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- DAZ 18/2000
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Arzneistoffporträt
T. Richter:Bärlauch – Monographie einer Arzne
Geschichte und Botanik
Bärlauch (Allium ursinum, Alliaceae; früher Liliaceae) hat in der mitteleuropäischen Materia medica schon immer eine große Rolle gespielt. Der vom Kräuterbuchautor Leonhart Fuchs verwendete Ausdruck "Waldknoblauch" liefert eine Aussage über den Standort der Pflanze, die bevorzugt an feuchten Stellen wächst.
Das Aussehen des Blattes erinnert auf den ersten Blick an das Maiglöckchen, weshalb es gelegentlich zu Verwechslungen kommt. In der Literatur werden auch Vergiftungsfälle aufgrund des irrtümlichen Sammelns von Herbstzeitlosenblättern beschrieben. Die organoleptische Untersuchung der Blätter setzt beim Zerreiben jedoch ein eindeutiges Aroma frei, sodass sich die Pflanze problemlos identifizieren lässt.
Bärlauch spielt seit jeher in der Volksmedizin eine Rolle. Das Sammeln geschieht nach altem Kräutersammelkalender in der Zeit vor dem 1. Mai, denn in der Walpurgisnacht (30. April auf 1. Mai), so glaubten unsere Vorfahren, geht die Heilkraft der Pflanze verloren. Analytische Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Konzentration an sekundären Pflanzeninhaltsstoffen Ende April und Anfang Mai besonders hoch ist. Im Volksaberglauben wurden dem Bärlauch apotropäische (unheilabwehrende) Eigenschaften nachgesagt.
Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe
Für Bärlauch werden die in anderen Laucharten ebenfalls vorkommenden schwefelaktiven Verbindungen beschrieben. Hauptinhaltsstoff ist das Methyl-L-cysteinsulfoxid, das durch das Enzym Alliinase zu instabilen Folgeprodukten abgebaut wird. Von Interesse ist auch ein Lauchöl, das in der frischen Pflanze in hoher Konzentration vorkommt und beim Trocknen verloren geht.
Die Forschungen der letzten Jahre konzentrierten sich auf die Blätter, in denen pharmakologisch aktive Gammaglutamylpeptide vorkommen. Darüber hinaus wurden Flavonoide und in geringer Menge auch Prostaglandine nachgewiesen.
Ernährungsmedizinische Aspekte
Die Ernährungsberatung ist ein noch junges, aber verantwortungsvolles Tätigkeitsfeld in der Apotheke. Gerade auf dem Sektor der Nahrungsergänzungsmittel ist es in der Offizin wichtig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Hier ergeben sich für den Bärlauch interessante Aspekte.
Physiologen erkennen immer mehr die Bedeutung einer schwefelreichen Ernährung. Bärlauch enthält 7860 mg Schwefel bezogen auf 100 g Trockensubstanz und übertrifft somit den Knoblauch, für den ein Wert von 1700 mg unter gleichen Bedingungen ermittelt wurde. Der Körper deckt seinen Schwefelbedarf in erster Linie über die Aufnahme von Peptiden, die die Aminosäuren Methionin und Cystein enthalten. In diesem Schwefelpool kann es in bestimmten Situationen, so im Alter oder auch beim Hochleistungssport, zu Engpässen kommen. Dieser Mangel kann zu Lasten des Enyzms Glutathion gehen, dessen Bildung durch schwefelaktive Verbindungen, wie sie im Bärlauch vorkommen, in Gang gesetzt wird.
Reduziertes Glutathion ist in der Lage, unter Aufnahme von Elektronen in die oxidierte Form überzugehen. Dies ist besonders für das Abfangen freier (Sauerstoff-)Radikale interessant (Redox-Mechanismus). Denn die freien Radikale werden seit einiger Zeit als Auslöser für bestimmte Erkrankungen diskutiert: so etwa bei der Entstehung von Demenzerkrankungen, aber auch von Atherosklerose. Die schwefelhaltigen Allylverbindungen des Bärlauchs sind nicht nur für die Auffüllung des Schwefelpools, sondern noch in anderer Hinsicht von Interesse: Sie haben vermutlich einen Einfluss auf die Bildung von Insulin.
Pharmakologische Untersuchungen
Von Bedeutung ist Bärlauch im Zusammenhang mit experimentellen Untersuchungen aus dem Bereich der Arterioskleroseforschung. Für die Entstehung der Plaques an den Arterienwänden werden so genannte Schaumzellen verantwortlich gemacht. Diese entstehen aus Makrophagen, die sich in der Gefäßwand ansammeln. Aufgrund ihres Vermögens, oxidierte Lipoproteine aufzunehmen, vergrößern sie sich erheblich. Begünstigend wirkt weiterhin die Bildung von Wachstumsfaktoren, sodass es zur Einlagerung glatter Muskelzellen in die Arterienwand kommt. Die verfetteten Schaumzellen führen zu einer Verengung des Gefäßlumens mit den Folgeerkrankungen Herzinfarkt und Schlaganfall.
Die schwefelaktiven Stoffe aus dem Bärlauch hemmen diesen Prozess, indem sie einen Oxidationsschutz der Lipoproteine bewirken. Darüber hinaus gibt es Untersuchungen, die einen Einfluss von Bärlauch-Frischblatt-Granulat auf die Mobilität der verfetteten Makrophagen bestätigen. Durch das Austreten der Schaumzellen aus der Gefäßwand ins Blut wird eine schon bestehende Arteriosklerose zumindest im Anfangsstadium bekämpft. Die vielversprechenden pharmakologischen Versuche sollten sich in den nächsten Jahren durch eine Reihe klinischer Studien noch bestätigen lassen.
Schließlich gibt es Untersuchungen über die Wirksamkeit eines Bärlauchextraktes bei Bluthochdruck mit positiven Ergebnissen. Die in den Blättern vorkommenden Glutamylpeptide, insbesondere das Gammaglutamylallylcysteinsulfoxid, wirken nämlich als ACE-Hemmer.
Praxisstudien
Der pathogene Einfluss des Pilzes Candida albicans ist in den letzten Jahren sehr kontrovers diskutiert worden. Der Einsatz von Polyenantibiotika bei "Darmpilzerkrankungen" ist sicherlich nicht immer sinnvoll. Neben ernährungsbezogenen Ratschlägen, die in einer Antipilzdiät mit entsprechendem Verzicht auf bestimmte Kohlenhydrate Berücksichtigung finden, wird eine Therapie zur Herstellung des mikrobioellen Gleichgewichtes der Darmflora durchgeführt. In einer Studie wurden entsprechende Immunglobulinparameter für Candida albicans bei Gabe eines Bärlauch-Frischblatt-Granulates untersucht. Neben Rückgang der Antikörperspiegel fühlte ein Großteil der Patienten eine subjektive Besserung des Gesundheitszustandes.
Zusammenfassung
Bärlauch gehört zu den Pflanzen, die in der Volksmedizin Mitteleuropas Verwendung fanden. Da in der Apothekenpraxis im Zuge eines zunehmenden Gesundheitsbewusstseins die Frage nach vorbeugenden Maßnahmen eine Rolle spielt, erscheint die Gabe von schwefelaktiven Präparaten sinnvoll. Der hohe Schwefelgehalt von Allium ursinum sowie die damit einhergehende Potenz, freie Radikale abzufangen, sind ein Argument für die Empfehlung eines Bärlauch-Frischblatt-Granulates an Personen, die sich vor Arteriosklerose und Hypertonie schützen wollen. Die pharmakologischen Untersuchungen hinsichtlich des antiarteriosklerotischen sowie blutdrucksenkenden Effektes könnten der Entwicklung eines modernen Phytopharmakons Vorschub leisten.
Literatur: Wichtl, Max (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Stuttgart 1997, S. 47f. Wütscher, Stefan: Gesundheitliche Wirkungen und Essentialität schwefelaktiver Pflanzenverbindungen. VitaminSpur, Heft 3/4 (1999), S.101f. Robenek, Horst: Bärlauch-Frischblatt-Granulat wirkt auf allen Ebenen der Arteriosklerose entgegen. Naturheilpraxis mit Naturmedizin (1995), S. 1697-1702. Reimelt, Hans-Joachim: Die heimische Pflanze Bärlauch. Naturheilpraxis mit Naturmedizin (1998), S. 768-773. Wichmann, Gerhard: Zur Essentialität von Schwefel-Verbindungen. Gordian 10 (1997), S. 147-152. Meyer-Buchtela, Egbert: [Patientenbroschüre] "Heilkräuter-Info" Bärlauch, Freiburg 1996.
Der Bärlauch wächst in schattigen Wäldern und macht in dieser Jahreszeit durch seinen durchdringenden Geruch auf sich aufmerksam. Verantwortlich dafür sind schwefelhaltige Verbindungen, die zugleich seinen besonderen Nährwert oder sogar therapeutischen Wert ausmachen.
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