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Bericht
P. JungmayrPhytopharmaka im Widerstreit – Beri
Crataegus bei Herzerkrankungen
Sowohl Prof. Dr. Volker Schulz von der Freien Universität Berlin als auch Prof. Dr. Hans-Jörg Just von der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg sprechen Crataegus interessante pharmakologische Wirkungen zu, die aber nicht an das Potenzial der üblicherweise eingesetzten Herzmittel heranreichen. Zur Therapie einer Herzinsuffizienz scheint Weißdorn nicht geeignet.
Für alkoholische Weißdornextrakte besteht seit 1994 aufgrund eines Beschlusses der Kommission E die Indikation "nachlassende Leistungsfähigkeit des Herzens entsprechend Stadium II nach NYHA" (New York Heart Association). Bei dieser Beurteilung stützte sich die Kommission auf die Daten von rund einem Dutzend publizierter kontrollierter Studien, in denen Weißdorn mehrheitlich in einer Dosierung von 600 bis 900 mg Extrakt pro Tag geprüft wurde. In einigen dieser, allerdings nur vier- bis achtwöchigen Studien konnte eine statistisch signifikante und klinisch relevante Überlegenheit des Verums gegenüber einem Plazebo nachgewiesen werden. Die einzige Langzeitstudie, die "SPICE-Studie", in der die Anwendung von Crataegus über zwei Jahre hinweg bei 2000 Patienten untersucht wird, ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen.
Was spricht für Crataegus?
In pharmakologischen Experimenten wurde für Crataegus eine positiv inotrope Wirkung, eine negativ bathmotrope Wirkung, eine Zunahme des koronaren Blutflusses sowie eine Senkung des peripheren Gefäßwiderstandes nachgewiesen. Die Steigerung der Myokard-Kontraktilität geht mit einer Verlängerung der Refraktärzeit einher, wodurch möglicherweise eine leichte antiarrhythmische Wirkung zustande kommt. Der therapeutische Effekt baut sich im Verlauf von etwa zwei bis vier Wochen auf. Weißdorn hat wenig unerwünschte Wirkungen; vereinzelt treten Magenund Darmbeschwerden, Herzklopfen, Herzrasen oder Palpitationen auf. Ferner verfügt Crataegus über eine sehr große therapeutische Breite, sodass Einnahmefehler keine negativen Auswirkungen haben.
Betrachtet man die pharmakologischen Eigenschaften von Crataegus, ist sein Einsatz als Therapeutikum bei kardialen Erkrankungen theoretisch denkbar. Crataegus wirkt schwach inotrop, antiischämisch, myokardprotektiv, antiarrhythmisch, antioxidativ und vasodilatierend. Dank dieser Eigenschaften wäre eine Behandlung der Herzinsuffizienz, speziell derjenigen infolge einer koronaren Herzkrankheit, durchaus denkbar. Indes fehlen bislang kontrollierte, langfristige, randomisierte, plazebokontrollierte, prospektive und doppelblinde Studien, in denen die Wirksamkeit von Crataegus tatsächlich überzeugend nachgewiesen wurde.
Das Potenzial der gängigen Herzmedikamente
Um den Stellenwert einer Therapie mit Crataegus zu veranschaulichen, zeigte Prof. Just die Erfolge der gängigen Therapie auf: JIn zahlreichen Studien mit ACEHemmern wurde nachgewiesen, dass ACE-Hemmer die Lebenserwartung um 30% erhöhen.
- In sechs großen Studien mit Metoprolol wurde eine Reduktion der Letalität um 28 bis 30% nachgewiesen.
- Mit einer Kombination dieser beiden Wirkstoffgruppen werden noch bessere Ergebnisse erzielt.
- Unter einer Digitalistherapie nimmt die Rate der Todesfälle aufgrund der Krankheitsprogression ab. Anhand dieser Beispiele kann also gezeigt werden, dass Crataegus nicht mit den gängigen Herzmedikamenten konkurrieren kann, da derart überzeugende Therapierfolge mit Weißdorn nicht nachgewiesen werden konnten.
Um die Beurteilung von Crataegus abzurunden, zeigte Prof. Just des Weiteren die mögliche Therapie der Zukunft auf, die sich vor allem mit der Frage befasst, wie der myokardiale Phänotyp beeinflusst werden kann. Die Phänotypänderung erfolgt durch
- die Kammerwandspannung,
- das sympatho-adrenerge Syndrom,
- das Renin-Angiotensin-System,
- unspezifische Entzündungsreaktionen.
Auch im Hinblick auf diese zukünftigen Aufgaben moderner Herzmedikamente scheint kein Platz für Crataegus in der Therapie kardialer Erkrankungen zu sein.
Crataegus in der Selbstmedikation?
Vor jeder Selbstmedikation kardialer Beschwerden muss die zugrunde liegende Krankheit diagnostisch abgeklärt werden. Eine Herzinsuffizienz sollte nicht mit Crataegus behandelt werden, da für dieses Krankheitsbild wesentlich potentere Medikamente zur Verfügung stehen. Auch als Präventivmaßnahme erscheint Crataegus ungeeignet, da Weißdorn nicht in der Lage ist, das Fortschreiten einer Herzerkrankung aufzuhalten. Für eine Zusatzmedikation bei einer bestehenden und lege artis behandelten Herzinsuffizienz ist Crataegus ebenfalls nicht geeignet.
Beim Vorliegen einer Herzinsuffizienz besteht die Aufgabe des Apothekers darin, die Compliance des Patienten für die ärztlich verordneten Medikamente zu stärken und ihn von der Nutzlosigkeit einer Selbstmedikation zu überzeugen. Somit bleibt für die Indikation von Crataegus in der Selbstmedikation nur das Krankheitsbild der funktionellen Herzbeschwerden.
Rosskastanie bei Venenleiden
Prof. Dr. Curt Diehm aus dem Klinikum Karlsbad-Langensteinbach zufolge ist bei einer chronisch venösen Insuffizienz die Phytotherapie der Kompressionstherapie ebenbürtig, was in einigen Studien mit Rosskastaniensamen nachgewiesen wurde. Prof. Dr. Heinz Heidrich vom Franziskus Krankenhaus Berlin verweist hingegen auf die Schwachstellen der bislang vorliegenden Studien und ist der Meinung, zum jetzigen Zeitpunkt könne der Nutzen oder die Wirkungslosigkeit einer Phytotherapie aus methodischen Gründen noch nicht bewertet werden. Eine chronisch venöse Insuffizienz ist durch Ödeme gekennzeichnet, die Schwellungen, Schmerzen, Spannungsund Schweregefühl verursachen. Hinzu kommen sichtbare Symptome wie Besenreiser und Krampfadern.
Das Ödem, das typischerweise abends und an heißen Tagen besonders ausgeprägt ist, hat eine Schlüsselrolle als Schrittmacher in der Erkrankung. Es führt zu einer vermehrten transkapillaren Filtration, zu einem verstärkten Venentonus und zu einem erhöhten Gewebewiderstand. Die Wassereinlagerung führt ferner dazu, dass das Gewebe unzureichend mit Sauerstoff versorgt ist und somit langfristig geschädigt wird. Das Endstadium einer chronisch venösen Insuffizienz ist das Ulcus cruris.
Kompressionsbehandlung als "goldener Standard"?
Lange Zeit galt die Kompressionstherapie als Basisbehandlung bei einer chronischen Veneninsuffizienz. Allerdings ist die Compliance sehr gering, und Kompressionsstrümpfe werden in maximal 45% (anderen Untersuchungen zufolge in nur 27%) aller Fälle getragen. Darüber hinaus gibt es Kontraindikationen für eine Kompressionstherapie wie z. B. eine schwere Verschlusskrankheit oder eine schwere Herzerkrankung. Patienten mit Bewegungseinschränkung wie z.B. schwerem Rheuma sind ferner nicht in der Lage, die Strümpfe ohne fremde Hilfe anzuziehen.
Medikamentöse Therapie mit Ödemprotektiva
Zur medikamentösen Therapie von Venenerkrankungen werden Ödemprotektiva eingesetzt. Dazu gehören vor allem pflanzliche standardisierte Extrakte aus Rosskastaniensamen, Mäusedornwurzelstock, Steinkleekraut und Monosubstanzen wie Troxerutin. Allerdings liegen nur für zwei Venenpräparate (Venostasin® und Venoruton®) methodisch korrekte Studien vor, die die Wirksamkeit belegen.
In einer der Untersuchungen wurde ein Rosskastanienextrakt vs. Plazebo und vs. Kompressionstherapie verglichen. Die Wirksamkeit des Rosskastanienextraktes zeigte sich unter anderem in einer 25%igen Ödemreduktion. Im Vergleich dazu führte eine Kompressionstherapie zu einer 26%igen Ödemreduktion. In dieser Studie wurde zum ersten Mal die Gleichwertigkeit einer Kompressionstherapie mit phytotherapeutischen Maßnahmen gezeigt. Das bedeutet unter anderem auch, dass für Patienten mit schlechter Compliance für Kompressionsstrümpfe oder Kontraindikationen für eine Kompressionstherapie eine gleichwertige therapeutische Alternative besteht.
Beurteilungskriterien für Venentherapeutika
Prof. Dr. Heidrich zufolge besitzen einige Phytotherapeutika zwar eine objektiv nachweisbare Wirkung auf die Ödembildung, ihr therapeutischer Wert ist aber dennoch umstritten. Eine nachgewiesene Ödemreduktion durch ein Phytopharmakon muss nicht automatisch eine Verbesserung der zugrunde liegenden Krankheit bedeuten. Bei der Beurteilung von Venentherapeutika sind demnach folgende Punkte zu berücksichtigen:
- Venentherapeutika werden häufig aufgrund subjektiver Beschwerden und ohne medizinische Indikation angewandt, z. B. bei Ödemen, die nicht auf eine Veneninsuffizienz zurückzuführen sind, oder bei massiver Varikosis mit Operationsindikation.
- Die Wertigkeit subjektiver Beschwerden bei einer chronischen Veneninsuffizienz ist unklar.
- Es liegen keine gesicherten Daten vor, welche Ödem-Volumen-Reduktion klinisch relevant ist. JEine entscheidende pathogenetische Bedeutung des Ödems ist für die Entstehung einer Stauungsdermatose und ihrer Folgen bislang nicht belegt.
- Die Relevanz der Ödemreduktion auf die Prognose einer chronisch venösen Insuffizienz ist bislang unklar.
- Es fehlen Langzeitstudien, die nachweisen können, ob phlebologische Pharmaka die Progredienz einer chronisch venösen Insuffizienz aufhalten können.
- Es fehlen Daten zur Wirtschaftlichkeit der medikamentösen Therapie.
- Es ist nicht geklärt, ob Venenpräparate, die bei gleichzeitiger Kompressionstherapie wirksam sind, auch ohne Kompression wirksam sind.
Daraus ergeben sich folgende Forderungen an zukünftige klinische Studien:
- Erfassen der subjektiven Beschwerden in validierten Lebensqualität-Fragebögen,
- Prüfung der Wirksamkeit auch ohne zusätzliche Kompressionstherapie,
- Studiendauer von mindestens einem Jahr,
- Einteilung der verschiedenen Krankheitsstadien nach der CEAP-Klassifikation, die auch ätiologische, anatomische und pathophysiologische Aspekte einbezieht,
- standardisierte Untersuchungsbedingungen wie z. B. gleiche Tageszeit, Körperhaltung, Bewegungsaktivität vor der Messung, Abhängigkeit vom Menstruationszyklus etc.
Empfehlungen für die Praxis
Sofern eine chronisch venöse Insuffizienz vorliegt und andere Erkrankungen wie z. B. ein lymphatisches Ödem (gekennzeichnet durch Schwellungen, die nicht tageszeit- oder temperaturabhängig sind) oder eine schwere Herzerkrankung ausgeschlossen werden können, ist ein Therapieversuch über vier bis sechs Wochen in der Selbstmedikation möglich. Tritt innerhalb dieses Zeitraums keine Besserung ein, sollte dem Patienten ein Besuch beim Arzt empfohlen werden.
Es sollten nur diejenigen Präparate empfohlen werden, deren Wirksamkeit in aussagekräftigen, methodisch korrekten Studien nachgewiesen wurden. Zu beachten ist ferner, dass auch die in den Studien verwendete galenische Zubereitung gewählt und das Medikament nicht zu niedrig dosiert wird. Für zahlreiche Präparate, die z. B. rotes Weinlaub oder Mäusedornextrakte enthalten, fehlen bislang noch aussagekräftige Studien. Externa haben keine therapeutische Wirkungen, ihnen kann je nach Salbengrundlage höchstens ein kühlender Effekt zugesprochen werden. Bei Anwendung von Heparinexterna ist das mögliche Auftreten allergischer Hautreaktionen zu beachten.
Johanniskraut – Antidepressivum oder Streicheleinheit?
"Mit Johanniskraut kann eine therapeutische Lücke geschlossen werden" – "Johanniskraut ist eine wirksame Streicheleinheit aber kein Antidepressivum" – so die gegensätzlichen Einschätzungen von Johanniskrautpräparaten durch Prof. Dr. Walter Müller von der Universität Frankfurt und Prof. Dr. Eckhardt Rüther von der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen.
Depressive Verstimmungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen und betreffen rund 17% der Bevölkerung der Bundesrepublik. Die meisten Depressionen werden als leicht bis mittelgradig eingestuft. Aber auch leichtere Depressionen beeinträchtigen die Lebensqualität des Einzelnen und haben sozio-ökonomische Auswirkungen. Nur ein kleiner Teil der depressiven Patienten wird korrekt behandelt, vor allem ältere Patienten werden häufig überhaupt nicht therapiert. Es gibt zahlreiche Gründe für die therapeutische Unterversorgung depressiver Patienten.
Ein wichtiger Punkt ist die Ablehnung eines Antidepressivums durch den Patient oder durch den Arzt. Psychopharmaka werden vom Patienten häufig aus ideologischen Gründen oder aufgrund der unerwünschten Wirkungen der Antidepressiva abgelehnt. Von therapeutischer Seite aus wird häufig eine Depression nicht erkannt oder die Verordnung von Antidepressiva aufgrund möglicher Nebenwirkungen restriktiv gehandhabt.
Johanniskraut-Boom
Seit ungefähr zehn Jahren werden Johanniskrautpräparate verstärkt als Antidepressivum eingesetzt. Ihr Anteil an allen ärztlichen Antidepressiva-Verordnungen in der Bundesrepublik liegt heute bei rund 25%. Hinzu kommen noch große Umsätze von Johanniskrautmedikamenten im OTC-Bereich. Dieser Boom ist durch die gute Akzeptanz von Johanniskrautpräparaten durch den Patienten und durch den Arzt zu erklären. Der Patient ist eher bereit, ein praktisch nebenwirkungsfreies Phytopharmakon einzunehmen als sich einer Therapie mit chemisch definierten Antidepressiva zu unterziehen, die in der Regel mit unerwünschten Wirkungen behaftet sind. Der Arzt wiederum verordnet gerne Johanniskrautpräparate, da er mit einer hohen Compliance des Patienten rechnen kann.
Was können Johanniskrautpräparate?
Die pharmakologischen Wirkungen von Johanniskraut sind in den letzten Jahren eingehend untersucht worden. Ein wichtiger Wirkstoff im Johanniskraut ist Hyperforin, das u. a. in vitro die neuronale Aufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und L-Glutamat hemmt. Hyperforin ist mit einem Gehalt von 2 bis 5% in den meisten Johanniskrautextrakten auch mengenmäßig der wichtigste wirksame Inhaltsstoff. Darüber hinaus enthalten Johanniskrautextrakte noch weitere pharmakologisch wirksame Substanzen.
Zwischenzeitlich liegen auch mehrere kontrollierte Studien vor, die die Wirksamkeit von Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen zeigen. So konnte z. B. in einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie die Wirksamkeit eines 5%igen Hyperforinextraktes statistisch signifikant nachgewiesen werden, und in einer weiteren Studie, in der Johanniskraut gegen Imipramin geprüft wurde, zeigen beide Mittel bei leichten bis mittelschweren Depressionen eine ähnlich gute Wirkung. Zudem konnte auch in einer Reihe von verhaltenspharmakologischen Modellen die antidepressive Wirksamkeit von Johanniskraut bestätigt werden.
Diese positiven Studienergebnisse müssen allerdings differenziert betrachtet werden, da Studien zur antidepressiven Wirkung von Arzneimitteln aufgrund der Vielschichtigkeit des Krankheitsbildes generell schwierig zu beurteilen sind. Des Weiteren wird die Aussagefähigkeit der bislang vorliegenden Studien durch die relativ kurze Studiendauer begrenzt.
Unterscheidung zwischen Befindlichkeitsstörungen und Depressionen
Depressionen sind mitunter selbst für den Fachmann schwer zu erkennen, da sie sich z. B. vordergründig in somatischen Beschwerden äußern können. Für den Laien bereitet außerdem die Differenzierung zwischen einer Befindlichkeitsstörung und einer echten Depression Schwierigkeiten, zumal der Begriff "Depression" im sprachlichen Gebrauch zunehmend verwässert wird und synonym für echte Depressionen, Befindlichkeitsstörungen, psychosomatische Beschwerden etc. verwendet wird. Dies kann dazu führen, dass Depressionen nicht oder nur unzureichend behandelt werden oder ernste somatische Erkrankungen als Ausdruck depressiver Stimmungen bewertet werden.
Ist eine Depression erkannt, muss eine individuelle Therapie erfolgen, die mehrere Maßnahmen umfassen kann und sich nach der Schwere der Symptome richtet. Bei der Anwendung von Medikamenten muss man sich bewusst machen, dass keines der zur Verfügung stehenden Antidepressiva kausal in die Ätiologie der Depression eingreift. Mit Antidepressiva kann zwar das die Gefühlswelt modulierende neuronale System beinflusst werden, organische, genetische und äußere Faktoren, die ebenfalls an der Pathogenese einer Depression beteiligt sein können, bleiben hingegen unbeeinflusst. Angesichts dieser Komplexität einer Depression und der mitunter schwierigen Aufgabe, eine Depression zu therapieren, haben für Prof. Rüther Johanniskrautpräparate keinen Stellenwert in der antidepressiven Therapie.
Konsequenzen für die pharmazeutische Beratung
Die Therapie einer Depression gehört in die Hände des Arztes, bei Befindlichkeitsstörungen oder leichten Stimmungsschwankungen kann eine Selbstmedikation mit Johanniskrautpräparaten erwogen werden. Wie bereits erwähnt, kann die Unterscheidung zwischen einer Depression und einer Befindlichkeitsstörung Schwierigkeiten bereiten. Als grober Anhaltspunkt gilt, dass sich eine echte Depression immer in mehreren Symptomen (gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schuldgefühlen, Appetitminderung, Schlafstörungen etc.) äußert.
Kann also der Apotheker im Gespräch mit dem Patienten einen plausiblen Grund für die psychische Verstimmung ausmachen, ist gegen eine Selbstmedikation mit Johanniskraut nichts einzuwenden. Ist allerdings nach zwei bis vier Wochen keine Besserung eingetreten, muss er dem Patienten einen Besuch beim Arzt empfehlen. Erscheint der ratsuchende Patient in seiner Mimik und in seinem Wesen völlig verändert, ist von einer Selbstmedikation dringend abzuraten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Johanniskraut insbesondere die somatischen Symptome einer Befindlichkeitsstörung wie z.B. Schlafstörungen, Herzbeschwerden oder Kopfschmerzen günstig beeinflussen kann.
Welches Präparat?
In den meisten aussagekräftigen Studien mit Johanniskraut betrug die Dosierung dreimal täglich 300 mg Trockenextrakt. Abweichende Dosierungsempfehlungen sind abzulehnen, bis auch aussagekräftige Studien mit anderen Dosierungen eine Wirkung nachweisen. Weitere Probleme sind die Standardisierung von Johanniskrautpräparaten auf einen bestimmten Inhaltsstoff und die galenische Aufarbeitung der Droge. Da Johanniskraut – wie bei Phytopharmaka üblich – mehrere Inhaltsstoffe enthält, zur Zeit aber noch nicht bekannt ist, ob sich diese in ihrer Wirkung ergänzen, potenzieren oder abschwächen, ist die Verwendung von Gesamtextrakten zu empfehlen.
Ein weiteres Informationsdefizit besteht ferner im Hinblick auf die optimale Aufarbeitung der Droge (d. h. Extraktionsarten). Solange noch keine Kriterien für die Beurteilung der pharmazeutischen Qualität von Phytopharmaka vorliegen, sollten wiederum nur diejenigen Präparate eingesetzt werden, deren Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen wurde. Bei der Verwendung von Johanniskrauttee wird sicher keine ausreichende Konzentration der Wirkstoffe erzielt.
Benigne Prostatahyperplasie
Wie Prof. Dr. Jürgen Sökeland vom Institut für Arbeitsphysiologie Dortmund darlegte, können Miktionsbeschwerden im frühen Stadium einer benignen Prostatahyperplasie durch Phytotherapeutika gelindert werden. Für die pflanzlichen Prostatamittel sprechen die gute Akzeptanz von Seiten des Patienten, die ausgezeichnete Verträglichkeit und relativ geringe Therapiekosten. Allerdings fehlen noch langfristige Studien, um den Stellenwert einer Phytotherapie besser einschätzen zu können.
Rund die Hälfte aller über 60-jährigen Männer leidet an Miktionsbeschwerden. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil der Betroffenen an und nimmt im achten Lebensjahrzehnt wieder geringfügig ab. An der Entwicklung einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) sind mehrere Faktoren beteiligt, wahrscheinlich spielen auch diätetische Komponenten eine Rolle. So leiden z. B. Asiaten wesentlich seltener an einer Prostatahyperplasie als Nordamerikaner. Vermutlich liegt dies an der asiatischen Kost, die reich an Phytoöstrogenen ist. Die Nahrung älterer Männer sollte daher viel Früchte, Gemüse, Tee, Soja, Getreide, Leinsamen und wenig tierisches Fett enthalten.
Therapeutisches Vorgehen
Das BPH-Syndrom ist in seinem natürlichen Verlauf erheblichen Schwankungen unterworfen. Darüber hinaus sind die Symptome in hohem Maße durch eine Plazebotherapie beeinflussbar. Besteht keine Indikation für einen chirurgischen Eingriff (rezidivierende Harnwegsinfektionen oder Hämaturien, Restharnbildung über 100 ml, wiederholte Harnverhalte oder Abflussstörungen der oberen Harnwege), erfolgt in der Regel bei einer geringen Symptomatik keine Therapie, der Patient wird lediglich in regelmäßigen Abständen kontrolliert ("kontrolliertes Zuwarten").
Nehmen die Symptome zu, erfolgt eine medikamentöse Behandlung. Diese richtet sich nach dem Beschwerdebild, der Größe der Prostata und den individuellen Bedürfnissen des Patienten. Bei einer ausgeprägten irritativen Symptomatik eignen sich Alpha-Blocker, die sehr schnell zu einer Linderung führen. Bei einer großen Prostata wird ein 5-alpha-Reduktasehemmer (Finasterid) bevorzugt, da er die Prostatagröße verringern kann, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer notwendigen Operation mindert. Der Anteil von Alpha-Rezeptorenblockern und 5-alpha-Reduktasehemmern macht rund 20% aller Verordnungen aus, in allen anderen Fällen werden Phytopharmaka verwendet.
Phytotherapie der BPH
Zur symptomatischen Therapie einer benignen Prostatahyperplasie werden Sägepalmenfrucht, Brennnesselwurzel, Phytosterole, Kürbiskerne und Roggenpollen eingesetzt. Die wirksamen Stoffe der genannten Arzneidrogen sowie deren pharmakologische Wirkungen sind nicht in allen Einzelheiten bekannt. Man diskutiert einen entzündungshemmenden Effekt über die Prostaglandinsynthese, eine Hemmung der 5-alpha-Reduktase, einen Östrogeneffekt sowie eine Beeinflussung von Wachstumsfaktoren. Für alle genannten Drogenextrakte liegen Studien vor, in denen die Wirksamkeit und die gute Verträglichkeit nachgewiesen werden konnte (für Kürbiskernzubereitungen noch nicht publiziert).
Allerdings bleiben noch viele Fragen offen, wie z. B. die Langzeiteffekte einer Phytotherapie und die sinnvolle galenische Zubereitung der Droge. Nachgewiesen wurde bislang lediglich eine Besserung der Miktionssymptomatik; die Harnflussrate oder die Größe der Prostata werden durch Phytotherapeutika nicht beeinflusst. Ferner ist noch nicht geklärt, ob durch eine medikamentöse Therapie eine Operation vermieden werden kann oder nur verzögert wird.
Demnach scheint es angebracht, bei leichten Symptomen einer benignen Prostatahyperplasie eine Phytotherapie durchzuführen. Allerdings muss der Patient in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, damit der optimale Zeitpunkt für eine eventuell notwendige Operation nicht versäumt oder eine maligne Erkrankung rechtzeitig erkannt wird.
Ist der Einsatz von Phytopharmaka bei bestimmten Indikationen eine sinnvolle Alternative zu synthetischen Präparaten oder nicht? Um diese Frage ging es auf der zentralen Fortbildungsveranstaltung der LAK Hessen in Gießen. Die jeweilige Wirksamkeit von Phytopharmaka wurde am Beispiel von Herzerkrankungen, Venenleiden, depressiven Erkrankungen und der benignen Prostatahyperplasie dargelegt.
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