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Arzneimittel und Therapie
Medikamentöse Raucherentwöhnung: Mit Amfebutamon gegen die Nicotinsucht
Tabak tauchte in Europa ersals in der nachkolumbianischen Zeit auf, und während mehreren Jahrtausenden war Tabak ein geläufiges Genussmittel. In einer Zeit, in der das Tabakrauchen noch als Errungenschaft des Columbus aus der so genannten Neuen Welt gefeiert wurde, war man sich der katastrophalen Auswirkungen, die die neue Droge Tabak auf die Menschheit nach sich ziehen sollte, noch nicht bewusst.
Dosisabhängige Schädigung
Ab ca. 1917 wurden Zigaretten dann industriell hergestellt, und die Zahl der jährlich gerauchten Zigaretten nahm zum Beispiel in Deutschland von 1897 bis 1939 massiv von 40 Stück auf 650 Zigaretten pro Kopf und Jahr zu.
Ab 1939 erhöhte sich dann schlagartig die Anzahl von Berichte über Krebsfälle bei Rauchern, und die Fachwelt wurde hellhörig. Man erkannte den kausalen Zusammenhang zum Zigarettenkonsum. Heutzutage sind diese Zusammenhänge bewiesen, man kennt die kanzerogenen Substanzen im Tabakakrauch und weiß um die Bedeutung der Dosisabhängigkeit (Anzahl der Zigaretten, Inhalationsgewohnheiten, Teergehalt pro Zigarette).
Nicotin - hohes Abhängigkeitspotenzial
Tabakrauch enthält über 4000 Stoffe, wobei Nicotin die Abhängigkeit erzeugende Substanz ist, und dies mit einem Abhängigkeitspotenzial, das mit demjenigen von Heroin verglichen werden kann. Die gesundheitlichen Schädigungen werden nicht vom Nicotin, sondern durch Teer, welcher als Oberbegriff über 40 kanzerogene Stoffe zusammenfasst, und durch Kohlenmonoxid verursacht. Der entscheidende Wirkstoff im Rauch bleibt aber das Nicotin, weshalb die Nicotinabhängigkeit seit 1999 neu im ICD-10 (Diagnose-Index) als Krankheit aufgeführt ist.
Beim Inhalieren des Rauchs wird das Nicotin durch das Alveolarepithel der Lunge ins Blut aufgenommen. Unter Umgehung der Leber gelangt es in kürzester Zeit (ca. 7 Sekunden) in Gehirn und Herz. Da Nicotin lipidlöslich ist, dringt es gut in das Zentralnervensystem (ZNS) ein, wo es sich an Nicotinrezeptoren (ganglionäre Untergruppe der Acetylcholinrezeptoren) bindet.
Stimulierend und anregend
Durch die Bindung im ZNS wirkt das Nicotin stimulierend und anregend. In niedrigen Dosen erregt es ähnlich wie Acetylcholin durch kurzdauernde Depolarisation die cholinergen Ganglien. Da Nicotinrezeptoren auch bei den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks und an den Enden der adrenergen Neuronen vorhanden sind, kommt es bei einer Erregung dieser Rezeptoren zur Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin. Der Genuss einer Zigarette führt zu einem Noradrenalinanstieg im Blut um ca. 50%, Adrenalin steigt um 15% an.
Direkte und indirekte Wirkungen
Die Effekte der Nicotinzufuhr lassen sich als direkte und indirekte Wirkungen unterscheiden. Zu den ersteren gehören die schon erwähnte Freisetzung der Catecholamine Adrenalin und Noradrenalin, eine gesteigerte Magensaftsekretion, die Steigerung der Magen-Darm-Motilität und eine Aktivitätserhöhung des Serotonins.
Die indirekten Wirkungen, die aus den direkten resultieren, beeinflussen das Herz-Kreislauf-System, die Psyche und den Energiestoffwechsel. Die Herzfrequenz nimmt zu, aus dem Hypophysen-Hinterlappen wird Adiuretin ausgeschüttet, der Blutdruck steigt, die akrodermale Durchblutung und Hauttemperatur sinken. Aufmerksamkeit, Gedächtnis und psychomotorische Leistungsfähigkeit werden positiv beeinflusst, Anspannung, Stressanfälligkeit und Aggressivität nehmen ab.
Der Weg in die Nicotinabhängigkeit
Die Halbwertszeit des Nicotins im Körper beträgt rund zwei Stunden, der Blutspiegel nimmt also relativ schnell wieder ab. Der nicotinabhängige Raucher versucht daher, das Absinken durch eine entsprechende Zufuhr, sprich erneutes Rauchen, auszugleichen. Bei langjährigem Rauchen, also einer Nicotin-Langzeitaufnahme, wird die oxidative Biotransformation des Nicotins in der Leber gesteigert, parallel dazu sinkt die Halbwertszeit. Gleichzeitig nimmt auch die Empfindlichkeit der Nicotinrezeptoren durch Gewöhnung ab. Zum Erreichen der gleichen Wirkung muss also langfristig mehr geraucht bzw. tiefer inhaliert werden. Durch die Gewöhnung kann die Toleranz um mehr als das Zweifache ansteigen.
Unangenehmer Nicotinentzug
Der Nicotinentzug kann Auswirkungen verschiedenster Art haben: Kopfschmerzen, Schwindel, Kreislaufbeschwerden, Konzentrationsschwäche, Nervosität, Schlafstörungen oder auch Müdigkeit sind häufig auftretende Störungen. Die wichtigste Erscheinung ist jedoch das starke Verlangen nach erneutem Rauchen, das ca. 24 Stunden nach dem Nikotinentzug seinen Höhepunkt erreicht (sog. Craving).
Nicotinersatzpräparate
Zur Therapie und zum Rauchstopp standen bis heute Alternativtherapien und unterstützende Maßnahmen sowie Nicotinersatzpräparate zur Verfügung. Diese ersetzen die Art und Weise der Aufnahme von Nicotin durch eine andere Applikationsart: Zigaretten werden durch nicotinhaltige Pflaster oder Kaugummis ersetzt.
Zyban: Medikamentöse Raucherentwöhnung ohne Nicotin
Zyban (Bupropionhydrochlorid/Amfebutamonhydrochlorid) hingegen enthält als erstes oral einzunehmendes Produkt zur Raucherentwöhnung kein Nicotin. Zyban wurde im Juni 1997 von Glaxo Wellcome als medikamentöses Raucherentwöhnungsmittel in den USA eingeführt. Bis heute haben mehr als 5 Millionen US-Amerikaner das neue Arzneimittel ausprobiert. Zyban wird ab April auf dem Schweizer Markt für Raucher, die mit dem Rauchen aufhören wollen, oder Raucher, die aus gesundheitlichen Gründen müssen, gegen ärztliches Rezept erhältlich sein.
Wirkweise: Erhöhung von Dopamin
Nicotin führt zu einer Erhöhung von Dopamin im mesolimbischen System (u.a. Nucleus accumbens) und ist für den "Belohnungseffekt" der Substanz verantwortlich. Die stimulierende Wirkung von Nicotin beruht auf einer erhöhten Noradrenalin-Ausschüttung in den so genannten "aktivierenden" Hirnstammkernen (u.a. Locus coeruleus). Ein Abfall der Dopamin- und Noradrenalin-Konzentrationen führt zum Craving (Suchtverhalten) und den systemischen Entzugserscheinungen.
Als selektiver Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer könnte Amfebutamon über die Erhöhung der Dopamin- (reward path) und Noradrenalin-Konzentrationen (withdrawal path) in den oben genannten Gebieten das Craving und die Entzugssymptome reduzieren, ohne dabei selbst eine suchachende Wirkung zu entfalten. Amfebutamon verringert somit bei Rauchern die Entzugserscheinungen von Nicotin und reduziert das Verlangen nach Zigaretten. Patienten unter Amfebutamon-Therapie nehmen weniger stark an Gewicht zu als unter einer Plazebo-Behandlung, was von den Aufhörwilligen sicher als positiver Nebeneffekt gewertet wird.
Obschon Depressionen mit Nicotinabhängigkeit in Verbindung gebracht werden können und analoge neurochemische Änderungen in der Depression und in der Nicotinzufuhr bestehen, gibt es genügend hypothetische Hinweise, dass die Wirkung von Amfebutamon als Rauchstopp-Hilfe nicht vom antidepressiven Effekt abhängt.
Einschleichende Therapie
Eine Therapie mit Amfebutamon erfolgt einschleichend, was in der Regel zu einem abnehmendem Zigarettenkonsum führt, bis hin zum definitiven Aufhören in der zweiten Behandlungswoche. Die Behandlungsdauer ist auf sieben Wochen limitiert, also wesentlich kürzer als eine Therapie mit Nicotinersatzpräparaten.
Aus den diversen Studien ist ersichtlich, dass der aufhörwillige Raucher auf seinem Weg psychologisch begleitet werden muss und dass sich dadurch die Aufhörrate erheblich steigern lässt. Auch mit Amfebutamon ist eine fachkundige Begleitung durch den behandelnden Arzt während des Prozesses der Raucherentwöhnung unerlässlich.
Diskussion um Nebenwirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen, die bei der Anwendung von Amfebutamon beobachtet wurden, sind Mundtrockenheit und Kopfschmerzen. Die Nebenwirkungen verschwinden aber in vielen Fällen im Verlaufe der Behandlung, so die Aussage von Glaxo Wellcome. Eine andere Meinung hat dazu die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Sie warnt im "Deutschen Ärzteblatt" vom 31. März 2000 vor der Verschreibung von Zyban (siehe auch "Wichtige Mitteilungen" in dieser Ausgabe der DAZ). Inzwischen sei ein Bericht der kanadischen Arzneimittelbehörde veröffentlicht worden, in dem Erfahrungen mit Amfebutamon zur Raucherentwöhnung von August 1998 bis September 1999 mitgeteilt werden (Canadian ADR Newsletter 2000; 10: 3-7). Von 407 berichteten unerwünschten Wirkungen wurden 256 als schwerwiegend eingestuft. Von diesen seien nicht alle in der Amfebutamon-Monographie verzeichnet, sagte die AkdÄ. Gehäuft wurden Krämpfe bis hin zu Grand-mal-Anfällen sowie Schlaflosigkeit, Überempfindlichkeitsreaktionen, vereinzelt auch Erregungszustände, Depressionen, paranoide Reaktionen, Tachykardien, Myokardinfarkte (davon zwei tödlich endend), Angina-pectoris-Anfälle und Sehstörungen berichtet. Wegen der Übererregbarkeit beziehungsweise der Zustände von Schlaflosigkeit wird darüber nachgedacht, den Patienten zusätzlich ein Benzodiazepin-Präparat zu verordnen - was den Patienten in eine Benzodiazepin-Abhängigkeit bringen kann. In einigen Fällen wurde über Hypoglykämien berichtet.
Die aktuelle Produkonographie deutet an, dass die Einnahme von Amfebutamon bei Diabetes-mellitus-Patienten, die mit oralen Antidiabetika oder Insulin behandelt werden, mit einem erhöhten Risiko von Krampfanfällen assoziiert ist. Angesichts der unerwünschten Wirkungen sollten Ärzte vorerst sehr zurückhaltend Amfebutamon verschreiben, so die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Offensichtlich seien weitere Studien erforderlich, um den Stellenwert dieses Arzneimittels für die Raucherentwöhnung zu bestimmen.
Ab April ist in der Schweiz Amfebutamon (syn. Bupropion, Zyban), ein orales Präparat zur medikamentösen Raucherentwöhnung, erhältlich, wie die Herstellerfirma Glaxo Wellcome jetzt berichtete. Im Vergleich zu Nicotinpflastern soll Bupropion besser wirken. Allerdings warnt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft schon heute vor den unerwünschten Wirkungen des Mittels.
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