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Gesundheitsreform: Koalition fährt zweigleisig

BONN (im). Die Koalition fährt zweigleisig, um zumindest Teile ihrer Gesundheitsreform zu retten. Offiziell setzt man auf eine Einigung mit den Bundesländern sowie der CDU/CSU und hofft auf eine Einigung spätestens im Vermittlungsausschuss. Parallel dazu haben die Arbeiten daran begonnen, das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Reform 2000 so umzuformulieren, dass es nicht auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist.

Ende vergangener Woche wurde ein Eckpunktepapier der SPD-Bundestagsfraktion mit dem klangvollen Namen "1. GKV-Innovations-Förderungsgesetz" bekannt, das Teile der Reform so umformuliert, dass die Länderkammer umgangen wird. Als Ziel werden stabile Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorgegeben. Es werden Instrumente aufgezählt, "die ohne Zustimmungspflicht des Bundesrates kurzfristig im Deutschen Bundestag durchgesetzt werden können". Wichtiger Punkt für den Arzneimittelmarkt ist die "qualitätsgesteuerte Neuordnung des Arzneimittelmarktes, insbesondere durch eine Positivliste".

Ziele

Neben stabilen Beitragssätzen wird im Eckpunktepapier die konsequente Förderung von Innovationen in allen Bereichen des Gesundheitswesens, der Einstieg in strukturelle Veränderungen der und zwischen den bisher sektoral abgeschotteten Versorgungsbereichen sowie der Ausbau von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der gesundheitlichen Versorgung anvisiert.

Nächste Reform ab Sommer 2000

"Das Gesetz unternimmt erste wesentliche Schritte zu einer umfassenden Modernisierung des deutschen Gesundheitswesens. Weitere Schritte werden in einem Folgegesetz im zweiten Halbjahr 2000 angestrebt", heißt es in dem Eckpunktepapier weiter. Kurzfristig werden neben der Positivliste die Stärkung der hausärztlichen Versorgung durch Ausbau der hausärztlichen Lotsenfunktion, sektorübergreifende integrierte Versorgungsverträge durch Ausbau von Modell- und Strukturvorhaben sowie der Abbau von Über- und Fehlversorgung zur besseren Versorgung chronisch Kranker für notwendig gehalten.

Darüber hinaus werden als weitere Instrumente strikte Beitragssatzstabilität bei allen Vergütungsvereinbarungen, verbunden mit Flexibilität der Kassen, Geldströme den Leistungen folgen zu lassen, formuliert, der Anspruch der Versicherten auf Prävention, Vorsorge und Rehabilitation soll gestärkt, Selbsthilfe aufgewertet werden. Zudem wird Qualitätssicherung bei der Selbstverwaltung auf Bundesebene verankert, das ärztliche Vergütungssystem neu geordnet, Fallpauschalen in den Krankenhäusern vorgeschrieben.

KBV: Alles alte Paragraphen!

Die niedergelassenen Ärzte warnten unterdessen davor, sich von dem hochtrabenden Namen in die Irre führen zu lassen und dadurch eine echte Förderung von Innovationen zu erwarten. Auf einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am 12. November in Königswinter wurde deutlich, dass die Mediziner an ihrem Protest gegen die ihrer Ansicht nach schlechte Gesundheitsreform festhalten wollen. Verbesserungen seien in dem neuen Eckpunktepapier nicht zu erkennen.

"Das sind die alten Paragraphen", brachte es der Hauptgeschäftsführer der Ärzteorganisation Dr. Rainer Hess auf den Punkt. Da das umstrittene Globalbudget für alle Ausgaben der Krankenkassen nicht durchsetzbar sei, verlängere die Politik einfach die vorhandenen sektoralen Ausgabengrenzen. Der Arzneimittelmarkt wird laut Hess im kommenden Jahr wieder "gedeckelt".

KBV: Nicht erpressen lassen!

Die Festschreibung der sektoralen Budgets sei jedoch völlig unakzeptabel, so die scharfe Kritik. Die Beteiligten des Gesundheitswesens sollten sich "nicht erpressen" lassen, sondern auch künftig gegen diese Reformpläne protestieren, sagte Hess. Durch die sektoralen Budgets tappe die Politik "in dieselbe Falle" wie mit dem seit Jahresbeginn geltenden GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz. Unabhängig von der falschen Weichenstellung kritisierte der KBV-Hauptgeschäftsführer, dass neben der strikten Ausgabenbegrenzung für alle Bereiche zugleich neue Leistungen durch die Politik eingeführt werden, wie beispielsweise die Stärkung des Verbraucherschutzes in zweistelliger Millionenhöhe.

AOK: Konsens fehlt

Auch die Krankenkassen, zunächst auf der Seite der Bundesgesundheitsministerin, mahnen Verbesserungen an. Zwar gehe grundsätzlich kein Weg an Ausgabenbegrenzungen vorbei, es sei jedoch die Frage, wie Budgets bemessen seien. Franz Knieps, Stabsstellenleiter Politik des AOK-Bundesverbands in Bonn, sagte, dass die Probleme im Gesundheitswesen dringend Strukturveränderungen erforderten. Die Politik in Bund und Ländern müsse aber einen größeren Konsens suchen, kritisierte er. Werde die Gesundheitsreform nicht im "common sense" angegangen, werde die Politik beschädigt. Niemand könne Gewinner bei einer zu schnellen Lösung sein, warnte Knieps. Es gehe nicht an, neue Leistungen, die zwar wünschenswert, aber nicht zu finanzieren seien, auf die Solidargemeinschaft der GKV zu wälzen. Als Ausnahme davon würde der AOK-Repräsentant allerdings eine gesetzliche Stärkung der Prävention begrüßen.

Die Koalition fährt zweigleisig, um zumindest Teile ihrer Gesundheitsreform zu retten. Offiziell setzt man auf eine Einigung mit den Bundesländern sowie der CDU/CSU und hofft auf eine Einigung spätestens im Vermittlungsausschuss. Parallel dazu haben die Arbeiten daran begonnen, das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Reform 2000 so umzuformulieren, dass es nicht auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist. Im Gespräch ist das "1. GKV-Innovations-Förderungsgesetz".

1. GKV-Innovations-Förderungsgesetz Auszug aus dem Papier, mit dem das 1. GKV-Innovations-Förderungsgesetz diskutiert wird. Das Gesetz soll sich zur Umsetzung seiner Ziele folgender Instrumente bedienen, die ohne Zustimmungspflicht des Bundesrates kurzfristig im Deutschen Bundestag durchgesetzt werden können:
  • Strikte Durchsetzung des Grundsatzes der Beitragsstabilität im Jahr 2000 bei allen Vergütungsvereinbarungen verbunden mit Flexibilität für die Krankenkassen, Geldströme auch tatsächlich den Leistungen folgen zu lassen.
  • Verbesserung der gesundheitlichen Ansprüche der Versicherten vor allem in den Feldern von Prävention, Vorsorge und Rehabilitation.
  • Aufwertung von Selbsthilfe und gesundheitlichem Verbraucherschutz.
  • Evaluation und Qualitätssicherung durch Neugestaltung der Aufgaben der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Bundesebene.
  • Qualitätsgeschützte Neuordnung des Arzneimittelmarktes, insbesondere durch Einführung einer Positivliste.
  • Stärkung der hausärztlichen Versorgung durch Ausbau der hausärztlichen "Lotsenfunktion" und eine eigenständige Leistungsgebührenordnung für Hausärzte.
  • Grundlegende Neuordnung der Vergütungssysteme im ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Bereich.
  • Übergang zu einem durchgängigen leistungsgerechten Entgeltsystem auf Grundlage eines Fallpauschalensystems für alle Leistungen im stationären Bereich. Dabei gibt das Gesetz die wesentlichen Kriterien für die Ausgestaltung der Entgeltsysteme vor und verpflichtet die Selbstverwaltung zur weiteren Konkretisierung.
  • Ermöglichung sektorübergreifender integrierter Versorgungsverträge durch Ausbau der Möglichkeiten von Modellvorhaben und Strukturvorhaben.
  • Abbau von Über- und Fehlversorgung zur Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker.
  • Mecklenburg-Vorpommern: Land will Budget klären lassen

    Die Arzneimittelbudgets bleiben in ihrer Ausgestaltung umstritten. Auf einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 12. November in Königswinter hob Dr. Rainer Hess, KBV, die Bedeutung der Vorgänge in Mecklenburg-Vorpommern hervor. Dort sehe selbst die Landesregierung Klärungsbedarf. Im nordöstlichen Land haben sich Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigung und Ministerium kürzlich auf ein Moratorium verständigt, das den Regress der Ärzte bei einer Überschreitung des Ausgabentopfes aussetzt. Das Bundesland wird die Verfassungsmäßigkeit vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klären lassen, so die Vereinbarung. (im)

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