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Pharmakologie
S. Krebs et. al.Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Wie häufig sind UAW?
Die Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen wird in der Literatur mit 1,5 bis 35 Prozent aller Patienten beziffert [3 - 6]. Ganz entscheidend für diese große Schwankungsbreite ist zum einen das verwendete Erfassungssystem [7, 8] und zum anderen das untersuchte Patientenkollektiv. Als Risikofaktoren für ein gehäuftes Auftreten von UAW werden derzeit vor allem Polypharmazie, Multimorbidität und höheres Lebensalter diskutiert [9, 10].
Die Ermittlung der Inzidenz, Prävalenz und Schwere von unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist in Deutschland aufgrund der bislang fehlenden bevölkerungsbezogenen Pharmakovigilanz nicht möglich. Die zurzeit praktizierte Spontanerfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen, verankert in den Berufsordnungen der Ärzte und Apotheker, erlaubt keine Abschätzung der Inzidenz und Prävalenz der tatsächlich aufgetretenen UAW, da im Allgemeinen weniger als 10 Prozent der UAW durch reine Spontanerfassung erkannt und noch weniger gemeldet werden [11, 12].
Eine frühe Intervention zur Vermeidung von Schäden durch UAW ist deshalb meist nicht möglich. Neben der individuellen Belastung des jeweiligen Patienten erhöhen unerkannte oder zu spät erkannte UAW aber die Morbidität und Mortalität, führen zur stationären Einweisung oder verlängern den Krankenhausaufenthalt. Daraus resultieren erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem [13]. Deshalb ist es dringend erforderlich, die Erfassung von UAW zu verbessern und vor allem Strategien zur Minimierung der Folgen von UAW zu etablieren.
Das computerunterstützte Erfassungssystem
Im Rahmen der erkrankungsbedingten Laborkontrolle wird den Patienten während des stationären Aufenthaltes Blut zur Kontrolle verschiedener Organfunktionen entnommen. Die Ergebnisse der Laboruntersuchungen sind über eine Datenbank dem computergestützten Erfassungssystem zugänglich.
Das Erfassungssystem durchsucht die Datenbank auf Werte, die außerhalb bestimmter vorher definierter Grenzwerte liegen, und erzeugt mit ihnen so genannte "automatische Laborsignale", die Warnsignale des Systems. Die automatischen Laborsignale erscheinen auf dem Bildschirm der jeweiligen Station und weisen auf mögliche UAW hin.
In den Phasen der Entwicklung und Erprobung des Computersystems wurden die Signale von einer pharmakoepidemiologischen Arbeitsgruppe, bestehend aus einem klinisch tätigen Arzt, einem klinischen Pharmakologen und einem Pharmazeuten, bewertet. Parallel dazu wurde auf der Station eine Intensiverfassung von UAW durchgeführt, und die auf Station tätigen Ärzte wurden im Sinne einer stimulierten Spontanerfassung aufgefordert, alle UAW zu melden.
Um die eingehenden Meldungen und Signale besser bewerten zu können, wurden sie von der pharmakoepidemiologischen Arbeitsgruppe nach Wahrscheinlichkeit und Schweregrad bewertet. Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit wird der etablierte Algorithmus von Naranjo verwendet [15]. Dieser besteht aus einem 10-Punkte-Fragenkatalog mit unterschiedlich stark gewichteten Fragen (Tab. 1). Analog dazu wurde der Schweregrad der unerwünschten Arzneimittelwirkungen mit Hilfe eines 7-Punkte-Fragenkatalogs beurteilt (Tab. 2). Für eine Bewertung unseres computergestützten Erfassungssystem wurden seine Sensitivität und Spezifität für Patienten mit UAW ermittelt.
Einige wichtige Ergebnisse der Implementierung
Pilotphase auf Infektionsstation Die Funktionstauglichkeit und Stabilität des computergestützten Erfassungssystems wurde im Rahmen der Pilotphase auf einer 9-Betten-Infektionsstation in einem Krankenhaus der Maximalversorgung getestet. In der prospektiven Kohortenstudie über 6 Monate traten UAW bei insgesamt 12% der Patienten auf. Von insgesamt 46 UAW wurden 21 als möglich und 25 als wahrscheinlich beurteilt. Insgesamt 34 UAW wurden als vorhersagbar eingestuft.
Bei der Beurteilung der Schweregrade ergab sich folgende Verteilung: 22 Ereignisse (47,8%) waren leichte, 21 Ereignisse (45,7%) mittelschwere und nur 3 Ereignisse (6,5%) schwere oder lebensbedrohliche UAW. Ein Todesfall wurde mit einer UAW assoziiert. Die durchschnittliche Liegedauer der Patienten ohne UAW betrug 4 Tage und erhöhte sich durch das Auftreten von UAW auf 7,5 Tage (p 0,001).
Das Computersystem erkannte UAW bei 9% der Patienten, die behandelnden Ärzte im Rahmen der stimulierten Spontanerfassung bei 4,5% der Patienten. Die Sensitivität des Computersystems lag demzufolge mit 74% doppelt so hoch wie die Sensitivität der stimulierten Spontanerfassung. Das automatisierte System erkannte zudem alle drei schweren UAW, während mit der stimulierten Spontanerfassung nur zwei der drei schweren UAW erfasst wurden. Die Spezifität lag bei der stimulierten Spontanerfassung bei 98%, mit dem Computersystem bei 75%.
Studie auf internistischer Station Auf der Basis der gewonnenen Erfahrungen und Ergebnisse wurde eine weitergehende Untersuchung auf einer internistischen Männerstation mit gastroenterologisch-hepatologischem Schwerpunkt (29 Betten) initiiert. Innerhalb von sieben Monaten fanden sich UAW bei insgesamt 25,4% der Patienten, allein 36 Patienten (6,6%) waren aufgrund der UAW in die Klinik eingewiesen worden. Von insgesamt 251 erfassten UAW wurden 67 als möglich, 161 als wahrscheinlich und 22 als sehr wahrscheinlich bewertet, wobei mit 129 etwas mehr als die Hälfte als vermeidbar eingestuft wurden.
Hinsichtlich der Verteilung der Schweregrade der UAW ergab sich ein fast identisches Bild zur Pilotphase auf der Infektionsstation. Die Mortalität in der Gruppe der Patienten mit UAW betrug 5,8%, in der Gruppe der Patienten ohne UAW 3,8%. Die durchschnittliche Liegedauer der Patienten mit UAW betrug 17 Tage, im Gegensatz zu 10 Tagen bei den Patienten ohne UAW.
In beiden Untersuchungsphasen waren am häufigsten Antibiotika mit UAW assoziiert, gefolgt von Analgetika, kardiovaskulär wirksamen Arzneimitteln, Diuretika, Psychopharmaka und Zytostatika. Zusätzlich gelang es, einige bislang unbekannte oder sehr seltene UAW zu erfassen wie z. B. eine cholestatische Hepatitis unter Risperidontherapie und eine Churg-Strauss-Vaskulitis im Zusammenhang mit einem ACE-Hemmer. Auch neue, bisher nicht gemeldete Wechselwirkungen, wie z. B. zwischen Digitoxin und Glimepirid, wurden allein durch das Erfassungssystem entdeckt.
Diskussion
Neben dem Leid, das unerwünschte Arzneimittelwirkungen dem jeweiligen Patienten zufügen, führen unerkannte oder zu spät erkannte UAW
Im Rahmen unseres Projektes traten UAW auf der Infektionsstation bei 12 Prozent und auf der gastroenterologischen Station bei 25,4 Prozent der Patienten auf. Unterschiede in der Zusammensetzung des Patientenkollektivs erklären am ehesten die unterschiedlichen Inzidenzraten von UAW im Rahmen der Untersuchungen auf einer Infektionsstation und der internistischen Männerstation mit zum Teil sehr therapiebedürftigen Kranken und längerer durchschnittlicher Krankenhausverweildauer. Zweifelsohne wird die Notwendigkeit einer intensiven medikamentösen Behandlung der Grunderkrankung die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von UAW erhöhen. Zudem erscheint es naheliegend, dass bei der kurzen Hospitalisierungszeit im Rahmen der Pilotphase die Inzidenzrate auch deshalb niedriger lag, weil UAW unter Umständen erst auftraten, nachdem der Patient schon entlassen war.
Die zusätzliche Liegedauer von 3,5 Tagen auf der Infektionsstation bzw. 7 Tagen auf der gastroenterologischen Station war beträchtlich. In unseren Untersuchungen wurden insgesamt über 50 Prozent der UAW als vorhersehbar und potentiell vermeidbar eingestuft.
Die Erkennungsrate für unerwünschte Arzneimittelwirkungen kann durch das computergestützte Erfassungssystem und die dadurch gesteigerte Aufmerksamkeit der Ärzte deutlich erhöht werden [5]. Bemerkenswert war dabei die nur partielle Überlappung der durch das computergestützte Erfassungssystem bzw. die stimulierte Spontanerfassung entdeckten UAW; die beiden Methoden haben sich also sehr gut ergänzt.
Zusätzlich konnten durch das computergestützte UAW-Erfassungssystem einige bislang unbekannte oder sehr seltene UAW erfasst werden. Interessant erscheint hier auch der Aspekt der kostengünstigen Erfassung von unbekannten UAW nach der Einführung neuer Arzneistoffe. Die Kosten für den Betrieb des computergestützten UAW-Erfassungssystems sind nach der Entwicklungs- und Erprobungsphase als gering einzustufen. Der durchschnittliche Zeitbedarf auf der Station für die Bearbeitung der Signale durch die behandelnden Ärzte dürfte sich auf 1 bis 2 Stunden pro Woche belaufen.
Letztendlich ist es das Ziel, mit einem computergestützten Erfassungssystem den Ärzten ein praktikables Hilfsmittel in die Hand geben zu können und die Arzneimittelsicherheit über eine Vermeidung von UAW und Verminderung der Folgen für die betroffenen Patienten zu erhöhen. In Anbetracht des hohen Kostendrucks im Gesundheitswesen und der erheblichen Einsparpotenziale bei gleichzeitig geringen Betriebskosten stellt ein effektives computergestütztes Erfassungssystem eine gute Alternative zu den gängigen Methoden der UAW-Erfassung dar.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die nicht oder zu spät erkannt werden, erhöhen die Morbidität und Mortalität der Patienten und belasten das Gesundheitssystem mit zusätzlichen Kosten ganz erheblich. Eine Arbeitsgruppe der Universität Erlangen hat ein computergestütztes Frühwarnsystem zur Vermeidung von UAW erarbeitet und in der Praxis erprobt.
Preiswertes und effektives Hilfsmittel
Die Autoren, eine interdisziplinäre Gruppe aus Klinikern, Pharmakologen, Pharmazeuten und Biomathematikern aus Deutschland und Israel, berichten hier über ein computergestütztes UAW-Erfassungssystem, mit dem sie in den vergangenen Jahren zum Teil besorgniserregende, aber auch Lösungen aufzeigende Erfahrungen gewinnen konnten [5, 7, 8, 14]. Es bietet sich als preiswertes und effektives Hilfsmittel zur Erkennung der UAW vor der vollen Ausprägung behandlungsbedürftiger Symptome an. Die zeitnahe Erfassung ist für die Verminderung von Folgeschäden und Folgekosten essenziell. Das computergestützte Erfassungssystem ist in der Lage, einen großen Anteil der auftretenden UAW zu erkennen ohne mit dem Nachteil eines hohen organisatorischen und finanziellen Aufwandes behaftet zu sein.
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