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Gesundheitspolitik 2000 – werden die Karten neu gemischt?
Die gerade eben im Bundestag beschlossene Novellierung des Arzneimittelgesetzes, die Probleme mit den Budgets und die Schwierigkeiten, sie durch Richtgrößen abzulösen, ferner die Frage, ob für die in Deutschland angestrebten Netze in der gesundheitlichen Versorgung Amerika als Vorbild taugt - das waren die Themen, zu denen in Berlin die gesundheitspolitischen Sprecher der Bundestagsparteien (mit Ausnahme der PDS, die nicht geladen war, und der Grünen, die geladen, aber nicht erschienen waren) ihre Argumente austauschten. Gudrun Schaich-Walch, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, verteidigte die gerade eben im Bundestag getroffene Entscheidung zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes als einen brauchbaren Kompromiss zwischen den Verbraucherinteressen, den Forderungen der Europäischen Gemeinschaft und den berechtigten Interessen der pharmazeutischen Industrie.
Die Vertreter der Opposition sahen dies ganz anders: Wolfgang Zöller, der gesundheitspolitische Sprecher der CSU, meinte wie auch sein Kollege von der FDP, Detlef Parr, die Regierung sei mit ihrer gegen die Oppositionsstimmen durchgesetzten Novellierung weit über die Forderungen der Europäischen Kommission hinausgegangen. Dies werde, so Parr, die Arzneimittelvielfalt gefährden. Die Verschärfung, so der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Wolfgang Lohmann, sei vor allem gegen die besonderen Therapierichtungen gerichtet. Er verstehe nicht, wie die Grünen einer solchen Regelung haben zustimmen können. Aber die Grünen, die früher "die Kröten eigenhändig über die Straße getragen haben", seien heute offensichtlich bereit, jegliche Kröte zu schlucken.
Lohmann erinnerte an die Aussage des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Dressler, der gesagt hatte, die SPD wolle endlich den "Arzneimittelschrott" vom Markt haben. Dies richte sich besonders gegen die Phytopharmaka, die anthroposophischen Arzneimittel und die Homöopathika, für die sich doch gerade die Grünen im Interesse ihrer Wählerschaft früher immer stark gemacht hätten.
Budgets oder Richtgrößen?
Vor einigen Wochen hat ein offensichtlich aus Kreisen der SPD-Fraktion stammendes Papier Furore gemacht, in dem die bisherige sozialdemokratische Politik, insbesondere die Verteidigung der Budgets als zukünftig nicht mehr durchhaltbar dargestellt worden ist. Die Autoren des Papiers sprechen sich für eine Ablösung zum Beispiel des Arzneimittelbudgets durch arztgruppenbezogene Richtgrößen aus.
Frau Schaich-Walch lüftete den Schleier, wer hinter diesem Papier steht und welche Durchsetzungschancen es in der SPD-Fraktion hat. Sie räumte ein, das Papier stamme allein von ihr und ihrem persönlichen Referenten, es sei als Diskussionsgrundlage für die SPD-Fraktion gedacht gewesen. Es sei in der Fraktion bislang in keiner Weise abgesegnet worden. Ihre Überzeugung sei, dass man im Gesundheitswesen ohne Steuerungsinstrumente nicht auskomme. Auch in Zukunft werde es bei einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik bleiben müssen. Ihr Plädoyer für eine Abschaffung der Budgets zugunsten von individuellen Richtgrößen habe durch die vorzeitige Veröffentlichung sehr an Realisierungschance eingebüßt: "Ich kann es jetzt eigentlich vergessen." Die Chance, dass die Fraktion ihr nach dieser Indiskretion noch folge, sei sehr gering.
Parr, Zöller und Lohmann machten deutlich, dass sich die FDP und die CDU/CSU in Übereinstimmung mit Frau Schaich-Walch (aber wohl im Dissens mit der Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion) für budgetablösende Richtgrößen einsetzen. Immerhin, so Zöller, hätten diese Richtgrößen ja bereits in Seehofers Reformgesetz gestanden. Sie seien durch die Koalition aus SPD und Grünen gestoppt worden.
Die Ablösung der Budgets, so Zöller, sei unbedingt notwendig, weil inzwischen deutlich geworden sei, dass sie direkt in die Rationierung führten. Budgets seien auf Zeit allenfalls dann vertretbar, wenn noch erkennbare Wirtschaftlichkeitsreserven im System vorhanden seien. Das sei heute nicht mehr der Fall. Ob denn die Opposition jetzt jegliche Ausgabenbeschränkung aufgeben wolle, fragte Frau Schaich-Walch. Natürlich nicht, so Zöller, Lohmann und Parr unisono. Man sei ja eben für budgetablösende Richtgrößen, und zwar unter Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Dies bedeute nicht Ausgaben ad libitum.
Lohmann machte deutlich, dass die Steigerungen des letzten Jahres im Arzneimittelbereich (rund 8%) zur Hälfte auf die Rücknahme der Zuzahlungen durch die Regierungskoalition zurückzuführen sei. Es sei in Zukunft nicht mehr haltbar, "unendliche Leistungen für begrenztes Geld zu versprechen". Lohmann empfahl der Koalition, mehr auf Eigenverantwortung zu setzen. Wenn man Rationierung vermeiden wolle, müsse mehr Geld ins System, z. B. durch eine Erhöhung der Zuzahlung oder Leistungseinschränkungen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz habe Recht, wenn er sage, wer sich Skier leisten könne, könne notfalls auch den Gips bezahlen.
Mehr Wettbewerb
In einem CSU-Papier zum Gesundheitswesen wird "mehr Wettbewerb" gefordert. Damit, so der CSU-Abgeordnete Zöller seien mehr Wahlmöglichkeiten gemeint. So solle z. B. für den Versicherten wählbar sein, in welchem Umfang er Taxikosten und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall absichern will. Der FDP-Abgeordnete Parr stimmte dem zu. Es müsse klar definiert werden, was Pflichtleistungen in der GKV sein sollten und was als Wahlleistung zusätzlich angeboten werden könne. Auf jeden Fall müssten die Versicherungsfremden Leistungen aus der GKV ausgegliedert werden. Dann, so Parr, "haben wir wieder genügend Geld im System".
Netze - Amerika als Vorbild?
Die Krankenkassen müssten mehr Möglichkeiten für unterschiedliche Verträge mit den Leistungsanbietern erhalten, meinte die SPD-Abgeordnete Schaich-Walch. Für die Apothekerschaft gab Dr. Diener zu bedenken, Manches, was unter dem Schlagwort "Netze" diskutiert werde, führe letztlich zu einer "Verschlimmbesserung des Gesundheitswesens durch die kalte Küche". Da das Angebot innerhalb des Netzes immer nur unvollständig sein kann, werde es den Trend geben, eine Versorgung neben den Netzen zu installieren. Und die von den Krankenkassen gewünschte Kopfpauschale werde zu einer Risikoselektion führen.
Der CSU-Abgeordnete Zöller sieht eine zusätzliche Gefahr: dass es zu Verträgen zu Lasten Dritter komme - z. B. zu Vereinbarungen, dass weniger Arzneimittel verbraucht werden, aber dafür höhere Honorare an die Ärzte ausgeschüttet werden. Wenn dies passiere, dann "fahre das System an die Wand". "Wir sind doch nicht in Amerika" - so darauf die SPD-Abgeordnete Schaich-Walch. "Wir wollen keine Netze wie in den USA". Gleichwohl, so ihre Prognose, werden in den nächsten Jahren bis zu 20% der Patienten innerhalb von Netzwerken versorgt werden.
Der FDP-Abgeordnete Parr sieht die Gefahr, dass mit der vorgesehenen Integrationsversorgung ein "Trojanisches Pferd für die Einkaufsmodelle" in das Gesundheitswesen eingeführt werde. Solche Versorgungsmodelle hätte man allenfalls mit verpflichtender wissenschaftlicher Begleitung zulassen dürfen, also als Modellversuche, so der CDU-Abgeordnete Lohmann. Lohmann sprach sich in der Diskussion eindeutig gegen jeden Versand bei Arzneimitteln aus, für einen Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzverbotes und für eine Arzneimittelpreisverordnung, mit der auch die Apotheker leben können.
Gegen einen Versand von Arzneimitteln sprach sich unmissverständlich auch Frau Schaich-Walch aus. Allerdings sieht sie aus Brüssel Probleme auf Deutschland zukommen. Die deutsche Sonderrolle bezüglich des Versandhandels verstehe dort niemand: "Wir müssen gemeinsam mehr für unsere Sonderrolle werben", so die SPD-Abgeordnete. Der CSU-Abgeordnete Zöller plädierte dafür, das Apothekerwissen in Zukunft stärker im Gesundheitswesen zu nutzen, die Apotheker stärker einzubinden.
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