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Rechtsprechung aktuell
Berufsgerichtliche Entscheidungen: Strenge Voraussetzungen bei Wiederaufnahme
Ein Apotheker war aufgrund einer von ihm durchgeführten Werbemaßnahme wegen Verletzung der Berufsordnung der Apothekerkammer Nordrhein rechtskräftig verurteilt worden. Unter anderem hatte er Verkaufsschütten vor seiner Apotheke auf dem Gehsteig aufgestellt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass eine gleichlautende Bestimmung in Baden-Württemberg unwirksam sei, beantragte er die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ziel, die gegen ihn ergangene Verurteilung aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nennt § 104 des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es, ein rechtskräftig abgeschlossenes berufsgerichtliches Verfahren könne unter den gleichen Voraussetzungen wieder aufgenommen werden wie ein Strafprozess. Die Wiederaufnahme eines Strafprozesses ist unter den Voraussetzungen des § 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bzw. des § 359 Strafprozessordnung (StPO) möglich. Das Landesberufsgericht sah indessen die dort genannten Voraussetzungen als nicht gegeben an.
Wiederaufnahme nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz
§79 Abs. 1 BVerfGG gestattet die Wiederaufnahme eines Verfahrens, wenn ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Das Landesberufsgericht äußerte bereits Zweifel daran, dass § 79 BVerfGG für berufsgerichtliche Verurteilungen heranzuziehen sei. Ein berufsgerichtliches Urteil sei nämlich kein Strafurteil im formell-prozessualen Sinne - ihm hafte insbesondere kein vergleichbarer "Makel" wie dem Strafurteil an. Das Gericht ließ diese Frage aber offen, weil das angegriffene berufsgerichtliche Urteil weder auf einer Norm noch auf der Auslegung einer Norm beruhe, die das Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen habe. Beiden Entscheidungen lägen völlig verschiedene Sachverhalte zugrunde, sodass keine Aussage für die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der Auslegung der Norm in dem anderen Fall erlaubt sei. Soweit das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass eine Verurteilung wegen Aufstellens von Verkaufsschütten auf dem Gehsteig gegen die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz verstoße, stimme zwar der Sachverhalt überein. Jedoch habe das Bundesverfassungsgericht allein über die Auslegung der betreffenden Norm der Berufsordnung für Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer befunden, was nicht genüge. Erforderlich sei vielmehr, dass das Bundesverfassungsgericht die Auslegung gerade der Norm als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen habe, auf die sich die angegriffene Entscheidung stütze.
Wiederaufnahme nach der Strafprozessordnung
Nach § 359 StPO ist die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten u.a. dann zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein und in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen den Freispruch des Angeklagten zu begründen geeignet sind. Der verurteilte Apotheker berief sich darauf, dass die maßgebliche Norm, auf welche sich die Verurteilung gestützt habe, Bestandteil der Berufsordnung gewesen sei, welche wegen Nichtvorliegens einer authentischen Urkunde der Kammerversammlung nach dem Erlass des Strafurteils für unwirksam erklärt worden sei. Das Landesberufsgericht vertrat hingegen die Auffassung, dass es sich dabei nicht um eine Tatsachenänderung, sondern allein um eine Änderung der Rechtsprechung handle, die eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigen könne.
Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank, Hürth (Rheinland)
Kommentar
Wenig überzeugend Der Beschluss des Landesberufsgerichts vermag in wesentlichen Punkten nicht zu überzeugen. Bedenklich erscheint zunächst die Einschätzung des Gerichts, ein berufsgerichtliches Endurteil sei mangels eines "Makels" nicht mit einem Strafurteil gleichzustellen. Auch wenn verurteilte Apotheker nicht als vorbestraft gelten, so treffen sie doch empfindliche Missbilligungen und Sanktionen, die vom bloßen Verweis über die Verurteilung zur Zahlung eines hohen Geldbetrages bis hin zum Ausspruch der Berufsunwürdigkeit reichen können. Auch die Tatsache, dass das Heilberufsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen ausdrücklich die Regeln der Strafprozessordnung für die Wiederaufnahme für anwendbar erklärt, verdeutlicht, dass der Gesetzgeber offenbar den Sanktionscharakter der heilberufsgerichtlichen Verurteilung erkannt hat und eine gleiche Behandlung wie bei strafgerichtlicher Verurteilung sicherstellen wollte. Das "föderalistische" Argument erscheint sehr formal: Auf der Prämisse, dass es sich bei berufsgerichtlchen Entscheidungen um solche mit strafgerichtlichen Zügen handelt, erscheint es wenig überzeugend, Verurteilungen auf der Grundlage offensichtlich verfassungswidriger Rechtsnormen aufrechtzuerhalten, jedenfalls dann, wenn eine gleichlautende Bestimmung in einem anderen Bundesland bereits durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Die zuletzt genannte Argumentation des Gerichts, die Feststellung der Nichtigkeit der betreffenden Berufsordnung sei keine neue Tatsache, erscheint zumindest insoweit befremdlich, als sie eine Verurteilung auf Basis einer unwirksamen Rechtsnorm aufrechterhält. Dies ist ein Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz, dass keine Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage ergehen darf. Es wäre wünschenswert, dass sich die Bundesländer endlich dazu entschließen könnten, durch eindeutige Wiederaufnahmeregelungen für die Zukunft Rechtsklarheit zu schaffen.
Valentin Saalfrank
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