Medizin

U. Grimm, G. Giers, R. BaldFetale Alloimmune Thrombo

Bei der fetalen Alloimmunthrombozytopenie (FAIT) handelt es sich um eine seltene Erkrankung des Fetus, die durch eine Unverträglichkeitsreaktion zwischen den Thrombozyten des Fetus und der Mutter hervorgerufen wird: Durch fetale, von väterlicher Seite vererbte Thrombozytenantigene, die der Mutter fehlen, wird die mütterliche Immunisierung gegen diese Antigene evoziert. Die mütterlichen Antikörper passieren die Plazenta und führen im Blutkreislauf des Fetus zur Thrombozytopenie und den damit verbundenen Folgeerscheinungen, unter Umständen zum intrauterinen Fruchttod. Die Problematik dieser Erkrankung liegt darin, dass sie aufgrund der Seltenheit von einem Fall auf 1000 Schwangerschaften sowie der relativen Unbekanntheit oft nicht erkannt wird und somit nicht therapiert wird.

Diagnose der FAIT

Während einer Schwangerschaft wird regelmäßig auf eine Immunisierung gegen Rhesusfaktoren untersucht. Eine Untersuchung auf Immunisierung gegen Thrombozytenantigene erfolgt nicht routinemäßig, da sie sehr selten vorkommt. Andererseits ist die Dunkelziffer der FAIT sehr hoch, da die Erkrankung als Ursache eines frühen Spontanaborts vor der 20. Schwangerschaftswoche [1] oder aber eines späteren intrauterinen Fruchttods durch intrakranielle Hirnblutungen verkannt wird. Die Mortalitätsrate wird mit 10 bis 15% angegeben [2, 3]. Auch eine Fehlinterpretation der FAIT als Symptom einer septischen Neugeborenenerkrankung kommt vor [1].

So wird durchaus von Frauen berichtet, bei denen erst nach bis zu vier missglückten Schwangerschaften die Diagnose FAIT gestellt werden konnte [4]. Dabei ist die FAIT die häufigste Ursache einer schweren Thrombozytopenie bei Neugeborenen [5]; erst an zweiter Stelle stehen durch Infektionen hervorgerufene Thrombozytopenien.

Eine pränatale Diagnostik erfolgt in spezialisierten Laboratorien durch die Analyse des Blutes von Mutter und Vater. Sie sollte in allen Fällen durchgeführt werden, in denen ein vorangegangenes Kind an einer Thrombozytopenie oder an hämorrhagischer Diathese wie intrakraniellen Blutungen oder Hydrozephalus litt oder in denen ein intrauteriner Fruchttod auftrat [1, 4, 6]. Dadurch ist die Aussage möglich, wieviel Prozent der Nachkommen betroffen sein können. Um das Vorliegen und Ausmaß der FAIT beim Fetus zu erkennen, wird Blut in der 20. bis 22. Schwangerschaftswoche aus der Nabelschnur entnommen, um die Thrombozytenkonzentration sowie (durch Genanalyse mittels PCR) die fetalen Thrombozytenantigene zu bestimmen.

Ätiologie und Pathogenese

Auf den Thrombozyten befinden sich verschiedene Antigene, die nach der neuen Nomenklatur als HPA-1 bis HPA-5 bezeichnet werden (Tab. 1). Etwa 98% der europäischen Bevölkerung weisen das Oberflächenantigen HPA-1a auf. In sehr seltenen Fällen, ca. 1 bis 2% der Bevölkerung, fehlt dieses Antigen auf den Thrombozyten. Noch seltener ist das Auftreten des Antigens HPA-5b bei männlichen Personen.

In der europäischen Bevölkerung ist das Fehlen des HPA-1a bei der Mutter für 80 bis 90% der Alloimmunthrombozytopenien verantwortlich [6], danach folgt das Auftreten von HPA-5b beim Vater. Bei den Nachkommen von HPA-1a- oder HPA-5b-negativen Müttern und HPA-1a- oder HPA-5b-positiven Vätern kann dann der Fetus ein Thrombozytenantigen besitzen, das der Mutter fehlt, und somit die FAIT auslösen. Bezogen auf alle Schwangerschaften, wird die Häufigkeit der FAIT auf 0,2 bis 2 Promille geschätzt [1, 6-8].

Eine Besonderheit der fetalen Thrombozyten liegt darin, dass sie die Plazenta insoweit durchdringen können, dass das maternale Immunsystem in Kontakt mit den fetalen Thrombozyten kommt (Abb. 1). So werden schon bei der Erstschwangerschaft maternale IgG-Antikörper gegen die Thrombozyten des Fetus gebildet. Die IgG-Antikörper der Mutter können die Plazenta passieren und veranlasssen Makrophagen, die Thrombozyten im fetalen Blutkreislauf zu zerstören (Abb. 2). Bei einer HPA-1a-Inkompatibilität ist das Ausmaß der fetalen Thrombozytopenie größer als bei einer HPA-5b-Inkompatibilität [7].

Klinisches Bild der FAIT

Von einer Thrombozytopenie spricht man, wenn die Anzahl der Thrombozyten je Mikroliter Blut weniger als 150000 beträgt. Sinkt die Konzentration der Thrombozyten unter 20000 bis 30000/ml Blut ab, so können spontane Blutungen auftreten. Das Ausmaß der Thrombozytopenie bei Feten lag bisher bei Werten von 2000 bis 91000 Thrombozyten je Mikroliter Blut.

Je nach Schwere der Thrombozytopenie kann das klinische Erscheinungsbild beim Fetus von der Symptomlosigkeit (ca. 10% der Fälle) über Petechien (90%), Hämatome (66%) und Blutungen der Eingeweide (30%) bis zu gefährlichen intrakraniellen Blutungen (10 bis 30% der Fälle) mit neurologischen Ausfällen bis hin zum intrauterinen Fruchttod (10-15%) reichen [6, 7] (Abb. 3).

Oberstes Ziel der Therapie ist das Vermeiden von Hirnblutungen. Diese treten in den meisten Fällen zwischen der 30. und 35. Schwangerschaftswoche auf [6], sie wurden aber auch schon in der 14. bis 20. Schwangerschaftswoche berichtet [9]. Bis zu 20% von lebend geborenen FAIT-Patienten haben bleibende neurologische Schäden durch intrakranielle Blutungen wie z.B. geistige Behinderung, Krampfleiden und Blindheit [2, 3].

Therapiemöglichkeiten

Bislang besteht keine international anerkannte Standardtherapie der FAIT [9]. Weiterhin gibt es keine Parameter, anhand derer das Ansprechen der einen oder anderen Therapie vorhersagbar wäre [9]. Zur Diagnostik muss durch eine Nabelschnurpunktion die Thrombozytenkonzentration im fetalen Blutkreislauf ab der 20. Schwangerschaftswoche festgestellt werden (s. o.). Die Blutentnahme aus der Nabelschnur ist in 5% der Fälle mit Blutungskomplikationen verbunden, weil es bei sehr niedrigen Thrombozytenkonzentrationen schon aus der Einstichstelle der Punktionsnadel bluten kann. Daher sollte in jedem Fall eine anschließende Transfusion von kompatiblen Thrombozyten vorbereitet und wenn notwendig applizierbar sein [10].

Je nach Ausmaß der fetalen Thrombozytopenie ist in milden asymptomatischen Fällen keine weitere Therapie notwendig. Allerdings sollte in regelmäßigen Abständen die Thrombozytenkonzentration im Nabelschnurblut kontrolliert werden [10]. Dies ist auch vor dem Hindergrund wichtig, dass gegen Ende der Schwangerschaft die fetale Thrombozytenkonzentration in der Regel abnimmt [9].

Die Behandlung wird weltweit recht unterschiedlich gehandhabt. Wichtigstes Ziel der Therapie ist, wie bereits oben erwähnt, das Verhindern von intrakraniellen Blutungen mit ihren oft fatalen Auswirkungen. Behandlungsmöglichkeiten sind

  • die medikamentöse Therapie mit Glucocorticoiden,
  • die Gabe von Immunglobulin G (IgG) an Mutter oder Fetus,
  • die kombinierte Gabe von Glucocorticoiden mit IgG oder
  • die Transfusion von Thrombozyten über die Nabelschnur in den Kreislauf des Fetus (intrauterine Thrombozytentransfusion).

    Tabelle 2 zeigt auswahlsweise einige unterschiedliche Therapieregime, die in klinischen Studien untersucht worden sind. Die Resultate der Studien sind sehr heterogen. So berichten einige Arbeitsgruppen über eine Ansprechrate von 62 bis 74% nach IgG-Therapie [5], wohingegen andere Arbeitsgruppen keine positiven Effekte einer solchen Behandlung nachweisen können [1]. Im Folgenden werden vier Behandlungsregime näher erläutert.

    1. Therapie der Mutter mit IgG. Sie kann ab der 12. Schwangerschaftswoche begonnen werden [7]. Unter einer intravenösen IgG-Therapie sind jedoch einzelne Fälle von intrakraniellen Blutungen aufgetreten [6]. Der genaue Wirkmechanismus des IgG ist zur Zeit unklar. Diskutiert werden:

  • Eine Reduktion der fetalen Thrombozytopenie durch Verminderung der mütterlichen Antikörper-Spiegel.
  • Eine Reduktion der fetalen Thrombozytopenie durch Hemmung des plazentaren Übertritts der maternalen Antikörper.
  • Eine Reduktion der fetalen Thrombozytopenie durch Blockade des Fc-Fragmentes im fetalen Blutkreislauf.
  • Eine Hemmung des Auftretens von intrakranialen Blutungen unabhängig von Effekten auf die Thrombozytenkonzentration des Fetus [6].

    2. Therapie des Fetus mit IgG. Dabei werden die gleichen Ziele wie bei der Therapie der Mutter verfolgt, nur bietet die Behandlung des Fetus den Vorteil, mit wesentlich geringeren Mengen an IgG auszukommen.

    3. Therapie mit Glucocorticoiden. Sie soll ebenfalls die Anzahl der maternalen Antikörper reduzieren. Bei den ersten drei Therapien ist die regelmäßige Nabelschnurpunktion zur Kontrolle der Thrombozytenkonzentration des Fetus unerlässlich, da nur so der Therapieerfolg beurteilt werden kann [9]. Bei den Fällen, die nicht auf eine solche Therapie ansprechen, sollte die Therapie mit Thrombozytentransfusionen erfolgen.

    4. Therapie des Fetus durch Thrombozytentransfusion. In einigen Behandlungszentren (z. B. Universitätskliniken in Köln und Düsseldorf) wird ausschließlich die Thrombozytentransfusion eines mit der Mutter kompatiblen, Antigen-negativen Thrombozytenkonzentrates an den Fetus angewendet (Abb. 4).

    Dieses Verfahren ist sehr aufwendig und kann nur von Spezialisten durchgeführt werden. Die fetalen Thrombozytenkonzentrationen werden dabei jeweils vor und nach der Transfusion von 20 bis 30 ml Thrombozytenkonzentrat in die Nabelschnurvene bestimmt. Die Häufigkeit der intrauterinen Thrombozytentransfusion an den Fetus richtet sich nach der individuellen fetalen Thrombozytenkonzentration und schwankt zwischen vier und elf Punktionen bis zur Geburt in ein- bis vierwöchentlichen Zeiträumen. Die Feten werden in der 35. Schwangerschaftswoche durch Kaiserschnitt entbunden.

    Das Risiko eines fatalen Ausgangs der intrauterinen Thrombozytentransfusion liegt in der Universitätsklinik in Köln in Zusammenarbeit mit der Transfusionszentrale der Universität Düsseldorf bei unter 1% [1]. Dieser Wert ist gegenüber dem Blutungsrisiko von bis zu 30% so gering, dass eine solche Behandlung gerechtfertigt ist. Dennoch sollte in jedem Fall eine individuelle Risikoabwägung erfolgen.

    Ein Nachteil dieses Behandlungsregimes wird darin gesehen, dass fetales Blut in Kontakt mit dem mütterlichen Blut kommt und dadurch die Sensibilisierung der Mutter erhöht werden kann [6, 7]. In einem Vergleich zwischen fünf europäischen Behandlungszentren wurden nach Corticoid- oder IgG-Therapie der Mutter in nur 20 bzw. 24% der Fälle ein Anstieg der fetalen Thrombozytenkonzentration erreicht. In Fällen schwerer fetaler Thrombozytopenie halten die Autoren allein die Transfusion von Thrombozyten für ausreichend, um eine Thrombozytenkonzentration aufrechtzuerhalten, bei der das Auftreten von Blutungen ausgeschlossen werden kann [10].

    Nach der Geburt soll die Thrombozytenkonzentration des Neugeborenen zunächst täglich kontrolliert werden, da die maternalen Antikörper weiterhin im kindlichen Blut zirkulieren [6]. Bei ausreichend hohen Thrombozytenkonzentrationen genügen wöchentliche und nach zwei Monaten zwei- bis dreiwöchentliche Kontrollen. Bei zu niedrigen Werten sind den Neugeborenen Thrombozytentransfusionen zu verabfolgen.

  • Die Fetale Alloimmune Thrombozytopenie ist eine seltene Erkrankung, die durch die Immunisierung des Fetus gegen die fetalen Thrombozyten hervorgerufen wird und oft zum Tod des Fetus führt. Wenn die Diagnose rechtzeitig erfolgt, kann die Krankheit mit Glucocorticoiden, Immunglobulin G oder durch intrauterine Thrombozytentransfusion behandelt werden.

    Zusammenfassung

    • Die fetale Alloimmunthrombozytopenie (FAIT) ist eine seltene Erkrankung des Fetus, die durch die Immunisierung der Mutter gegen die fetalen Thrombozyten hervorgerufen wird.
    • Die Diagnose erfolgt in spezialisierten Laboratorien mit dem Blut von Mutter und Vater.
    • Das klinische Erscheinungsbild der Erkrankung reicht von Symptomlosigkeit über kleinere Blutungen beim Fetus bis hin zu den überaus gefährlichen Hirnblutungen, die Behinderung des Fetus oder auch seinen Tod zur Folge haben können.
    • Derzeit gibt es keine allgemein anerkannte Therapie. Von der medikamentösen Therapie mit Glucocorticoiden oder Immunglobulin G werden unterschiedliche Behandlungserfolge berichtet. In Deutschland wird die fetale Alloimmunthrombozytopenie daher durch intrauterine Thrombozytentransfusionen behandelt. Diese Form der Behandlung kann nur von spezialisierten Zentren durchgeführt werden, zeigt aber auch in schweren Fällen gute Erfolge.

    Die Autoren Dr. Ulrike M. Grimm (Jg. 1964) studierte Pharmazie in Marburg. 1988 Approbation. 1990 bis 1994 Wissenschaftliche Assistentin im Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt. Dissertation über präsynaptische Muscarin-Rezeptoren. Seit 1995 Fachapothekerin für Arzneimittelinformation. Zur Zeit Projektleiterin in der Entwicklung onkologischer Arzneimittel bei der Fa. Merck KGaA. Anschrift: Dr. Ulrike M. Grimm, Merck KGaA, 64271 Darmstadt

    Dr. Dr. Günther Giers (Jg. 1949) studierte Biologie und Medizin. 1983 Approbation als Arzt, 1986 Promotion im Fachbereich Medizin und 1987 Promotion im Fachbereich Naturwissenschaften. Seit 1995 Leitender Oberarzt und Stellvertreter des Direktors am Institut für Hämostaseologie und Transfusionsmedizin der Universität Düsseldorf. Anschrift: Dr. Dr. G. Giers, Medizinische Einrichtung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Hämostaseologie und Transfusionsmedizin, Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

    Dr. Rainer Bald (Jg. 1949) studierte Medizin, 1978 Approbation als Arzt, 1981 Promotion im Fachbereich Medizin. Facharzt für Gynäkologie an der Universitäts-Frauenklinik in Marburg. 1986 bis 1996 Oberarzt in der Universitäts-Frauenklinik in Bonn, Abteilung für pränatale Diagnostik und Therapie. Seit Februar 1996 Leiter des Bereichs Pränatalmedizin und gynäkologische Sonographie der Universitäts-Frauenklinik in Köln. Anschrift: Dr. Rainer Bald, Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität zu Köln, Pränatalmedizin und gynäkologische Sonographie, Kerpener Str. 34, 50931 Köln

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