Arzneimittel und Therapie

Neue Perspektiven durch Zanamivir

Mit dem Neuraminidase-Inhibitor Zanamivir wird Ende 1999 eine neue Substanz für Prophylaxe und Therapie der Virusgrippe zur Verfügung stehen. Damit wird erstmals eine praktikable kausale Therapie der Grippe ermöglicht. Außerdem bietet die neue Substanz sogar prophylaktischen Schutz für den Fall einer weltweiten Pandemie mit einem neuen Grippevirus, das möglicherweise von einer Impfung nicht mehr erfasst werden kann.


Die Virusgrippe ist eine ernste und mitunter lebensbedrohliche Erkrankung, doch lässt sie sich besonders im Anfangsstadium nur schwer von anderen akuten respiratorischen Erkrankungen unterscheiden. Typisch ist der plötzliche Beginn. Zu den wichtigsten Symptomen zählen hohes Fieber, lang andauernder Husten, Muskel- und Gliederschmerzen, Halsschmerzen, tränende Augen, Lethargie und die Erweiterung kleiner Gefäße. Nach der überstandenen Erkrankung folgt oft eine wochenlange postgrippale Asthenie, deren genaue Ursache bisher unbekannt ist.

Bei immungeschwächten


Personen besteht die Gefahr
eines schweren Verlaufs
Aufgrund der problematischen Diagnostik fordern Experten, dass bei allen akuten fieberhaften respiratorischen Erkrankungen eine ärztliche Untersuchung einschließlich labordiagnostischer Befundung stattfinden sollte. Denn die Influenza kann nach etwa 3 Tagen eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machen. Sofern keine Grippepandemie mit einem vollkommen neuen Antigentyp stattfindet, besteht die Gefahr eines so schweren Verlaufes in erster Linie bei immungeschwächten Personen, d.h. Kindern, Senioren und Patienten mit chronischen Grunderkrankungen.
Doch auch ansonsten Gesunde können lebensbedrohliche Komplikationen erleiden. Wer mit einer Virusgrippe, die als "banale" Erkältung fehldiagnostiziert wird, körperlich aktiv ist, riskiert insbesondere eine lebensgefährliche Schädigung des Myokards. Daher muß Fieber als absolute Kontraindikation für jede sportliche Betätigung angesehen werden. Die mitunter in der Öffentlichkeit vorgenommene Glorifizierung von Sportlern, die trotz einer solchen Erkrankung aktiv sind, ist demnach ein höchst gefährliches Signal.

Komplikationsrisiko


bakterielle Sekundärinfektionen
Ein weiteres Komplikationsrisiko bilden bakterielle Sekundärinfektionen. Angesichts des schnellen Verlaufs der Virusgrippe sollte beim Verdacht auf eine zusätzliche bakterielle Erkrankung nicht der Erregernachweis abgewartet werden, da diese Wartezeit für den Patienten tödlich sein könnte. Demgegenüber ist das Risiko eines kurzzeitigen, möglicherweise überflüssigen Antibiotikaeinsatzes eher zu vernachlässigen. Denn in so kurzer Zeit ist die Ausbildung von Resistenzen kaum zu befürchten. Andererseits ist auch der pauschale Antibiotikaeinsatz bei allen akuten respiratorischen Erkrankungen abzulehnen, da dies in 95% der Fälle rein viral bedingte Erkrankungen sind.

Impfung ist die Maßnahme der Wahl


Die Therapie der Grippe orientiert sich demnach bisher nur an den Symptomen oder zielt auf die möglichen Komplikationen. Unter den in Deutschland zugelassenen Virustatika wirkt allein Amantadin gegen Influenza A, doch erzeugt es schnell Resistenzen und vielfältige unerwünschte Wirkungen. Da eine kausale Therapie ansonsten noch nicht möglich ist, stellt die Impfung die beste Maßnahme gegen die Grippe dar, zumal sie unproblematisch ist und gut vertragen wird. Dennoch lassen sich in den meisten Jahren nur etwa 10% der Bevölkerung in Deutschland impfen.

Zanamivir ermöglicht kausale Therapie


Ganz neue Perspektiven für Therapie und Prophylaxe wird der neue Wirkstoff Zanamivir bieten, dessen Zulassung für das vierte Quartal 1999 erwartet wird. Diese Substanz wurde mit Computerhilfe gezielt als Hemmstoff der viralen Neuraminidase entwickelt und ist demnach nicht das Ergebnis eines breit angelegten Screeningprogramms. Zanamivir blockiert sterisch das virale Enzym und hindert es damit, neugebildete Viren von Neuraminsäureresten der Wirtszelle zu befreien. Es verhindert damit die Vermehrung der Influenzaviren. Da die Viren nicht direkt angegriffen werden, verspricht das Prinzip nur in der Frühphase der Erkrankung eine hinreichende Wirkung. Bisherige Untersuchungen lassen einen therapeutischen Einsatz innerhalb von etwa 36 Stunden nach Ausbruch der ersten Symptome sinnvoll erscheinen.

Erstmals Chance gegen plötzliche Pandemie


Der Angriff des Arzneistoffes erfolgt an einem konservierten Bereich der Neuraminidase, der nicht der laufenden Variation unterliegt. Ein Impfstoff, der sich gegen einen solchen Bereich richtet, konnte dagegen bisher nicht entwickelt werden. Damit ist Zanamivir gegen die Influenzatypen A und B mit allen bisher bekannten Antigenvarianten wirksam. Dies eröffnet erstmals eine Chance, auch bei einer plötzlichen Pandemie mit einem vollkommen neuen Antigentyp eine Grippeprophylaxe durchzuführen. In einem solchen Fall würde sich ein neuer Erreger in einer ungeschützten Bevölkerung vermutlich schneller ausbreiten, als ein Impfstoff entwickelt und verabreicht werden kann. Dagegen wäre eine Prophylaxe mit Zanamivir noch möglich.
Außerhalb einer solchen Pandemie wird Zanamivir es ermöglichen, die Zeit bis zur Wirksamkeit der Impfung zu überbrücken, falls eine Impfung verspätet erfolgt. Doch wird der neue Wirkstoff die effektive und problemlose Impfung voraussichtlich nicht ersetzen. Denn die Impfung wirkt für eine ganze Saison, während Zanamivir täglich angewendet werden muß. Vermutlich wird eine Impfung auch erheblich kostengünstiger als eine Daueranwendung über eine ganze Wintersaison sein.

Etwa 2 Tage schneller fit


Zanamivir entfaltet seine Wirkung besonders gut bei der inhalativen Anwendung und soll daher in einem Diskhaler zum Einsatz kommen. Als Dosis sind 10 mg Zanamivir vorgesehen, die zur Prophylaxe einmal täglich und zur Therapie zweimal täglich einzusetzen sind. Die Wirkung wird insbesondere durch zwei Phase-III-Studien belegt, die im Winter 1997/98 in Europa und in der Grippesaison 1998 auf der Südhalbkugel durchgeführt wurden. Daran waren 356 bzw. 455 Personen beteiligt. Bei der zweimal täglichen Inhalation des Wirkstoffes gingen die Grippesymptome etwa 1,5 bis 3 Tage früher zurück als bei den Patienten der Plazebogruppen. Die meisten Patienten der Verumgruppe konnten 2 Tage früher als die Patienten der Plazebogruppe wieder ihren Alltagstätigkeiten nachgehen. Dabei verlief die Influenza bei den Patienten in der Verumgruppe signifikant milder und mit weniger Komplikationen. In Hinblick auf die Risiken der Erkrankung ist dieses Ergebnis noch wichtiger als die zeitliche Verkürzung. 76 Teilnehmer der erst im November 1998 vorgestellten Studie von der Südhalbkugel gehörten zu Risikogruppen. In dieser Gruppe verkürzte sich die symptomatische Phase durchschnittlich um 2,5 Tage, die Häufigkeit von Komplikationen und der Einsatz von Antibiotika verringerte sich auf etwa ein Drittel im Vergleich zu den Risikopatienten in der Plazebogruppe. Demnach profitieren gerade die Risikopatienten besonders stark. Jüngste Untersuchungen an amerikanischen Studenten untermauern außerdem die Wirksamkeit bei der Prophylaxe.
Quellen
[1] Prof. Dr. Georg E. Vogel, Prof. Dr. Reinhold E. Schmidt, Hannover, Vorträge im Rahmen der 10. Hamburger Forschungsgespräche "Wie gefährlich ist die Grippe?", Hamburg, 13. Januar 1999, veranstaltet von Glaxo Wellcome, Hamburg.
[2] Fleming, D., et al.: Efficacy and safety of the neuraminidase inhibitor zanamivir in the treatment of influenzavirus infections. N. Engl. J. Med. 337, 874-880 (1997).
[3] MIST, Randomised trial of efficacy and safety of inhaled zanamivir in treatment of influenza A and B virus infections. Lancet 352, 1877-1881 (1998).
Thomas Müller-Bohn, Süsel

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