bauer von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - ABDA, stellte den Entwicklungsstand der Telematik im Gesundheitswesen vor, wobei er besonders auf das elektronische Rezept einging. Ziel des elektronisches Rezeptes ist eine geschlossene digitalisierte Informationskette ohne Medienbruch, d.h. ohne Übertragung von Daten auf Papier und anschließende erneute Digitalisierung. Dies erleichtert und beschleunigt die Auswertung der Daten.
Neben die reine Information über die Verordnung und die anschließende Abrechnung wird als freiwilliges Angebot an den Kunden die Arzneimitteldokumentation treten. Die digital vorliegenden Verordnungen lassen sich leicht auf Interaktionen, Doppelverordnungen, Kontraindikationen, Allergien und besonderen Beratungsbedarf überprüfen, wenn auf der Patientenkarte die diesbezüglichen individuellen Daten gespeichert sind. Diese Auswertung stellt den Schritt von einer reinen Wissensdatenbank zur Entscheidungsunterstützung dar.
Auf die richtigen Karten kommt es an
Der Umgang mit so sensiblen Daten erfordert sichere Verschlüsselungstechniken und zuverlässige Zugangsregelungen. Hierzu sind PIN-geschützte Identifizierungskarten für Ärzte und Apotheker, Health Professional Cards genannt, und institutionenbezogene Access Cards, z. B. für Apotheken, vorgesehen. Problematischer ist die Ausstattung der Patienten mit den nötigen Chipkarten. Eine zusätzliche Karte wird nach den Erfahrungen mit der A-Card in Neuwied kaum akzeptiert. Daher sollte die Krankenversicherungskarte grundsätzlich neu gestaltet werden. Sie könnte dann zusätzlich die Funktionen des elektronischen Rezeptes, eines Überweisungsscheines, einer Jahresquittung für die Zuzahlung und einer Sammlung der Notfall- und Medikationsdaten übernehmen und zugleich einen Fernzugriff auf anderweitig abgespeicherte Befunddaten ermöglichen.
Dabei gilt es, rechtzeitig die Weichen für die künftige Entwicklung zu stellen. Denn neue Patientenkarten wären auch bei der Zentralserver-Lösung erforderlich, die von der Apothekerschaft abgelehnt wird. Werden aber ohnehin neue Karten ausgegeben, können diese auch die Funktion des elektronischen Rezeptes übernehmen, so dass sich die hohen Investitionen und Betriebskosten der Zentralserver-Lösung erübrigen würden. Um weitere Erfahrungen zu sammeln, könnte schon Mitte des nächsten Jahres ein erster Feldversuch gestartet werden. Aussichtsreichster Kandidat hierfür sei die Region um Papenburg, da dort ein funktionierendes Arztnetz bestehe.
Lohnen sich Arzneimittel für die Volkswirtschaft?
Mit der Gesundheitsökonomie behandelte der Vortrag von Prof. Dr. Volker Ulrich, Greifswald, ein weiteres zukunftsweisendes Thema. Der Volkswirtschaftler, der sich neben der Finanzwissenschaft ganz besonders mit der Gesundheitsökonomie beschäftigt, untersuchte die Frage, ob die Kosten der Pharmakotherapie bei einer volkswirtschaftlichen Betrachtung gerechtfertigt sind.
Im Jahr 1997 wurden in Deutschland 11,5% des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheitsleistungen ohne Transferzahlungen aufgewendet, was dem Durchschnitt vergleichbarer Industrieländer entspricht. In den USA und Schweden ist dieser Anteil deutlich höher, obwohl sich diese beiden Gesundheitssysteme in gegensätzlicher Weise vom deutschen System unterscheiden. Demnach könnte der Anteil der Gesundheitsleistungen weniger vom Gesundheitssystem als vielmehr vom Entwicklungsstand und dem Volkseinkommen eines Staates abhängen. Es sei daher anzuzweifeln, dass die politisch propagierte Deckelung der Ausgaben den Präferenzen der Bevölkerung entspricht.
Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt steigt im zeitlichen Verlauf mindestens seit 1991, während der Anteil der Arzneimittelausgaben an der Gesundheitsleistung seitdem fällt. Das zunehmend eingesetzte Geld wird demnach immer weniger für Arzneimittel aufgewendet. Doch ist die erbrachte Gesundheitsleistung nicht durch die Inanspruchnahme bewerteter Leistungen zu messen, sondern letztlich nur durch die erzielten Wirkungen. Diese Wirkungen können direkte medizinische Effekte oder indirekte volkswirtschaftliche Effekte, wie Lohnfortzahlung, Krankengeld, Produktionsausfall, Frühverrentung oder Pflegebedürftigkeit sein. In jüngerer Zeit wird zunehmend die Lebensqualität mitberücksichtigt, die naturgemäß schwer zu erfassen und ökonomisch zu bewerten ist.
Jede Betrachtung von Kosten im Gesundheitswesen muss zwischen direkten Kosten der Erkrankungen und indirekten volkswirtschaftlichen Kosten unterscheiden, um nicht verschiedenartige Größen miteinander zu vergleichen.
Während eine medizinische Betrachtung stets die maximal mögliche Versorgung anstrebt, bemüht sich die Ökonomie um eine Optimierung der einsetzbaren Mittel. Die Maximalversorgung würde im Extremfall bedeuten, alle Mittel für die Gesundheit einzusetzen, doch selbst dann wären immer noch zusätzliche, nicht finanzierbare Leistungen denkbar. Dieses Gedankenexperiment zeigt, dass irgendein Kompromiss zwischen den möglichen Verwendungen von Finanzmitteln in einer Volkswirtschaft gefunden werden muss.
Die Ökonomie lehrt, dass der optimale Kompromiss erreicht wird, wenn die Grenzkosten der letzten erbrachten Leistung dem damit erzielten Grenznutzen entsprechen. Daher sind sowohl Rationalisierung als auch Rationierung im Gesundheitswesen erforderlich. Doch ließen die bisherigen Erfahrungen mit diversen Gesundheitsreformversuchen keine größeren Rationalisierungspotentiale erwarten. Dies scheitere insbesondere an der verengten Sichtweise der Politik, die sich im allgemeinen an Wahlperioden orientiere. Die oft kritisierte Rationierung finde durchaus statt, da nicht alles finanziert werde. Bisher sei dies jedoch eine "weiche" Rationierung, die sich auf nicht-lebensverlängernde Maßnahmen beschränke. Eine weitergehende "harte" Rationierung müsse in einer Demokratie in den Parlamenten offen diskutiert werden und dürfe nicht verdeckt erfolgen. Hier sei eine ethische Diskussion, aber nicht die Ökonomie gefordert.
Bei allen diesen Überlegungen dominiert eine fiskalische Sichtweise des Gesundheitswesen, d. h. dies wird als Kostenfaktor angesehen, der über den Beitragssatz zur Krankenversicherung den ökonomischen Wert des Standortes Deutschland beeinflusst. Doch diese Betrachtung vernachlässigt vollkommen das Gesundheitswesen als Wachstumsfaktor. Gerade die personal- und dienstleistungsintensive Arbeitsweise im Gesundheitswesen stelle eine enorme Chance für den Arbeitsmarkt dar, die bei einer rein fiskalischen Sichtweise vergeben werde.
Teure Zukunft
Für eine Zukunftsprognose bietet sich eine Untersuchung der Steigerungsraten des Anteils der Gesundheitsleistungen am Bruttoinlandsprodukt an. Diese Steigerung liegt teilweise in der Demographie begründet. In Zukunft droht sich dieser Effekt durch das "double aging" zu verstärken, denn einerseits steigt die Lebenserwartung und gleichzeitig sinkt die Geburtenrate.
In der Zeit von 1970 bis 1995 führte jeder Anstieg des Anteils der über 65jährigen an der Bevölkerung um 1% nach Berechnungen von Ulrich zu einem Ausgabenanstieg der GKV um 8%. Eine weitere Ursache für den Ausgabenanstieg ist der technische Fortschritt, der hier im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen ausgabenerhöhend wirkt. Dies erhöhe die Gesundheitsausgaben langfristig um 1% stärker als die Einkommen.
Aus diesen Effekten leitet Ulrich für das Jahr 2040 eine Beitragssatzprognose für die GKV von 23% ab. Doch werde die Politik dies verhindern, so dass eine Kluft zwischen denkbaren und finanzierbaren Leistungen entstehe. Andererseits sei der These entgegenzutreten, das hohe Alter von Patienten sei ursächlich für hohe Gesundheitsausgaben, so dass die höhere Lebenserwartung zu einer Kostenexplosion führen müsse. Vielmehr stiegen die Ausgaben mit der Nähe zum Tod. So würden die weitaus höchsten Gesundheitsausgaben in den letzten Lebensmonaten, unabhängig vom erreichten Lebensalter, veranlasst.
Arzneimittel: oft erfolgreich, aber nicht immer effizient
Einige ökonomische Eigenschaften der Pharmakotherapie sprechen für einen verstärkten Einsatz von Arzneimitteln innerhalb des Gesundheitswesens. So können innovative Arzneimittel die Effektivität der Therapie durch neue Wirkprinzipien und optimale Einstellung der Patienten erhöhen.
Beispielsweise liegen die Therapiekosten für einen schlecht eingestellten Diabetiker um ein Vielfaches über den Kosten für einen optimal eingestellten Diabetiker, was hauptsächlich auf Arbeitsausfällen und Krankenhauseinweisungen beruht. Ein weiterer Vorteil von Arzneimitteln ist ihre egalitäre Verfügbarkeit, während beispielsweise innovative Operationstechniken anfangs zumeist nur wenigen Patienten offen stehen.
Im Gegensatz zu Arzneimittelinnovationen können Nachahmerpräparate aufgrund ihrer geringeren Kosten nur die Effizienz der Therapie, aber niemals die Effektivität erhöhen, da sie auf der Wirkungsebene nicht besser als die Originale sein können.
Demgegenüber weise der Arzneimittelmarkt aber auch Fehlentwicklungen auf, z.B. die große Zahl der verordneten "umstrittenen" Arzneimittel und die problematische Marktzugangsregelung mit einem hohen Anteil von "Altarzneimitteln", deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Untersuchungen von Ulrich und anderen Gesundheitsökonomen sowie eine Studie des Instituts für medizinische Statistik (IMS) beziffern den Anstieg der Arzneimittelausgaben durch innovative Arzneimittel auf etwa 3 bis 4% pro Jahr, was jedoch die tatsächliche Ausgabenentwicklung allein nicht erklären kann.
Weitere Ineffizienzen seien bei den "Me-too"-Präparaten mit geringfügigen Molekülvariationen zu vermuten, die aus ökonomischer Sicht nur als Nachahmerpräparate zu bewerten wären. Insofern bestünden auch im Arzneimittelmarkt noch einige Einsparmöglichkeiten, doch sei die Pharmakotherapie in vielen Fällen eine ökonomisch sehr erfolgreiche Therapieform.
Im Rahmen der Diskussion sprach sich Ulrich in verschiedener Hinsicht für anreizverträgliche Konzepte aus. Dies spreche beispielsweise gegen eine Positivliste. In der Ökonomie werde stets versucht, das Verhalten von Individuen durch Anreize zu steuern. Außerhalb des Gesundheitswesens gelinge dies gut, doch im Gesundheitswesen werde dies von Seiten der Politik abgelehnt.
Nicht die Dosis, sondern die Wirkstoffkonzentration entscheidet
Eine Einführung in ein zukunftsweisendes Thema ganz anderer Art bot der Vortrag von Prof. Dr. Heyo Kroemer, Greifswald, der die Möglichkeiten des Therapeutischen Drug Monitoring (TDM) vorstellte. Hierunter wird die Messung von Arzneimittelkonzentrationen in Körperflüssigkeiten verstanden, sofern die dabei gewonnenen Informationen zur Bestätigung oder Anpassung einer Therapie verwendet werden. Diese Zielsetzung ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Konzepts. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Arzneimittelwirkungen von der am Wirkort erreichten Arzneistoffkonzentration abhängen. Diese wird nicht nur durch die eingesetzte Dosis, sondern ebenso von der Bioverfügbarkeit und der Elimination des Arzneistoffs bestimmt.
Um aus der Konzentration am Wirkort auf die Wirkung zu schließen, muss zudem beachtet werden, dass die Konzentrations-Wirkungs-Beziehung zumeist nur in einem kleinen Bereich etwa linear verläuft. Daher erfordert das TDM in der Praxis eine Vielzahl von Informationen über Patienten, ihre Medikation und die untersuchten Proben. Daneben sind zuverlässige, schnelle und kostengünstige Analyseverfahren erforderlich.
Klassische Indikationen für das TDM sind die Überprüfung der Compliance, der Nachweis von Intoxikationen sowie die Dosiseinstellung bei enger therapeutischer Breite. Daneben gewinnt das TDM Bedeutung bei der Langzeitbehandlung. So wird es beispielsweise häufig für die Einstellung von Ciclosporin bei Transplantationspatienten eingesetzt, da Ciclosporin eine sehr variable Pharmakokinetik aufweist und zudem bereits bei der Metabolisierung im Darm verstoffwechselt wird. Doch ist bei Ciclosporin die Beziehung zwischen Konzentration und Wirkung bisher nicht geklärt, was die Auswahl einer optimalen Zielkonzentration stark erschwert.
Ein weiteres Einsatzgebiet für das TDM sind Arzneistoffe mit hoher Toxizität bei kurzfristig schlecht fassbarem therapeutischem Endpunkt. So hängt die Erfolgsrate von Methotrexat, gemessen am langfristigen Überleben von Tumorpatienten, von der erreichten Wirkstoffkonzentration ab. Doch ist der Therapieerfolg nicht kurzfristig beobachtbar, so dass hier die geeignete Konzentration mit Hilfe des TDM sorgfältig eingestellt werden muss.
Daneben eignet sich das TDM für Patienten mit Funktionseinschränkungen eliminierender Organe. Es werde besonders häufig bei Niereninsuffizienz eingesetzt, obwohl hier auch die Auswertung der Kreatininclearance eine angemessene Dosierung erlaube. Seltener komme das TDM dagegen bei Leberinsuffizienten zum Einsatz, obwohl gerade hier die Stärke des Verfahrens liege. Denn die verfügbaren Leberfunktionswerte gestatten keine Prognose der zu erwartenden Biotransformation verschiedener Arzneistoffe, da sie beispielsweise keine Informationen über intrahepatische Shunts geben.
Außerdem bietet sich das TDM an, um Patienten mit genetisch bedingten Veränderungen der Clearance zu identifizieren. Ein typisches Beispiel bildet die unterschiedliche Ausstattung mit dem Enzym CYP 2D6, über das viele häufig eingesetzte Arzneistoffe metabolisiert werden.
TDM auch für öffentliche Apotheken denkbar
Im Einklang mit den therapeutischen Erfolgen bietet das TDM auch finanzielle Vorteile. So kann eine genauere Einstellung viele Therapien erfolgreicher, sicherer, nebenwirkungsärmer und damit auch kostengünstiger gestalten. Besonders gute Effekte und hohe Einsparungen verspricht sich Kroemer vom Einsatz des TDM in der Antibiotikatherapie.
Daneben sieht er im TDM sogar eine Chance für die öffentliche Apotheke. Die Blutprobengewinnung aus der Fingerbeere sei inzwischen sehr zuverlässig möglich, was die Arbeit der Kinderonkologen zeige. Zur Analytik gebe es geeignete Analyzer für einige Wirkstoffe, gut handhabbare Assays für weitere Arzneistoffe seien in der Entwicklung. Doch gelte es, eine geeignete Finanzierung für eine solche neue Leistung zu finden.
Auch das TDM hat Grenzen
Allerdings müssen auch die Grenzen in der Anwendung des TDM gesehen werden. Diese zeigen sich beispielsweise in der Tumortherapie mit Cyclophosphamid. Dieses wird erst im Körper zur wirksamen Substanz aktiviert und parallel dazu in verschiedener Weise inaktiviert. Ein TDM des Cyclophosphamids sagt damit nichts über die aktive Form aus.
Zudem gibt die Messung einer Wirkstoffkonzentration im Blut nicht an, wie stark der Effekt in den Tumorzellen ist, da die Wirkung über vielfältige Signale vermittelt wird. Da Tumorerkrankungen wesentlich durch eine gestörte Signaltransduktion gekennzeichnet sind, ist eine Aussage über die Wirkung am Zielort so nicht möglich. Bei der Therapie solider Tumoren ist daher ein konventionelles TDM oft wenig aussichtsreich. Dies ist eher ein Einsatzgebiet für das Drug Targeting. Somit erweist sich das TDM insgesamt als ein sehr wertvolles Hilfsmittel für die Individualisierung der Therapie, doch erfordert es eine kritische Indikationsstellung.
Der von Kammer und Verband organisierte Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern befasste sich mit den zukunftsweisenden Themen, die von verschiedenen Seiten die Pharmazie beeinflussen: Gesundheitsökonomie, therapeutisches Drug Monitoring und Telematik: Das elektronische Rezept erfordert sichere Verschlüsselungstechniken, die Pharmakotherapie ist in vielen Fällen eine ökonomisch erfolgreiche Therapieform, und auch das therapeutische Drug Monitoring bietet finanzielle Vorteile, es macht viele Therapien erfolgreicher, sicherer und nebenwirkungsärmer.
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