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Berichte
Phytogenerika: Wann sind "wirkstoffgleiche" Phytopharmaka therapeutisch austausc
Auf dem Phytopharmaka-Markt besteht nach wie vor das Problem, dass weder die verschreibenden Ärzte noch Apotheker und Patienten einen Überblick darüber haben, welche Präparate qualitativ hochwertig und wirksam sind. Besondere Brisanz gewinnt diese Fragestellung vor dem Hintergrund, dass pflanzliche Arzneimittel verstärkt Anwendung bei schwerwiegenderen Indikationen finden. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist der Einsatz von Johanniskraut-Präparaten bei leichten und mittelschweren Depressionen.
Wie Professor Walter Müller von der Universität Frankfurt darlegte, stützt sich dieser auf plazebokontrollierte Doppelblindstudien, in denen die Wirksamkeit eines Johanniskrautextraktes gegen Amitriptylin als chemisch definierte Wirksubstanz belegt wurde. Dieses für ein Produkt erhobene klinische Ergebnis wird in der Praxis jedoch häufig kritiklos und ohne Berücksichtigung qualitativer Unterschiede auf alle anderen handelsüblichen Johanniskraut-Präparate übertragen. Die Transparenzproblematik auf dem Phytopharmaka-Markt wird sich in Zukunft eher noch verstärken, da vermehrt "Phytogenerika" entwickelt werden, die unter Berufung auf die Studienergebnisse anderer Präparate eine Zulassung beantragen.
Besonderheiten von Phytopharmaka
Nach Auffassung von Prof. Dr. Theodor Dingermann, Universität Frankfurt, handelt es sich dabei um ein generelles Problem. Anhand der Herstellung und Zusammensetzungen der Extrakte verschiedener Brennnesselwurzel-Präparate des bundesdeutschen Marktes demonstrierte er, dass diese Präparate weder pharmazeutisch noch therapeutisch vergleichbar sind. Für chemischsynthetische Wirkstoffe sind in der "Note for Guidance on the Investigation of Bioavailability and Bioequivalence" eindeutige Kriterien für "Wirkstoffgleichheit" definiert. Danach kann man Präparate als pharmazeutisch äquivalent einstufen, wenn sie die gleichen Mengen gleicher Wirkstoffe in der gleichen Darreichungsform enthalten. Weiterhin ist Bioäquivalenz zweier Produkte dann gegeben, wenn sie pharmazeutisch äquivalent und ihre Bioverfügbarkeiten (Geschwindigkeit und Ausmaß) bei Gabe gleicher Dosen so ähnlich sind, dass die erzielten Effekte bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit praktisch identisch ausfallen. Schließlich können zwei verschiedene Produkte als "essentially similar" angesehen werden, wenn sie die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung hinsichtlich der aktiven Komponenten aufweisen. Ferner müssen beide Präparate in der gleichen Darreichungsform vorliegen und für sie Bioäquivalenz nachgewiesen sein.
Diese Definitionen sind jedoch aus mehreren Gründen nicht direkt auf Phytopharmaka zu übertragen:
Diese Richtlinien müssten dann im gleichen Maße für Originalpräparate wie für Generika gelten. Das EG-Recht sieht für Generika drei verschiedene Zulassungsmöglichkeiten vor:
Analytische Identitätsprüfung
Die Identität der Extrakte kann mit Hilfe analytischer Verfahren überprüft werden, wobei, wie Dr. Frauke Gaedcke, Firma PhytoCon, Andernach, erläuterte, je nach Droge unterschiedliche Methoden angewendet werden können. Liegt ein Extrakt vor, dessen wirksamkeitsrelevanter Inhaltsstoff bekannt ist, so muss der Gehalt an dieser Substanz als wesentlicher Parameter berücksichtigt werden. Sind hingegen solche Inhaltsstoffe nicht bekannt, dann empfiehlt sich eine möglichst umfangreiche Untersuchung der Inhaltsstoffspektren. Für diesen Zweck bieten sich semiquantitative DC- oder HPLC-Fingerprintchromatogramme über verschiedene Lipophilie- bzw. Zellenlängenbereiche an.
Darüber hinaus sollten bestimmte Substanzgruppen, deren Wirksamkeitsrelevanz plausibel erscheint, zusätzlich quantitativ erfasst werden. Diese Charakterisierung ist nicht nur für das Ausgangsmaterial wichtig, sondern auch für die Darreichungsform, um zu gewährleisten, dass die wesentlichen Bestandteile des Pflanzenextraktes auch in der Darreichungsform enthalten sind. Diese "Vergleichbarkeit" darf sich allerdings nicht nur auf die Zusammensetzung des Wirkstoffes, also bei Phytopharmaka den Extrakt, beschränken, sondern muss zwingend auch auf die Eigenschaften der Darreichungsform und ihre Bioverfügbarkeit umfassen.
Wirkstofffreisetzung und Bioverfügbarkeit
Die Freisetzung der Wirkstoffe aus den Darreichungsformen kann sich bei verschiedenen pflanzlichen Arzneimitteln gravierend unterscheiden, wie Dr. Fritz Lang, Firma Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel, Karlsruhe, am Beispiel der Kawa-Lactone demonstrierte (Abb. 1 und Abb. 2). Dabei kommt das Grundprinzip zur Anwendung, dass nur das, was freigesetzt wird, auch resorbiert werden und damit letztendlich auch zur Wirksamkeit beitragen kann.
Bis heute werden jedoch nur sporadisch In-vitro-Freisetzungsuntersuchungen von Phytopharmaka durchgeführt und noch seltener die Verfügbarkeit in vivo untersucht. Inzwischen wird jedoch intensiv an der Etablierung von Modellsystemen gearbeitet, mit denen die Freisetzung der Inhaltsstoffe aus der Darreichungsform im Gastrointestinaltrakt simuliert werden soll, wie Professor Manfred Schubert-Zsilavecz, Universität Frankfurt, am Beispiel Hyperforin anschaulich demonstrieren konnte. Solange allerdings die wirksamkeitsrelevanten Inhaltsstoffe nicht eindeutig identifiziert sind, ist auch in diesem Bereich eine möglichst umfangreiche Analytik mit der Messung unterschiedlichster Bestandteile nötig.
In diesem Zusammenhang verdeutlichte Professor Henning Blume, dass die Bioverfügbarkeit zum einen von der Freisetzungsgeschwindigkeit, und zum anderen von der Resorptionsgeschwindigkeit beeinflusst werde. Beide Faktoren hängen entscheidend von den Eigenschaften der Darreichungsform ab und sind auch bei Phytopharmaka relevant: Wenn die Freisetzung den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt darstellt, dann wird die Bioverfügbarkeit vorrangig durch die Eigenschaften der Zubereitung bestimmt. Ist dagegen die Bioverfügbarkeit vor allem von der Permeation des Arzneistoffes durch die Darmmukosa abhängig, so sind die physikochemischen Eigenschaften der Wirksubstanz primär bedeutsam.
Bei der Beurteilung dieser Kriterien findet das Biopharmaceutics Classification System (BCS) Anwendung, nach dem die Wirkstoffe in vier verschiedene Substanzklassen in Abhängigkeit von ihrer Löslichkeit bzw. Permeabilität durch die physiologischen Membranen des Gastrointestinaltraktes eingeteilt werden (Tab. 1).
Als "gut" löslich gilt ein Arzneistoff dann, wenn sich die gesamte Einzeldosis in 250 ml Puffer über den gesamten physiologischen pH-Bereich komplett löst. Von "guter" Permeabilität spricht man, wenn mehr als 80% der verabreichten Dosis nach peroraler Applikation vom Organismus aufgenommen werden. Dabei ist die Löslichkeit des Arzneistoffes ein Parameter, der seine Freisetzung aus der Darreichungsform mitbestimmt. Wenn die Freisetzung aus der Darreichungsform sehr schnell erfolgt und sich somit eine feste Arzneiform nach der Einnahme wie eine orale Lösung verhält, sind unter der Voraussetzung, dass der Arzneistoff außerdem gut löslich und gut im Magen-Darm-Trakt resorbierbar ist, keine Probleme hinsichtlich der Bioverfügbarkeit zu erwarten und folglich Bioverfügbarkeitsstudien verzichtbar.
Dieses Grundprinzip, das ursprünglich für die chemisch definierten Arzneistoffe entwickelt worden ist, sollte nach dem Vorschlag von Prof. Dr. Blume in letzter Konsequenz auch auf Phytopharmaka übertragbar sein. Problematisch ist bei den Phytopharmaka jedoch auch in diesem Punkt ihre komplexe Zusammensetzung, wobei meist wenig über das eigentliche wirksame Prinzip bekannt ist. Nur wenn die wirksamkeitsbestimmende Komponente bekannt ist, kann die Freisetzung aus der Darreichungsform oder auch die Bioverfügbarkeit des Phytopharmakons ganz analog zu den chemisch-synthetischen Präparaten anhand der Quantifizierung der wirksamen Bestandteile bestimmt werden.
Bei nicht näher charakterisierten Wirkstoffgemischen könnte ein pragmatischer Lösungsansatz darin bestehen, verschiedene Inhaltsstoffgruppen über ein weites Polaritätsspektrum zu definieren und deren Freisetzung dann jeweils genauer zu untersuchen. Für eine Bestimmung der Bioverfügbarkeit in vivo kommt dieser Weg jedoch nicht in Frage, sodass hier Alternativlösungen erarbeitet werden müssen.
Bioäquivalenznachweis für Phytogenerika
Die Expertenrunde war sich einig, dass Phytogenerika, für die eine bezugnehmende Zulassung beantragt wird, analog zu den chemisch definierten Arzneistoffen in vitro bezüglich der Wirkstofffreisetzung charakterisiert werden müssten und dass außerdem, falls aufgrund der physikochemischen Eigenschaften des wirksamen Prinzips erforderlich, in vivo ein Bioäquivalenznachweis erbracht werden müsste. Alternativ wäre ein Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit über geeignete klinische Studien zu erbringen.
Diese Einschätzung wurde von Prof. Dr. Gerd Glaeske geteilt, der vor allem mehr Transparenz auf dem Phytopharmaka-Markt forderte. Bisher lassen sich hier "Originalpräparate" nicht von "Generika" unterscheiden. Nicht einmal der Preis der Präparate sei ein schlüssiger Hinweis auf Generika. In den meisten Fällen ist eine Vergleichbarkeit der Präparate nicht wirklich gegeben. In diesem Punkt bestehe dringender Handlungsbedarf, da Phytopharmaka bezüglich der Nebenwirkungen und der Compliance bei gleicher Indikation zum Teil deutliche Vorteile gegenüber chemisch-synthetischen Wirkstoffen haben.
Insgesamt wurde ein beachtlicher Forschungsbedarf auf dem Gebiet der pflanzlichen Arzneimittel gesehen. Ein Problem stellt dabei die Schwierigkeit dar, die erarbeiteten Forschungsergebnisse exklusiv zu nutzen, da sie patentrechtlich nicht geschützt werden können. Hier muss dringend eine adäquate Lösung gefunden werden, da ansonsten die forschenden Phytopharmaka-Unternehmen ihre entsprechenden Studienaktivitäten einstellen werden.
Ergebnisse
Zusammenfassend brachte Prof. Dr. Blume die Ergebnisse der Experten- Diskussion auf sieben Aussagen:
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