Arzneimittel und Therapie

Interferon beta-1b: Betaferon bei sekundärer progredienter Multipler Sklerose

Am 1. Mai 2000 wurden auf dem 52. Kongress der American Academy of Neurology (AAN) in San Diego, USA, die Ergebnisse der nordamerikanischen Studie mit Betaferon (Interferon beta-1b) bei sekundär progredienter Multipler Sklerose (SPMS) vorgestellt. Das teilte die Schering AG mit.

Diese Studie, die zweite mit Betaferon in der Indikation sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS), bringt sowohl für Neurologen als auch für SPMS-Patienten wichtige neue Erkenntnisse über den Verlauf der sekundär progredienten MS. Der Vergleich der Patientenmerkmale und der Ergebnisse der europäischen und der nordamerikanischen Studie legt nahe, dass im Verlauf der SPMS die Behandlung mit Betaferon bei denjenigen Patienten begonnen werden sollte, die Zeichen von Krankheitsaktivität aufweisen. Im Allgemeinen wird dies bedeuten, die Behandlung so früh wie möglich zu beginnen, um den maximalen therapeutischen Effekt zu erzielen.

Ergebnisse der beiden Studien

1998 hat die europäische Studie mit Betaferon bei sekundär progredienter MS gezeigt, dass die Behandlung mit diesem Medikament relevante therapeutische Erfolge erzielen kann: eine statistisch signifikante Verzögerung beim Fortschreiten der Erkrankung, eine Verlängerung der Zeit bis zur Rollstuhlpflicht und eine Verminderung der Schubhäufigkeit. In der nordamerikanischen Studie mit Betaferon bei sekundär progredienter MS profitierten die Patienten durch eine Verminderung der Schubhäufigkeit und eine Reduktion der Entzündungsaktivität im Gehirn. Dies entspricht den Ergebnissen der europäischen Studie.

Allerdings wurde der primäre Zielparameter (ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Plazebo und Betaferon in der Zeit bis zur bestätigten Krankheitsverschlechterung) in dieser zweiten Studie nicht erreicht. Dies hängt höchstwahrscheinlich mit der überraschend niedrigen Rate der Krankheitsprogression in der nordamerikanischen Studienpopulation zusammen, in Verbindung damit, dass Patienten in einem etwas weiter fortgeschrittenen Stadium der sekundär progredienten MS rekrutiert wurden. Verglichen mit den Patienten der europäischen Studie befanden sich die Patienten in der nordamerikanischen Studie im Allgemeinen in einer späteren Phase der Erkrankung und zeigten weniger Krankheitsaktivität.

Professor Henry McFarland, Leiter der Abteilung der Neuroimmunologie am National Institute of Neurological Disorders und Vorsitzender der beiden unabhängigen Monitoring Committees der europäischen und nordamerikanischen Studien, präsentierte beim AAN-Kongress eine Analyse der Gründe für den unterschiedlichen Behandlungseffekt auf die Behinderungsprogression in beiden Studien.

"Basierend auf dem klaren Effekt auf die Behinderungsprogression, der in der europäischen Studie zu sehen war, und auf unserem Verständnis des Krankheitsprozesses, ist es wahrscheinlich, dass Betaferon bei den SPMS-Patienten wirksam ist, bei denen eine entzündliche Komponente zur Progression beiträgt", sagte Professor McFarland.

Unterschiede bei den Patienten

Die Unterschiede in den Patientenpopulationen, die in die nordamerikanische und die europäische Studie einbezogen wurden, könnten sich aus der unterschiedlichen Situation erklären, in der die amerikanischen Neurologen und Patienten über eine mögliche Studienteilnahme zu entscheiden hatten. Zur Zeit der Patientenrekrutierung waren in den USA bereits zwei Präparate zur Behandlung der MS verfügbar.

Gleichzeitig lief noch eine weitere große Studie mit einem anderen Präparat. Daher ist es möglich, dass sich Patienten mit aktiver Erkrankung eher für eine reguläre Behandlung entschlossen, anstatt an einer Studie teilzunehmen mit dem Risiko, zu dem einen Drittel der Patienten zu gehören, die Plazebo erhielten.

Positive therapeutische Effekte

Betaferon zeigt positive therapeutische Effekte bei Patienten mit sekundär progredienter MS, wobei eine Wirkung auf die Krankheitsprogression bei den Patienten am deutlichsten zu sehen ist, die eine stärker ausgeprägte Krankheitsaktivität haben, charakterisiert durch MS-Schübe und Entzündungsaktivität im Gehirn. "Leider gibt es kein Heilmittel für die MS", sagte Professor Ludwig Kappos aus Basel in der Schweiz, der in der europäischen Studie einer der maßgebenden Prüfer war. "Im Allgemeinen können wir aber von dieser Behandlung eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs bei der MS erwarten."

Auf Basis der vorliegenden Daten sollten MS-Patienten Betaferon bereits sehr früh im Verlauf ihrer Erkrankung erhalten, um den maximalen Behandlungserfolg zu erreichen. Dies scheint auch auf Patienten mit sekundär progredienter MS zuzutreffen.

"Die Ergebnisse aller in jüngerer Zeit abgeschlossenen MS-Studien legen nahe, dass Patienten so früh wie möglich behandelt werden sollten, bevor die neurologische Schädigung zu ausgeprägt ist", sagte Barry Arnason, Professor für Neurologie, University of Chicago Pritzker School of Medicine und einer der Prüfärzte der nordamerikanischen Studie.

Betaferon für schubförmige und sekundär progrediente Form

In der Indikation sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS) ist Betaferon inzwischen in Europa, Kanada und Australien auf Basis der positiven europäischen Studie zugelassen. Es ist das bisher einzige Präparat weltweit, das für beide Formen der MS, die schubförmige und die sekundär progrediente, die Zulassung besitzt. Die Zulassung bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA auf Basis der europäischen Daten ist seit Mitte 1998 beantragt; die Ergebnisse der nun vorliegenden nordamerikanischen SPMS-Studie werden in naher Zukunft nachgereicht. Diese neuen Daten werden auch den anderen Gesundheitsbehörden zur Prüfung mitgeteilt.

Betaferon ist die MS-Therapie, für die die längste Erfahrung in der Behandlung von MS-Patienten und die umfangreichste klinische Datenbasis in MS vorliegen. Sie belegen, dass Betaferon ein Therapeutikum mit einem breiten Wirkungsspektrum bei schubförmiger und sekundär progredienter MS ist. Mehr als 90.000 Patienten wurden bisher mit dem Präparat behandelt.

Verschiedene Formen der Multiplen Sklerose

Multiple Sklerose kann in verschiedenen Verlaufsformen vorkommen. In 80% der Fälle beginnt die Erkrankung mit akuten Schüben. "Schübe" sind Krankheitsausbrüche, bei denen innerhalb von einigen Tagen bis Wochen, aber auch manchmal buchstäblich über Nacht, zunehmende, vom Zentralnervensystem ausgehende Beschwerden auftreten. Oft bilden sich die Symptome nach den ersten Schüben wieder gänzlich zurück. Die Ärzte sprechen von "Remissionen". Daher wird diese häufigste Form der MS auch "schubförmig-remittierend" genannt.

Relativ häufig geht ein zunächst schubförmiger Verlauf nach längerer Zeit in einen chronisch fortschreitenden Verlauf der Krank- heit über. Auch zwischen den Schüben verschlechtert sich der Zustand stetig. In diesem Fall spricht man von einer "sekundär progredienten" Multiplen Sklerose. Bei einem Teil der Patienten verschwinden die Schübe im Lauf der Zeit vollständig, sodass nur noch eine stetige Verschlechterung des Krankheitsbildes zu beobachten ist.

Deutlich seltener als der "schubförmige" ist der chronisch fortschreitende (primär chronisch progrediente) Verlauf. Die Krankheit beginnt schleichend; der Zustand des Patienten verschlechtert sich allmählich, aber stetig. Patienten mit dieser relativ seltenen Form der Erkrankung haben keine Schübe.

Studien-Details

Die amerikanische Studie schloss 939 Patienten mit sekundär progredienter MS ein und wurde mit drei "Armen" doppelblind, randomisiert und plazebokontrolliert durchgeführt. Eine Gruppe (308 Patienten) bekam ein Plazebo, eine zweite (317 Patienten) die im Handel befindliche fixe Dosierung mit 8 Millionen Einheiten Interferon beta-1b, und die dritte Gruppe (314 Patienten) erhielt eine der Körperoberfläche entsprechende variable Dosis.

Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen der fixen und der variablen Dosierung in der Wirksamkeit und Sicherheit beobachtet. Beide Anwendungen wurden im Allgemeinen gut vertragen. Die in dieser Studie beobachteten Nebenwirkungen entsprachen denen, die auch in früheren Studien aufgetreten waren.

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