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Fortbildung
T. Müller-BohnApotheke und Gesellschaft (Bericht vo
Bei dem gesundheitspolitischen Streitgespräch unter Moderation von Dr. Paul Hoffacker prallten teilweise sehr verschiedene Vorstellungen aufeinander.
Mehr Krankenkasseneinnahmen durch mehr Lohn
Eckhart Lewering, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundesgesundheitsausschusses, bezeichnete das Gesundheitsreformgesetz als längst überfälliges Reformwerk. Gegen vielfältige Kritik an der geplanten Budgetierung führte er an, durch die Kopplung an die Lohnsumme ergebe sich eine Steigerung des Budgets. Mehr Leistungen könnten nur durch höhere Beiträge oder mehr Eigenleistungen finanziert werden, doch fehlten den Bürgern im Osten die Mittel für mehr Eigenleistungen.
Dr. Anne Urschel, PDS, erklärte, ihre Partei sei trotz manch anderer Detailpositionen grundsätzlich für die geplante Reform. Sie forderte den Abbau noch bestehender Unterschiede zwischen Ost und West, insbesondere eine Lohnangleichung. Denn die Unterschiede seien für die problematische Einnahmesituation der Kassen im Osten verantwortlich.
Budget erinnert an Planwirtschaft
Dr. Frank-Michael Pietzsch, CDU, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit des Freistaates Thüringen und Präsident des Thüringischen Landtages, warnte dagegen vor einer Vermischung der Probleme des Gesundheitswesens mit der Ost-West-Angleichung. Er forderte eine längere Diskussion der Reform unter Einbeziehung der Bundestagsopposition und ein neues Konzept für eine Reform zum Jahr 2001. Das Instrument der Budgetierung verglich er mit der Materialknappheit in der kommunistischen Planwirtschaft. Das nun geplante finanzielle Limit anstelle der materiellen Begrenzung sei ebenso falsch. Zur Finanzierung müsse auch über Selbstbeteiligungen gesprochen werden. Derzeit fordere jeder die Versorgung aller Patienten mit den notwendigen Leistungen, aber keiner sage, was notwendig sei.
Michael Domrös, Leiter der VdAK/ AEV-Landesvertretung Thüringen, ging speziell auf die Finanzierungsprobleme der Kassen im Osten ein. Er verwies auf die erheblichen Transfers innerhalb der Ersatzkassen. Diese böten in Ost und West gleiche Beitragssätze, was eine Verschiebung von Mitteln aus dem Westen in den Osten bedeute. Bei den Ortskrankenkassen gebe es dies nicht einmal zwischen den Kassen der östlichen Länder. Angesichts solcher Leistungen der Ersatzkassen lehnten diese weitere Leistungen im Rahmen einer gesetzlichen Umverteilung in den Osten ab.
Zur Zusammenarbeit mit den kassenärztlichen Vereinigungen erklärte Domrös, die Selbstverwaltung könne nur im gegebenen gesetzlichen Rahmen tätig sein. Wenn der Rahmen schlecht sei, könne eine Einigung nicht erzielt werden, was dann aber nicht an dem Einigungswillen der Kontrahenten liege.
Ärzte stehen vor der Pleite
Dr. Wolf-Rüdiger Rudat, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, lehnte das Instrument der Budgets als untauglichen Versuch, den Versorgungsbedarf steuern zu wollen, kategorisch ab. Ausnahmen bildeten nur Budgets, die in sehr kurzen Abschnitten, möglicherweise sogar monatlich, an den Bedarf und die Morbidität angepasst werden. Rudat verwies auf die unmittelbar drohenden Regressansprüche in Thüringen. Auf jeden Arzt kämen Forderungen in Höhe von etwa 20 000 DM zu. Die Kassen seien gesetzlich verpflichtet, diese Forderungen zu erheben, sofern nicht eine andere politische Lösung gefunden wird. Doch drohten bei derartigen Forderungen unmittelbar Insolvenzen von Praxen.
Für Thüringen sei von Anfang an ein zu niedriges Budget festgelegt worden. Zur Lösung könne der zuständige Minister das Budget erhöhen, die Beteiligten könnten das Budget einvernehmlich aussetzen oder das Budget könne wie in Mecklenburg-Vorpommern durch eine Normenkontrollklage überprüft werden. Ungeachtet dessen verordne er, Rudat, was die Patienten benötigen, und fordere seine Kollegen zu einer entsprechenden Vorgehensweise auf. Zur Höhe des Budgets erklärte der zuständige Minister Pietzsch, dies sei zu niedrig, aber dennoch formal richtig angesetzt. Denn es beruhe auf dem unangemessenen Budget von 1996. Hier liege das eigentliche Problem. Da das Budget aber konform mit der Gesetzeslage erlassen sei, könne er es nicht außer Kraft setzen. Allenfalls die Regressforderungen könnten ausgesetzt werden.
Rudat befürchtet durch die geplante Reform zudem Schaden für die Vertrauensbeziehung zwischen Ärzten bzw. Apothekern und ihren Patienten. Die Patienten bekämen Angst, notwendige Leistungen nicht mehr zu erhalten. Dies belaste die Beziehung zu den Patienten. Gegen diese Entwicklung sollten Ärzte und Apotheker solidarisch vorgehen.
Nicht immer auf die Arzneimittel zielen
Michael Karow, erster stellvertretender Vorsitzender des Apothekerverbandes Thüringen, erklärte, dass die Apotheken die Folgen der Reform nicht kompensieren könnten, obwohl sie formal nur mittelbar betroffen sind. Die Selbstmedikation biete keine hinreichenden Chancen zur Kompensation der Ausfälle im Verordnungsbereich. Außerdem trügen die Apotheken die Last, der Bevölkerung die Reformen jeweils transparent zu machen.
Dementsprechend sollten die Belange der Apotheken aber auch in der Reform berücksichtigt werden. Der Vorschlag des Benchmarkings sei vor dem Hintergrund der Festbeträge unverständlich. Denn etwa 80% des GKV-Arzneimittelumsatzes seien durch Festbeträge begrenzt und sollten nun durch das Benchmarking nochmals geregelt werden.
Dr. Siegfried Schellin, erster Vizepräsident der Apothekerkammer Thüringen, verwies auf die zu erwartenden Konsequenzen der Reformansätze. Ähnlich wie bei den juristisch gescheiterten Arzneimittelrichtlinien drohten juristische Maßnahmen gegen die Positivliste. Außerdem hätten Sozialgerichte bereits für die Erstattungsfähigkeit von Viagra entschieden. So könnten juristische Entscheidungen die Finanzplanung der Gesundheitsreform unterlaufen. Dies werde nicht hinreichend beachtet. Insgesamt seien die Einsparmöglichkeiten im Arzneimittelbereich erschöpft. Die Apotheker trügen hierfür selbst die Schuld, da sie so gute Daten liefern. Nun sollten andere Bereiche des Gesundheitswesens angegangen werden, insbesondere die Krankenhäuser und die Krankenkassen.
Gründe für die Probleme des Gesundheitswesens
Im Gegensatz zu der vorwiegend an der aktuellen Gesundheitsreform orientierten Diskussionsrunde befasste sich der Gesundheitsökonom Prof. Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg, Hannover, mit dem Thema aus einer eher grundsätzlichen, wirtschaftspolitischen Sichtweise. Sein Vortrag widmete sich weniger der Tagespolitik, sondern beschrieb ein gesundheitspolitisches Programm einer fiktiven "Partei der ökonomischen Vernunft". Aus einer Analyse der Probleme des Gesundheitswesens leitete er ein wirtschaftspolitisch fundiertes Zukunftsprogramm ab.
Nach Darstellung von der Schulenburgs lässt sich die These, das deutsche Gesundheitssystem sei im internationalen Vergleich besonders gut, nicht empirisch belegen. In OECD-Statistiken von Leistungsgrößen belege Deutschland zumeist Mittelplätze. Demnach würden viele Leistungen erbracht und viel Geld ausgegeben, doch fehle es an der entsprechenden Qualität. Außerdem habe das Gesundheitswesen ein Strukturproblem, aber kein Steuerungsproblem. Planwirtschaftliche Steuerung sei daher keine Lösung.
Bei der Reform des Gesundheitswesens müssten unabänderliche sozioökonomische Trends berücksichtigt und akzeptiert werden. Hierzu gehören der demographische Wandel, der technische Fortschritt und die Angst der Menschen vor Krankheit. Dies gelte auch für das Sisyphus-Syndrom, demzufolge eine Bevölkerung im Durchschnitt immer kränker wird, je mehr Gesundheitsleistungen sie erhält. Denn durch das längere Überleben chronisch Kranker wächst der Anteil dieser Personen an der Bevölkerung. Zudem setze jegliche Effizienzbetrachtung eine klare Zielsetzung voraus. In der Reformdiskussion würden immer wieder effiziente Maßnahmen gefordert, doch müsse dazugesagt werden, an welchen Zielen diese Maßnahmen zu messen seien.
Die Politik müsse zudem Gesundheitsleistungen als Investitionen in die Zukunft und nicht nur als Ausgaben betrachten. Sie seien keine soziale Last, sondern stärkten die Wirtschaftskraft. Hier liege ein erheblicher Unterschied zu typischen Transferzahlungen, wie beispielsweise Renten, mit denen Gesundheitsleistungen nicht verglichen werden dürften. Denn bei Transferzahlungen sei die spätere Verwendung offen, Gesundheitsleistungen würden dagegen unmittelbar innerhalb des Wirtschaftssystems umgesetzt.
Konzept einer "ökonomisch vernünftigen" Reform
Auf der Grundlage dieser Analyse empfahl von der Schulenburg ein umfassendes gesundheitspolitisches Programm. So sei eine offene ethische Debatte über den Anteil der privaten und der solidarischen Finanzierung erforderlich. Dies dürfe nicht nur in kleinem Kreis diskutiert werden, sondern gehöre in die Öffentlichkeit. Dabei sei zu bedenken, dass sich ethische Fragen grundsätzlich erst bei Knappheit stellen, weil dann eine Entscheidung getroffen werden müsse. Insofern sei dies eine typische ethische Diskussion.
Zudem müsse die Einkommensverteilungsdiskussion aus der Krankenversicherung herausgelöst werden. Die Finanzierung durch einkommensabhängige Beiträge sei ein Grundfehler und wirke als Sondersteuer. Dies führe zu verschiedenen Fehlentscheidungen, beispielsweise zu einem Risikostrukturausgleich, der dem Wettbewerb widerspreche. Dagegen sei die Selbstverantwortung der Versicherten zu stärken. Dies bedeute nicht unbedingt eine höhere Selbstbeteiligung. Ein positives Beispiel sei das Medisafe-Programm in Singapur, bei dem Gesundheitsleistungen von einem speziellen Sparkonto bezahlt werden, das bei negativem Saldo am Jahresende vom Staat ausgeglichen wird. Denn 80% der Gesundheitsausgaben erwiesen sich als nicht risikobehaftet und sind damit planbar, obwohl sie die Patienten zu unterschiedlichen Zeiten in Form verschiedener Krankheiten treffen. Nur 20% der Gesundheitsausgaben seien risikobehaftet und durch individuelles Ansparen nicht zu finanzieren.
Weiterhin schlug von der Schulenburg vor, integrierte Versorgungssysteme zu schaffen, in denen verschiedene Leistungsanbieter zusammenarbeiten. Den Apotheken empfahl er, hier eine besondere Rolle einzunehmen. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Zugriffsmöglichkeit auf entscheidende Daten sollten sie sich in die Mitte solcher Netze stellen. An die Stelle der Einzelleistungsvergütung in der Medizin sollte eine ergebnisorientierte oder pauschalierte Vergütung treten. Hiervon gingen insbesondere im Krankenhaus bessere Anreize aus.
Erforderlich sei außerdem eine konsequente Qualitätssicherung, insbesondere im ärztlichen Bereich. Anstelle kleiner Diskussionszirkel sollten sich die Ärzte einem gegenseitigen peer review unterziehen, d.h. in bestimmten Zeitabständen bei Kollegen hospitieren und mit diesen über Arbeits- und Behandlungsabläufe sprechen.
Schließlich seien weniger und übersichtlichere Gesetze zu fordern. Dies gelte auch in Hinblick auf die europäische Harmonisierung, die mit möglichst wenigen Regeln auskommen solle. In diesem Zusammenhang appellierte von der Schulenburg an die Apothekerschaft, "ja" zu Europa zu sagen. Es gelte, das deutsche System der Arzneimittelversorgung als positives Modell für Europa darzustellen und sich damit gegenüber Systemen mit Fremd- und Mehrbesitz zu behaupten. Dagegen sei es nicht sinnvoll, Europa eine protektionistische Haltung entgegenzusetzen.
Netze: Chance oder Risiko?
In der anschließenden Diskussion wurde das Plädoyer für integrierte Versorgungsformen hinterfragt. So befürchtet der Vorsitzende des Thüringischen Apothekerverbandes, Dr. Helmut Wittig, eine totale Strukturveränderung durch Netze. Dies bringe fremde Kapitalgeber in das System, was die Entscheidungsfreiheit der freien Heilberufler untergrabe und damit das Ende der Freiberuflichkeit bedeute.
Von der Schulenburg riet dagegen den Apothekern zu mehr Selbstbewusstsein. Große Konzerne, die in hierarchischen Strukturen denken, könnten das Gesundheitssystem nicht managen und bräuchten die Kompetenz der freien Heilberufler. Anstatt Bedenken zu äußern, sollten die Apotheken die Chance zu einer aktiven Rolle in den Netzen wahrnehmen. Alle bisherigen Netze seien gescheitert, da sie auf Kostenersparnis ausgerichtet sind.
Viel erfolgversprechender sei dagegen das Ziel der Qualitätsverbesserung, bei dem sich auch die Apotheker positionieren könnten. Die Qualitätsdiskussion sei wichtiger als die Preisdiskussion. Die befürchteten Einkaufsmodelle kämen ohnehin. Daher sollten die Apotheker dies aktiv aufgreifen und selbst Angebote machen. Die Verbände könnten dies unterstützen, entscheidend sei aber die Aktivität auf lokaler Ebene. Bezüglich der inhaltlichen Gestaltung der künftigen Arbeit der Apotheker, auch innerhalb von Netzen, verwies von der Schulenburg auf den nachfolgenden Vortrag.
Gesellschaftliche Herausforderung zu pharmazeutischer Betreuung Prof. Dr. Marion Schaefer, Berlin, beschrieb die Bedeutung der pharmazeutischen Betreuung als Antwort auf eine gesellschaftliche Herausforderung. Neben der Produktsicherheit fordere die Gesellschaft von den Apotheken, die Beratung für eine sachgerechte Anwendung der Arzneimittel zu liefern. Die Forderung nach einer sicheren, wirksamen und effizienten Arzneimittelanwendung solle durch die pharmazeutische Betreuung eingelöst werden. Schaefer wertete dies als Teil einer langen Entwicklung zu einer stärker patientenorientierten Pharmazie. Doch hält sie eine gesetzliche Verankerung der pharmazeutischen Betreuung derzeit noch für verfrüht, da noch mehr Überzeugungsarbeit innerhalb des Berufsstandes zu leisten sei.
Wer behaupte, schon lange pharmazeutische Betreuung zu praktizieren, meine nicht die Tätigkeit im Sinne der wissenschaftlich anerkannten Definition. Denn diese schließe die systematische Erfassung der Medikationsdaten und der in der Apotheke erbrachten Betreuungsleistungen zwingend ein. Die Apotheke als Informationsschnittstelle solle zudem stärker die Ergebnisse der Behandlung und Betreuung festhalten. Dies ebne den Weg zu einer evidenzbasierten Pharmazie in Analogie zur evidence based medicine, die ebenfalls auf Ergebnisse konzentriert sei. Zur Patientenorientierung in der pharmazeutischen Betreuung gehöre es, mehr auf die Fragen und Ängste der Bevölkerung zu achten.
Leistungen im Rahmen der pharmazeutischen Betreuung
Zum Leistungsspektrum der pharmazeutischen Betreuung zählen
Als schwerwiegendstes Gegenargument werde der Zeitaufwand genannt. Doch relativiere die inzwischen verfügbare Softwareunterstützung dieses Argument erheblich. Ein weiteres Hindernis bilde die Akzeptanz der Ärzte. Dies sei besonders bei solchen Leistungen problematisch, für die Ärzte ansonsten honoriert werden. Gegenüber Ärzten sollte stets mit den positiven Effekten für die Patienten argumentiert werden. Daneben müsse um die Akzeptanz der Patienten geworben werden, die die neue Leistung nicht kennen und daher auch nicht nachfragen.
Weiterhin werde die teilweise unzureichende Ausbildung und die Motivation der Mitarbeiter als Hindernis angeführt. Doch ändere sich dies durch die verstärkte Aus-, Fort- und Weiterbildung. Zudem werde die pharmazeutische Betreuung in der Praxis weiterentwickelt. Positive Impulse ergeben sich auch aus der Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen.
Der Weg zur Umsetzung
Sehr wichtig für die Implementierung der pharmazeutischen Betreuung sei die inhaltliche Ausrichtung von Qualitätsmanagementsystemen auf diese Tätigkeit. Qualitätsmanagementsysteme umfassen naturgemäß das ganze Spektrum der Apothekertätigkeit. Daher hofft Schaefer, dass die derzeit diskutierte Mustersatzung der ABDA zur Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen durch Apothekerkammern auch den Begriff der pharmazeutischen Betreuung erwähnen werde. Daneben sollten Aktivitäten in die Zukunft gerichtet werden. So müsse sich die Forschung vorab mit der weiteren Standardisierung und Dokumentation von Dienstleistungen befassen, und auch die Unterstützung durch Computer müsse vorangetrieben werden.
Bezüglich des Wirkungsnachweises der pharmazeutischen Betreuung in Studien verwies Schaefer auf ein grundsätzliches Problem. Hier könne im Gegensatz zu typischen klinischen Studien nicht mit echten Placebogruppen gearbeitet werden. Auch in den Kontrollgruppen finde eine gewisse Form der Betreuung statt, sodass sich die Verum-Gruppe nicht mehr unbedingt signifikant von der Kontrollgruppe unterscheide.
Dennoch ließen sich positive Effekte auf das subjektive Gesundheitsbefinden, einzelne Gesundheitsdaten, das Wissen, die Compliance, Aspekte der Lebensqualität, die Patientenzufriedenheit und die Erfassbarkeit arzneimittelbezogener Probleme aufzeigen. Von Studien sei ein enges Studiendesign mit einer definierten Zielvorgabe zu fordern. Neben möglichst konkreten Ergebnisparametern seien auch die Prozessindikatoren möglichst genau zu definieren und zu messen. Denn nur so werde klar, ob ein bestimmter Patient tatsächlich im Sinne der Definition betreut wird. Ein Beispiel hierzu bilde die Zahl der identifizierten arzneimittelbezogenen Probleme.
Im Durchschnitt seien bei einem längeren Betreuungsprozess fast immer ein oder zwei derartige Probleme pro Patient zu erwarten, wenn die Betreuung angemessen durchgeführt wird. Für die praktische Anwendung sei zudem die Nachhaltigkeit der Betreuungsmaßnahmen wichtig, da die erzielten Verbesserungen bei chronisch Kranken im Laufe der Zeit zurückgehen, wenn die Betreuung nicht andauert.
Insgesamt bestünden für die pharmazeutische Betreuung in Deutschland ideale Rahmenbedingungen, sodass es nun primär um die Bereitschaft der Apotheken gehe, diese tatsächlich zu praktizieren. Letztlich sei die pharmazeutische Betreuung für die Zukunft das beste Mittel für Kundenbindung und Marketing der Apotheken.
Apotheker als Verbraucherschützer
Eine weitere wichtige Aufgabe der Apothekerschaft beleuchtete ABDA-Präsident Hans-Günter Friese in seinem Vortrag zur Rolle des Apothekers als Verbraucherschützer im Arzneimittelmarkt. Es gelte, den Patienten einen wirksamen Einsatz der Arzneimittel zu ermöglichen und sie zugleich vor den negativen Folgen eines Fehlgebrauchs zu bewahren. Dabei habe sich die Apotheke dem gesellschaftlichen Wertewandel zu stellen, der neue Anforderungen an die Anwendungssicherheit von Arzneimitteln stelle.
Friese zeigte die historische Entwicklung des Verbraucherschutzgedankens auf, der seit Gründung der damaligen EWG auch einen hohen Stellenwert in der europäischen Rechts- und Wirtschaftsordnung habe. Daneben zeige sich der Verbraucherschutzgedanke in vielen nationalen Regelungen zur beruflichen Tätigkeit von Apothekern und zum Betrieb von Apotheken. Zu den gesetzlichen Forderungen trete die Überwachung durch staatliche Organe, die die praktische Umsetzung des Verbraucherschutzes sicherstellen solle.
Daneben gebe es vermehrt selbsternannte, nicht kontrollierte Organisationen, die durch veröffentlichte Aussagen Bedeutung erlangen. Insgesamt wachse die Anwaltsfunktion solcher Verbraucherverbände und Selbsthilfegruppen in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund müsse sich auch die Apotheke wandeln. Wenn die Gesellschaft ihren Schwerpunkt von der Produktion über die Dienstleistung zur Kommunikation verschiebe, müsse auch die Apotheke verstärkt die Kommunikation über das Arzneimittel bieten. Apotheker müssten die Verbraucher aktiv aufklären und auf diese zugehen. Diese aktive Rolle sei als Verbraucherschutz zu verstehen. Dies beginne in der Apotheke mit der einfachen Frage an jeden Patienten: "Kennen Sie dieses Arzneimittel?" Dies sei in jeder Apotheke zu leisten und öffne die Möglichkeit zu einer weitergehenden Beratung.
Doch dürfe sich die Beratung nicht mehr auf das Produkt beschränken. Zu der geforderten "umfänglichen" Beratung gehöre auch der allgemeine Wissensstand des Patienten. Es gelte stets zu bedenken, dass der Patient der größte Unsicherheitsfaktor in der Arzneimitteltherapie sei. Angesichts der hohen erreichten Produktqualität gehe von der mangelnden Compliance ein weitaus größeres Risiko aus als vom Arzneimittel selbst oder von einer möglicherweise unzulänglichen Diagnose. Der Bedarf für zusätzliche Information bestehe auch im Rahmen der Selbstmedikation. Hier stehe der Apotheker als alleiniger Fachmann im Rahmen der Behandlung vor einer besonderen Verantwortung. Ziel müsse hier nicht das quantitative, sondern das qualitative Wachstum sein.
Politische Rahmenbedingungen für erfolgreiche Arbeit
Von der Politik forderte Friese, Arzneimittel nicht nur punktuell unter ihrem Ausgabenaspekt zu betrachten. Vielmehr solle die gesamte Behandlung mit allen Folgekosten gesehen werden. Es solle nicht am, sondern mit dem Arzneimittel gespart werden. Der immer wieder geäußerte Gedanke des Wettbewerbs im Gesundheitswesen sei positiv zu sehen, da Wettbewerb die Leistung fördere. Doch solle dies ein Wettbewerb zwischen Apotheken um die optimale Umsetzung des Beratungsauftrages sein. Ein Wettbewerb mit dem Versandhandel sei dagegen abzulehnen, da ein Versandhandel unter anderen Bedingungen arbeiten und Rosinenpickerei betreiben würde.
Friese appellierte an die Apotheker, den Gedanken an den Wettbewerb hochzuhalten, da sie sonst von der Gesellschaft nicht ernst genommen würden. Der erforderliche Qualitätswettbewerb in Beratung und Kommunikation münde letztlich in die pharmazeutische Betreuung. Diese solle kontinuierlich, systematisch und ohne Zögern umgesetzt werden. Die pharmazeutische Betreuung stelle letztlich gelebten Verbraucherschutz dar. Dabei sei eine gesicherte und nachvollziehbare Qualität der erbrachten Leistung erforderlich. Dies erfordere die Installation von Qualitätsmanagementsystemen. Dabei seien die Prozesse apothekenindividuell nach den jeweiligen betrieblichen und nach pharmazeutischen Erfordernissen zu gestalten.
Als weitere Zukunftsperspektive ging Friese auf die verstärkte Nutzung der EDV ein und verwies auf das Telematik-Projekt der ABDA. Neue Medien sollten nicht nur als Horror angesehen werden, vielmehr sollten sich auch die Apotheker dieser Medien bedienen. Daher sei die ABDA in Verhandlungen zur Installation eines Callcenters der deutschen Apothekerschaft. Doch dürfe die Information durch Callcenter nie von der Logistikfunktion getrennt werden. Denn dann könne der Patient seine Fragen nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Erhalt der Arzneimittel stellen, was für den Patienten nicht akzeptabel sei.
Der 5. Thüringische Apothekertag in Weimar stand unter dem Motto "Apotheke und Gesellschaft". ABDA-Präsident Hans-Günter Friese, die Arzneimittelepidemiologin Marion Schaefer und der Gesundheitsökonom Graf von der Schulenburg trugen ihre Standpunkte zur Perspektive des Gesundheitswesens und speziell der Apotheken vor.
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