Arzneimittel und Therapie

HIV-Infektion: Die AIDS-Therapie muss optimiert werden

Durch eine moderne Therapie kann heute das durch die HIV-Infektion geschädigte Immunsystem zumindest teilweise wiederhergestellt werden. Allerdings haben die neuen Arzneimittel auch unerwünschte Wirkungen, beispielsweise das Lipodystrophie-Syndrom, das als Nebenwirkung einer Therapie mit Proteaseinhibitoren auftreten kann.

Studien werden häufig abgebrochen

Ein Teil der Patienten, die an klinischen Studien zu antiretroviralen Substanzen teilnehmen, brechen die Studie vorzeitig ab. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich: Es gibt Patienten, die aus irgendwelchen Gründen plötzlich keine Lust mehr verspüren, die Studie fortzusetzen. Andere wiederum scheiden aus, weil die Therapie unwirksam ist, weil sie unerwünschte Wirkungen verspüren oder das Einnahmeregime zu komplex ist. Die Folge davon ist, dass nicht alle Studienteilnehmer, sondern nur diejenigen, welche die Studie vollendet haben, ausgewertet werden können. Die Studienvollender lassen sich in zwei große Untergruppen einteilen: in solche, die auf die Therapie gut angesprochen haben und die Zielkriterien erfüllen, und in die "Therapieversager", bei denen die Behandlung zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hat.

Große klinische Studien sind aussagekräftiger als kleine, weil sie ein genaueres Abbild der Realität widerspiegeln. Bei HIV- und AIDS-Patienten ist es zudem wegen möglicher Kreuzresistenzen wichtig zu wissen, ob die Patienten zum Studienbeginn vorbehandelt oder naiv sind, also noch kein Arzneimittel erhalten haben. Von der Viruslast der Patienten zu Beginn der Studie hängt es wiederum ab, wie stark man die Virusmenge überhaupt reduzieren kann. Werden nur Patienten mit extrem hohen Viruslasten in die Studie eingeschlossen, lassen sich zwar dramatische Reduktionen der Viruslast errechnen, aber keine Rückschlüsse auf Patienten mit normaler Viruslast ziehen.

Einfachere Einnahmeregimes erwünscht

Die intensivierte antiretrovirale Therapie hat 1996 einen Durchbruch in der Behandlung HIV- und AIDS-infizierter Menschen gebracht. Unter dieser "highly active antiretroviral therapy" (HAART) versteht man, dass der Patient eine Kombination verschiedener antiretroviraler Substanzen einnimmt, welche die Virusvermehrung an unterschiedlichen Stellen unterdrücken. Ein Beispiel ist die gleichzeitige Gabe eines Proteaseinhibitors mit Nukleosidanaloga oder mit nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern.

Der Erfolg der HAART ist wesentlich von der Compliance der Patienten abhängig. Diese ist jedoch infolge der häufig einzunehmenden Medikamente und der komplizierten Einnahmeregimes oft unbefriedigend. Aus diesem Grund ist ein vereinfachtes Einnahmeschema wünschenswert. Ritonavir und Saquinavir sind Proteaseinhibitoren, die nur zweimal täglich anstelle von dreimal täglich eingenommen werden müssen. Im Falle von Saquinavir wurde das durch eine neue Darreichungsform, eine Weichgelatinekapsel, ermöglicht, welche die orale Verfügbarkeit des Wirkstoffs verbessert.

Immunrekonstitution teilweise möglich

Im Laufe der HIV-Infektion kommt es unter anderem zu einem Verlust von T-Helferzellen, wodurch das Immunsystem geschwächt wird. Ein gut funktionierendes Immunsystem ist die Voraussetzung dafür, dass der Organismus zum Beispiel opportunistische Erreger abwehren kann. Mit einer modernen antiretroviralen Therapie lässt sich die Viruslast deutlich senken. Die Folge davon ist ein Anstieg an T-Helferzellen. Anfänglich kommt es zu einem raschen, danach zu einem langsamen, graduellen Anstieg der T-Helferzellen, der sich über Monate bis Jahre erstreckt. Auch die Memory-Zellen regenerieren sich, gefolgt von den immunkompetenten T-Zellen, die für ein "normales" Reagieren des Immunsystems benötigt werden.

Immunsystem durch Viruslast erschöpft

Beim HIV-Infizierten ist der Umsatz, der Turn-over, von T-Helfer- und T-Suppressorzellen, abhängig von der Viruslast, massiv gesteigert und liegt damit um ein Vielfaches höher als bei einem gesunden Menschen. Deshalb werden bei einem HIV-Infizierten täglich Millionen von Immunzellen mehr verbraucht. Das erhöhte "Tempo" führt letztendlich zu einer Erschöpfung des Immunsystems. Durch eine intensivierte Therapie läßt sich die Viruslast vermindern. Parallel dazu beobachtet man, dass der Umsatz von T-Helfer- und T-Suppressorzellen zurückgeht. Dem Immunsystem wird eine "Verschnaufpause" gegönnt.

Auf lange Sicht ist eine Vakzine notwendig

Durch die partielle Immunrekonstitution infolge der antiretroviralen Therapie erreicht man, dass neu gebildete antigenspezifische T-Helferzellen opportunistische Erreger wirksam bekämpfen. Eine Abwehr des Immunsystems gegen das HI-Virus selbst ist hingegen nicht möglich. Denn auch nach einer jahrelangen erfolgreichen Suppression der HI-Viren steigt deren Zahl sprunghaft an, wenn man die antiretrovirale Therapie absetzt. Die HIV-spezifischen T-Helferzellen lassen sich bei den meisten Infizierten nur sehr unzureichend regenerieren; eine HIV-spezifische Immunität wird also nicht erreicht.

Die Rekonstitution des Immunsystems mit der antiretroviralen Therapie erfolgt nicht plötzlich, sondern allmählich. Die Memory-Zellen und die T-Helferzellen regenerieren sich verhältnismäßig schnell. Jahre dauert es hingegen, bis sich antigenpräsentierende Zellen, wie dendritische Zellen, B-Zellen und Makrophagen, erholen. Auf lange Sicht werden Impfstoffe benötigt, um eine HIV-spezifische Immunität von zytotoxischen T-Zellen, aber auch von T-Helferzellen zu induzieren.

Fettverteilungsstörungen treten auf

Die hochaktive antiretrovirale Therapie ist zwar wirksam, bringt aber auch unerwünschte Wirkungen mit sich. Eine dieser Störungen ist das sogenannte Lipodystrophie-Syndrom. Die Ärzte wurden 1997 darauf aufmerksam, als Betroffene im Internet über körperliche Veränderungen nach der Einnahme antiretroviraler Medikamente, vor allem nach der Einnahme von Proteaseinhibitoren klagten. Diese Veränderungen sind Folge einer Umverteilung des Körperfetts. Es kommt zu einer Fettzunahme in der Bauch- und Nackengegend. Die Wangen sind hingegen eingefallen, die Arme und Beine dünn. Manchmal ist die Brust - auch bei Männern - vergrößert. Da es noch keine einheitliche Definition für dieses Krankheitsbild gibt, schwanken die Angaben zur Häufigkeit von unter 10 bis über 80 Prozent.

Ursache noch unklar

Die Pathogenese des Lipodystrophie-Syndroms ist noch nicht geklärt. Derzeit werden im wesentlichen zwei Theorien diskutiert. Die erste sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Proteaseinhibitoren und der Entwicklung einer Lipodystrophie. Zwischen der HIV-Protease und zwei Schlüsselmolekülen im menschlichen Fettstoffwechsel (CRABP 1; LRP) gibt es eine gewisse molekulare Homologie. Und diese soll der ersten Theorie zufolge erklären, weshalb die Hemmung der HIV-Protease auch in den menschlichen Fettstoffwechsel eingreift.

Die zweite Theorie geht von der Beobachtung aus, dass auch Patienten, die keine Proteaseinhibitoren eingenommen haben, Fettverteilungsstörungen entwickeln. Danach sind die Störungen eine Folge der Immunrekonstitution nach erfolgreicher Virussuppression. Erholt sich das Immunsystem, so besagt die zweite Theorie, wird der Fettaufbau stärker gefördert als der Muskelaufbau und führt zum Lipodystrophie-Syndrom. Wissenschaftliche Beweise gibt es allerdings derzeit weder für die eine noch für die andere Theorie.

Kastentext: Auf die Analyse kommt es an: Intention-to-Treat- und On-Treatment-Analyse

Die Beurteilung der Ergebnisse klinischer Studien hängt davon ab, ob man in der Analyse alle Patienten als Referenz heranzieht oder nur die Studienvollender. Im ersten Fall spricht man von einer Intention-to-Treat-Analyse, im zweiten Fall von einer On-Treatment-Analyse. Die Unterschiede sind groß: Die Intention-to-Treat-Analyse ist eine strenge Analysenmethode, kommt aber dem klinischen Alltag nahe. Denn die Patienten, welche die Studie vorzeitig abgebrochen haben, werden zur Gruppe der Therapieversager hinzugerechnet. Die On-Treatment-Analyse berücksichtigt hingegen nur die Studienvollender. Sie gibt zwar Auskunft darüber, ob eine Substanz überhaupt etwas bewirken kann, ist aber problematisch, weil sie die klinische Realität verzerren kann. So ist es zum Beispiel möglich, dass eine antiretrovirale Substanz in der On-Treatment-Analyse sehr gut abschneidet. Ergibt die Intention-to-Treat-Analyse derselben Substanz ein deutlich schlechteres Ergebnis, weil viele Teilnehmer die Studie wegen Nebenwirkungen abbrechen, so mag die Substanz zwar wirken, aber schlecht verträglich und deshalb für die Praxis wenig geeignet sein.

Quelle Dr. Christiane Möcklinghoff, Grenzach-Wyhlen, Priv.-Doz. Dr. Helmut Jablonowski, Düsseldorf, Dr. Jan van Lunzen, Hamburg, Dr. Stefan Mauss, Düsseldorf, Satellitensymposium "Wege zur Therapieoptimierung" im Rahmen der 7. Münchner AIDS-Tage, München, 29. Januar 1999, unterstützt von der Hoffmann-La Roche AG, Grenzach-Wyhlen.

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