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Apothekerverband Hamburg: Reformdruck ist nur aufgeschoben

Die Gesundheitsreformversuche des zu Ende gehenden Jahres und mögliche künftige Entwicklungen des Gesundheitswesens waren die Hauptthemen der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am 30. November. Der Vereinsvorsitzende Dr. Jörn Graue äußerte deutliche Kritik an den Reformbemühungen der Bundesregierung und beschrieb die negativen Folgen der jüngsten Entwicklung auf die Verordnungszahlen in Hamburg (siehe AZ Nr. 49). ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Johannes Pieck wies darüber hinaus auf einige grundsätzliche Schwierigkeiten für die Apotheken bei künftig möglichen Reformen des Gesundheitswesen hin.

In seinem Bericht zeichnete Graue den Weg der geplanten Gesundheitsreform durch das Gesetzgebungsverfahren nach und verwies auf die vielfältigen "Irrungen und Wirrungen, Pleiten, Pech und Pannen" dieser Entwicklung. Angesichts der ablehnenden Haltung der Unionsparteien zu Globalbudget, Positivliste und Benchmarking und des Zeitplanes sei nicht mit einer Einigung im Vermittlungsausschuss zu rechnen. Denn dieser müsse bis zum 15. Dezember einen Vorschlag vorlegen, dem der Bundesrat am 17. Dezember zustimmen könnte. Ob das Bundesgesundheitsministerium angesichts der knappen Zeit und der Pannen der Vergangenheit ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz einbringen könne, sei fraglich.

Reformdruck nur aufgeschoben

Doch sei die Pression damit nicht vorbei, sondern nur aufgeschoben. Die Apotheker müssten sich daran gewöhnen, dass es in jedem Jahr eine Gesundheitsreform geben werde. Denn komplexe Strukturen ließen sich nur in kleinen Schritten steuern. Das in diesem Jahr vorgelegte Reformgesetz sei an seiner Zwiespältigkeit zerbrochen. Denn es habe eine medizinische Vollversorgung bei unveränderter Finanzbasis angestrebt. Dies sollte mit Ideen aus der "Mottenkiste marxistisch-leninistischer Philosophie" umgesetzt werden, doch sei inzwischen auch die Gesundheitsministerin hiervon abgerückt.

Anstatt das grundsätzlich untaugliche Mittel des Globalbudgets aufzugeben, solle dies nun mit einem "undurchschaubaren Gespinst von zusätzlichen Regelungen" gerettet werden. Doch wolle die Politik nicht zugeben, dass ohne Verbreiterung der finanziellen Basis GKV-Leistungen rationiert werden müssten. Insbesondere wolle sie nicht sagen, wie rationiert werden solle. Beitragssatzstabilität bei Vollkaskoabsicherung sei angesichts der technologischen und demographischen Entwicklung ein paradoxer Ansatz. Außerdem werde die Wirkung des Beitragssatzes auf die Beschäftigung erheblich überschätzt, was bereits die Zielsetzung infrage stelle.

Bei künftigen Reformbemühungen werde vermutlich wieder der Arzneimittelmarkt betroffen sein, da dieser scheinbar so transparent sei. In diesem Zusammenhang ging Graue auch auf verschiedene Meldungen in der Hamburger Presse ein, die über angeblich enorm wachsende Arzneimittelkosten berichteten. Der Hamburger Apothekerverein habe diesen Darstellungen durch seine Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere durch Fernsehauftritte, Paroli bieten können. Doch würden derartige Überschriften stets Wirkung erzielen. Ebenso würden immer wieder Einsparpotenziale bei "umstrittenen Arzneimitteln" propagiert, obwohl diese bei Verordnungseinschränkungen substituiert würden.

Gewinnwarnung für Hamburger Apotheken

Für das Jahr 1999 präsentierte Graue eine zunächst positive Umsatzentwicklung, die aber ab Oktober hinter den Vorjahreszahlen zurückbleibe. Am 15. November sei in Hamburg das Budget ausgeschöpft gewesen. Danach seien nicht die Lichter ausgegangen, aber Graue sah sich zu einer Gewinnwarnung für die Hamburger Apotheken veranlasst (siehe AZ Nr. 49). Die Regressdrohungen hingen wie ein Damoklesschwert über den Ärzten und führten zu spürbarer Zurückhaltung bei den Verordnungen. In den ersten zehn Monaten sei der gesamte Apothekenumsatz noch um 6% gestiegen, für das Gesamtjahr könne aber nur mit einem Plus von 4% gerechnet werden. Der GKV-Umsatz sei bis Oktober um 8% gestiegen, wovon jeweils 4% auf den gesunkenen Zuzahlungen und der vermehrten Verordnung innovativer Arzneimittel beruhten. Hinzu kämen die erhöhte Mehrwertsteuer und die Grippewelle zu Jahresbeginn.

Wiederwahl von Vorstandsmitgliedern

Aus Anlass der endenden Legislaturperiode des Vereinsvorstandes ging Graue auch auf einige Aspekte der Vereinsarbeit in Hamburg ein. Er stellte besonders die vergleichsweise günstigen Regelungen des Arzneiliefervertrages heraus, der auf einem guten Verhandlungsklima beruhe. Im Rahmen der Mitgliederversammlung wurden der Vereinsvorsitzende Dr. Jörn Graue sowie seine Vorstandskollegen Dr. Greger und Wocker nach dem Ende ihrer turnusmäßigen Amtszeit wieder in den Vereinsvorstand gewählt. Der Vorstand wurde einstimmig entlastet.

Möglichkeiten der Standespolitik in der Reformdiskussion

Weitere Einblicke in die Entwicklung der Gesundheitsreform und mögliche künftige Reformansätze bot der Vortrag des ABDA-Hauptgeschäftsführers Dr. Johannes Pieck. Er machte deutlich, wie schwierig es im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für die ABDA war, bei den politisch Verantwortlichen Gehör zu finden. Die Forderungen der Apothekerschaft seien daher nicht durchsetzbar gewesen. Doch werde der Bundesrat das Globalbudget und die geplante Neuordnung der Datenströme scheitern lassen. Es sei umstritten, ob auch für die Positivliste die Zustimmung des Bundesrates benötigt werde, sodass auch diese wohl aus dem Gesetzesvorhaben herausfalle.

Beim Einsatz von Budgets müsse gefragt werden, was bei deren Überschreitung zu tun sei. Es sei zu klären, was von einem Arzt nach Überschreiten des Budgets erwartet werde. Manche Ärzte kündigten an, sich durch Urlaub dieser Situation zu entziehen. Doch müsse jeder Befürworter einer Budgetierung ratlos sein, wenn er keine Antwort auf die Frage habe, was bei Erschöpfung des Budgets zu tun sei. Dieses grundsätzliche Problem bleibe auch nach dem Scheitern des Gesetzes bestehen.

Als Erfolg der Verbände stellte Pieck die sich abzeichnende Beibehaltung der bestehenden Importregelung heraus. Hier habe die ABDA den Abgeordneten aufzeigen können, welche praktischen Konsequenzen eine Regelversorgung mit Importen nach sich zöge. Künftig werde die ABDA sich aufgrund der bestehenden Beschlusslage weiter für eine Substitution von Generika durch die Apotheke einsetzen. Dabei solle die "Kästchenregel umgekehrt" werden, d.h. der Arzt müsse einer Substitution durch eine Markierung ausdrücklich widersprechen, wenn er die Auswahl in der Apotheke verhindern wolle. Angesichts der Forderung, mit dem Arzneimittel und nicht am Arzneimittel zu sparen, müssten die Apotheker sich mit den Generika abfinden.

Problematischer für die Zukunft seien dagegen andere Entwicklungen. So werde immer wieder versucht, die Arzneimittelpreisverordnung zu Fall zu bringen. Das vom BKK-Bundesvorstand vorgeschlagene System eines Fixzuschlages und eines möglichen Honorars für besondere pharmazeutische Leistungen bedeute eine Gefahr. Angesichts dieser Entwicklungen sei Standesarbeit nicht daran zu messen, welche Erfolge erzielt wurden. Vielmehr gehe es darum, was verhindert werden konnte.

Weitere ökonomische Gefahren drohten von der Novellierung des Apothekengesetzes, bei der möglicherweise eine Versorgung von Pflegeheimen durch Krankenhausapotheken vorgesehen werden könnte. Dies sei besonders problematisch vor dem Hintergrund des Fremd- und Mehrbesitzverbotes. Eine Versorgung ambulanter Patienten durch die im Fremdbesitz befindlichen Krankenhausapotheken stelle dieses Ordnungsprinzip infrage. Hierzu verwies Pieck auf die Debatte während des Deutschen Apothekertages in Leipzig.

Zitate

Die Halbwertszeit einer Meldung bewegt sich nahezu gegen Null. Dr. Jörn Graue über die Entwicklung der Gesundheitsreform

Der medizinische Fortschritt bringt nicht nur gesunde Alte hervor, sondern auch länger lebende Kranke. Dr. Jörn Graue

Es gibt harmlose Lügen, gemeine Lügen und Statistiken. Dr. Jörn Graue

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