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Entwicklungshilfe
D. WenderleinArzneimittelbedarf in der Entwicklungsh
Medizinische Situation in Albanien
Die Säuglingssterblichkeit Albaniens beträgt 45,01 von 1000 Lebendgeburten (zum Vergleich: 5,2 von 1000 Lebendgeburten in Deutschland; Stand 1998) [2], und die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 68,64 Jahre (in Deutschland: 76,99) [2]. Apotheken, Ärzte und Krankenhäuser befinden sich nur in größeren Städten, die für die wenig motorisierte Landbevölkerung schwierig zu erreichen sind. Deshalb wendet sich gerade die Landbevölkerung bei gesundheitlichen Beschwerden nur selten an einen Arzt. Alle medizinischen Einrichtungen sind sehr mangelhaft mit Arzneimitteln und medizinischen Geräten ausgestattet.
Das Hilfsprojekt in Nordalbanien
Seit 1992 unterhält die Gemeinschaft Sant' Egidio in Lezha ein medizinisches Zentrum zur ambulanten Versorgung der Bevölkerung (neben 13 weiteren solcher Zentren in Nordalbanien). Dort sind mehrere Ärzte und Krankenschwestern beschäftigt. Ausgehend von diesem Zentrum wurden in Dörfern der weiteren Umgebung Gesundheitsstationen eingerichtet, die mit Personal, Ausstattung und Medikamenten von der Gemeinschaft Sant' Egidio betreut werden. Dort kann sich die Bevölkerung regelmäßig zu einem festen Termin ärztlich behandeln lassen, nach Bedarf alle ein bis zwei Wochen. Erklärte Zielgruppe sind Neugeborene, Kinder und Jugendliche bis zu 14 Jahren. Diese haben auf Grund der vielfältigen Probleme, vor allem wegen der unzureichenden Ernährung und der schlechten hygienischen Verhältnisse, besonders zu leiden. Selbstverständlich erhalten aber Patienten aller Altersgruppen ärztliche Hilfe.
Das Projekt sichert die ärztliche Betreuung von ca. 20 000 Menschen, und gleichzeitig werden erste Strukturen einer effizienten, flächendeckenden medizinischen Versorgung in dem Gebiet um Lezha geschaffen. Langfristiges Ziel ist es jedoch, die Zentren in die alleinige Verantwortung von albanischen Ärzten und Pflegepersonal zu legen.
Diagnostizierte Erkrankungen
Eine Gruppe von sechs Personen (u. a. ein Internist, ein albanischer Kinderarzt, eine Krankenschwester, ein Apotheker) behandelte im Juli 1999 während neun Tagen in neun Gesundheitsstationen insgesamt 562 Patienten; 224 davon waren 0 bis 5 Jahre alt, und 248 waren 5 bis 14 Jahre alt (Tab. 1).
Bei Kindern bis 5 Jahren fällt der hohe Anteil an chronisch unterernährten Kindern auf (38,4%). Das Ausmaß der Unterernährung wurde gemäß der "WHO Global Database on child growth and malnutrition" [9] bestimmt: Die aus Alter, Körpergewicht und -größe berechneten Z-scores beschreiben den Grad der chronischen Unterernährung sowohl des Individuums als auch der Bevölkerungsgruppe.
Ebenfalls auffallend häufig sind infektiöse Hauterkrankungen (Scabies, Impetigo, Lippenherpes, Mykosen usw.). Damit einher gehen Erkrankungen der Augen und Ohren: Das Spektrum reicht von leichten, nichtinfektiösen Rötungen der Augen über akute bakterielle Konjunktivitiden bis hin zu selten auftretenden Lidinfektionen. An Ohrenerkrankungen werden vor allem Infektionen und durch Cerumen verstopfte Gehörgänge diagnostiziert.
Ursache hierfür ist die mangelhafte Hygiene auf Grund der schlechten Wasserversorgung, aber auch wegen eines wenig ausgeprägten Hygienebewusstseins in der Bevölkerung. Gerade im Bereich der Säuglingspflege und -ernährung ist bei den Müttern unbedingt Aufklärungsarbeit zu leisten (im Rahmen des Projektes werden regelmäßig Kurse für Schwangere und junge Mütter gehalten, die mit großem Interesse angenommen werden).
An Magen-Darm-Beschwerden stehen bei Kindern Übelkeit und Erbrechen und bei Erwachsenen Gastritis im Vordergrund, mit zunehmendem Alter auch Obstipation. Durchfallerkrankungen kommen vor, allerdings nicht gehäuft. Verbreitete Ursache gastrointestinaler Beschwerden sind parasitäre Wurmerkrankungen. Deshalb wird, zusätzlich zu den Tätigkeiten in den Gesundheitszentren, ein Programm zur Bekämpfung von Wurmerkrankungen durchgeführt, in dessen Verlauf zum damaligen Zeitpunkt 478 Personen mit Mebendazol 2 x 100 mg über drei Tage behandelt worden waren. Gleichzeitig erhalten die Patienten Hinweise zur Körperhygiene und werden aufgefordert, sich nach 14 Tagen erneut vorzustellen. Infektionen der oberen und unteren Atemwege und der Harnwege sind nicht über das normale Maß hinaus zu beobachten.
Die Mängel in der medizinischen Versorgung werden besonders auch bei neurologischen Erkrankungen deutlich: Bei sechs Kindern musste auf Grund der Beschreibungen der Mütter auf epileptiforme Erkrankungen geschlossen werden. Da eine eingehende neurologische Untersuchung unter den gegebenen Umständen nicht durchgeführt werden konnte, erhielten die Mütter Überweisungen an die Pädiatrische Klinik der Universität Tirana. Zwei weitere 3 bzw. 4 Jahre alte Patienten zeigten z. T. schwere Symptome einer Muskeldystrophie. Auch hier wurde den Müttern dringend eine Untersuchung der Kinder nahegelegt und weitergehende Hilfe versprochen.
Arzneimittelbedarf
Auf Grund der Mangel- und Unterernährung besteht großer Bedarf an Multivitamin-Präparaten (Monopräparate sind nur in Einzelfällen sinnvoll) und Nahrungsmitteln, z. B. Babynahrung, Hartkekse, Mehl (Tab. 2). Wichtig sind große Mengen, um die Nahrungsergänzung über einen längeren Zeitraum garantieren zu können.
An zweiter Stelle stehen Dermatika und Arzneimittel zur Anwendung am Auge und Ohr. Nötig sind vor allem Antibiotika-haltige Präparate, Antimykotika und externe antiparasitäre Mittel, insbesondere Benzoylbenzoat-Lotion. Ein kleinerer Vorrat mit Glucocorticoid-Externa ist ausreichend.
An Ophthalmika werden künstliche Tränenflüssigkeit und antibakteriell wirksame Augentropfen am häufigsten verordnet, seltener antiallergische oder antiphlogistische Augentropfen. Kombinationspräparate aus einem Antibiotikum mit einem Glucocorticoid sind ebenso wie Augentropfen zur Anwendung bei Glaukom in Arzneimittelspenden nur sinnvoll, wenn vor Ort geeignete Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Neben den Augentropfen erwies sich ein kleinerer Vorrat an Augensalben als unentbehrlich.
Zur Behandlung der Ohrenbeschwerden sind antibakterielle, analgetische und cerumenlösende Ohrentropfen nötig. Zur Therapie der Infektionen (Atem- und Harnwegsinfekte) werden vor allem Amoxicillin, orale Cephalosporine und Co-trimoxazol eingesetzt. Eine größere Spende an intravenös zu applizierenden Antibiotika (Ampicillin, Cephalosporine der ersten bis dritten Generation, Chloramphenicol) war leider unbrauchbar, da i.v. Antibiotika nur unter stationären Bedingungen gegeben werden können.
Dieser Vorgang ist symptomatisch: Gerade bei Antibiotika findet man in Arzneimittelspenden meist viele Präparate einer umfangreichen Wirkstoff-Palette in unterschiedlichen Stärken und Arzneiformen. Um eine kontinuierliche Therapie zu garantieren, sind nur Großpackungen weniger, aber essenzieller Wirkstoffe in geeigneten Arzneiformen und in im Empfängerland gebräuchlichen Stärken sinnvoll.
Des Weiteren besteht größerer Bedarf an Analgetika und Antipyretika. Neben kleineren Mengen an Analgetika gegen mittelstarke Schmerzen (Tramadol, Metamizol-Na; auch zur i. v. Applikation) ist insbesondere Paracetamol wegen seiner guten Magenverträglichkeit sinnvoll. Es empfiehlt sich auch zur Fiebersenkung bei Kindern (Paracetamol-Suppositorien in den Stärken 125 mg und 250 mg).
Zur Behandlung der gastrointestinalen Beschwerden erwiesen sich Vorräte an Antazida, H2-Blockern und Antiemetika (Metoclopramid) als wichtig. Loperamid wurde im genannten Zeitraum kaum eingesetzt, war aber bei einem Hilfseinsatz einer anderen Helfergruppe zur Versorgung der Kosovoflüchtlinge in größeren Mengen notwendig.
Fazit
Am Beispiel des beschriebenen Projektes ist ersichtlich, dass die auftretenden Krankheiten mit einem relativ begrenzten Sortiment an Medikamenten behandelt werden können. Die 1996 von der WHO veröffentlichten "Leitlinien für Arzneimittelspenden" (s. Kasten) [4] und die "WHO Model list of essential drugs" [10] bieten wertvolle Orientierungshilfen zur Zusammenstellung von Hilfslieferungen.
Um für ein Entwicklungshilfeprojekt die benötigten Arzneimittel gezielt auszuwählen, ist eine genaue Kenntnis der im Krisengebiet vorkommenden Krankheiten und der dortigen Therapiemöglichkeiten unbedingt erforderlich. Wenn zum Beispiel die Voraussetzungen für eine Diabetes-, Cholesterolsenkende oder antihypertensive Therapie fehlen, sind die in Arzneimittelspenden massenhaft vorkommenden oralen Antidiabetika, CSE-Hemmer und Antihypertensiva nur Medikamentenmüll und schaffen mehr Probleme als sie lösen. Vor allem müssen in Notsituationen zuerst Lösungen für die drängendsten Probleme gefunden werden, z. B. die Ernährungssituation der Kinder.
Die sinnvollste Hilfe sind Geldspenden an vertrauenswürdige Organisationen. Diese wählen bei geeigneten Beschaffungsstellen nach AMG § 47 Abs. 1 und 2 aus einer Liste von Basismedikamenten die Präparate aus, die zur gezielten Bekämpfung der medizinischen Probleme nötig sind. Die Beschaffungsstellen lassen die Präparate im Lohnauftrag herstellen und versenden sie im Auftrag der Hilfsorganisationen gegen Erstattung der Selbstkosten. Sie sind auf Medikamentenlieferungen in Entwicklungsländer spezialisiert und verfügen zusätzlich über gute Erfahrungen hinsichtlich der Transportmöglichkeiten.
Gut gemeint, aber schlecht
Grundsätzlich sind Medikamentenlieferungen abzulehnen, die sich aus bunt zusammengewürfelten, angebrochenen oder verfallenen Packungen zusammensetzen, meist mit einer Vielzahl von Wirkstoffen in diversen Stärken und Arzneiformen, und in einer im Empfängerland unbekannten Sprache beschriftet. Auch hinsichtlich der in einer Krisenregion benötigten Arzneimittel herrscht meist große Unsicherheit, sofern dieser Punkt überhaupt in die Planungen mit einbezogen wird.
Infrastruktur
Die Situation der in das Hilfsprojekt einbezogenen Dörfer im Norden Albaniens ist geprägt von einer äußerst schlechten Infrastruktur: Fließendes Wasser und Strom sind, wenn überhaupt, nur stundenweise am Tag vorhanden. Zu erreichen sind die Dörfer höchstens mit einem geländegängigen Fahrzeug über Schotterpisten oder sehr schlechte Straßen.
Gemeinschaft Sant Egidio
Die weltweit über 20 000 Mitglieder der ökumenischen Laiengemeinschaft, die 1968 in Rom gegründet wurde, setzen sich in vielfältiger Weise für Hilfsbedürftige in ihren Heimatstädten und in Entwicklungsländern ein (z. B. auch in Mosambik, Guinea-Bissau, Algerien) [3, 5 - 7]. Seit der politischen Wende 1991 führt die Gemeinschaft Sant' Egidio in Albanien Entwicklungshilfeprojekte durch, um den Aufbau eines leistungsfähigen Gesundheitswesens zu unterstützen. Im Rahmen der humanitären Hilfen der Gemeinschaft Sant' Egidio für die Kosovoflüchtlinge und die albanische Bevölkerung nahm der Autor im Juli 1999 an einem Hilfsprojekt in Nordalbanien im Gebiet um die Stadt Lezha teil.
Hilfe für Mosambik
Aktuell bittet die Gemeinschaft Sant' Egidio um Spenden für die Opfer der Überschwemmungskatastrophe in Mosambik. Insbesondere kümmert sie sich dort um den Wiederaufbau zerstörter Hütten und Häuser und die Ausstattung von Familien mit den notwendigen Gegenständen des täglichen Lebens (Haushaltsgegenstände, Kleidung usw.).
In Mosambik führte die als NGO (Non Government Organisation) anerkannte Gemeinschaft Sant Egidio schon während des 16-jährigen Bürgerkrieges und verstärkt nach dem durch die Gemeinschaft vermittelten Friedensschluss (1992) Entwicklungshilfeprojekte durch. In zahlreichen Vertretern der katholischen Kirche vor Ort und durch vielfältige politische Kontakte hat sie sehr zuverlässige Ansprechpartner im Land, mit denen sich die Zusammenarbeit seit vielen Jahren intensiv und erfolgreich gestaltet.
Zudem sind ständig Mitglieder von Sant' Egidio aus Europa, die ihre Arbeit ehrenamtlich leisten, in Mosambik, um die Hilfen zu koordinieren. In den nächsten Wochen führt die Gemeinschaft Sant' Egidio ein Programm zur Behandlung von 32 000 Patienten durch, die mit Larva migrans infiziert sind. Dafür werden Anthelminthika im Wert von 20 000 DM benötigt. Wir bitten um Ihre Hilfe!
Spendenkonto für die Opfer der Überschwemmungskatastrophe in Mosambik: Gemeinschaft Sant' Egidio/Sonderkonto Mosambik, Städt. Sparkasse Würzburg, BLZ 790 500 00, Konto-Nr. 414 686 12
WHO-Leitlinien für Arzneimittelspenden [5]
1. Bedarfsgerechte Arzneimittel Nur Arzneimittel spenden, für die beim Empfänger ausdrücklicher Bedarf besteht. 2. Nationale Arzneimittelliste respektieren Die gespendeten Medikamente müssen im Empfängerland zugelassen und in der nationalen oder WHO-Liste essenzieller Arzneimittel enthalten sein. 3. Gleichbleibende Zusammensetzung Gespendete Medikamente sollten in Darreichungsform, Stärke und Zusammensetzung den normalerweise im Land verwendeten Arzneimitteln möglichst ähnlich sein. 4. Qualitätsnachweis erbringen Die Arzneimittel müssen aus einer zuverlässigen Quelle stammen und den Qualitätsanforderungen des Empfänger- und Geberlandes entsprechen (WHO-Zertifikationssystem). 5. Keine bereits früher abgegebenen Medikamente spenden Schon einmal an Patienten abgegebene Arzneimittel und Ärztemuster dürfen nicht als Spenden verwendet werden. 6. Mindestens ein Jahr Laufzeit Nach Eintreffen im Empfängerland sollten gespendete Arzneimittel noch eine Laufzeit von mindestens einem Jahr haben. 7. Korrekte Beschriftung Arzneimittel müssen folgendermaßen in einer Sprache beschriftet sein, die dem Gesundheitspersonal im Empfängerland geläufig ist: INN oder generischer Name, Darreichungsform, Stärke, Mengenangabe, Lagerungsvorschriften, Verfallsdatum, Chargennummer, Hersteller. 8. Großpackungen verwenden Möglichst Groß- und Anstaltspackungen spenden. 9. Exakte Packlisten Alle Arzneimittelspenden sollten gemäß internationaler Versandbestimmungen verpackt sein. Eine genaue Packliste mit detaillierten Angaben zum Inhalt jedes Kartons muss beigefügt sein. 10. Empfänger benachrichtigen Die Empfänger müssen über alle Arzneimittelspenden informiert werden. 11. Realistische Wertangabe Für die Wertangabe der Spende sollten die Großhandelspreise im Empfängerland oder, falls nicht verfügbar, die Großhandelsweltmarktpreise zugrunde gelegt werden. 12. Transportkosten Für Transportkosten, Kosten der Zollabfertigung und der Lagerung sollte die Geberorganisation aufkommen.
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