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Wirtschaftsbericht 1999: Verordnungsmengen auf dem Tiefststand, Selbstmedikatio

BERLIN (diz). Der Apothekenwirtschaftsbericht für 1999 zeigt einen deutlichen Trend: Die Anzahl der verordneten Arzneimittel hat seit 1992 einen Tiefststand erreicht, die Zahl der in der Selbstmedikation verkauften Packungen dagegen wiederum einen Höchststand. Der Gesamtumsatz aller Apotheken ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen auf insgesamt 50,3 Mrd. DM.

Das betriebswirtschaftliche Ergebnis, die Umsatzrendite, lag 1999 bei 0,3% und damit nach wie vor auf einem unbefriedigenden Niveau. Im Vorfeld des 37. Wirtschaftsforums, das am 11. und 12. Mai in Berlin stattfindet, informierte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände - ABDA die wirtschafts- und sozialpolitischen Journalisten am 8./9. Mai 2000 in Berlin über die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen Apotheken. Den Wirtschaftsbericht 1999 stellte Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA, vor.

Arbeitsmarkt Apotheke

Die Zahl der öffentlichen Apotheken hat sich im vergangenen Jahr nur geringfügig erhöht von 21 556 auf 21 590. So konnten in den öffentlichen Apotheken 1999 lediglich 100 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, weniger als im Vorjahr. Mit rund 135 000 Arbeitsplätzen sind die öffentlichen Apotheken dennoch eine der größten Arbeitgeber in der Gesamtwirtschaft. Betrachtet man die Zeit seit 1992, ist festzustellen, dass fast 13 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, ein Plus von 11%. Die Apothekenvermehrung, so merkte Diener hierzu an, betrug im gleichen Zeitraum nur 6%.

Mengenentwicklung

Ärzte verordneten im vergangenen Jahr weniger Arzneimittel (Abb. 1). Die Zahl hat sich um 30 Millionen Packungseinheiten auf 970 Millionen reduziert, womit sich der Trend sinkender Verordnungen weiter fortsetzte. In den vergangenen zehn Jahre ist dies der niedrigste Wert, und dies, obwohl die Einwohnerzahl Ende der 90er Jahre um eine Million höher lag als zu Beginn der 90er Jahre. Dies zeige, so Diener, dass sich die Steuerungsmaßnahmen des Gesetzgebers im Arzneimittelbereich auch mengenmäßig auswirken. Er bemerkte, dass dennoch viele Gesundheitspolitiker nicht müde würden, den zu hohen Arzneimittelverbrauch in Deutschland zu beklagen.

Angestiegen ist dagegen die Zahl der abgegebenen Arzneimittelpackungen im Bereich der Selbstmedikation, nämlich von 570 auf 590 Millionen Einheiten im vergangenen Jahr. Man könne diesen Trend als "ein gutes Signal zum Start ins neue Millennium" nehmen.

Der Wirtschaftsexperte der ABDA interpretierte diese Zahlen wie folgt: Die gesamte Arzneimittelverbrauchsmenge hat sich seit 1992 kontinuierlich reduziert und lag im vergangenen Jahr mit 1650 Millionen Packungen auf dem niedrigsten Wert seit 1992.

Außerdem ist daran abzulesen, dass die Mengenrückgänge im Bereich der verordneten Arzneimittel bislang nicht durch die Selbstmedikation kompensiert werden konnten. Dies liegt zum einen daran, dass ein dreiprozentiger Rückgang der Verordnungsmenge absolut gewichtiger ist als ein 3,5-prozentiges Plus bei der Selbstmedikation, außerdem wirkten sich rückläufige verfügbare Einkommen bremsend auf die Selbstmedikation aus. Schließlich zeigt die Mengenentwicklung auch, dass die Rolle der Selbstmedikation in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Noch 1992 machte die Selbstmedikation noch nicht einmal ein Drittel der Gesamtmedikationsfälle aus, mittlerweile erreicht sie fast die 40 Prozent-Marke. Diener prognostiziert, dass noch in diesem Jahrzehnt mengenmäßig Gleichstand zwischen Verordnung und Selbstmedikation erreicht wird.

Die Mengenstruktur der Arzneimittelabgaben hat sich im vergangenen Jahr dagegen im Vergleich zum Vorjahr wenig geändert. Der Anteil rezeptpflichtiger Arzneimittel am Verordnungsmarkt beträgt 43%, der Anteil apothekenpflichtiger rezeptfreier Arzneimittel 19%, für die Selbstmedikation gingen 35% apothekenpflichtige rezeptfreie Arzneimittel über den HV-Tisch und 3% freiverkäufliche Arzneimittel (Abb. 2).

Betrachtet man den Pro-Kopf-Arzneimittelverbrauch, so liegt Deutschland, wie eine für den Österreichischen Apothekerverband erstellte Studie zeigt, mit 19,3 Packungen je Einwohner im europäischen Mittelfeld. Zum Vergleich: in Frankreich liegt der Pro-Kopf-Arzneimittelverbrauch bei 51,5, in Dänemark bei 12,1 Packungen.

Arzneimittelpreise. Das kollektive Steuerungselement der Arzneimittelfestbeträge zeigt deutlich Wirkung, was sich an der Entwicklung der Arzneimittelpreise ablesen lässt. Versieht man das Preisniveau des Jahres 1988 mit dem Indexwert von 100, so war auch 1999 der Preisindex mit einem Wert von 99,9 fast genau auf diesem Niveau.

Der Arzneimittelpreis in Deutschland liegt im Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern, wie eine umfangreiche europäische Arzneimittelpreisvergleichsstudie zeigt, erstellt vom Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) zusammen mit der ABDA, im unteren Drittel (Abb. 3). Im Vergleich dazu: billiger als in Deutschland sind Arzneimittel nur noch in Frankreich, Portugal, Spanien und Griechenland, teurer in allen anderen europäischen Ländern, am teuersten in der Schweiz.

Umsatz. Die Gesamtumsätze der öffentlichen Apotheken in Deutschland sind im vergangenen Jahr um 4% von 48,4 auf 50,3 Mrd. DM gestiegen, ein Wachstum, das beim Durchschnittswert der 90er Jahre liegt (Abb. 4).

Zu den Gesamtumsätzen der Apotheken werden alle Arzneiverordnungen für gesetzlich und privat krankenversicherte Personen gerechnet, die komplette Selbstmedikation sowie Umsätze mit Hilfsmitteln und dem apothekenüblichen Ergänzungssortiment. Betrachtet man die Umsatzstruktur, so dominiert der Verordnungsmarkt mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln (66%) gefolgt vom Verordnungsmarkt mit apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimitteln (13%). Dies bedeutet, dass insgesamt 79% der Umsätze durch die ärztlichen Verordnungen bestimmt sind (Abb. 5).

Die Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen rezeptfreien und mit freiverkäuflichen Arzneimitteln beträgt insgesamt 14,5%. Die Handelsspanne ist 1999 im Vergleich zum Vorjahr geringfügig gesunken, nämlich von 27,5 auf 27,3%. Zieht man davon die Kostenbelastungen einschließlich des kalkulatorischen Unternehmerlohns sowie Zinsen für das eingesetzte Eigenkapital ab (insgesamt 27,0% Kosten), ergibt sich hieraus für 1999 eine Umsatzrendite von 0,3%. Sie ist damit zwar nicht wie in den Jahren 1993 und 1994 negativ, aber nach wie vor auf einem unbefriedigenden Niveau (Abb. 6).

Betrachtet man die Verteilung der Apotheken nach Umsatzgrößenklassen, so liegt die "typische" Apotheke, also die Apotheke mit dem "häufigsten Wert", in der Umsatzgrößenklasse von unter 1,5 bis 1,75 Mio. DM (ohne Mehrwertsteuer; Abb. 7).

Die Abbildung 8 zeigt die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der typischen Apotheke im Laufe der Jahre 1992 bis 1999: Der Zeitreinvergleich zeigt, dass trotz der Erhöhung gegenüber dem Vorjahr das zu versteuernde Einkommen des Leiters einer typischen Apotheke 1999 noch immer nicht ganz den Wert des Jahres 1992 erreicht hat. Diener merkte hierzu an, dass ein zu versteuerndes Einkommen in dieser Größenordnung - aus dem der Apothekenleiter noch seine Absicherung für den Krankheitsfall, für die Berufsunfähigkeit sowie für die Altersvorsorge finanzieren muss, nicht als überzogen bezeichnet werden kann.

Marktpartner GKV. Nach wie vor sind die Gesetzlichen Krankenkassen der größte Marktpartner der Apotheken. Vom Gesamtumsatz entfallen 70% auf die GKV (einschließlich Patientenzuzahlung). Betrachtet man die Zahl der Packungsabgaben, so liegen sie für die GKV bei 56%, also knapp 900 Millionen verordnete Arzneimittel für die Versicherten der GKV bei insgesamt 1560 Millionen abgegebenen Packungen in der Apotheke. Interessant sind die Zahlen, die für den GKV-Bereich zeigen, wie sich die Entwicklung des "Vertriebskostenanteils" an den GKV-Ausgaben im Vergleich zu 1978 entwickelte: Die Handelsspanne für die Apotheken ist 1999 auf 20,3% zurückgegangen, 1978 lag sie noch bei 28,4% (Abb. 9).

Diener merkte hierzu an, dass dieser mehrjährige Vergleich deutlich macht, wie sich die Wertschöpfungsanteile an den GKV-Arzneimittelausgaben über die degressive Ausgestaltung der Arzneimittelpreisverordnung eindeutig zu Gunsten der Industrie und über die Mehrwertsteuer zu Gunsten des Staates verschoben haben. Noch krasser sieht die Betrachtung aus, wenn man den Teilmarkt der Arzneimittel anschaut, die zwischen 100 und 500 DM liegen, also der Bereich, in dem sich viele Arzneimittelinnovationen wiederfinden. Hier beträgt der Wertschöpfungsanteil der Apotheken nur noch 16,4% (Abb. 10).

Der Vorwurf "überzogener Vertriebskosten" kann anhand dieser Zahlen mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden, so Diener. Die Zuzahlungen der Patienten zu Arzneimitteln betrugen im vergangenen Jahr nur noch 4,2 Mrd. DM (1998: 5,4 Mrd. DM). Daraus ergibt sich eine "Selbstbeteiligungsquote" der Patienten an den GKV-Ausgaben für Arzneimittel von 11,6% in 1999. Für den Rückgang können drei Gründe verantwortlich gemacht werden: die Reduzierung der Zuzahlungsbeträge durch die neue Bundesregierung seit 1. Januar 1999, das Ansteigen der Zahlen der zuzahlungsbefreiten Verordnungen auf mittlerweile 45% und die insgesamt rückläufigen Verordnungszahlen. Hierzu muss deutlich angemerkt werden, dass die Absenkung des Patientenanteils mit für den Anstieg bei den GKV-Arzneimittelausgaben verantwortlich ist.

1999 betrugen die GKV-Ausgaben für Arzneimittel 36,2 Mrd. DM (Abb. 11). Im Vergleich zu 1998 ist hier fast ein Zuwachs von 9% festzustellen. Wäre die Patientenzuzahlung nicht reduziert worden, hätte der Zuwachs nur noch rund 4% betragen. Der Arzneimittelanteil an den GKV-Gesamtausgaben lag bei 14,2%.

Zur Verordnungssituation 2000: Diener rechnete vor, dass für das Jahr 2000 ein "budgetkonformer" GKV-Anteil von nur noch 31,8 Mrd. DM zur Verfügung steht. Berücksichtigt ist dabei die voraussichtliche Überschreitung des Arzneimittelbudgets aus dem vergangenen Jahr in Höhe von 1,9 Mrd. DM, die die Ärzte ausgleichen müssten, um Honorartopfkürzungen zu vermeiden. Dem so errechneten GKV-Budget steht allerdings ein Versorgungsbedarf gegenüber, der um 6 Mrd. DM höher liegt, es wäre also eine Korrektur des GKV-Budgets auf 37,8 Mrd. DM notwendig. Diese Lücke zwischen Budgetvorgabe und Budgetbedarf ist mit "Wirtschaftlichkeitsreserven" nicht zu schließen. Diener prognostizierte, dass auch das Jahr 2000 durch eine "heimtückische Kombination" von zunehmend stiller Rationierung und offener Budgetüberschreitung gekennzeichnet sein wird.

Keine Lösung für unser Gesundheitssystem stelle allerdings das immer wieder genannte Paradebeispiel USA dar, wo man versuche mit "Managed Care" Einsparmöglichkeiten zu erzielen. Wie Diener zeigen konnte, sind die Gesamtausgaben für Arzneimittel in den USA von 1992 bis 1999 von knapp 136 Mrd. DM auf 265 Mrd. DM angestiegen. Das entspricht einem mittleren jährlichen Wachstum von fast 15%. In Deutschland sind die Ausgaben für Arzneimittel dagegen insgesamt von 40 auf 48 Mrd. DM seit 1992 angestiegen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von etwa 3% entspricht.

Diener hierzu wörtlich: "Wir behaupten, dass "Care" in Deutschland besser "gemanagt" wird als in den USA und fordern deshalb, von waghalsigen Experimenten in der Arzneimittelversorgung Abstand zu nehmen. Den amerikanischen Weg lehnen wir unmissverständlich ab."

Der Apothekenwirtschaftsbericht 1999 zeigt einen deutlichen Trend: Die Anzahl der verordneten Arzneimittel hat einen Tiefststand seit 1992 erreicht. Dagegen ist die Anzahl der in der Selbstmedikation verkauften Packungen auf einem Höchststand. Der Gesamtumsatz aller Apotheken ist leicht gestiegen, aber die Umsatzrendite von 0,3% ist nach wie vor auf einem unbefriedigenden Niveau.

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